Sie sagte mit einer etwas zitternden Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick und meine Anrede ihr sehr unerwartet ge- wesen sey, und daß sie wünschte, daß mich meine Gesinnungen, wovon ich ihr rede- te, abgehalten hätten, sie in einem frem- den Hause zu überraschen.
Jch machte einige bewegliche Ausru- fungen, und mein Gesicht war mit der Angst bezeichnet ihr mißfallen zu haben; sie betrachtete mich mit Sorgsamkeit und sagte: Milord; Sie sind der erste Mann der mir von Liebe redt, und mit dem ich mich allein befinde; beydes macht mir Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlassen, und mir dadurch eine Probe der Hochach- tung zu zeigen, die Sie für meinen Cha- rakter zu haben vorgeben.
Vorgeben! O Sternheim, wenn es vorgebliche Gesinnungen wären, so hätte ich mehr Vorsicht gebraucht, um mich gegen Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und Verzweiflung war's, die mich zu der Ver- wegenheit führten hieher zu kommen; sa- gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen-
heit
Sie ſagte mit einer etwas zitternden Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick und meine Anrede ihr ſehr unerwartet ge- weſen ſey, und daß ſie wuͤnſchte, daß mich meine Geſinnungen, wovon ich ihr rede- te, abgehalten haͤtten, ſie in einem frem- den Hauſe zu uͤberraſchen.
Jch machte einige bewegliche Ausru- fungen, und mein Geſicht war mit der Angſt bezeichnet ihr mißfallen zu haben; ſie betrachtete mich mit Sorgſamkeit und ſagte: Milord; Sie ſind der erſte Mann der mir von Liebe redt, und mit dem ich mich allein befinde; beydes macht mir Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlaſſen, und mir dadurch eine Probe der Hochach- tung zu zeigen, die Sie fuͤr meinen Cha- rakter zu haben vorgeben.
Vorgeben! O Sternheim, wenn es vorgebliche Geſinnungen waͤren, ſo haͤtte ich mehr Vorſicht gebraucht, um mich gegen Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und Verzweiflung war’s, die mich zu der Ver- wegenheit fuͤhrten hieher zu kommen; ſa- gen Sie, daß Sie mir meine Verwegen-
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Sie ſagte mit einer etwas zitternden
Stimme: Sie bekenne, daß mein Anblick
und meine Anrede ihr ſehr unerwartet ge-
weſen ſey, und daß ſie wuͤnſchte, daß mich
meine Geſinnungen, wovon ich ihr rede-
te, abgehalten haͤtten, ſie in einem frem-
den Hauſe zu uͤberraſchen.
Jch machte einige bewegliche Ausru-
fungen, und mein Geſicht war mit der
Angſt bezeichnet ihr mißfallen zu haben;
ſie betrachtete mich mit Sorgſamkeit und
ſagte: Milord; Sie ſind der erſte Mann
der mir von Liebe redt, und mit dem ich
mich allein befinde; beydes macht mir
Unruhe; ich bitte Sie, mich zu verlaſſen,
und mir dadurch eine Probe der Hochach-
tung zu zeigen, die Sie fuͤr meinen Cha-
rakter zu haben vorgeben.
Vorgeben! O Sternheim, wenn es
vorgebliche Geſinnungen waͤren, ſo haͤtte
ich mehr Vorſicht gebraucht, um mich gegen
Jhren Zorn zu bewahren. Anbetung und
Verzweiflung war’s, die mich zu der Ver-
wegenheit fuͤhrten hieher zu kommen; ſa-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/340>, abgerufen am 18.12.2024.
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