Er dachte wohl nicht, daß ich da wäre, sondern zu Hause an der Tafel sitzen wür- de, sonst sollte er nicht englisch geredet haben. Jn Gesellschaften hörte ich ihn ofte gute Gesinnungen äußern; aber ich hielte sie für Heucheleyen eines feinen Bö- sewichts; allein die freye, allen Men- schen unbekannte Handlung kann unmög- lich Heucheley seyn. O möchte er einen Geschmack an der Tugend finden, und ihr seine Kenntnisse weyhen! Er würde ei- ner der hochachtungswürdigsten Männer werden.
Jch kann mich nun nicht verhindern ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil er sie verdient. Seinen feinen Schmeiche- leyen, seinen Witz und der Ehrerbietung, die er mir beweist, hätte ich sie niemals gegeben. Es kann oft geschehen, daß äußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar- tung, und vielleicht die stärkste Leidenschaft des größten Bösewichts zuzieht. Aber wie verachtungswerth ist ein Frauenzim- mer, die einen Gefallen daran bezeugt,
und
Er dachte wohl nicht, daß ich da waͤre, ſondern zu Hauſe an der Tafel ſitzen wuͤr- de, ſonſt ſollte er nicht engliſch geredet haben. Jn Geſellſchaften hoͤrte ich ihn ofte gute Geſinnungen aͤußern; aber ich hielte ſie fuͤr Heucheleyen eines feinen Boͤ- ſewichts; allein die freye, allen Men- ſchen unbekannte Handlung kann unmoͤg- lich Heucheley ſeyn. O moͤchte er einen Geſchmack an der Tugend finden, und ihr ſeine Kenntniſſe weyhen! Er wuͤrde ei- ner der hochachtungswuͤrdigſten Maͤnner werden.
Jch kann mich nun nicht verhindern ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil er ſie verdient. Seinen feinen Schmeiche- leyen, ſeinen Witz und der Ehrerbietung, die er mir beweiſt, haͤtte ich ſie niemals gegeben. Es kann oft geſchehen, daß aͤußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar- tung, und vielleicht die ſtaͤrkſte Leidenſchaft des groͤßten Boͤſewichts zuzieht. Aber wie verachtungswerth iſt ein Frauenzim- mer, die einen Gefallen daran bezeugt,
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Er dachte wohl nicht, daß ich da waͤre,
ſondern zu Hauſe an der Tafel ſitzen wuͤr-
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haben. Jn Geſellſchaften hoͤrte ich ihn
ofte gute Geſinnungen aͤußern; aber ich
hielte ſie fuͤr Heucheleyen eines feinen Boͤ-
ſewichts; allein die freye, allen Men-
ſchen unbekannte Handlung kann unmoͤg-
lich Heucheley ſeyn. O moͤchte er einen
Geſchmack an der Tugend finden, und ihr
ſeine Kenntniſſe weyhen! Er wuͤrde ei-
ner der hochachtungswuͤrdigſten Maͤnner
werden.
Jch kann mich nun nicht verhindern
ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil
er ſie verdient. Seinen feinen Schmeiche-
leyen, ſeinen Witz und der Ehrerbietung,
die er mir beweiſt, haͤtte ich ſie niemals
gegeben. Es kann oft geſchehen, daß
aͤußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar-
tung, und vielleicht die ſtaͤrkſte Leidenſchaft
des groͤßten Boͤſewichts zuzieht. Aber
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/316>, abgerufen am 18.12.2024.
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