Wie der ganze Adel beysammen war, wurden wir junge Fräulein gebeten, die ältern Damen und Cavaliere mit Erfri- schungeu bedienen zu helfen; unsre Geschäff- tigkeit war artig zu sehen; für eine fremde Person aber müßten die forschenden halb verborgnen Blicke, die immer eine Dame nach der andern schickte, zu vielen kleinen Betrachtungen Anlaß gegeben haben. Jch war voll herzlicher Freude; es war Grasboden, den ich betrat, Bäume, unter deren Schatten ich eine Schüssel Milch verzehrte, frische Luft, was ich athmete, ein heitrer offner Himmel um mich her, nur zwanzig Schritte von mir ein schöner Bach und wohl angebaute reiche Kornfel- der! Mir schien's, als ob die unbegränzte Aussicht in das Reich der Natur meinen Lebensgeistern und Empfindungen eine freyere Bewegung verschaffte, sie von dem einkerkernden Zwang des Aufenthalts in den Mauren eines Pallastes voller gekün- stelten Zierrathen und Vergoldungen, in ihre natürliche Freyheit und in ihr ange- bohrnes Element setzte. Jch redete auch
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Wie der ganze Adel beyſammen war, wurden wir junge Fraͤulein gebeten, die aͤltern Damen und Cavaliere mit Erfri- ſchungeu bedienen zu helfen; unſre Geſchaͤff- tigkeit war artig zu ſehen; fuͤr eine fremde Perſon aber muͤßten die forſchenden halb verborgnen Blicke, die immer eine Dame nach der andern ſchickte, zu vielen kleinen Betrachtungen Anlaß gegeben haben. Jch war voll herzlicher Freude; es war Grasboden, den ich betrat, Baͤume, unter deren Schatten ich eine Schuͤſſel Milch verzehrte, friſche Luft, was ich athmete, ein heitrer offner Himmel um mich her, nur zwanzig Schritte von mir ein ſchoͤner Bach und wohl angebaute reiche Kornfel- der! Mir ſchien’s, als ob die unbegraͤnzte Ausſicht in das Reich der Natur meinen Lebensgeiſtern und Empfindungen eine freyere Bewegung verſchaffte, ſie von dem einkerkernden Zwang des Aufenthalts in den Mauren eines Pallaſtes voller gekuͤn- ſtelten Zierrathen und Vergoldungen, in ihre natuͤrliche Freyheit und in ihr ange- bohrnes Element ſetzte. Jch redete auch
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Wie der ganze Adel beyſammen war,
wurden wir junge Fraͤulein gebeten, die
aͤltern Damen und Cavaliere mit Erfri-
ſchungeu bedienen zu helfen; unſre Geſchaͤff-
tigkeit war artig zu ſehen; fuͤr eine fremde
Perſon aber muͤßten die forſchenden halb
verborgnen Blicke, die immer eine Dame
nach der andern ſchickte, zu vielen kleinen
Betrachtungen Anlaß gegeben haben.
Jch war voll herzlicher Freude; es war
Grasboden, den ich betrat, Baͤume, unter
deren Schatten ich eine Schuͤſſel Milch
verzehrte, friſche Luft, was ich athmete,
ein heitrer offner Himmel um mich her,
nur zwanzig Schritte von mir ein ſchoͤner
Bach und wohl angebaute reiche Kornfel-
der! Mir ſchien’s, als ob die unbegraͤnzte
Ausſicht in das Reich der Natur meinen
Lebensgeiſtern und Empfindungen eine
freyere Bewegung verſchaffte, ſie von dem
einkerkernden Zwang des Aufenthalts in
den Mauren eines Pallaſtes voller gekuͤn-
ſtelten Zierrathen und Vergoldungen, in
ihre natuͤrliche Freyheit und in ihr ange-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/289>, abgerufen am 25.11.2024.
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