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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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schreiten der Grenzen seine Triebfeder in
der Begierde nach Vermehrung der Voll-
kommenheit unsers Zustandes hat? Einer
Begierde, die der größte Beweis der Gü-
te unsers Schöpfers ist, weil sie, so sehr
sie in gesunden und glücklichen Tagen ir-
rig und übel verwendet wird, dennoch im
Unglück, in dem Zeitpunkt, der Auflösung
unsers Wesens, ihre Aussicht und Hoff-
nung auf eine andere Welt, und dort im-
mer daurende unabänderliche Glückselig-
keiten und Tugenden wendet, und da-
durch allein einen Trost ertheilt, welchen
alle andre Hülfsmittel nicht geben kön-
nen. Sie denken leicht, meine Emilia,
in wie viel Stunden des Nachdenkens
und Ueberlegens sich alle diese, hier nur
flüchtig berührte Gegenstände abtheilen
lassen, und Sie sehen auch, daß mir da-
bey, neben den übrigen Zerstreuungen, die
mir das Haus meiner Tante giebt, kein
Augenblick zu Langerweile bleibt.

Nun will ich Sie zu dem Stück urba-
ren Erdreichs führen, das ich angetrof-
fen habe. Dieses geschah auf dem Land-

guthe
N

ſchreiten der Grenzen ſeine Triebfeder in
der Begierde nach Vermehrung der Voll-
kommenheit unſers Zuſtandes hat? Einer
Begierde, die der groͤßte Beweis der Guͤ-
te unſers Schoͤpfers iſt, weil ſie, ſo ſehr
ſie in geſunden und gluͤcklichen Tagen ir-
rig und uͤbel verwendet wird, dennoch im
Ungluͤck, in dem Zeitpunkt, der Aufloͤſung
unſers Weſens, ihre Ausſicht und Hoff-
nung auf eine andere Welt, und dort im-
mer daurende unabaͤnderliche Gluͤckſelig-
keiten und Tugenden wendet, und da-
durch allein einen Troſt ertheilt, welchen
alle andre Huͤlfsmittel nicht geben koͤn-
nen. Sie denken leicht, meine Emilia,
in wie viel Stunden des Nachdenkens
und Ueberlegens ſich alle dieſe, hier nur
fluͤchtig beruͤhrte Gegenſtaͤnde abtheilen
laſſen, und Sie ſehen auch, daß mir da-
bey, neben den uͤbrigen Zerſtreuungen, die
mir das Haus meiner Tante giebt, kein
Augenblick zu Langerweile bleibt.

Nun will ich Sie zu dem Stuͤck urba-
ren Erdreichs fuͤhren, das ich angetrof-
fen habe. Dieſes geſchah auf dem Land-

guthe
N
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[193/0219] ſchreiten der Grenzen ſeine Triebfeder in der Begierde nach Vermehrung der Voll- kommenheit unſers Zuſtandes hat? Einer Begierde, die der groͤßte Beweis der Guͤ- te unſers Schoͤpfers iſt, weil ſie, ſo ſehr ſie in geſunden und gluͤcklichen Tagen ir- rig und uͤbel verwendet wird, dennoch im Ungluͤck, in dem Zeitpunkt, der Aufloͤſung unſers Weſens, ihre Ausſicht und Hoff- nung auf eine andere Welt, und dort im- mer daurende unabaͤnderliche Gluͤckſelig- keiten und Tugenden wendet, und da- durch allein einen Troſt ertheilt, welchen alle andre Huͤlfsmittel nicht geben koͤn- nen. Sie denken leicht, meine Emilia, in wie viel Stunden des Nachdenkens und Ueberlegens ſich alle dieſe, hier nur fluͤchtig beruͤhrte Gegenſtaͤnde abtheilen laſſen, und Sie ſehen auch, daß mir da- bey, neben den uͤbrigen Zerſtreuungen, die mir das Haus meiner Tante giebt, kein Augenblick zu Langerweile bleibt. Nun will ich Sie zu dem Stuͤck urba- ren Erdreichs fuͤhren, das ich angetrof- fen habe. Dieſes geſchah auf dem Land- guthe N

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/219>, abgerufen am 24.11.2024.