sind, einen Tag ihres Lebens auf die Seite zu räumen; wie oft der Hofton, der Modegeist, die edelsten Bewegungen eines von Natur vortrefflichen Herzen unter- drückt, und um das Auszischen der Mode- herren und Modedamen zu vermeiden, mit ihnen lachen und beystimmen heißt: dieß erfüllt mich mit Verachtung und Mitleiden. Der Durst nach Ergötzlichkeiten, nach neu- en Putz, nach Bewunderung eines Klei- des, eines Meubles, einer neuen schädli- chen Speise, -- o meine Emilia! wie bange, wie übel wird meiner Seele dabey zu Muthe, weil ich gewöhnt bin, allen Sachen ihren eigentlichen Werth zu ge- ben! Jch will von dem falschen Ehrgeiz nicht reden, der so viele niedrige Jntri- guen anspinnt, vor dem im Glücke sitzen- den Laster kriecht, Tugend und Verdienste mit Verachtung ansieht, ohne Empfin- dung Elende macht. -- Wie glücklich sind Sie, meine Freundin! Jhre Geburt, Jhre Umstände haben Sie nicht von dem Ziel unserer moralischen Bestimmung ent- sernt; Sie können ohne Scheu, ohne
Hinderniß
ſind, einen Tag ihres Lebens auf die Seite zu raͤumen; wie oft der Hofton, der Modegeiſt, die edelſten Bewegungen eines von Natur vortrefflichen Herzen unter- druͤckt, und um das Ausziſchen der Mode- herren und Modedamen zu vermeiden, mit ihnen lachen und beyſtimmen heißt: dieß erfuͤllt mich mit Verachtung und Mitleiden. Der Durſt nach Ergoͤtzlichkeiten, nach neu- en Putz, nach Bewunderung eines Klei- des, eines Meubles, einer neuen ſchaͤdli- chen Speiſe, — o meine Emilia! wie bange, wie uͤbel wird meiner Seele dabey zu Muthe, weil ich gewoͤhnt bin, allen Sachen ihren eigentlichen Werth zu ge- ben! Jch will von dem falſchen Ehrgeiz nicht reden, der ſo viele niedrige Jntri- guen anſpinnt, vor dem im Gluͤcke ſitzen- den Laſter kriecht, Tugend und Verdienſte mit Verachtung anſieht, ohne Empfin- dung Elende macht. — Wie gluͤcklich ſind Sie, meine Freundin! Jhre Geburt, Jhre Umſtaͤnde haben Sie nicht von dem Ziel unſerer moraliſchen Beſtimmung ent- ſernt; Sie koͤnnen ohne Scheu, ohne
Hinderniß
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[184/0210]
ſind, einen Tag ihres Lebens auf die
Seite zu raͤumen; wie oft der Hofton, der
Modegeiſt, die edelſten Bewegungen eines
von Natur vortrefflichen Herzen unter-
druͤckt, und um das Ausziſchen der Mode-
herren und Modedamen zu vermeiden, mit
ihnen lachen und beyſtimmen heißt: dieß
erfuͤllt mich mit Verachtung und Mitleiden.
Der Durſt nach Ergoͤtzlichkeiten, nach neu-
en Putz, nach Bewunderung eines Klei-
des, eines Meubles, einer neuen ſchaͤdli-
chen Speiſe, — o meine Emilia! wie
bange, wie uͤbel wird meiner Seele dabey
zu Muthe, weil ich gewoͤhnt bin, allen
Sachen ihren eigentlichen Werth zu ge-
ben! Jch will von dem falſchen Ehrgeiz
nicht reden, der ſo viele niedrige Jntri-
guen anſpinnt, vor dem im Gluͤcke ſitzen-
den Laſter kriecht, Tugend und Verdienſte
mit Verachtung anſieht, ohne Empfin-
dung Elende macht. — Wie gluͤcklich
ſind Sie, meine Freundin! Jhre Geburt,
Jhre Umſtaͤnde haben Sie nicht von dem
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ſernt; Sie koͤnnen ohne Scheu, ohne
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/210>, abgerufen am 24.11.2024.
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