rem Herzen ist. Der doppelte Eigensinn, den meine Leidenschaft angenommen, hin- dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin nur bemüht sie zu beobachten, und eine untadelhafte Aufführung zu haben. Sie hingegen meidet mich und das Fräulein C*. Jch höre sie nicht mehr reden; aber die Erzählungen des Derby, dem sie Ach- tung erweiset, sind mir beständige Bewei- se des Adels ihrer Seele. Jch glaube, daß sie die erste tugendhafte Bewegung in sein Herz gebracht hat. Denn vor eini- gen Tagen sagt' er mir; er hätte das Fräulein in eine Gesellschaft führen sol- len, und wie er in ihr Zimmer gegangen sie abzuholen, habe er ihre Cammerjung- fer vor ihr knieen gesehen; das Fräulein selbst halb angezogen, ihre schönen Haare auf Brust und Nacken zerstreut, ihre Ar- me um das knieende Mädchen geschlungen, deren Kopf sie an sich gedrückt, während sie ihr mit beweglicher Stimme von dem Werth des Todes der Gerechten und der Belohnung der Tugend gesprochen. Thrä- nen wären aus ihren Augen gerollt, die
sie
rem Herzen iſt. Der doppelte Eigenſinn, den meine Leidenſchaft angenommen, hin- dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin nur bemuͤht ſie zu beobachten, und eine untadelhafte Auffuͤhrung zu haben. Sie hingegen meidet mich und das Fraͤulein C*. Jch hoͤre ſie nicht mehr reden; aber die Erzaͤhlungen des Derby, dem ſie Ach- tung erweiſet, ſind mir beſtaͤndige Bewei- ſe des Adels ihrer Seele. Jch glaube, daß ſie die erſte tugendhafte Bewegung in ſein Herz gebracht hat. Denn vor eini- gen Tagen ſagt’ er mir; er haͤtte das Fraͤulein in eine Geſellſchaft fuͤhren ſol- len, und wie er in ihr Zimmer gegangen ſie abzuholen, habe er ihre Cammerjung- fer vor ihr knieen geſehen; das Fraͤulein ſelbſt halb angezogen, ihre ſchoͤnen Haare auf Bruſt und Nacken zerſtreut, ihre Ar- me um das knieende Maͤdchen geſchlungen, deren Kopf ſie an ſich gedruͤckt, waͤhrend ſie ihr mit beweglicher Stimme von dem Werth des Todes der Gerechten und der Belohnung der Tugend geſprochen. Thraͤ- nen waͤren aus ihren Augen gerollt, die
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rem Herzen iſt. Der doppelte Eigenſinn,
den meine Leidenſchaft angenommen, hin-
dert mich ein Gleiches zu thun. Jch bin
nur bemuͤht ſie zu beobachten, und eine
untadelhafte Auffuͤhrung zu haben. Sie
hingegen meidet mich und das Fraͤulein
C*. Jch hoͤre ſie nicht mehr reden; aber
die Erzaͤhlungen des Derby, dem ſie Ach-
tung erweiſet, ſind mir beſtaͤndige Bewei-
ſe des Adels ihrer Seele. Jch glaube,
daß ſie die erſte tugendhafte Bewegung in
ſein Herz gebracht hat. Denn vor eini-
gen Tagen ſagt’ er mir; er haͤtte das
Fraͤulein in eine Geſellſchaft fuͤhren ſol-
len, und wie er in ihr Zimmer gegangen
ſie abzuholen, habe er ihre Cammerjung-
fer vor ihr knieen geſehen; das Fraͤulein
ſelbſt halb angezogen, ihre ſchoͤnen Haare
auf Bruſt und Nacken zerſtreut, ihre Ar-
me um das knieende Maͤdchen geſchlungen,
deren Kopf ſie an ſich gedruͤckt, waͤhrend
ſie ihr mit beweglicher Stimme von dem
Werth des Todes der Gerechten und der
Belohnung der Tugend geſprochen. Thraͤ-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/199>, abgerufen am 27.11.2024.
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