zu sehr ein, daß es eine moralische Unmög- lichkeit ist. Jch nehme keinem übel, daß der Morgen am Putztische, der Nachmittag in Besuchen, der Abend und die Nacht mit Spielen hingebracht wird. Es ist hier die große Welt, und diese hat die Einrichtung ihres Lebens mit dieser Haupt- eintheilung angefangen. Jch bin auch sehr von der Verwunderung zurückgekom- men, in die ich sonst gerieth, wenn ich an Personen, die meine selige Großmama be- suchten, einen so großen Mangel an gu- ten Kenntnissen sah, da sie doch von Na- tur mit vielen Fähigkeiten begabt waren. Es ist nicht möglich, meine Liebe, daß eine junge Person in diesem betäubenden Geräusche von lermenden Zeitvertreiben einen Augenblick finde, mich zu sammeln. Kurz, alle hier, sind an diese Lebensart und an die herrschenden Begriffe von Glück und Vergnügen gewöhnt, und lieben sie eben so, wie ich die Grundsätze und Be- griffe liebe, welche Unterricht und Bey- spiel in meine Seele gelegt haben. Aber man ist mit meiner Nachsicht, mit meiner
Billigkeit
zu ſehr ein, daß es eine moraliſche Unmoͤg- lichkeit iſt. Jch nehme keinem uͤbel, daß der Morgen am Putztiſche, der Nachmittag in Beſuchen, der Abend und die Nacht mit Spielen hingebracht wird. Es iſt hier die große Welt, und dieſe hat die Einrichtung ihres Lebens mit dieſer Haupt- eintheilung angefangen. Jch bin auch ſehr von der Verwunderung zuruͤckgekom- men, in die ich ſonſt gerieth, wenn ich an Perſonen, die meine ſelige Großmama be- ſuchten, einen ſo großen Mangel an gu- ten Kenntniſſen ſah, da ſie doch von Na- tur mit vielen Faͤhigkeiten begabt waren. Es iſt nicht moͤglich, meine Liebe, daß eine junge Perſon in dieſem betaͤubenden Geraͤuſche von lermenden Zeitvertreiben einen Augenblick finde, mich zu ſammeln. Kurz, alle hier, ſind an dieſe Lebensart und an die herrſchenden Begriffe von Gluͤck und Vergnuͤgen gewoͤhnt, und lieben ſie eben ſo, wie ich die Grundſaͤtze und Be- griffe liebe, welche Unterricht und Bey- ſpiel in meine Seele gelegt haben. Aber man iſt mit meiner Nachſicht, mit meiner
Billigkeit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0183"n="157"/>
zu ſehr ein, daß es eine moraliſche Unmoͤg-<lb/>
lichkeit iſt. Jch nehme keinem uͤbel, daß<lb/>
der Morgen am Putztiſche, der Nachmittag<lb/>
in Beſuchen, der Abend und die Nacht<lb/>
mit Spielen hingebracht wird. Es iſt<lb/>
hier die große Welt, und dieſe hat die<lb/>
Einrichtung ihres Lebens mit dieſer Haupt-<lb/>
eintheilung angefangen. Jch bin auch<lb/>ſehr von der Verwunderung zuruͤckgekom-<lb/>
men, in die ich ſonſt gerieth, wenn ich an<lb/>
Perſonen, die meine ſelige Großmama be-<lb/>ſuchten, einen ſo großen Mangel an gu-<lb/>
ten Kenntniſſen ſah, da ſie doch von Na-<lb/>
tur mit vielen Faͤhigkeiten begabt waren.<lb/>
Es iſt nicht moͤglich, meine Liebe, daß<lb/>
eine junge Perſon in dieſem betaͤubenden<lb/>
Geraͤuſche von lermenden Zeitvertreiben<lb/>
einen Augenblick finde, mich zu ſammeln.<lb/>
Kurz, alle hier, ſind an dieſe Lebensart und<lb/>
an die herrſchenden Begriffe von Gluͤck<lb/>
und Vergnuͤgen gewoͤhnt, und lieben ſie<lb/>
eben ſo, wie ich die Grundſaͤtze und Be-<lb/>
griffe liebe, welche Unterricht und Bey-<lb/>ſpiel in meine Seele gelegt haben. Aber<lb/>
man iſt mit meiner Nachſicht, mit meiner<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Billigkeit</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[157/0183]
zu ſehr ein, daß es eine moraliſche Unmoͤg-
lichkeit iſt. Jch nehme keinem uͤbel, daß
der Morgen am Putztiſche, der Nachmittag
in Beſuchen, der Abend und die Nacht
mit Spielen hingebracht wird. Es iſt
hier die große Welt, und dieſe hat die
Einrichtung ihres Lebens mit dieſer Haupt-
eintheilung angefangen. Jch bin auch
ſehr von der Verwunderung zuruͤckgekom-
men, in die ich ſonſt gerieth, wenn ich an
Perſonen, die meine ſelige Großmama be-
ſuchten, einen ſo großen Mangel an gu-
ten Kenntniſſen ſah, da ſie doch von Na-
tur mit vielen Faͤhigkeiten begabt waren.
Es iſt nicht moͤglich, meine Liebe, daß
eine junge Perſon in dieſem betaͤubenden
Geraͤuſche von lermenden Zeitvertreiben
einen Augenblick finde, mich zu ſammeln.
Kurz, alle hier, ſind an dieſe Lebensart und
an die herrſchenden Begriffe von Gluͤck
und Vergnuͤgen gewoͤhnt, und lieben ſie
eben ſo, wie ich die Grundſaͤtze und Be-
griffe liebe, welche Unterricht und Bey-
ſpiel in meine Seele gelegt haben. Aber
man iſt mit meiner Nachſicht, mit meiner
Billigkeit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/183>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.