Sie sagen, ich höre es: warum ältere Freundin? Waren Sie denn auch schon seine Freundin, Sie, die ihn erst eine halbe Stunde gesehen hatten?
Ja, meine liebe Emilia, ich war seine Freundin, eh ich ihn sah; das Fräulein C* hatte mit mir von seinem vortrefflichen Charakter gesprochen, ehe er von einer kleinen Reise, die er mit seinem Oncle während der Abwesenheit des Fürsten machte, zurückkam, und was ich Jhnen von ihm geschrieben, war nichts anders, als daß ich alles Edle, alles Gute, so mir das Fräulein von ihm erzählt, in seiner Physionomie ausgedrückt sah.
Noch mehr, Emilia, rührte mich die tiefsinnige Traurigkeit, mit welcher er sich an den Pfeiler des Fensters setzte, wo wir beyde auf der kleinen Bank waren, und unsre Unterredung fortführten. Jch deu- tete dem Fräulein C* auf ihren Freund und sagte leise: Geschieht diß oft?
Ja, dieß ist Spleen.
Sie machte mir hierauf allerley Fra- gen, über die Art von Zeitvertreiben, wel-
che
Sie ſagen, ich hoͤre es: warum aͤltere Freundin? Waren Sie denn auch ſchon ſeine Freundin, Sie, die ihn erſt eine halbe Stunde geſehen hatten?
Ja, meine liebe Emilia, ich war ſeine Freundin, eh ich ihn ſah; das Fraͤulein C* hatte mit mir von ſeinem vortrefflichen Charakter geſprochen, ehe er von einer kleinen Reiſe, die er mit ſeinem Oncle waͤhrend der Abweſenheit des Fuͤrſten machte, zuruͤckkam, und was ich Jhnen von ihm geſchrieben, war nichts anders, als daß ich alles Edle, alles Gute, ſo mir das Fraͤulein von ihm erzaͤhlt, in ſeiner Phyſionomie ausgedruͤckt ſah.
Noch mehr, Emilia, ruͤhrte mich die tiefſinnige Traurigkeit, mit welcher er ſich an den Pfeiler des Fenſters ſetzte, wo wir beyde auf der kleinen Bank waren, und unſre Unterredung fortfuͤhrten. Jch deu- tete dem Fraͤulein C* auf ihren Freund und ſagte leiſe: Geſchieht diß oft?
Ja, dieß iſt Spleen.
Sie machte mir hierauf allerley Fra- gen, uͤber die Art von Zeitvertreiben, wel-
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Sie ſagen, ich hoͤre es: warum aͤltere
Freundin? Waren Sie denn auch ſchon
ſeine Freundin, Sie, die ihn erſt eine
halbe Stunde geſehen hatten?
Ja, meine liebe Emilia, ich war ſeine
Freundin, eh ich ihn ſah; das Fraͤulein
C* hatte mit mir von ſeinem vortrefflichen
Charakter geſprochen, ehe er von einer
kleinen Reiſe, die er mit ſeinem Oncle
waͤhrend der Abweſenheit des Fuͤrſten
machte, zuruͤckkam, und was ich Jhnen
von ihm geſchrieben, war nichts anders,
als daß ich alles Edle, alles Gute, ſo mir
das Fraͤulein von ihm erzaͤhlt, in ſeiner
Phyſionomie ausgedruͤckt ſah.
Noch mehr, Emilia, ruͤhrte mich die
tiefſinnige Traurigkeit, mit welcher er ſich
an den Pfeiler des Fenſters ſetzte, wo wir
beyde auf der kleinen Bank waren, und
unſre Unterredung fortfuͤhrten. Jch deu-
tete dem Fraͤulein C* auf ihren Freund
und ſagte leiſe: Geſchieht diß oft?
Ja, dieß iſt Spleen.
Sie machte mir hierauf allerley Fra-
gen, uͤber die Art von Zeitvertreiben, wel-
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/135>, abgerufen am 27.11.2024.
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