sollte: weil er seine Sophie mit der Mar- ter verschonen wollte, ihn beysetzen zu se- hen. Aber die Kirche war voller Leute; alle feyerlich angezogen, der Chor be- leuchtet, wie es die traurige Ursache er- foderte; alle wollten ihren Herrn, ihren Wohlthäter noch sehen. Greise, Jüng- linge, weinten, segneten ihn, und küßten seine Hände und Füße, das Leichentuch, den Deckel des Sarges, -- und erbaten von Gott, er möchte an der Tochter alles das Gute, so ihnen der Vater bewiesen, belohnen!
Noch lange Zeit hernach war alles traurig zu S., und das Fräulein so still, so ernsthaft, daß mein Vater ihrenthal- ben in Sorgen gerieth; besonders da auch die alte Dame, welche gleich gesagt hatte, daß ihr dieser Fall das Herz gebrochen hätte, von Tag zu Tag schwächlicher wurde. Das Fräulein wartete sie mit einer Zärtlichkeit ab, welche die Dame sagen machte: "Sophie, die Sanftmuth, "die Güte deiner Mutter, ist ganz in dei- "ner Seele! Du hast den Geist deines Va-
"ters,
ſollte: weil er ſeine Sophie mit der Mar- ter verſchonen wollte, ihn beyſetzen zu ſe- hen. Aber die Kirche war voller Leute; alle feyerlich angezogen, der Chor be- leuchtet, wie es die traurige Urſache er- foderte; alle wollten ihren Herrn, ihren Wohlthaͤter noch ſehen. Greiſe, Juͤng- linge, weinten, ſegneten ihn, und kuͤßten ſeine Haͤnde und Fuͤße, das Leichentuch, den Deckel des Sarges, — und erbaten von Gott, er moͤchte an der Tochter alles das Gute, ſo ihnen der Vater bewieſen, belohnen!
Noch lange Zeit hernach war alles traurig zu S., und das Fraͤulein ſo ſtill, ſo ernſthaft, daß mein Vater ihrenthal- ben in Sorgen gerieth; beſonders da auch die alte Dame, welche gleich geſagt hatte, daß ihr dieſer Fall das Herz gebrochen haͤtte, von Tag zu Tag ſchwaͤchlicher wurde. Das Fraͤulein wartete ſie mit einer Zaͤrtlichkeit ab, welche die Dame ſagen machte: „Sophie, die Sanftmuth, „die Guͤte deiner Mutter, iſt ganz in dei- „ner Seele! Du haſt den Geiſt deines Va-
„ters,
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ſollte: weil er ſeine Sophie mit der Mar-
ter verſchonen wollte, ihn beyſetzen zu ſe-
hen. Aber die Kirche war voller Leute;
alle feyerlich angezogen, der Chor be-
leuchtet, wie es die traurige Urſache er-
foderte; alle wollten ihren Herrn, ihren
Wohlthaͤter noch ſehen. Greiſe, Juͤng-
linge, weinten, ſegneten ihn, und kuͤßten
ſeine Haͤnde und Fuͤße, das Leichentuch,
den Deckel des Sarges, — und erbaten
von Gott, er moͤchte an der Tochter alles
das Gute, ſo ihnen der Vater bewieſen,
belohnen!
Noch lange Zeit hernach war alles
traurig zu S., und das Fraͤulein ſo ſtill,
ſo ernſthaft, daß mein Vater ihrenthal-
ben in Sorgen gerieth; beſonders da auch
die alte Dame, welche gleich geſagt hatte,
daß ihr dieſer Fall das Herz gebrochen
haͤtte, von Tag zu Tag ſchwaͤchlicher
wurde. Das Fraͤulein wartete ſie mit
einer Zaͤrtlichkeit ab, welche die Dame
ſagen machte: „Sophie, die Sanftmuth,
„die Guͤte deiner Mutter, iſt ganz in dei-
„ner Seele! Du haſt den Geiſt deines Va-
„ters,
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/105>, abgerufen am 27.11.2024.
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