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Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916.

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Frauenstimmrechtsforderung eingesetzt hatte, alle Mittel
aufbot, die Erfüllung derselben zu hintertreiben. Noch
auf einem Frauenstimmrechtskongreß im Jahre 1908
stellten zwei englische Rechtlerinnen die Tatsache fest, daß
man sich in England auch nicht einmal auf die Parteien
verlassen könne, welche die Frauenstimmrechtsforderung
ins Programm aufgenommen hätten. - Man wollte,
um es kurz zu sagen, auf seiten der Liberalen die Feind-
schaft der Rechtlerinnen, deren Wahlhilfe man bedurfte,
nicht durch eine offene Ablehnung ihrer Forderungen
heraufbeschwören; man fürchtete, die Majorität und das
Regiment an die Konservativen zu verlieren. Zugleich
schreckte man davor zurück, den ungeheuren Sprung ins
Dunkle, von dem im Grunde niemand etwas Gutes
erwartete, zu unternehmen. - Jn jeder Legislaturperiode
tauchte die gefürchtete Frauenstimmrechtsbill von neuem
auf. Entweder wurde der Entwurf zurückgestellt, oder
das Haus vertagte sich. Mehrere Male gelangte das
Gesetz in zweiter Lesung zur Annahme, aber die Regierung
sorgte dafür, daß es nicht zur dritten Lesung kam; die
Bill wurde entweder totgeredet (talked out) oder schließ-
lich auf die nächste Session verschoben. Diese verzweifelte
Taktik der englischen Regierung läßt sich nur dadurch
einigermaßen verständlich machen, daß in der Tat die
liberale Partei
im Grunde selbst Gegnerin des
Frauenstimmrechts
ist; andernfalls wäre es ihr ein
Leichtes gewesen, den leitenden Staatsmann ihrem Willen
zu unterwerfen. - Eine solche unwahre Politik ist natür-
lich auf die Dauer unhaltbar. Alle Welt weiß, welche
Mittel die Suffragetten in den letzten Jahren zur An-

Frauenstimmrechtsforderung eingesetzt hatte, alle Mittel
aufbot, die Erfüllung derselben zu hintertreiben. Noch
auf einem Frauenstimmrechtskongreß im Jahre 1908
stellten zwei englische Rechtlerinnen die Tatsache fest, daß
man sich in England auch nicht einmal auf die Parteien
verlassen könne, welche die Frauenstimmrechtsforderung
ins Programm aufgenommen hätten. – Man wollte,
um es kurz zu sagen, auf seiten der Liberalen die Feind-
schaft der Rechtlerinnen, deren Wahlhilfe man bedurfte,
nicht durch eine offene Ablehnung ihrer Forderungen
heraufbeschwören; man fürchtete, die Majorität und das
Regiment an die Konservativen zu verlieren. Zugleich
schreckte man davor zurück, den ungeheuren Sprung ins
Dunkle, von dem im Grunde niemand etwas Gutes
erwartete, zu unternehmen. – Jn jeder Legislaturperiode
tauchte die gefürchtete Frauenstimmrechtsbill von neuem
auf. Entweder wurde der Entwurf zurückgestellt, oder
das Haus vertagte sich. Mehrere Male gelangte das
Gesetz in zweiter Lesung zur Annahme, aber die Regierung
sorgte dafür, daß es nicht zur dritten Lesung kam; die
Bill wurde entweder totgeredet (talked out) oder schließ-
lich auf die nächste Session verschoben. Diese verzweifelte
Taktik der englischen Regierung läßt sich nur dadurch
einigermaßen verständlich machen, daß in der Tat die
liberale Partei
im Grunde selbst Gegnerin des
Frauenstimmrechts
ist; andernfalls wäre es ihr ein
Leichtes gewesen, den leitenden Staatsmann ihrem Willen
zu unterwerfen. – Eine solche unwahre Politik ist natür-
lich auf die Dauer unhaltbar. Alle Welt weiß, welche
Mittel die Suffragetten in den letzten Jahren zur An-

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[61/0063] Frauenstimmrechtsforderung eingesetzt hatte, alle Mittel aufbot, die Erfüllung derselben zu hintertreiben. Noch auf einem Frauenstimmrechtskongreß im Jahre 1908 stellten zwei englische Rechtlerinnen die Tatsache fest, daß man sich in England auch nicht einmal auf die Parteien verlassen könne, welche die Frauenstimmrechtsforderung ins Programm aufgenommen hätten. – Man wollte, um es kurz zu sagen, auf seiten der Liberalen die Feind- schaft der Rechtlerinnen, deren Wahlhilfe man bedurfte, nicht durch eine offene Ablehnung ihrer Forderungen heraufbeschwören; man fürchtete, die Majorität und das Regiment an die Konservativen zu verlieren. Zugleich schreckte man davor zurück, den ungeheuren Sprung ins Dunkle, von dem im Grunde niemand etwas Gutes erwartete, zu unternehmen. – Jn jeder Legislaturperiode tauchte die gefürchtete Frauenstimmrechtsbill von neuem auf. Entweder wurde der Entwurf zurückgestellt, oder das Haus vertagte sich. Mehrere Male gelangte das Gesetz in zweiter Lesung zur Annahme, aber die Regierung sorgte dafür, daß es nicht zur dritten Lesung kam; die Bill wurde entweder totgeredet (talked out) oder schließ- lich auf die nächste Session verschoben. Diese verzweifelte Taktik der englischen Regierung läßt sich nur dadurch einigermaßen verständlich machen, daß in der Tat die liberale Partei im Grunde selbst Gegnerin des Frauenstimmrechts ist; andernfalls wäre es ihr ein Leichtes gewesen, den leitenden Staatsmann ihrem Willen zu unterwerfen. – Eine solche unwahre Politik ist natür- lich auf die Dauer unhaltbar. Alle Welt weiß, welche Mittel die Suffragetten in den letzten Jahren zur An-

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Zitationshilfe: Langemann, Ludwig; Hummel, Helene: Frauenstimmrecht und Frauenemanzipation. Berlin, 1916, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/langemann_frauenstimmrecht_1916/63>, abgerufen am 23.11.2024.