§. 418. Auch in anderen Städten Europa's beginnt der Sinn für das Schach immer herrlicher zu blühen und tüchtige Früchte zu treiben. Wir erinnern zunächst an die modernen Meister von Modena, an die würdigen Nachfolger jener drei grossen oben genannten Heroen. Bonetti, Luppi und Discart streiten dort um die Palme und zu ihnen gesellt sich als berühmter Theoretiker Calvi. In Pesth führten drei grosse Matadore Szen, Loewenthal und Grimm zwei siegreiche Correspondenzpartien gegen Paris; in Copen- hagen wirkten der tief gebildete Möller, der praktische Holm, der Problemfertige Möllerström und der bedäch- tige Blankensteiner, einst ein kräftiger Gegner Bledows. In Russland endlich zeigt sich ein anderer Philidor, der Staatsrath A. von Petroff zu Warschau, ferner ein hoch- verdienter Theoretiker, v. Jaenisch zu St. Petersburg, so- dann die besonders starken Meister Fürsten Urussoff und Herr Schumoff in derselben Stadt. Der neue Petersburger Schachclub, auf das Grossartigste eingerichtet, vereinigt viele Notabilitäten des russischen Reiches.
§. 419. Bei so reger Theilnahme und der Existenz so vielfach ausgezeichneter einzelner Kräfte konnte die Ver- wirklichung der schon von Bledow mit Begeisterung ausge- gesprochenen Idee eines grossen Turniers der gesammten Schachwelt zu einer Zeit, wo besonders günstige Verhältnisse zusammentrafen, nicht ausbleiben. Angebahnt wurde die Idee schon lange durch die grossen Wettkämpfe der letzten Zeit; so leitete die englische Vorliebe für das Schach nicht nur im Allgemeinen sondern auch für Wettspiele und grössere Schachfeste überhaupt sehr bald bei der besonders günstigen Zeit der grossen Industrieaustellung (1851) zur factischen Ausführung jener Idee. Leider wurde der günstige Erfolg nicht erzielt, den man sich Anfangs wohl davon versprochen hatte. Eifersucht zweier in London bestehender Gesellschaf- ten um den Vorrang, Zerstreung der Kräfte und Mittel des- halb, dazu unpraktische Anordnung der Wettkämpfe, endlich die Erkrankung des englischen Meisters Staunton (der die Seele des Ganzen war) -- alle diese Uebelstände konnten ein allgemein günstiges Resultat unmöglich gestatten. Es
§. 418. Auch in anderen Städten Europa’s beginnt der Sinn für das Schach immer herrlicher zu blühen und tüchtige Früchte zu treiben. Wir erinnern zunächst an die modernen Meister von Modena, an die würdigen Nachfolger jener drei grossen oben genannten Heroen. Bonetti, Luppi und Discart streiten dort um die Palme und zu ihnen gesellt sich als berühmter Theoretiker Calvi. In Pesth führten drei grosse Matadore Szen, Loewenthal und Grimm zwei siegreiche Correspondenzpartien gegen Paris; in Copen- hagen wirkten der tief gebildete Möller, der praktische Holm, der Problemfertige Möllerström und der bedäch- tige Blankensteiner, einst ein kräftiger Gegner Bledows. In Russland endlich zeigt sich ein anderer Philidor, der Staatsrath A. von Petroff zu Warschau, ferner ein hoch- verdienter Theoretiker, v. Jaenisch zu St. Petersburg, so- dann die besonders starken Meister Fürsten Urussoff und Herr Schumoff in derselben Stadt. Der neue Petersburger Schachclub, auf das Grossartigste eingerichtet, vereinigt viele Notabilitäten des russischen Reiches.
§. 419. Bei so reger Theilnahme und der Existenz so vielfach ausgezeichneter einzelner Kräfte konnte die Ver- wirklichung der schon von Bledow mit Begeisterung ausge- gesprochenen Idee eines grossen Turniers der gesammten Schachwelt zu einer Zeit, wo besonders günstige Verhältnisse zusammentrafen, nicht ausbleiben. Angebahnt wurde die Idee schon lange durch die grossen Wettkämpfe der letzten Zeit; so leitete die englische Vorliebe für das Schach nicht nur im Allgemeinen sondern auch für Wettspiele und grössere Schachfeste überhaupt sehr bald bei der besonders günstigen Zeit der grossen Industrieaustellung (1851) zur factischen Ausführung jener Idee. Leider wurde der günstige Erfolg nicht erzielt, den man sich Anfangs wohl davon versprochen hatte. Eifersucht zweier in London bestehender Gesellschaf- ten um den Vorrang, Zerstreung der Kräfte und Mittel des- halb, dazu unpraktische Anordnung der Wettkämpfe, endlich die Erkrankung des englischen Meisters Staunton (der die Seele des Ganzen war) — alle diese Uebelstände konnten ein allgemein günstiges Resultat unmöglich gestatten. Es
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§. 418. Auch in anderen Städten Europa’s beginnt der
Sinn für das Schach immer herrlicher zu blühen und tüchtige
Früchte zu treiben. Wir erinnern zunächst an die modernen
Meister von Modena, an die würdigen Nachfolger jener drei
grossen oben genannten Heroen. Bonetti, Luppi und
Discart streiten dort um die Palme und zu ihnen gesellt
sich als berühmter Theoretiker Calvi. In Pesth führten
drei grosse Matadore Szen, Loewenthal und Grimm
zwei siegreiche Correspondenzpartien gegen Paris; in Copen-
hagen wirkten der tief gebildete Möller, der praktische
Holm, der Problemfertige Möllerström und der bedäch-
tige Blankensteiner, einst ein kräftiger Gegner Bledows.
In Russland endlich zeigt sich ein anderer Philidor, der
Staatsrath A. von Petroff zu Warschau, ferner ein hoch-
verdienter Theoretiker, v. Jaenisch zu St. Petersburg, so-
dann die besonders starken Meister Fürsten Urussoff und
Herr Schumoff in derselben Stadt. Der neue Petersburger
Schachclub, auf das Grossartigste eingerichtet, vereinigt viele
Notabilitäten des russischen Reiches.
§. 419. Bei so reger Theilnahme und der Existenz
so vielfach ausgezeichneter einzelner Kräfte konnte die Ver-
wirklichung der schon von Bledow mit Begeisterung ausge-
gesprochenen Idee eines grossen Turniers der gesammten
Schachwelt zu einer Zeit, wo besonders günstige Verhältnisse
zusammentrafen, nicht ausbleiben. Angebahnt wurde die Idee
schon lange durch die grossen Wettkämpfe der letzten Zeit;
so leitete die englische Vorliebe für das Schach nicht nur
im Allgemeinen sondern auch für Wettspiele und grössere
Schachfeste überhaupt sehr bald bei der besonders günstigen
Zeit der grossen Industrieaustellung (1851) zur factischen
Ausführung jener Idee. Leider wurde der günstige Erfolg
nicht erzielt, den man sich Anfangs wohl davon versprochen
hatte. Eifersucht zweier in London bestehender Gesellschaf-
ten um den Vorrang, Zerstreung der Kräfte und Mittel des-
halb, dazu unpraktische Anordnung der Wettkämpfe, endlich
die Erkrankung des englischen Meisters Staunton (der die
Seele des Ganzen war) — alle diese Uebelstände konnten
ein allgemein günstiges Resultat unmöglich gestatten. Es
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Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/252>, abgerufen am 16.07.2024.
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