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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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und für sich noch nicht erzieht, so ist er doch das Mittel,
an welches die Wirksamkeit der Schule hauptsächlich ge-
bunden ist, an welches also auch die Erziehung anzuknüpfen
hat. Der Unterricht, besonders in den ethischen Fächern,
soll der Lehrerin Gelegenheit geben, ihren Schülerinnen
allmählich einen weiten geistigen Horizont zu schaffen, ihnen
sittlich religiöse Gesinnung, Duldung und Menschenliebe
einzuflößen, Energie und Thatkraft in ihnen zu wecken;
ganz besonders soll er in diesem Sinne auf der
Oberstufe gegeben werden
, wo es so unendlich leicht
ist, die erregten, leicht empfänglichen Herzen mit Begeiste-
rung für alles Edle und Große zu erfüllen. Dazu gehört
nun aber notwendig, daß eigenes Studium, eigene Ver-
tiefung in den Bildungsgehalt ihrer Zeit und der Ver-
gangenheit solche Größe des Gesichtskreises, solchen Adel
der Gesinnung der Lehrerin selbst gegeben habe; daß aus
solcher Vertiefung ihr eine richtige Wertschätzung der Dinge
erwachsen sei, so daß sie ohne Phrase das Immaterielle
über das Materielle setzen kann, daß sie frei wird von der
Kleinlichkeit und Engherzigkeit, die Jahrhunderte langer
Druck dem weiblichen Geschlecht anerzogen hat, und mit
Erfolg dagegen bei ihren Schülerinnen kämpfen kann.
Dazu gehört ferner, wenn ihr Unterricht, auch bei idealem
Endzweck
, auf realem Boden bleiben und sich nicht in
Allgemeinheiten verflüchtigen soll, eine absolute Beherrschung
des Stoffs, an den sie anzuknüpfen hat, auch des Details,
(wenn sie es auch nicht unmittelbar für ihre Schülerinnen
braucht), und -- es muß gesagt sein -- viele Lehrerinnen
Der Lehrerin fehlt die
vertiefte Bildung, ohne
welche sie unfähig ist,
heranwachsende Mädchen
zu erziehen. Sie kennt
kein Studium.
wissen nicht einmal dem Namen nach, was Studium
bedeutet, da ihnen im Seminar niemals ein solches zu-
gemutet ist. Kein Wunder, daß sie des naiven Glaubens
leben, mit ihrem Seminarwissen, ihren Leitfäden und ein
paar Hülfsbüchern auch eine obere Klasse unterrichten zu
können; sie ahnen kaum, daß es dazu eines freien Wissens
bedarf, aus eingehender, selbständig ergründender Arbeit
gewonnen, durch eigenes Denken und Erfahren vertieft.

und für sich noch nicht erzieht, so ist er doch das Mittel,
an welches die Wirksamkeit der Schule hauptsächlich ge-
bunden ist, an welches also auch die Erziehung anzuknüpfen
hat. Der Unterricht, besonders in den ethischen Fächern,
soll der Lehrerin Gelegenheit geben, ihren Schülerinnen
allmählich einen weiten geistigen Horizont zu schaffen, ihnen
sittlich religiöse Gesinnung, Duldung und Menschenliebe
einzuflößen, Energie und Thatkraft in ihnen zu wecken;
ganz besonders soll er in diesem Sinne auf der
Oberstufe gegeben werden
, wo es so unendlich leicht
ist, die erregten, leicht empfänglichen Herzen mit Begeiste-
rung für alles Edle und Große zu erfüllen. Dazu gehört
nun aber notwendig, daß eigenes Studium, eigene Ver-
tiefung in den Bildungsgehalt ihrer Zeit und der Ver-
gangenheit solche Größe des Gesichtskreises, solchen Adel
der Gesinnung der Lehrerin selbst gegeben habe; daß aus
solcher Vertiefung ihr eine richtige Wertschätzung der Dinge
erwachsen sei, so daß sie ohne Phrase das Immaterielle
über das Materielle setzen kann, daß sie frei wird von der
Kleinlichkeit und Engherzigkeit, die Jahrhunderte langer
Druck dem weiblichen Geschlecht anerzogen hat, und mit
Erfolg dagegen bei ihren Schülerinnen kämpfen kann.
Dazu gehört ferner, wenn ihr Unterricht, auch bei idealem
Endzweck
, auf realem Boden bleiben und sich nicht in
Allgemeinheiten verflüchtigen soll, eine absolute Beherrschung
des Stoffs, an den sie anzuknüpfen hat, auch des Details,
(wenn sie es auch nicht unmittelbar für ihre Schülerinnen
braucht), und — es muß gesagt sein — viele Lehrerinnen
Der Lehrerin fehlt die
vertiefte Bildung, ohne
welche sie unfähig ist,
heranwachsende Mädchen
zu erziehen. Sie kennt
kein Studium.
wissen nicht einmal dem Namen nach, was Studium
bedeutet, da ihnen im Seminar niemals ein solches zu-
gemutet ist. Kein Wunder, daß sie des naiven Glaubens
leben, mit ihrem Seminarwissen, ihren Leitfäden und ein
paar Hülfsbüchern auch eine obere Klasse unterrichten zu
können; sie ahnen kaum, daß es dazu eines freien Wissens
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[42/0043] und für sich noch nicht erzieht, so ist er doch das Mittel, an welches die Wirksamkeit der Schule hauptsächlich ge- bunden ist, an welches also auch die Erziehung anzuknüpfen hat. Der Unterricht, besonders in den ethischen Fächern, soll der Lehrerin Gelegenheit geben, ihren Schülerinnen allmählich einen weiten geistigen Horizont zu schaffen, ihnen sittlich religiöse Gesinnung, Duldung und Menschenliebe einzuflößen, Energie und Thatkraft in ihnen zu wecken; ganz besonders soll er in diesem Sinne auf der Oberstufe gegeben werden, wo es so unendlich leicht ist, die erregten, leicht empfänglichen Herzen mit Begeiste- rung für alles Edle und Große zu erfüllen. Dazu gehört nun aber notwendig, daß eigenes Studium, eigene Ver- tiefung in den Bildungsgehalt ihrer Zeit und der Ver- gangenheit solche Größe des Gesichtskreises, solchen Adel der Gesinnung der Lehrerin selbst gegeben habe; daß aus solcher Vertiefung ihr eine richtige Wertschätzung der Dinge erwachsen sei, so daß sie ohne Phrase das Immaterielle über das Materielle setzen kann, daß sie frei wird von der Kleinlichkeit und Engherzigkeit, die Jahrhunderte langer Druck dem weiblichen Geschlecht anerzogen hat, und mit Erfolg dagegen bei ihren Schülerinnen kämpfen kann. Dazu gehört ferner, wenn ihr Unterricht, auch bei idealem Endzweck, auf realem Boden bleiben und sich nicht in Allgemeinheiten verflüchtigen soll, eine absolute Beherrschung des Stoffs, an den sie anzuknüpfen hat, auch des Details, (wenn sie es auch nicht unmittelbar für ihre Schülerinnen braucht), und — es muß gesagt sein — viele Lehrerinnen wissen nicht einmal dem Namen nach, was Studium bedeutet, da ihnen im Seminar niemals ein solches zu- gemutet ist. Kein Wunder, daß sie des naiven Glaubens leben, mit ihrem Seminarwissen, ihren Leitfäden und ein paar Hülfsbüchern auch eine obere Klasse unterrichten zu können; sie ahnen kaum, daß es dazu eines freien Wissens bedarf, aus eingehender, selbständig ergründender Arbeit gewonnen, durch eigenes Denken und Erfahren vertieft. Der Lehrerin fehlt die vertiefte Bildung, ohne welche sie unfähig ist, heranwachsende Mädchen zu erziehen. Sie kennt kein Studium.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/43>, abgerufen am 27.11.2024.