Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

liche; wir sollen es aber auch denken und handeln
lehren.

Glaubt man denn wirklich, für die Erfüllung dieser
Aufgabe sei die Bildung, welche die Schule unseren Mäd-
chen giebt, die geeignete Vorbereitung? Diese Bildung läßt
innerlich haltlos und unselbständig; der Erzieherberuf aber
Die Frau muß zu einer
sittlich und geistig selb-
ständigen Persönlichkeit
gebildet werden, da sie
nur als solche zur Er-
füllung ihrer großen Kul-
turaufgabe: zur Erzie-
hung
fähig ist.
fordert eine sittlich und geistig selbständige Persön-
lichkeit
, die zum Menschen gebildet ist1), deren Fähig-
keiten um ihrer selbst willen nach jeder Richtung hin ent-
wickelt sind, die gelernt hat, ihr geistiges und religiöses
Leben in Verbindung zu setzen mit dem Kreis täglicher
Pflichten, die vielleicht nicht durch die Kenntnis sehr zahl-
reicher positiver Thatsachen, aber durch die Größe ihres
Gesichtskreises und die Tiefe ihres Verständnisses ihrem
Kinde Achtung abnötigt; die selbst zum Denken und Han-
deln erzogen ist.

Wir kommen also schließlich zu derselben Forderung
wie die Weimarer Denkschrift, aber von ganz anderer
Grundlage ausgehend und mit ganz anderer Garantie für
die Durchführung unseres Programms. Auch wir wollen
eine edle, geistig und sittlich selbständige Persönlichkeit
herauszubilden suchen, und da unser Programm nicht zwie-
spältig in sich selbst ist, da wir die um ihrer selbst
willen
nach jeder Richtung hin, sowohl nach ihrer
specifisch weiblichen als nach ihren rein menschlichen
Fähigkeiten hin entwickelte Persönlichkeit notwendig
brauchen
, denn nur sie allein kann erziehen, so kann
sich uns gar nicht das oberflächlich unterrichtete, im Grunde
aber geistig und sittlich unselbständige Wesen unter-
schieben, das die Weimarer Pädagogik erzeugt hat und

1) "Die weibliche Natur ist nicht ein blasser und sanfter Abdruck
der männlichen, sie ist ein selbständiger Gottesgedanke, ein in
sich vollendeter Organismus
, in welchem das Wesen der Mensch-
heit anders, lieblicher und milder, ausstrahlen soll als beim Manne."
(A. Dammann. Die höhere Mädchenschule I. Teil S. 11. Berlin,
R. Appelius.)

liche; wir sollen es aber auch denken und handeln
lehren.

Glaubt man denn wirklich, für die Erfüllung dieser
Aufgabe sei die Bildung, welche die Schule unseren Mäd-
chen giebt, die geeignete Vorbereitung? Diese Bildung läßt
innerlich haltlos und unselbständig; der Erzieherberuf aber
Die Frau muß zu einer
sittlich und geistig selb-
ständigen Persönlichkeit
gebildet werden, da sie
nur als solche zur Er-
füllung ihrer großen Kul-
turaufgabe: zur Erzie-
hung
fähig ist.
fordert eine sittlich und geistig selbständige Persön-
lichkeit
, die zum Menschen gebildet ist1), deren Fähig-
keiten um ihrer selbst willen nach jeder Richtung hin ent-
wickelt sind, die gelernt hat, ihr geistiges und religiöses
Leben in Verbindung zu setzen mit dem Kreis täglicher
Pflichten, die vielleicht nicht durch die Kenntnis sehr zahl-
reicher positiver Thatsachen, aber durch die Größe ihres
Gesichtskreises und die Tiefe ihres Verständnisses ihrem
Kinde Achtung abnötigt; die selbst zum Denken und Han-
deln erzogen ist.

Wir kommen also schließlich zu derselben Forderung
wie die Weimarer Denkschrift, aber von ganz anderer
Grundlage ausgehend und mit ganz anderer Garantie für
die Durchführung unseres Programms. Auch wir wollen
eine edle, geistig und sittlich selbständige Persönlichkeit
herauszubilden suchen, und da unser Programm nicht zwie-
spältig in sich selbst ist, da wir die um ihrer selbst
willen
nach jeder Richtung hin, sowohl nach ihrer
specifisch weiblichen als nach ihren rein menschlichen
Fähigkeiten hin entwickelte Persönlichkeit notwendig
brauchen
, denn nur sie allein kann erziehen, so kann
sich uns gar nicht das oberflächlich unterrichtete, im Grunde
aber geistig und sittlich unselbständige Wesen unter-
schieben, das die Weimarer Pädagogik erzeugt hat und

1) „Die weibliche Natur ist nicht ein blasser und sanfter Abdruck
der männlichen, sie ist ein selbständiger Gottesgedanke, ein in
sich vollendeter Organismus
, in welchem das Wesen der Mensch-
heit anders, lieblicher und milder, ausstrahlen soll als beim Manne.“
(A. Dammann. Die höhere Mädchenschule I. Teil S. 11. Berlin,
R. Appelius.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="20"/>
liche; wir sollen es aber auch <hi rendition="#g">denken</hi> und <hi rendition="#g">handeln</hi><lb/>
lehren. </p><lb/>
        <p>Glaubt man denn wirklich, für die Erfüllung dieser<lb/>
Aufgabe sei die Bildung, welche die Schule unseren Mäd-<lb/>
chen giebt, die geeignete Vorbereitung? Diese Bildung läßt<lb/>
innerlich haltlos und unselbständig; der Erzieherberuf aber<lb/><note place="left">Die Frau muß zu einer<lb/>
sittlich und geistig selb-<lb/>
ständigen Persönlichkeit<lb/>
gebildet werden, da sie<lb/>
nur als solche zur Er-<lb/>
füllung ihrer großen Kul-<lb/>
turaufgabe: <hi rendition="#g">zur Erzie-<lb/>
hung</hi> fähig ist.</note>fordert eine <hi rendition="#g">sittlich</hi> und <hi rendition="#g">geistig selbständige Persön-<lb/>
lichkeit</hi>, die zum <hi rendition="#g">Menschen</hi> gebildet ist<note place="foot" n="1)">&#x201E;Die weibliche Natur ist nicht ein blasser und sanfter Abdruck<lb/>
der männlichen, sie ist ein <hi rendition="#g">selbständiger Gottesgedanke, ein in<lb/>
sich vollendeter Organismus</hi>, in welchem das Wesen der Mensch-<lb/>
heit anders, lieblicher und milder, ausstrahlen soll als beim Manne.&#x201C;<lb/>
(A. Dammann. Die höhere Mädchenschule I. Teil S. 11. Berlin,<lb/>
R. Appelius.)<lb/></note>, deren Fähig-<lb/>
keiten um ihrer selbst willen nach jeder Richtung hin ent-<lb/>
wickelt sind, die gelernt hat, ihr geistiges und religiöses<lb/>
Leben in Verbindung zu setzen mit dem Kreis täglicher<lb/>
Pflichten, die vielleicht nicht durch die Kenntnis sehr zahl-<lb/>
reicher positiver Thatsachen, aber durch die Größe ihres<lb/>
Gesichtskreises und die Tiefe ihres Verständnisses ihrem<lb/>
Kinde Achtung abnötigt; die selbst zum Denken und Han-<lb/>
deln erzogen ist.</p><lb/>
        <p>Wir kommen also schließlich zu derselben Forderung<lb/>
wie die Weimarer Denkschrift, aber von ganz anderer<lb/>
Grundlage ausgehend und mit ganz anderer Garantie für<lb/>
die Durchführung unseres Programms. Auch wir wollen<lb/>
eine edle, geistig und sittlich selbständige Persönlichkeit<lb/>
herauszubilden suchen, und da unser Programm nicht zwie-<lb/>
spältig in sich selbst ist, da <hi rendition="#g">wir die um ihrer selbst<lb/>
willen</hi> nach <hi rendition="#g">jeder</hi> Richtung hin, sowohl nach ihrer<lb/><hi rendition="#g">specifisch weiblichen</hi> als nach ihren rein menschlichen<lb/>
Fähigkeiten hin entwickelte Persönlichkeit <hi rendition="#g">notwendig<lb/>
brauchen</hi>, denn nur sie allein kann erziehen, so <hi rendition="#g">kann</hi><lb/>
sich uns gar nicht das oberflächlich unterrichtete, im Grunde<lb/>
aber geistig und sittlich <hi rendition="#g">unselbständige</hi> Wesen unter-<lb/>
schieben, das die Weimarer Pädagogik erzeugt hat und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0021] liche; wir sollen es aber auch denken und handeln lehren. Glaubt man denn wirklich, für die Erfüllung dieser Aufgabe sei die Bildung, welche die Schule unseren Mäd- chen giebt, die geeignete Vorbereitung? Diese Bildung läßt innerlich haltlos und unselbständig; der Erzieherberuf aber fordert eine sittlich und geistig selbständige Persön- lichkeit, die zum Menschen gebildet ist 1), deren Fähig- keiten um ihrer selbst willen nach jeder Richtung hin ent- wickelt sind, die gelernt hat, ihr geistiges und religiöses Leben in Verbindung zu setzen mit dem Kreis täglicher Pflichten, die vielleicht nicht durch die Kenntnis sehr zahl- reicher positiver Thatsachen, aber durch die Größe ihres Gesichtskreises und die Tiefe ihres Verständnisses ihrem Kinde Achtung abnötigt; die selbst zum Denken und Han- deln erzogen ist. Die Frau muß zu einer sittlich und geistig selb- ständigen Persönlichkeit gebildet werden, da sie nur als solche zur Er- füllung ihrer großen Kul- turaufgabe: zur Erzie- hung fähig ist. Wir kommen also schließlich zu derselben Forderung wie die Weimarer Denkschrift, aber von ganz anderer Grundlage ausgehend und mit ganz anderer Garantie für die Durchführung unseres Programms. Auch wir wollen eine edle, geistig und sittlich selbständige Persönlichkeit herauszubilden suchen, und da unser Programm nicht zwie- spältig in sich selbst ist, da wir die um ihrer selbst willen nach jeder Richtung hin, sowohl nach ihrer specifisch weiblichen als nach ihren rein menschlichen Fähigkeiten hin entwickelte Persönlichkeit notwendig brauchen, denn nur sie allein kann erziehen, so kann sich uns gar nicht das oberflächlich unterrichtete, im Grunde aber geistig und sittlich unselbständige Wesen unter- schieben, das die Weimarer Pädagogik erzeugt hat und 1) „Die weibliche Natur ist nicht ein blasser und sanfter Abdruck der männlichen, sie ist ein selbständiger Gottesgedanke, ein in sich vollendeter Organismus, in welchem das Wesen der Mensch- heit anders, lieblicher und milder, ausstrahlen soll als beim Manne.“ (A. Dammann. Die höhere Mädchenschule I. Teil S. 11. Berlin, R. Appelius.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Melanie Henß, Marc Kuse, Thomas Gloning, Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Texterfassung und Korrekturen, Konversion nach XML (2013-05-22T08:12:00Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-05-22T08:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes als rundes s erfasst.
  • I/J nach Lautwert transkribiert.
  • Marginalien, Bogensignaturen, Kustoden und Kolumnentitel wurden nicht erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/21
Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/21>, abgerufen am 11.12.2024.