Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.Und in den Stunden, in welchen eine Vertiefung möglichUrsachen dieser Erschei- Wir werden auf diesen Punkt späterhin zurückzukommen Der nächste und in die Augen fallendste Grund liegt2. Die Überbürdung hat Und in den Stunden, in welchen eine Vertiefung möglichUrsachen dieser Erschei- Wir werden auf diesen Punkt späterhin zurückzukommen Der nächste und in die Augen fallendste Grund liegt2. Die Überbürdung hat <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="15"/> Und in den Stunden, in welchen eine Vertiefung möglich<note place="right">Ursachen dieser Erschei-<lb/> nungen.<lb/> 1. Die höheren Mädchen-<lb/> schulen können nicht <hi rendition="#g">bil-<lb/> den</hi>, da die dort unter-<lb/> richtenden Männer natur-<lb/> gemäß mit dem inneren<lb/> Leben der Mädchen zu<lb/> wenig vertraut sind, um<lb/> Einfluß darauf zu haben.</note><lb/> wäre und ein gründliches Verweilen bei dem Lehrstoff auch<lb/> stattfindet, Religion und Deutsch, bleibt wieder aus anderen<lb/> Gründen die gehoffte Wirkung aus: die lehrenden Männer<lb/> sind viel zu unbekannt mit dem Gedanken- und Pflichten-<lb/> kreis der vor ihnen sitzenden jungen Mädchen, um all die<lb/> schönen Sprüche und Sentenzen, in denen so unendliche<lb/> Lebensweisheit aufgespeichert liegt, für sie nutzbar zu<lb/> machen, und so gewöhnen sich viele unserer Mädchen eine<lb/> Art von doppelter Buchführung an: sie schwelgen in<lb/> schönen Gedanken und Gefühlen in der Schule und gehen<lb/> mit einer den Lehrer geradezu überraschenden Feinfühlig-<lb/> keit seinen religiös-ästhetischen Betrachtungen nach, um sich<lb/> daneben mit völlig ruhigem Gewissen grobe Vernach-<lb/> lässigungen ihres kleinen Kreises häuslicher und sittlicher<lb/> Pflichten zu schulden kommen zu lassen und in geistigem<lb/> Hochmut auf die Ihren herabzusehen, die vielleicht weniger<lb/> in ästhetischen Sphären leben. Daß zwischen diesen und<lb/> dem wirklichen, alltäglichen Leben eine enge Verbindung<lb/> besteht und bestehen muß, kann ihnen nur dann aufgehen,<lb/> wenn sie ihnen in Bezug auf ihre eigenen Pflichten immer<lb/> wieder von kundiger Hand schonungslos nachgewiesen wird.</p><lb/> <p>Wir werden auf diesen Punkt späterhin zurückzukommen<lb/> haben; zunächst aber handelt es sich um die Ergründung<lb/> der Ursachen, welche die zuerst gekennzeichneten Erschei-<lb/> nungen veranlaßt haben. Wie kommt es, daß in unseren<lb/> Mädchenschulen, die durch keine Examina, keine „Berech-<lb/> tigungen“ dazu gezwungen sind, eine solche Überbürdung<lb/> mit positivem Stoff, mit fertigen Formeln über den Kin-<lb/> dern zum Teil ganz unzugängliche Dinge <choice><sic>stattfindet</sic><corr>stattfinden</corr></choice>, so daß<lb/> die intellektuellen und sittlichen Fähigkeiten erschlaffen und<lb/> nur Automaten gebildet werden?</p><lb/> <p>Der nächste und in die Augen fallendste Grund liegt<note place="right">2. Die Überbürdung hat<lb/> ihren Grund in dem zu<lb/> umfassenden Lehrpro-<lb/> gramm der Augustkon-<lb/> ferenz, in dem Bestreben<lb/> des <hi rendition="#g">Abschließens</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Fertigmachens</hi>.</note><lb/> in dem Lehrprogramm der Augustkonferenz, das, wie schon<lb/> erwähnt, thatsächlich dem Unterricht in unseren höheren<lb/> Mädchenschulen zu Grunde gelegt worden ist. Es spricht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0016]
Und in den Stunden, in welchen eine Vertiefung möglich
wäre und ein gründliches Verweilen bei dem Lehrstoff auch
stattfindet, Religion und Deutsch, bleibt wieder aus anderen
Gründen die gehoffte Wirkung aus: die lehrenden Männer
sind viel zu unbekannt mit dem Gedanken- und Pflichten-
kreis der vor ihnen sitzenden jungen Mädchen, um all die
schönen Sprüche und Sentenzen, in denen so unendliche
Lebensweisheit aufgespeichert liegt, für sie nutzbar zu
machen, und so gewöhnen sich viele unserer Mädchen eine
Art von doppelter Buchführung an: sie schwelgen in
schönen Gedanken und Gefühlen in der Schule und gehen
mit einer den Lehrer geradezu überraschenden Feinfühlig-
keit seinen religiös-ästhetischen Betrachtungen nach, um sich
daneben mit völlig ruhigem Gewissen grobe Vernach-
lässigungen ihres kleinen Kreises häuslicher und sittlicher
Pflichten zu schulden kommen zu lassen und in geistigem
Hochmut auf die Ihren herabzusehen, die vielleicht weniger
in ästhetischen Sphären leben. Daß zwischen diesen und
dem wirklichen, alltäglichen Leben eine enge Verbindung
besteht und bestehen muß, kann ihnen nur dann aufgehen,
wenn sie ihnen in Bezug auf ihre eigenen Pflichten immer
wieder von kundiger Hand schonungslos nachgewiesen wird.
Ursachen dieser Erschei-
nungen.
1. Die höheren Mädchen-
schulen können nicht bil-
den, da die dort unter-
richtenden Männer natur-
gemäß mit dem inneren
Leben der Mädchen zu
wenig vertraut sind, um
Einfluß darauf zu haben.
Wir werden auf diesen Punkt späterhin zurückzukommen
haben; zunächst aber handelt es sich um die Ergründung
der Ursachen, welche die zuerst gekennzeichneten Erschei-
nungen veranlaßt haben. Wie kommt es, daß in unseren
Mädchenschulen, die durch keine Examina, keine „Berech-
tigungen“ dazu gezwungen sind, eine solche Überbürdung
mit positivem Stoff, mit fertigen Formeln über den Kin-
dern zum Teil ganz unzugängliche Dinge stattfinden, so daß
die intellektuellen und sittlichen Fähigkeiten erschlaffen und
nur Automaten gebildet werden?
Der nächste und in die Augen fallendste Grund liegt
in dem Lehrprogramm der Augustkonferenz, das, wie schon
erwähnt, thatsächlich dem Unterricht in unseren höheren
Mädchenschulen zu Grunde gelegt worden ist. Es spricht
2. Die Überbürdung hat
ihren Grund in dem zu
umfassenden Lehrpro-
gramm der Augustkon-
ferenz, in dem Bestreben
des Abschließens und
Fertigmachens.
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Zitationshilfe: | Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/16>, abgerufen am 02.03.2025. |