Richtige und erbauliche Erklärung C. 4. v. 20. 21. C. 5. v. 1.
[Spaltenumbruch]
darüber zu verwundern hat, wenn die Menge de- rer, welche eine Liebe gegen GOTT, und dabey auch einen Glauben vorgeben, groß ist. Es die- net aber nicht zur Sicherheit, sondern zur Selbst- Prüfung.
4. Der Haß gegen den Bruder ist bey der Ermangelung der Liebe gegen GOtt auch mit der Liebe der Welt verknüpfet: sintemal weder eine Tugend, noch ein Laster allein ist. Darum Jo- hannes c. 2, 15. von der Liebe der Welt saget, was er alhier von dem Haß gegen den Bruder spricht, nemlich daß er mit der Liebe GOttes nicht beste- hen könne.
5. Gleichwie das Sprechen auch von den Gedancken und von dem innern Zustande des Gemüths zu verstehen ist, da sich einer fälschlich für einen Liebhaber GOttes hält: also wird die Lügen auch nicht allein mit Worten, sondern auch mit dem Hertzen und der übrigen That begangen: und ist beydes vom Satan Joh. 8, 44.
6. Obgleich die Liebe gegen GOtt der Liebe gegen den Nächsten vorgehet, wie die erste Tafel der andern vorstehet; so ist doch die Liebe gegen den Nächsten leichter und kenntlicher als die Liebe gegen GOTT. Denn weil man den Nächsten um sich hat, so bekömmt man durch den Umgang mit ihm viele Gelegenheit ihm Liebe zu beweisen; sonderlich wenn er als ein Nothleidender unserer Hülfe bedarf, oder als ein Gutthätiger der Liebe und Dancksagung werth ist, oder auch als ein [Spaltenumbruch]
Feind nicht gehasset, sondern geliebet werden soll. Ob man nun gleich zur Liebe gegen GOtt unzäh- lig viele Ursachen und Gelegenheiten hat, so sind sie doch dem Menschen bey seiner Schwachheit nicht so kenntlich und offenbar von dem unsicht- baren GOtt, als das ist, was er an und bey dem Nächsten vor Augen hat. Es ist demnach der Mangel der Liebe gegen den Nächsten eine gewisse Anzeigung von der Lieblosigkeit gegen GOtt.
7. Die Tugend hänget in allen ihren Pflichten Kettenweise zusammen. Darum wo eine ist, da ist die andere auch. Daß die Liebe ge- gen GOtt und den Nächsten die Haupt-Tugend sey, und alle Pflichten in sich begreife, ist aus dem Catechetischen Unterricht bekannt, und wird von Christo eingeschärfet Matth. 22, 37. u. f.
8. Fraget man hierbey, wo denn die Liebe gegen uns selbst bleibe, oder warum derselben nicht auch gedacht worden sey in den zehen Geboten? so antworte ich, daß sie mit in der Liebe gegen GOtt und den Nächsten liege: in jener, weil die Liebegegen GOTT aus der Liebe GOttes gegen uns herfliesset, durch diese aber eine solche Aenderung bey dem Menschen geschiehet, dadurch seine sündliche und unordentliche Eigen-Liebe in eine wohlgeordnete verwandelt und diese durch die Liebe gegen GOtt immer mehr gereiniget und ausgeübet wird. Jn dieser, nemlich in der Liebe gegen den Nächsten, weil ein ieder sich zuvorderst selbst der Nächste, und was er andern leistet, sich selbst schuldig ist.
Das Fünfte Capitel, Darinnen Der Apostel zum Beschluß die Haupt-Lehre von Christo aufs neue einschärfet/ dabey auch des Geheimnisses von der Heiligen Drey- Einigkeit gedencket/ und bey derApplicationdes Evangelii von Christo den Gläubigen das Gebet anpreiset und nebst der Wahrnehmung unserer selbst auf ein gottseliges Leben dringet.
[Spaltenumbruch]
V. 1.
WEr da gläubet, (und nach dem Glauben seines Hertzens auch eine aufrichtige Bekenntniß mit dem Munde, ja mit dem gan- tzen Leben ableget c. 4, 15.) daß JEsus sey der Christ (der verheissene Meßias) der ist von GOtt geboren. (sintemal man durch den Glauben zur Wiedergeburt kömmt.) Und wer da liebet den, der ihn geboren (oder aus dem Worte der Wahrheit gezeuget hat Jac. 1, 18.) der liebet auch den, der von ihm gebo- ren ist (wer den Vater liebet, der liebet auch sei- ne Kinder.)
Anmerckungen.
1. Jn der ersten Christlichen Kirche, son- [Spaltenumbruch]
derlich der, welche aus dem Judenthum gesamm- let wurde, kam es hauptsächlich auf diesen Satz an: JEsus ist der Christus, oder der Mes- sias. Denn daß ein JEsus, von Nazareth genennet, sey, oder auch gewesen sey und sich als einen grossen Propheten mächtig von Thaten und Worten erwiesen habe, das war unleugbar, und musten seine ärgsten Feinde selbst gestehen. Daß aber dieser JEsus der Christus, oder Meßias, das ist, der Gesalbte GOttes sey, der so lange war verheissen und vorgebildet worden, das wolte von vielen nicht angenommen werden. So starck waren dagegen die Vorurtheile nebst dem fleisch- lichen Sinne.
2. Daher fasset dieser Satz vieles in sich, sagen, daß JEsus sey der Christ. Denn da- mit wurde das Judenthum verleugnet, und das Heydenthum verlassen, und dabey erwies sich ein
Christo
Richtige und erbauliche Erklaͤrung C. 4. v. 20. 21. C. 5. v. 1.
[Spaltenumbruch]
daruͤber zu verwundern hat, wenn die Menge de- rer, welche eine Liebe gegen GOTT, und dabey auch einen Glauben vorgeben, groß iſt. Es die- net aber nicht zur Sicherheit, ſondern zur Selbſt- Pruͤfung.
4. Der Haß gegen den Bruder iſt bey der Ermangelung der Liebe gegen GOtt auch mit der Liebe der Welt verknuͤpfet: ſintemal weder eine Tugend, noch ein Laſter allein iſt. Darum Jo- hannes c. 2, 15. von der Liebe der Welt ſaget, was er alhier von dem Haß gegen den Bruder ſpricht, nemlich daß er mit der Liebe GOttes nicht beſte- hen koͤnne.
5. Gleichwie das Sprechen auch von den Gedancken und von dem innern Zuſtande des Gemuͤths zu verſtehen iſt, da ſich einer faͤlſchlich fuͤr einen Liebhaber GOttes haͤlt: alſo wird die Luͤgen auch nicht allein mit Worten, ſondern auch mit dem Hertzen und der uͤbrigen That begangen: und iſt beydes vom Satan Joh. 8, 44.
6. Obgleich die Liebe gegen GOtt der Liebe gegen den Naͤchſten vorgehet, wie die erſte Tafel der andern vorſtehet; ſo iſt doch die Liebe gegen den Naͤchſten leichter und kenntlicher als die Liebe gegen GOTT. Denn weil man den Naͤchſten um ſich hat, ſo bekoͤmmt man durch den Umgang mit ihm viele Gelegenheit ihm Liebe zu beweiſen; ſonderlich wenn er als ein Nothleidender unſerer Huͤlfe bedarf, oder als ein Gutthaͤtiger der Liebe und Danckſagung werth iſt, oder auch als ein [Spaltenumbruch]
Feind nicht gehaſſet, ſondern geliebet werden ſoll. Ob man nun gleich zur Liebe gegen GOtt unzaͤh- lig viele Urſachen und Gelegenheiten hat, ſo ſind ſie doch dem Menſchen bey ſeiner Schwachheit nicht ſo kenntlich und offenbar von dem unſicht- baren GOtt, als das iſt, was er an und bey dem Naͤchſten vor Augen hat. Es iſt demnach der Mangel der Liebe gegen den Naͤchſten eine gewiſſe Anzeigung von der Liebloſigkeit gegen GOtt.
7. Die Tugend haͤnget in allen ihren Pflichten Kettenweiſe zuſammen. Darum wo eine iſt, da iſt die andere auch. Daß die Liebe ge- gen GOtt und den Naͤchſten die Haupt-Tugend ſey, und alle Pflichten in ſich begreife, iſt aus dem Catechetiſchen Unterricht bekannt, und wird von Chriſto eingeſchaͤrfet Matth. 22, 37. u. f.
8. Fraget man hierbey, wo denn die Liebe gegen uns ſelbſt bleibe, oder warum derſelben nicht auch gedacht worden ſey in den zehen Geboten? ſo antworte ich, daß ſie mit in der Liebe gegen GOtt und den Naͤchſten liege: in jener, weil die Liebegegen GOTT aus der Liebe GOttes gegen uns herflieſſet, durch dieſe aber eine ſolche Aenderung bey dem Menſchen geſchiehet, dadurch ſeine ſuͤndliche und unordentliche Eigen-Liebe in eine wohlgeordnete verwandelt und dieſe durch die Liebe gegen GOtt immer mehr gereiniget und ausgeuͤbet wird. Jn dieſer, nemlich in der Liebe gegen den Naͤchſten, weil ein ieder ſich zuvorderſt ſelbſt der Naͤchſte, und was er andern leiſtet, ſich ſelbſt ſchuldig iſt.
Das Fuͤnfte Capitel, Darinnen Der Apoſtel zum Beſchluß die Haupt-Lehre von Chriſto aufs neue einſchaͤrfet/ dabey auch des Geheimniſſes von der Heiligen Drey- Einigkeit gedencket/ und bey derApplicationdes Evangelii von Chriſto den Glaͤubigen das Gebet anpreiſet und nebſt der Wahrnehmung unſerer ſelbſt auf ein gottſeliges Leben dringet.
[Spaltenumbruch]
V. 1.
WEr da glaͤubet, (und nach dem Glauben ſeines Hertzens auch eine aufrichtige Bekenntniß mit dem Munde, ja mit dem gan- tzen Leben ableget c. 4, 15.) daß JEſus ſey der Chriſt (der verheiſſene Meßias) der iſt von GOtt geboren. (ſintemal man durch den Glauben zur Wiedergeburt koͤmmt.) Und wer da liebet den, der ihn geboren (oder aus dem Worte der Wahrheit gezeuget hat Jac. 1, 18.) der liebet auch den, der von ihm gebo- ren iſt (wer den Vater liebet, der liebet auch ſei- ne Kinder.)
Anmerckungen.
1. Jn der erſten Chriſtlichen Kirche, ſon- [Spaltenumbruch]
derlich der, welche aus dem Judenthum geſamm- let wurde, kam es hauptſaͤchlich auf dieſen Satz an: JEſus iſt der Chriſtus, oder der Meſ- ſias. Denn daß ein JEſus, von Nazareth genennet, ſey, oder auch geweſen ſey und ſich als einen groſſen Propheten maͤchtig von Thaten und Worten erwieſen habe, das war unleugbar, und muſten ſeine aͤrgſten Feinde ſelbſt geſtehen. Daß aber dieſer JEſus der Chriſtus, oder Meßias, das iſt, der Geſalbte GOttes ſey, der ſo lange war verheiſſen und vorgebildet worden, das wolte von vielen nicht angenommen werden. So ſtarck waren dagegen die Vorurtheile nebſt dem fleiſch- lichen Sinne.
2. Daher faſſet dieſer Satz vieles in ſich, ſagen, daß JEſus ſey der Chriſt. Denn da- mit wurde das Judenthum verleugnet, und das Heydenthum verlaſſen, und dabey erwies ſich ein
Chriſto
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0720"n="720"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Richtige und erbauliche Erklaͤrung C. 4. v. 20. 21. C. 5. v. 1.</hi></fw><lb/><cb/>
daruͤber zu verwundern hat, wenn die Menge de-<lb/>
rer, welche eine Liebe gegen GOTT, und dabey<lb/>
auch einen Glauben vorgeben, groß iſt. Es die-<lb/>
net aber nicht zur Sicherheit, ſondern zur Selbſt-<lb/>
Pruͤfung.</p><lb/><p>4. Der Haß gegen den Bruder iſt bey der<lb/>
Ermangelung der Liebe gegen GOtt auch mit der<lb/>
Liebe der Welt verknuͤpfet: ſintemal weder eine<lb/>
Tugend, noch ein Laſter allein iſt. Darum Jo-<lb/>
hannes c. 2, 15. von der Liebe der Welt ſaget, was<lb/>
er alhier von dem Haß gegen den Bruder ſpricht,<lb/>
nemlich daß er mit der Liebe GOttes nicht beſte-<lb/>
hen koͤnne.</p><lb/><p>5. Gleichwie das <hirendition="#fr">Sprechen</hi> auch von den<lb/><hirendition="#fr">Gedancken</hi> und von dem innern Zuſtande des<lb/>
Gemuͤths zu verſtehen iſt, da ſich einer faͤlſchlich<lb/>
fuͤr einen Liebhaber GOttes haͤlt: alſo wird die<lb/>
Luͤgen auch nicht allein mit Worten, ſondern auch<lb/>
mit dem Hertzen und der uͤbrigen That begangen:<lb/>
und iſt beydes vom Satan Joh. 8, 44.</p><lb/><p>6. Obgleich die Liebe gegen GOtt der Liebe<lb/>
gegen den Naͤchſten vorgehet, wie die erſte Tafel<lb/>
der andern vorſtehet; ſo iſt doch die Liebe gegen<lb/>
den Naͤchſten leichter und kenntlicher als die Liebe<lb/>
gegen GOTT. Denn weil man den Naͤchſten<lb/>
um ſich hat, ſo bekoͤmmt man durch den Umgang<lb/>
mit ihm viele Gelegenheit ihm Liebe zu beweiſen;<lb/>ſonderlich wenn er als ein Nothleidender unſerer<lb/>
Huͤlfe bedarf, oder als ein Gutthaͤtiger der Liebe<lb/>
und Danckſagung werth iſt, oder auch als ein<lb/><cb/>
Feind nicht gehaſſet, ſondern geliebet werden ſoll.<lb/>
Ob man nun gleich zur Liebe gegen GOtt unzaͤh-<lb/>
lig viele Urſachen und Gelegenheiten hat, ſo ſind<lb/>ſie doch dem Menſchen bey ſeiner Schwachheit<lb/>
nicht ſo kenntlich und offenbar von dem unſicht-<lb/>
baren GOtt, als das iſt, was er an und bey dem<lb/>
Naͤchſten vor Augen hat. Es iſt demnach der<lb/>
Mangel der Liebe gegen den Naͤchſten eine gewiſſe<lb/>
Anzeigung von der Liebloſigkeit gegen GOtt.</p><lb/><p>7. Die Tugend haͤnget in allen ihren<lb/>
Pflichten Kettenweiſe zuſammen. Darum wo<lb/>
eine iſt, da iſt die andere auch. Daß die Liebe ge-<lb/>
gen GOtt und den Naͤchſten die Haupt-Tugend<lb/>ſey, und alle Pflichten in ſich begreife, iſt aus dem<lb/><hirendition="#aq">Catecheti</hi>ſchen Unterricht bekannt, und wird von<lb/>
Chriſto eingeſchaͤrfet Matth. 22, 37. u. f.</p><lb/><p>8. Fraget man hierbey, wo denn die Liebe<lb/>
gegen uns ſelbſt bleibe, oder warum derſelben nicht<lb/>
auch gedacht worden ſey in den zehen Geboten?<lb/>ſo antworte ich, daß ſie mit in der Liebe gegen<lb/>
GOtt und den Naͤchſten liege: in jener, weil<lb/>
die Liebegegen <hirendition="#g">GOTT</hi> aus der Liebe GOttes<lb/>
gegen uns herflieſſet, durch dieſe aber eine ſolche<lb/>
Aenderung bey dem Menſchen geſchiehet, dadurch<lb/>ſeine ſuͤndliche und unordentliche Eigen-Liebe in<lb/>
eine wohlgeordnete verwandelt und dieſe durch<lb/>
die Liebe gegen GOtt immer mehr gereiniget und<lb/>
ausgeuͤbet wird. Jn dieſer, nemlich in der Liebe<lb/>
gegen den Naͤchſten, weil ein ieder ſich zuvorderſt<lb/>ſelbſt der Naͤchſte, und was er andern leiſtet, ſich<lb/>ſelbſt ſchuldig iſt.</p></div></div></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Das Fuͤnfte Capitel,</hi><lb/>
Darinnen<lb/>
Der Apoſtel zum Beſchluß die Haupt-Lehre von Chriſto<lb/>
aufs neue einſchaͤrfet/ dabey auch des Geheimniſſes von der Heiligen Drey-<lb/>
Einigkeit gedencket/ und bey der</hi><hirendition="#aq">Application</hi><hirendition="#b">des Evangelii von Chriſto<lb/>
den Glaͤubigen das Gebet anpreiſet und nebſt der Wahrnehmung<lb/>
unſerer ſelbſt auf ein gottſeliges Leben<lb/>
dringet.</hi></head><lb/><cb/><divn="3"><head><hirendition="#b">V. 1.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">W</hi><hirendition="#fr">Er da glaͤubet,</hi> (und nach dem<lb/>
Glauben ſeines Hertzens auch<lb/>
eine aufrichtige Bekenntniß mit<lb/>
dem Munde, ja mit dem gan-<lb/>
tzen Leben ableget c. 4, 15.) <hirendition="#fr">daß<lb/>
JEſus ſey der Chriſt</hi> (der verheiſſene Meßias)<lb/><hirendition="#fr">der iſt von GOtt geboren.</hi> (ſintemal man<lb/>
durch den Glauben zur Wiedergeburt koͤmmt.)<lb/><hirendition="#fr">Und wer da liebet den, der ihn geboren</hi> (oder<lb/>
aus dem Worte der Wahrheit gezeuget hat Jac.<lb/>
1, 18.) <hirendition="#fr">der liebet auch den, der von ihm gebo-<lb/>
ren iſt</hi> (wer den Vater liebet, der liebet auch ſei-<lb/>
ne Kinder.)</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Anmerckungen.</hi></head><lb/><p>1. Jn der erſten Chriſtlichen Kirche, ſon-<lb/><cb/>
derlich der, welche aus dem Judenthum geſamm-<lb/>
let wurde, kam es hauptſaͤchlich auf dieſen Satz<lb/>
an: <hirendition="#fr">JEſus iſt der Chriſtus, oder der Meſ-<lb/>ſias.</hi> Denn daß ein JEſus, von Nazareth<lb/>
genennet, ſey, oder auch geweſen ſey und ſich als<lb/>
einen groſſen Propheten maͤchtig von Thaten und<lb/>
Worten erwieſen habe, das war unleugbar, und<lb/>
muſten ſeine aͤrgſten Feinde ſelbſt geſtehen. Daß<lb/>
aber dieſer JEſus der Chriſtus, oder Meßias, das<lb/>
iſt, der Geſalbte GOttes ſey, der ſo lange war<lb/>
verheiſſen und vorgebildet worden, das wolte von<lb/>
vielen nicht angenommen werden. So ſtarck<lb/>
waren dagegen die Vorurtheile nebſt dem fleiſch-<lb/>
lichen Sinne.</p><lb/><p>2. Daher faſſet dieſer Satz vieles in ſich,<lb/>ſagen, daß <hirendition="#fr">JEſus ſey der Chriſt.</hi> Denn da-<lb/>
mit wurde das Judenthum verleugnet, und das<lb/>
Heydenthum verlaſſen, und dabey erwies ſich ein<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Chriſto</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[720/0720]
Richtige und erbauliche Erklaͤrung C. 4. v. 20. 21. C. 5. v. 1.
daruͤber zu verwundern hat, wenn die Menge de-
rer, welche eine Liebe gegen GOTT, und dabey
auch einen Glauben vorgeben, groß iſt. Es die-
net aber nicht zur Sicherheit, ſondern zur Selbſt-
Pruͤfung.
4. Der Haß gegen den Bruder iſt bey der
Ermangelung der Liebe gegen GOtt auch mit der
Liebe der Welt verknuͤpfet: ſintemal weder eine
Tugend, noch ein Laſter allein iſt. Darum Jo-
hannes c. 2, 15. von der Liebe der Welt ſaget, was
er alhier von dem Haß gegen den Bruder ſpricht,
nemlich daß er mit der Liebe GOttes nicht beſte-
hen koͤnne.
5. Gleichwie das Sprechen auch von den
Gedancken und von dem innern Zuſtande des
Gemuͤths zu verſtehen iſt, da ſich einer faͤlſchlich
fuͤr einen Liebhaber GOttes haͤlt: alſo wird die
Luͤgen auch nicht allein mit Worten, ſondern auch
mit dem Hertzen und der uͤbrigen That begangen:
und iſt beydes vom Satan Joh. 8, 44.
6. Obgleich die Liebe gegen GOtt der Liebe
gegen den Naͤchſten vorgehet, wie die erſte Tafel
der andern vorſtehet; ſo iſt doch die Liebe gegen
den Naͤchſten leichter und kenntlicher als die Liebe
gegen GOTT. Denn weil man den Naͤchſten
um ſich hat, ſo bekoͤmmt man durch den Umgang
mit ihm viele Gelegenheit ihm Liebe zu beweiſen;
ſonderlich wenn er als ein Nothleidender unſerer
Huͤlfe bedarf, oder als ein Gutthaͤtiger der Liebe
und Danckſagung werth iſt, oder auch als ein
Feind nicht gehaſſet, ſondern geliebet werden ſoll.
Ob man nun gleich zur Liebe gegen GOtt unzaͤh-
lig viele Urſachen und Gelegenheiten hat, ſo ſind
ſie doch dem Menſchen bey ſeiner Schwachheit
nicht ſo kenntlich und offenbar von dem unſicht-
baren GOtt, als das iſt, was er an und bey dem
Naͤchſten vor Augen hat. Es iſt demnach der
Mangel der Liebe gegen den Naͤchſten eine gewiſſe
Anzeigung von der Liebloſigkeit gegen GOtt.
7. Die Tugend haͤnget in allen ihren
Pflichten Kettenweiſe zuſammen. Darum wo
eine iſt, da iſt die andere auch. Daß die Liebe ge-
gen GOtt und den Naͤchſten die Haupt-Tugend
ſey, und alle Pflichten in ſich begreife, iſt aus dem
Catechetiſchen Unterricht bekannt, und wird von
Chriſto eingeſchaͤrfet Matth. 22, 37. u. f.
8. Fraget man hierbey, wo denn die Liebe
gegen uns ſelbſt bleibe, oder warum derſelben nicht
auch gedacht worden ſey in den zehen Geboten?
ſo antworte ich, daß ſie mit in der Liebe gegen
GOtt und den Naͤchſten liege: in jener, weil
die Liebegegen GOTT aus der Liebe GOttes
gegen uns herflieſſet, durch dieſe aber eine ſolche
Aenderung bey dem Menſchen geſchiehet, dadurch
ſeine ſuͤndliche und unordentliche Eigen-Liebe in
eine wohlgeordnete verwandelt und dieſe durch
die Liebe gegen GOtt immer mehr gereiniget und
ausgeuͤbet wird. Jn dieſer, nemlich in der Liebe
gegen den Naͤchſten, weil ein ieder ſich zuvorderſt
ſelbſt der Naͤchſte, und was er andern leiſtet, ſich
ſelbſt ſchuldig iſt.
Das Fuͤnfte Capitel,
Darinnen
Der Apoſtel zum Beſchluß die Haupt-Lehre von Chriſto
aufs neue einſchaͤrfet/ dabey auch des Geheimniſſes von der Heiligen Drey-
Einigkeit gedencket/ und bey der Application des Evangelii von Chriſto
den Glaͤubigen das Gebet anpreiſet und nebſt der Wahrnehmung
unſerer ſelbſt auf ein gottſeliges Leben
dringet.
V. 1.
WEr da glaͤubet, (und nach dem
Glauben ſeines Hertzens auch
eine aufrichtige Bekenntniß mit
dem Munde, ja mit dem gan-
tzen Leben ableget c. 4, 15.) daß
JEſus ſey der Chriſt (der verheiſſene Meßias)
der iſt von GOtt geboren. (ſintemal man
durch den Glauben zur Wiedergeburt koͤmmt.)
Und wer da liebet den, der ihn geboren (oder
aus dem Worte der Wahrheit gezeuget hat Jac.
1, 18.) der liebet auch den, der von ihm gebo-
ren iſt (wer den Vater liebet, der liebet auch ſei-
ne Kinder.)
Anmerckungen.
1. Jn der erſten Chriſtlichen Kirche, ſon-
derlich der, welche aus dem Judenthum geſamm-
let wurde, kam es hauptſaͤchlich auf dieſen Satz
an: JEſus iſt der Chriſtus, oder der Meſ-
ſias. Denn daß ein JEſus, von Nazareth
genennet, ſey, oder auch geweſen ſey und ſich als
einen groſſen Propheten maͤchtig von Thaten und
Worten erwieſen habe, das war unleugbar, und
muſten ſeine aͤrgſten Feinde ſelbſt geſtehen. Daß
aber dieſer JEſus der Chriſtus, oder Meßias, das
iſt, der Geſalbte GOttes ſey, der ſo lange war
verheiſſen und vorgebildet worden, das wolte von
vielen nicht angenommen werden. So ſtarck
waren dagegen die Vorurtheile nebſt dem fleiſch-
lichen Sinne.
2. Daher faſſet dieſer Satz vieles in ſich,
ſagen, daß JEſus ſey der Chriſt. Denn da-
mit wurde das Judenthum verleugnet, und das
Heydenthum verlaſſen, und dabey erwies ſich ein
Chriſto
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/720>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.