Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.Cap. 3. v. 17. 18. des ersten Briefes Johannis. [Spaltenumbruch]
g. Weil geben viel besser ist als nehmen, und man sich glücklich schätzen soll, daß man von GOtt gleichsam zu seiner milden Hand gebrauchet wird; man auch das übrige zu dem Ende nach der Providentz GOttes empfangen habe. d. Weil GOTT die Gutthätigkeit gegen die Armen so gar hoch anbefohlen, und die Befehle mit so theuren Verheissungen der Gnaden-Belohnung eingeschärfet hat. 5 B. Mos. 15, 7. u. f. Ps. 112, 9. Sprichw. 11, 24. 25. c 22, 8. Jes. 58, 7. u. f. Matth. 25, 35. u. f. 2 Cor. 8. und 9. 1 Tim. 6, 17. u. f. Wenn die Dürftigen GOTT fürchten, so hat man sich auch ihrer Fürbitte zum Segen zu getrösten. e. Wer nun aber aller solcher Gründe ungeach- tet das Hertz vor seinem dürftigen Nächsten zuschliesset, auch daher gerne seine Augen und Ohren von ihm abwendet, bey dem bleibet die Liebe GOTTES nicht. Da zu mer- cken ist: a. Daß die Frage: Wie bleibet die Liebe GOttes bey ihm von grossem Nachdru- cke sey; und dem gemeinen irrigen Wahn entgegen stehe, da man meynet, die Lie- be GOttes könne mit der Unbarmhertzig- keit wol zusammen stehen; und pfleget man sich von jener so viel mehrere Einbildung zu machen, so vielweniger man diese an sich er- kennet. Es will der Apostel demnach mit der Frage soviel sagen, als: Die Liebe GOTTES bleibet keines weges bey ihm. b. Es fraget sich aber, was der Apostel für ei- ne Liebe verstehe? die, welche GOTT zu uns träget, oder unsere gegen ihn? wir sa- gen alhier mit Recht, daß er auf beyderley Art der Liebe GOttes sehe; und zwar deß- wegen, weil die eine ohne die andere nicht ist, und eine aus der andern geboren wird. Und davon handelt auch der Context des gantzen Briefes. Denn c. 2, 5. c. 3, 1. c. 4, 10. redet er von der Liebe GOttes gegen uns, und dahin gehen auch die Redens-Ar- ten von der seligen Gemeinschaft mit GOtt, und von dem, daß man in GOtt, und GOtt in uns bleibe c. 1, 3. 6. c. 2, 5. 6. 28. Wo diese Liebe GOttes in die Seele durch den Heiligen Geist ausgegossen wird, da machet sie das Hertz auch liebreich gegen den Näch- sten, also daß der Mensch wird eusplagkh- nos, weichhertzig, freundlich, 1 Petr. 3, 8. Stehet er nun noch in einer Härtigkeit ge- gen seinen Nächsten, so ist solches ein gewis- ses Kennzeichen, daß er der Liebe GOttes in CHristo noch nicht sey theilhaftig worden, und daß er daher auch so viel weniger in der Liebe gegen GOTT stehe. Jst er aber, in der Ordnung der Bekehrung, der Liebe GOttes gewürdiget worden, er gehet aber durch den Betrug der Sünde, sonderlich des Geitzes, wieder ein in eine herrschende Un- barmhertzigkeit gegen den nothleidenden Nächsten, so kan die Liebe GOttes unmög- [Spaltenumbruch] lich bey ihm bleiben, sondern so viel jene zunimmt, so viel nimmt diese ab, bis der Mensch darüber gar wieder in den Stand der verderbten Natur verfällt. g. Wo nun die Liebe GOttes, als die Quel- le unserer Liebe gegen GOTT, nicht statt hat, wo soll da unsere Gegenliebe blei- ben; zumal bey herrschender Lieblosigkeit gegen den Nächsten, und der die Ober- hand habenden Welt-Liebe, dadurch das Hertz am Zeitlichen hänget. Denn da heißt es vielmehr c. 2, 15. So iemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Desgleichen c. 4, 8. Wer nicht lieb hat (den Nächsten und GOtt selbst) der ist nicht von GOtt: Denn GOtt ist die Liebe. c. 1, 20. 21. So iemand spricht: Jch liebe GOtt und hasset sei- nen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebet, den er siehet, wie kan er GOtt lieben, den er nicht siehet? Und diß Gebot haben wir von ihm, daß, wer GOtt liebet, daß der auch seinen Bruder liebe. 3. Bey den Worten des 18den Verses: a. Der Apostel verstehet die Worte von einer solchen Liebe, welche man ohne allen Grund und ohne allen Erweis blos mit Worten vor- giebet; wie man aus dem Gegensatze, wel- cher in der That und in der Wahrheit lie- get, ersiehet. Denn nach dem wahren Grun- de muß die Liebe sich auch auf vielfältige Art mit Worten und mit den Geberden erweisen: sintemal der Affect der Liebe sich nicht weni- ger durch holdselige und tröstliche Worte, auch gutthätige Geberden hervorthut, als der Haß durch feindselige Geberden, auch durch zorni- ge und heftige Schelt- und Läster-Worte sich äussert. So ist auch dem Menschen an- befohlen, daß er das, was er auch mit Wor- ten thut, thue im Namen Christi Col. 3, 17. b. Das nicht mit Worten, noch mit der Zungen lieben könte zwar wol als einerley angesehen werden, also, daß eines das andere nur erkläre: allein weil im Griechischen die particula mede darzwischen stehet, auch der darauf folgende Gegensatz zwey Glieder hat, welche in einem mercklichen Unterscheide ste- hen, so hat man jene Worte auch billig zu unterscheiden, nemlich nach diesem Gegen- Satze. Da denn die blossen Worte der wircklichen That, die Zunge aber der Wahr- heit, oder Lauterkeit, entgegen gesetzet wird. Und also heißt mit Worten lieben, so viel, als ohne alle That dem Nächsten nur gute, aber leere Worte geben: Mit der Zungen lieben, sich seiner Liebthätigkeit, wenn es auf gewisse Art und aus einer falschen Ab- sicht endlich dazu kömmt, vor Menschen rüh- men, und für freygebig gehalten seyn wol- len. c. Mancher T t t t
Cap. 3. v. 17. 18. des erſten Briefes Johannis. [Spaltenumbruch]
γ. Weil geben viel beſſer iſt als nehmen, und man ſich gluͤcklich ſchaͤtzen ſoll, daß man von GOtt gleichſam zu ſeiner milden Hand gebrauchet wird; man auch das uͤbrige zu dem Ende nach der Providentz GOttes empfangen habe. δ. Weil GOTT die Gutthaͤtigkeit gegen die Armen ſo gar hoch anbefohlen, und die Befehle mit ſo theuren Verheiſſungen der Gnaden-Belohnung eingeſchaͤrfet hat. 5 B. Moſ. 15, 7. u. f. Pſ. 112, 9. Sprichw. 11, 24. 25. c 22, 8. Jeſ. 58, 7. u. f. Matth. 25, 35. u. f. 2 Cor. 8. und 9. 1 Tim. 6, 17. u. f. Wenn die Duͤrftigen GOTT fuͤrchten, ſo hat man ſich auch ihrer Fuͤrbitte zum Segen zu getroͤſten. e. Wer nun aber aller ſolcher Gruͤnde ungeach- tet das Hertz vor ſeinem duͤrftigen Naͤchſten zuſchlieſſet, auch daher gerne ſeine Augen und Ohren von ihm abwendet, bey dem bleibet die Liebe GOTTES nicht. Da zu mer- cken iſt: α. Daß die Frage: Wie bleibet die Liebe GOttes bey ihm von groſſem Nachdru- cke ſey; und dem gemeinen irrigen Wahn entgegen ſtehe, da man meynet, die Lie- be GOttes koͤnne mit der Unbarmhertzig- keit wol zuſammen ſtehen; und pfleget man ſich von jener ſo viel mehrere Einbildung zu machen, ſo vielweniger man dieſe an ſich er- kennet. Es will der Apoſtel demnach mit der Frage ſoviel ſagen, als: Die Liebe GOTTES bleibet keines weges bey ihm. β. Es fraget ſich aber, was der Apoſtel fuͤr ei- ne Liebe verſtehe? die, welche GOTT zu uns traͤget, oder unſere gegen ihn? wir ſa- gen alhier mit Recht, daß er auf beyderley Art der Liebe GOttes ſehe; und zwar deß- wegen, weil die eine ohne die andere nicht iſt, und eine aus der andern geboren wird. Und davon handelt auch der Context des gantzen Briefes. Denn c. 2, 5. c. 3, 1. c. 4, 10. redet er von der Liebe GOttes gegen uns, und dahin gehen auch die Redens-Ar- ten von der ſeligen Gemeinſchaft mit GOtt, und von dem, daß man in GOtt, und GOtt in uns bleibe c. 1, 3. 6. c. 2, 5. 6. 28. Wo dieſe Liebe GOttes in die Seele durch den Heiligen Geiſt ausgegoſſen wird, da machet ſie das Hertz auch liebreich gegen den Naͤch- ſten, alſo daß der Menſch wird εὔσπλαγχ- νος, weichhertzig, freundlich, 1 Petr. 3, 8. Stehet er nun noch in einer Haͤrtigkeit ge- gen ſeinen Naͤchſten, ſo iſt ſolches ein gewiſ- ſes Kennzeichen, daß er der Liebe GOttes in CHriſto noch nicht ſey theilhaftig worden, und daß er daher auch ſo viel weniger in der Liebe gegen GOTT ſtehe. Jſt er aber, in der Ordnung der Bekehrung, der Liebe GOttes gewuͤrdiget worden, er gehet aber durch den Betrug der Suͤnde, ſonderlich des Geitzes, wieder ein in eine herrſchende Un- barmhertzigkeit gegen den nothleidenden Naͤchſten, ſo kan die Liebe GOttes unmoͤg- [Spaltenumbruch] lich bey ihm bleiben, ſondern ſo viel jene zunimmt, ſo viel nimmt dieſe ab, bis der Menſch daruͤber gar wieder in den Stand der verderbten Natur verfaͤllt. γ. Wo nun die Liebe GOttes, als die Quel- le unſerer Liebe gegen GOTT, nicht ſtatt hat, wo ſoll da unſere Gegenliebe blei- ben; zumal bey herrſchender Liebloſigkeit gegen den Naͤchſten, und der die Ober- hand habenden Welt-Liebe, dadurch das Hertz am Zeitlichen haͤnget. Denn da heißt es vielmehr c. 2, 15. So iemand die Welt lieb hat, in dem iſt nicht die Liebe des Vaters. Desgleichen c. 4, 8. Wer nicht lieb hat (den Naͤchſten und GOtt ſelbſt) der iſt nicht von GOtt: Denn GOtt iſt die Liebe. c. 1, 20. 21. So iemand ſpricht: Jch liebe GOtt und haſſet ſei- nen Bruder, der iſt ein Luͤgner. Denn wer ſeinen Bruder nicht liebet, den er ſiehet, wie kan er GOtt lieben, den er nicht ſiehet? Und diß Gebot haben wir von ihm, daß, wer GOtt liebet, daß der auch ſeinen Bruder liebe. 3. Bey den Worten des 18den Verſes: a. Der Apoſtel verſtehet die Worte von einer ſolchen Liebe, welche man ohne allen Grund und ohne allen Erweis blos mit Worten vor- giebet; wie man aus dem Gegenſatze, wel- cher in der That und in der Wahrheit lie- get, erſiehet. Denn nach dem wahren Grun- de muß die Liebe ſich auch auf vielfaͤltige Art mit Worten und mit den Geberden erweiſen: ſintemal der Affect der Liebe ſich nicht weni- ger durch holdſelige und troͤſtliche Worte, auch gutthaͤtige Geberden hervorthut, als der Haß durch feindſelige Geberden, auch durch zorni- ge und heftige Schelt- und Laͤſter-Worte ſich aͤuſſert. So iſt auch dem Menſchen an- befohlen, daß er das, was er auch mit Wor- ten thut, thue im Namen Chriſti Col. 3, 17. b. Das nicht mit Worten, noch mit der Zungen lieben koͤnte zwar wol als einerley angeſehen werden, alſo, daß eines das andere nur erklaͤre: allein weil im Griechiſchen die particula μηδὲ darzwiſchen ſtehet, auch der darauf folgende Gegenſatz zwey Glieder hat, welche in einem mercklichen Unterſcheide ſte- hen, ſo hat man jene Worte auch billig zu unterſcheiden, nemlich nach dieſem Gegen- Satze. Da denn die bloſſen Worte der wircklichen That, die Zunge aber der Wahr- heit, oder Lauterkeit, entgegen geſetzet wird. Und alſo heißt mit Worten lieben, ſo viel, als ohne alle That dem Naͤchſten nur gute, aber leere Worte geben: Mit der Zungen lieben, ſich ſeiner Liebthaͤtigkeit, wenn es auf gewiſſe Art und aus einer falſchen Ab- ſicht endlich dazu koͤmmt, vor Menſchen ruͤh- men, und fuͤr freygebig gehalten ſeyn wol- len. c. Mancher T t t t
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Cap. 3. v. 17. 18. des erſten Briefes Johannis.
γ. Weil geben viel beſſer iſt als nehmen, und
man ſich gluͤcklich ſchaͤtzen ſoll, daß man
von GOtt gleichſam zu ſeiner milden Hand
gebrauchet wird; man auch das uͤbrige zu
dem Ende nach der Providentz GOttes
empfangen habe.
δ. Weil GOTT die Gutthaͤtigkeit gegen
die Armen ſo gar hoch anbefohlen, und
die Befehle mit ſo theuren Verheiſſungen
der Gnaden-Belohnung eingeſchaͤrfet hat.
5 B. Moſ. 15, 7. u. f. Pſ. 112, 9. Sprichw.
11, 24. 25. c 22, 8. Jeſ. 58, 7. u. f. Matth.
25, 35. u. f. 2 Cor. 8. und 9. 1 Tim. 6, 17. u. f.
Wenn die Duͤrftigen GOTT fuͤrchten, ſo
hat man ſich auch ihrer Fuͤrbitte zum Segen
zu getroͤſten.
e. Wer nun aber aller ſolcher Gruͤnde ungeach-
tet das Hertz vor ſeinem duͤrftigen Naͤchſten
zuſchlieſſet, auch daher gerne ſeine Augen und
Ohren von ihm abwendet, bey dem bleibet
die Liebe GOTTES nicht. Da zu mer-
cken iſt:
α. Daß die Frage: Wie bleibet die Liebe
GOttes bey ihm von groſſem Nachdru-
cke ſey; und dem gemeinen irrigen Wahn
entgegen ſtehe, da man meynet, die Lie-
be GOttes koͤnne mit der Unbarmhertzig-
keit wol zuſammen ſtehen; und pfleget man
ſich von jener ſo viel mehrere Einbildung zu
machen, ſo vielweniger man dieſe an ſich er-
kennet. Es will der Apoſtel demnach mit
der Frage ſoviel ſagen, als: Die Liebe
GOTTES bleibet keines weges bey
ihm.
β. Es fraget ſich aber, was der Apoſtel fuͤr ei-
ne Liebe verſtehe? die, welche GOTT zu
uns traͤget, oder unſere gegen ihn? wir ſa-
gen alhier mit Recht, daß er auf beyderley
Art der Liebe GOttes ſehe; und zwar deß-
wegen, weil die eine ohne die andere nicht
iſt, und eine aus der andern geboren wird.
Und davon handelt auch der Context des
gantzen Briefes. Denn c. 2, 5. c. 3, 1. c. 4,
10. redet er von der Liebe GOttes gegen
uns, und dahin gehen auch die Redens-Ar-
ten von der ſeligen Gemeinſchaft mit GOtt,
und von dem, daß man in GOtt, und GOtt
in uns bleibe c. 1, 3. 6. c. 2, 5. 6. 28. Wo
dieſe Liebe GOttes in die Seele durch den
Heiligen Geiſt ausgegoſſen wird, da machet
ſie das Hertz auch liebreich gegen den Naͤch-
ſten, alſo daß der Menſch wird εὔσπλαγχ-
νος, weichhertzig, freundlich, 1 Petr. 3, 8.
Stehet er nun noch in einer Haͤrtigkeit ge-
gen ſeinen Naͤchſten, ſo iſt ſolches ein gewiſ-
ſes Kennzeichen, daß er der Liebe GOttes in
CHriſto noch nicht ſey theilhaftig worden,
und daß er daher auch ſo viel weniger in der
Liebe gegen GOTT ſtehe. Jſt er aber, in
der Ordnung der Bekehrung, der Liebe
GOttes gewuͤrdiget worden, er gehet aber
durch den Betrug der Suͤnde, ſonderlich des
Geitzes, wieder ein in eine herrſchende Un-
barmhertzigkeit gegen den nothleidenden
Naͤchſten, ſo kan die Liebe GOttes unmoͤg-
lich bey ihm bleiben, ſondern ſo viel jene
zunimmt, ſo viel nimmt dieſe ab, bis der
Menſch daruͤber gar wieder in den Stand
der verderbten Natur verfaͤllt.
γ. Wo nun die Liebe GOttes, als die Quel-
le unſerer Liebe gegen GOTT, nicht ſtatt
hat, wo ſoll da unſere Gegenliebe blei-
ben; zumal bey herrſchender Liebloſigkeit
gegen den Naͤchſten, und der die Ober-
hand habenden Welt-Liebe, dadurch das
Hertz am Zeitlichen haͤnget. Denn da heißt
es vielmehr c. 2, 15. So iemand die Welt
lieb hat, in dem iſt nicht die Liebe des
Vaters. Desgleichen c. 4, 8. Wer nicht
lieb hat (den Naͤchſten und GOtt ſelbſt)
der iſt nicht von GOtt: Denn GOtt iſt
die Liebe. c. 1, 20. 21. So iemand
ſpricht: Jch liebe GOtt und haſſet ſei-
nen Bruder, der iſt ein Luͤgner. Denn
wer ſeinen Bruder nicht liebet, den er
ſiehet, wie kan er GOtt lieben, den er
nicht ſiehet? Und diß Gebot haben wir
von ihm, daß, wer GOtt liebet, daß
der auch ſeinen Bruder liebe.
3. Bey den Worten des 18den Verſes:
Meine Kindlein, laſſet uns nicht lieben mit
Worten, noch mit der Zungen, ſondern mit
der That und mit der Wahrheit iſt folgen-
des zu mercken:
a. Der Apoſtel verſtehet die Worte von einer
ſolchen Liebe, welche man ohne allen Grund
und ohne allen Erweis blos mit Worten vor-
giebet; wie man aus dem Gegenſatze, wel-
cher in der That und in der Wahrheit lie-
get, erſiehet. Denn nach dem wahren Grun-
de muß die Liebe ſich auch auf vielfaͤltige Art
mit Worten und mit den Geberden erweiſen:
ſintemal der Affect der Liebe ſich nicht weni-
ger durch holdſelige und troͤſtliche Worte, auch
gutthaͤtige Geberden hervorthut, als der Haß
durch feindſelige Geberden, auch durch zorni-
ge und heftige Schelt- und Laͤſter-Worte
ſich aͤuſſert. So iſt auch dem Menſchen an-
befohlen, daß er das, was er auch mit Wor-
ten thut, thue im Namen Chriſti Col. 3, 17.
b. Das nicht mit Worten, noch mit der
Zungen lieben koͤnte zwar wol als einerley
angeſehen werden, alſo, daß eines das andere
nur erklaͤre: allein weil im Griechiſchen die
particula μηδὲ darzwiſchen ſtehet, auch der
darauf folgende Gegenſatz zwey Glieder hat,
welche in einem mercklichen Unterſcheide ſte-
hen, ſo hat man jene Worte auch billig zu
unterſcheiden, nemlich nach dieſem Gegen-
Satze. Da denn die bloſſen Worte der
wircklichen That, die Zunge aber der Wahr-
heit, oder Lauterkeit, entgegen geſetzet wird.
Und alſo heißt mit Worten lieben, ſo viel,
als ohne alle That dem Naͤchſten nur gute,
aber leere Worte geben: Mit der Zungen
lieben, ſich ſeiner Liebthaͤtigkeit, wenn es
auf gewiſſe Art und aus einer falſchen Ab-
ſicht endlich dazu koͤmmt, vor Menſchen ruͤh-
men, und fuͤr freygebig gehalten ſeyn wol-
len.
c. Mancher
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