Richtige und erbauliche Erklärung Cap. 3. v. 14-16.
[Spaltenumbruch]
Stand gesetzet, daß er seiner Pflicht nachleben könne.
2. Kan gleich ein Mensch aus eigenen Na- tur-Kräften nichts zu seiner Unsträflichkeit vor GOTT beytragen, vielweniger sie damit zu wege bringen, so werden ihm doch, nach c. 1, 4. wenn er sich zum Glauben an Christum brin- gen lässet, dadurch solche Gnaden-Kräfte ge- schencket, durch deren Annehmung und würdi- ge Anwendung er vor GOTT unsträflich und im Friede kan erfunden werden. Und also ist eine Pelagianische eigene Gerechtigkeit von der Ev- angelischen Glaubens- und Lebens-Gerechtigkeit wie die Nacht vom Tage unterschieden.
3. Unsträflich kan und muß ein rechtschaf- ner Christe seyn, theils nach der Rechtferti- gung, da ihm Christi Verdienst zur vollkom- menen Gerechtigkeit zugerechnet wird, theils nach der Erneuerung, da man die noch übrige Erbsünde bey seiner vielen Schwachheit durch keine eintzige muthwillige Sünde über sich herr- schen läßt, sondern hingegen im guten suchet im- mer völliger zu werden, wie es die obige Anwei- sung c. 1. von der Ketten-weise an einander han- genden Tugend-Ubung mit sich bringet. Von jener Unsträflichkeit sehe man unter andern 2 Cor. 5, 21. Eph. 5, 26. 27. Col. 1, 22. Und wie man zu dieser gelange, das sehe man Offenb. 7, 14. da es von den gläubigen Blut-Zeugen JESU heißt: Sie haben ihre Kleider gewaschen, und haben ihre Kleider helle gemachet im Blute des Lammes.
4. Das Wort auto, ihm, oder vor ihm erfunden werdet, stehet mit grossem Nachdruck; als welches anzeiget, wie es mit der Unsträflich- keit nicht auf unser eignes und anderer Leute Ur- theil ankomme, sondern auf das Urtheil GOt- tes: welcher darauf siehet, wie wir Christum angezogen haben in der Rechtfertigung, und wie wir nach ihm gesinnet sind, und seinem Exempel folgen in der Heiligung.
5. Jm Friede erfunden werden ist soviel als erfunden werden mit einer völligen Gewis- sens-Ruhe und Glaubens-Freudigkeit, im Ge- gensatze auf die Gewissens-Angst und Unruhe, welche alle, die ausser CHristo bleiben, haben, wenn sie aus dem Leibe geschieden sind, und in dem größten Grad künftig bey der Zukunft Chri- sti zum Gericht haben werden. Darum Johan- nes Ep. 1. c. 2, 28. spricht: Kindlein, bleibet bey ihm, aufdaß wir Freudigkeit haben, und nicht zu schanden werden vor ihm in seiner Zukunft. Siehe auch 1 Cor. 1, 8. Phil. 1, 10. 1 Thess. 5, 23.
6. Daß GOTT bey den Sündern so langmüthig ist, das soll und kan ihnen nach sei- nem Zweck zur Busse dienen: wiewol es gemei- niglich die wenigsten recht erkennen. Darum Paulus Röm. 2, 4. spricht: Verachtest du den Reichthum seiner Güte, Geduld und Langmüthigkeit? Weissest du nicht, daß dich GOttes Güte zur Busse leitet?
[Spaltenumbruch]
V. 15. 16.
Als auch unser (mein und euer) lieber Bruder Paulus, nach der Weisheit, die ihm gegeben ist (Eph. 3, 2. u. f.) euch ge- schrieben hat, (sonderlich in dem an euch zu Christo bekehrten Hebräern:) wie er auch in allen Briefen davon redet, (Gr. wie auch in allen Briefen, darinnen er von diesen Din- gen redet:) in welchen (en [fremdsprachliches Material]is, unter welchen in den Briefen von den bisher tractirten Mate- rien enthaltenen Sachen) sind etliche Dinge schwer zu verstehen, welche verwirren die Ungelehrigen und Leichtfertigen (Gr. die Unbevestigten, wie auch die andern Schriften der Propheten und Apostel, zum wenigsten in vielen Stücken) zu ihrem eigenen Verdamm- niß.
Anmerckungen.
1. Es waren zwar alle Apostel von GOtt dem Vater in Christo mit dem Heiligen Geiste also gesalbet, daß ihnen allen ein grosses Maaß göttlicher Weisheit zur Erkenntniß der Geheim- nisse des Reichs GOttes zur würdigen Führung ihres Amts beywohnete: Paulo aber war vor andern ein besonderes Maaß mitgetheilet wor- den. Und dieses hatte er auch so getreulich ange- leget, daß er 1 Cor. 15, 10. sagen konte: Von GOttes Gnaden bin ich, das ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe vielmehr ge- arbeitet, denn sie alle, (ein ieder insonder- heit betrachtet:) nicht aber ich, sondern GOttes Gnade, die in mir ist.
2. Es ist nichts gesegneter bey Knechten GOttes, als wenn sie unter einander in solcher Einigkeit des Sinnes und des Zweckes stehen, daß sie auch andere davon überzeugen können: Wie wir alhier an Paulo und an Petro sehen. Da Petrus von Paulo dreyerley bezeuget, erst- lich, daß er sey sein lieber Bruder, zum andern, daß ihm GOtt grosse Weisheit gegeben habe; und drittens, daß dieselbe auch in seinen Briefen zu ersehen sey.
3. Man hat bey diesem Zeugnisse folgendes zu mercken:
a. Daß Petrus, als ihm Paulus zu Antiochia des mit den bekehrten Juden und Heiden nicht in genugsamer Vorsichtigkeit gehaltenen Um- gangs wegen widersprechen, und damit eini- gem daher entstandenen Aergernisse abhelfen müssen, Paulo solches gar nicht übel genom- men, sondern Pauli Erinnerung mit aller Lie- be angenommen habe, und von desselben gu- tem Grunde wohl überzeuget worden sey. Davon man sehe Gal. 2, 11. u. f.
b. Daß Petrus eben damit, daß er alhier ein so wohllautendes Zeugniß von Paulo ableget, dasselbe bezeuget, und dadurch eine gute Pro- be von der Verleugnung seiner selbst und von der Lauterkeit seines Sinnes bewiesen, und allen Lehrern und übrigen Christen ein
gutes
Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 3. v. 14-16.
[Spaltenumbruch]
Stand geſetzet, daß er ſeiner Pflicht nachleben koͤnne.
2. Kan gleich ein Menſch aus eigenen Na- tur-Kraͤften nichts zu ſeiner Unſtraͤflichkeit vor GOTT beytragen, vielweniger ſie damit zu wege bringen, ſo werden ihm doch, nach c. 1, 4. wenn er ſich zum Glauben an Chriſtum brin- gen laͤſſet, dadurch ſolche Gnaden-Kraͤfte ge- ſchencket, durch deren Annehmung und wuͤrdi- ge Anwendung er vor GOTT unſtraͤflich und im Friede kan erfunden werden. Und alſo iſt eine Pelagianiſche eigene Gerechtigkeit von der Ev- angeliſchen Glaubens- und Lebens-Gerechtigkeit wie die Nacht vom Tage unterſchieden.
3. Unſtraͤflich kan und muß ein rechtſchaf- ner Chriſte ſeyn, theils nach der Rechtferti- gung, da ihm Chriſti Verdienſt zur vollkom- menen Gerechtigkeit zugerechnet wird, theils nach der Erneuerung, da man die noch uͤbrige Erbſuͤnde bey ſeiner vielen Schwachheit durch keine eintzige muthwillige Suͤnde uͤber ſich herr- ſchen laͤßt, ſondern hingegen im guten ſuchet im- mer voͤlliger zu werden, wie es die obige Anwei- ſung c. 1. von der Ketten-weiſe an einander han- genden Tugend-Ubung mit ſich bringet. Von jener Unſtraͤflichkeit ſehe man unter andern 2 Cor. 5, 21. Eph. 5, 26. 27. Col. 1, 22. Und wie man zu dieſer gelange, das ſehe man Offenb. 7, 14. da es von den glaͤubigen Blut-Zeugen JESU heißt: Sie haben ihre Kleider gewaſchen, und haben ihre Kleider helle gemachet im Blute des Lammes.
4. Das Wort ἀυτῷ, ihm, oder vor ihm erfunden werdet, ſtehet mit groſſem Nachdruck; als welches anzeiget, wie es mit der Unſtraͤflich- keit nicht auf unſer eignes und anderer Leute Ur- theil ankomme, ſondern auf das Urtheil GOt- tes: welcher darauf ſiehet, wie wir Chriſtum angezogen haben in der Rechtfertigung, und wie wir nach ihm geſinnet ſind, und ſeinem Exempel folgen in der Heiligung.
5. Jm Friede erfunden werden iſt ſoviel als erfunden werden mit einer voͤlligen Gewiſ- ſens-Ruhe und Glaubens-Freudigkeit, im Ge- genſatze auf die Gewiſſens-Angſt und Unruhe, welche alle, die auſſer CHriſto bleiben, haben, wenn ſie aus dem Leibe geſchieden ſind, und in dem groͤßten Grad kuͤnftig bey der Zukunft Chri- ſti zum Gericht haben werden. Darum Johan- nes Ep. 1. c. 2, 28. ſpricht: Kindlein, bleibet bey ihm, aufdaß wir Freudigkeit haben, und nicht zu ſchanden werden vor ihm in ſeiner Zukunft. Siehe auch 1 Cor. 1, 8. Phil. 1, 10. 1 Theſſ. 5, 23.
6. Daß GOTT bey den Suͤndern ſo langmuͤthig iſt, das ſoll und kan ihnen nach ſei- nem Zweck zur Buſſe dienen: wiewol es gemei- niglich die wenigſten recht erkennen. Darum Paulus Roͤm. 2, 4. ſpricht: Verachteſt du den Reichthum ſeiner Guͤte, Geduld und Langmuͤthigkeit? Weiſſeſt du nicht, daß dich GOttes Guͤte zur Buſſe leitet?
[Spaltenumbruch]
V. 15. 16.
Als auch unſer (mein und euer) lieber Bruder Paulus, nach der Weisheit, die ihm gegeben iſt (Eph. 3, 2. u. f.) euch ge- ſchrieben hat, (ſonderlich in dem an euch zu Chriſto bekehrten Hebraͤern:) wie er auch in allen Briefen davon redet, (Gr. wie auch in allen Briefen, darinnen er von dieſen Din- gen redet:) in welchen (ἐν [fremdsprachliches Material]ις, unter welchen in den Briefen von den bisher tractirten Mate- rien enthaltenen Sachen) ſind etliche Dinge ſchwer zu verſtehen, welche verwirren die Ungelehrigen und Leichtfertigen (Gr. die Unbeveſtigten, wie auch die andern Schriften der Propheten und Apoſtel, zum wenigſten in vielen Stuͤcken) zu ihrem eigenen Verdamm- niß.
Anmerckungen.
1. Es waren zwar alle Apoſtel von GOtt dem Vater in Chriſto mit dem Heiligen Geiſte alſo geſalbet, daß ihnen allen ein groſſes Maaß goͤttlicher Weisheit zur Erkenntniß der Geheim- niſſe des Reichs GOttes zur wuͤrdigen Fuͤhrung ihres Amts beywohnete: Paulo aber war vor andern ein beſonderes Maaß mitgetheilet wor- den. Und dieſes hatte er auch ſo getreulich ange- leget, daß er 1 Cor. 15, 10. ſagen konte: Von GOttes Gnaden bin ich, das ich bin, und ſeine Gnade an mir iſt nicht vergeblich geweſen, ſondern ich habe vielmehr ge- arbeitet, denn ſie alle, (ein ieder inſonder- heit betrachtet:) nicht aber ich, ſondern GOttes Gnade, die in mir iſt.
2. Es iſt nichts geſegneter bey Knechten GOttes, als wenn ſie unter einander in ſolcher Einigkeit des Sinnes und des Zweckes ſtehen, daß ſie auch andere davon uͤberzeugen koͤnnen: Wie wir alhier an Paulo und an Petro ſehen. Da Petrus von Paulo dreyerley bezeuget, erſt- lich, daß er ſey ſein lieber Bruder, zum andern, daß ihm GOtt groſſe Weisheit gegeben habe; und drittens, daß dieſelbe auch in ſeinen Briefen zu erſehen ſey.
3. Man hat bey dieſem Zeugniſſe folgendes zu mercken:
a. Daß Petrus, als ihm Paulus zu Antiochia des mit den bekehrten Juden und Heiden nicht in genugſamer Vorſichtigkeit gehaltenen Um- gangs wegen widerſprechen, und damit eini- gem daher entſtandenen Aergerniſſe abhelfen muͤſſen, Paulo ſolches gar nicht uͤbel genom- men, ſondern Pauli Erinnerung mit aller Lie- be angenommen habe, und von deſſelben gu- tem Grunde wohl uͤberzeuget worden ſey. Davon man ſehe Gal. 2, 11. u. f.
b. Daß Petrus eben damit, daß er alhier ein ſo wohllautendes Zeugniß von Paulo ableget, daſſelbe bezeuget, und dadurch eine gute Pro- be von der Verleugnung ſeiner ſelbſt und von der Lauterkeit ſeines Sinnes bewieſen, und allen Lehrern und uͤbrigen Chriſten ein
gutes
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[640/0642]
Richtige und erbauliche Erklaͤrung Cap. 3. v. 14-16.
Stand geſetzet, daß er ſeiner Pflicht nachleben
koͤnne.
2. Kan gleich ein Menſch aus eigenen Na-
tur-Kraͤften nichts zu ſeiner Unſtraͤflichkeit vor
GOTT beytragen, vielweniger ſie damit zu
wege bringen, ſo werden ihm doch, nach c. 1,
4. wenn er ſich zum Glauben an Chriſtum brin-
gen laͤſſet, dadurch ſolche Gnaden-Kraͤfte ge-
ſchencket, durch deren Annehmung und wuͤrdi-
ge Anwendung er vor GOTT unſtraͤflich und im
Friede kan erfunden werden. Und alſo iſt eine
Pelagianiſche eigene Gerechtigkeit von der Ev-
angeliſchen Glaubens- und Lebens-Gerechtigkeit
wie die Nacht vom Tage unterſchieden.
3. Unſtraͤflich kan und muß ein rechtſchaf-
ner Chriſte ſeyn, theils nach der Rechtferti-
gung, da ihm Chriſti Verdienſt zur vollkom-
menen Gerechtigkeit zugerechnet wird, theils
nach der Erneuerung, da man die noch uͤbrige
Erbſuͤnde bey ſeiner vielen Schwachheit durch
keine eintzige muthwillige Suͤnde uͤber ſich herr-
ſchen laͤßt, ſondern hingegen im guten ſuchet im-
mer voͤlliger zu werden, wie es die obige Anwei-
ſung c. 1. von der Ketten-weiſe an einander han-
genden Tugend-Ubung mit ſich bringet. Von
jener Unſtraͤflichkeit ſehe man unter andern 2 Cor.
5, 21. Eph. 5, 26. 27. Col. 1, 22. Und wie man
zu dieſer gelange, das ſehe man Offenb. 7, 14.
da es von den glaͤubigen Blut-Zeugen JESU
heißt: Sie haben ihre Kleider gewaſchen,
und haben ihre Kleider helle gemachet
im Blute des Lammes.
4. Das Wort ἀυτῷ, ihm, oder vor ihm
erfunden werdet, ſtehet mit groſſem Nachdruck;
als welches anzeiget, wie es mit der Unſtraͤflich-
keit nicht auf unſer eignes und anderer Leute Ur-
theil ankomme, ſondern auf das Urtheil GOt-
tes: welcher darauf ſiehet, wie wir Chriſtum
angezogen haben in der Rechtfertigung, und
wie wir nach ihm geſinnet ſind, und ſeinem
Exempel folgen in der Heiligung.
5. Jm Friede erfunden werden iſt ſoviel
als erfunden werden mit einer voͤlligen Gewiſ-
ſens-Ruhe und Glaubens-Freudigkeit, im Ge-
genſatze auf die Gewiſſens-Angſt und Unruhe,
welche alle, die auſſer CHriſto bleiben, haben,
wenn ſie aus dem Leibe geſchieden ſind, und in
dem groͤßten Grad kuͤnftig bey der Zukunft Chri-
ſti zum Gericht haben werden. Darum Johan-
nes Ep. 1. c. 2, 28. ſpricht: Kindlein, bleibet
bey ihm, aufdaß wir Freudigkeit haben,
und nicht zu ſchanden werden vor ihm in
ſeiner Zukunft. Siehe auch 1 Cor. 1, 8. Phil. 1,
10. 1 Theſſ. 5, 23.
6. Daß GOTT bey den Suͤndern ſo
langmuͤthig iſt, das ſoll und kan ihnen nach ſei-
nem Zweck zur Buſſe dienen: wiewol es gemei-
niglich die wenigſten recht erkennen. Darum
Paulus Roͤm. 2, 4. ſpricht: Verachteſt du
den Reichthum ſeiner Guͤte, Geduld und
Langmuͤthigkeit? Weiſſeſt du nicht, daß
dich GOttes Guͤte zur Buſſe leitet?
V. 15. 16.
Als auch unſer (mein und euer) lieber
Bruder Paulus, nach der Weisheit, die
ihm gegeben iſt (Eph. 3, 2. u. f.) euch ge-
ſchrieben hat, (ſonderlich in dem an euch zu
Chriſto bekehrten Hebraͤern:) wie er auch in
allen Briefen davon redet, (Gr. wie auch
in allen Briefen, darinnen er von dieſen Din-
gen redet:) in welchen (ἐν _ ις, unter welchen
in den Briefen von den bisher tractirten Mate-
rien enthaltenen Sachen) ſind etliche Dinge
ſchwer zu verſtehen, welche verwirren
die Ungelehrigen und Leichtfertigen (Gr.
die Unbeveſtigten, wie auch die andern Schriften
der Propheten und Apoſtel, zum wenigſten in
vielen Stuͤcken) zu ihrem eigenen Verdamm-
niß.
Anmerckungen.
1. Es waren zwar alle Apoſtel von GOtt
dem Vater in Chriſto mit dem Heiligen Geiſte
alſo geſalbet, daß ihnen allen ein groſſes Maaß
goͤttlicher Weisheit zur Erkenntniß der Geheim-
niſſe des Reichs GOttes zur wuͤrdigen Fuͤhrung
ihres Amts beywohnete: Paulo aber war vor
andern ein beſonderes Maaß mitgetheilet wor-
den. Und dieſes hatte er auch ſo getreulich ange-
leget, daß er 1 Cor. 15, 10. ſagen konte: Von
GOttes Gnaden bin ich, das ich bin, und
ſeine Gnade an mir iſt nicht vergeblich
geweſen, ſondern ich habe vielmehr ge-
arbeitet, denn ſie alle, (ein ieder inſonder-
heit betrachtet:) nicht aber ich, ſondern
GOttes Gnade, die in mir iſt.
2. Es iſt nichts geſegneter bey Knechten
GOttes, als wenn ſie unter einander in ſolcher
Einigkeit des Sinnes und des Zweckes ſtehen,
daß ſie auch andere davon uͤberzeugen koͤnnen:
Wie wir alhier an Paulo und an Petro ſehen.
Da Petrus von Paulo dreyerley bezeuget, erſt-
lich, daß er ſey ſein lieber Bruder, zum andern,
daß ihm GOtt groſſe Weisheit gegeben habe;
und drittens, daß dieſelbe auch in ſeinen Briefen
zu erſehen ſey.
3. Man hat bey dieſem Zeugniſſe folgendes
zu mercken:
a. Daß Petrus, als ihm Paulus zu Antiochia
des mit den bekehrten Juden und Heiden nicht
in genugſamer Vorſichtigkeit gehaltenen Um-
gangs wegen widerſprechen, und damit eini-
gem daher entſtandenen Aergerniſſe abhelfen
muͤſſen, Paulo ſolches gar nicht uͤbel genom-
men, ſondern Pauli Erinnerung mit aller Lie-
be angenommen habe, und von deſſelben gu-
tem Grunde wohl uͤberzeuget worden ſey.
Davon man ſehe Gal. 2, 11. u. f.
b. Daß Petrus eben damit, daß er alhier ein
ſo wohllautendes Zeugniß von Paulo ableget,
daſſelbe bezeuget, und dadurch eine gute Pro-
be von der Verleugnung ſeiner ſelbſt und
von der Lauterkeit ſeines Sinnes bewieſen,
und allen Lehrern und uͤbrigen Chriſten ein
gutes
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/642>, abgerufen am 16.02.2025.
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