[Spaltenumbruch]
im Christenthum um sich, so hat man sich dersel- ben zur Ermunterung und Nachfolge getreulich zu bedienen, und zu erkennen, daß man dadurch so vielmehr verbunden werde zu dem, was man ohne das schuldig ist. Hat man sie aber nicht um sich, so hat man auf die uns in der heiligen Schrift vorgelegte Exempel zu sehen.
3. Durch die abzulegende Last verstehet der Apostel alle Hinderungen, welche einen vom Laufe in dem Kampfe aufhalten, ja oft davon gar abhalten wollen: als da sonderlich sind die ängstliche Sorge der Nahrung, Uberladung im Essen und Trincken und andere Lüste, darein man sich leichtlich flechten und heimlich verstri- cken läßt, wenn man nicht allezeit wohl auf sei- ner Hut ist. Darum unser Heyland solchen Din- gen auch eine Beschwerung zuschreibet, und ge- treulich davor warnet, wenn er Luc. 21, 34. spricht: Hütet euch, daß eure Hertzen nicht beschweret werden mit Fressen und Sauf- fen, und mit Sorge der Nahrung - - - so seyd nun wacker allezeit und bebet. Denn so wenig einer einen Wette-Lauf antre- ten, oder recht vollenden kan mit einer ihn auf- haltenden Last, eben so wenig kan einer auf dem schmalen Wege zum Leben hurtig fortgehen, wenn er sich mit solchen Dingen der Welt theils selbst beladen hat, theils auch von andern bela- den siehet.
4. Es kan auch mancher Jrrthum in der Lehre einem zu einer solchen aufhaltenden Last werden. Denn, wenn z. E. den ersten gläubi- gen Christen, und darunter sonderlich denen aus den Juden zu Christo Bekchrten, gegen die Person, das Amt und das Reich Christi, und also, in Ansehung der alten, gegen die neue Oe- conomie des Evangelii ein wichtiger Zweifel gemachet wurde, der konte ihnen, sonderlich den Schwächern, Last genug machen. Und also war es vielen in den Galatischen Gemeinen ergangen, also daß Paulus sagen muste: Jhr liefet fein, wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen. c. 5, 7. Und daß die gläubigen Hebräer (darunter die al- lem Ansehen nach meist aus Hebräern bestehende Galater wol sonderlich mochten mit gezehlet seyn,) auf solcherley Art auch versuchet worden, zeiget er mit einem grossen Theil des Briefes an; als dadurch er sie dagegen recht unterrichtet und waffnet, und unter andern in diesem Capitel v. 12. 13. spricht: Richtet wieder auf die läs- sigen Hände und die müden Knie, und thut gewisse Tritte mit euren Füssen.
5. Nicht weniger kan einen manches Vor- urtheil sehr belästigen, daß man träge wird, stille stehet, falsche Ruhen suchet, oder wol gar wieder zurücke gehet, oder auch niemal zum rech- ten Ernst im Laufe kommt: als da sonderlich ist die irrige und leider so sehr gemeine Meynung von den also genannten Mitteldingen, oder allerley Lust-Handlungen, als des Welt-übli- chen Tantzens, Spielens, Gasterierens, eitlen Schertzens und dergleichen. Denn wenn einer damit beladen ist und bleibet, so wird er nie- mals zum rechten Lauf kommen. Läßt er sich [Spaltenumbruch]
aber unter dem Deckel der Christlichen Freyheit und Indifferentz davon einnehmen, so wird er gewißlich dadurch aufgehalten, und gehet wol gantz wieder zurück, daß er mit Dema die Welt lieb gewinnet. Denn es geschiehet noch heute zu tage, was Petrus Ep. 2. c. 2, 18. 19. von den Lüst- lingen und Lust-Predigern seiner Zeit schreibet: Sie reden stoltze Worte, da nichts hin- ter ist, und reitzen durch Unzucht zur fleischlichen Lust diejenigen, die recht ent- runnen waren, und nun in Jrrthum wandeln, und verheissen [i]hnen Freyheit, so sie selbst Knechte des Verderbens sind, u. s. w.
6. Es giebt auch solche Arten der geistli- chen Anfechtungen, die einem zur schweren Last werden im Lauf des Christenthums: als da sonderlich diese ist, wenn der Mensch nicht lauterlich am Evangelio hangen bleibet, sondern mehr auf seine natürliche Unwürdigkeit, als auf Christum und dessen vollgültige Gerechtigkeit siehet, und daher voller Unruhe und Beküm- merniß wird, auch wol dabey an der Gnade GOttes und seiner Kindschaft bey GOtt zwei- felt, ob er gleich davon aus gewissen Proben, sonderlich aus ernstlichem Haß der Sünde, und aus einem sehnlichen Hunger und Durst nach GOtt die Versicherung haben kan. Welcher gesetzlicher und ängstlicher Weg gewiß Lastes genug ist.
7. Und was amartian euperisaton, die uns immer anklebende Sünde betrift, so ist diese eigentlich der Grund von allen uns belästigenden Hinderungen; und wird mit solchen Worten angezeiget, wie schr leichtlich und häufig sich die Erb-Sünde in wircklichen Sünden äussere, und wie sie sich allenthalben mit einschleiche und sich also mit anlege, wie der Staub an die Kleider, und an die blosse Haut.
8. Da nun aber nichts desto weniger eine Ablegung erfodert wird, ob sie gleich unmöglich zu seyn scheinet, so bestehet sie, als gar wol mög- lich und nöthig, darinnen, daß man beständig über sich wache, oft in eine genaue Prüfung seiner selbst eingehe, und, so bald man diese und jene auch verborgene und andern nicht bekante, Abweichung und Unlauterkeit, oder Schwach- heits-Sünde in sich gewahr wird, solche nicht gering achte, sondern sich deswegen vor den all- sehenden Augen des heiligen GOttes demüthige, um Vergebung bitte, und sie damit so fort abthue, und damit verhindere, daß sie nicht zur Last werde. welches geschiehet, wo sie nicht recht erkant, und noch weniger geachtet und abgethan wird. Wie die zuvor gedachten Laster abzulegen sind, ist auch aus der davon gegebenen Beschreibung leichtlich zu erkennen.
9. Die zur Erläuterung dieses Textes ge- hörige Parallel-Oerter sind sonderlich folgende 1 Cor. 9, 24. 25 26. - - - Ein ieglicher, der da kämpfet, enthält sich alles Dinges: jene also, daß sie eine vergängliche Crone empfangen, wir aber eine unvergängliche. Siehe auch Phil. 3, 13. 14. 2 Tim. 2. 4, 5. u. f.
Jn-
D d d 2
Cap. 12. v. 1. an die Hebraͤer.
[Spaltenumbruch]
im Chriſtenthum um ſich, ſo hat man ſich derſel- ben zur Ermunterung und Nachfolge getreulich zu bedienen, und zu erkennen, daß man dadurch ſo vielmehr verbunden werde zu dem, was man ohne das ſchuldig iſt. Hat man ſie aber nicht um ſich, ſo hat man auf die uns in der heiligen Schrift vorgelegte Exempel zu ſehen.
3. Durch die abzulegende Laſt verſtehet der Apoſtel alle Hinderungen, welche einen vom Laufe in dem Kampfe aufhalten, ja oft davon gar abhalten wollen: als da ſonderlich ſind die aͤngſtliche Sorge der Nahrung, Uberladung im Eſſen und Trincken und andere Luͤſte, darein man ſich leichtlich flechten und heimlich verſtri- cken laͤßt, wenn man nicht allezeit wohl auf ſei- ner Hut iſt. Darum unſer Heyland ſolchen Din- gen auch eine Beſchwerung zuſchreibet, und ge- treulich davor warnet, wenn er Luc. 21, 34. ſpricht: Huͤtet euch, daß eure Hertzen nicht beſchweret werden mit Freſſen und Sauf- fen, und mit Sorge der Nahrung ‒ ‒ ‒ ſo ſeyd nun wacker allezeit und bebet. Denn ſo wenig einer einen Wette-Lauf antre- ten, oder recht vollenden kan mit einer ihn auf- haltenden Laſt, eben ſo wenig kan einer auf dem ſchmalen Wege zum Leben hurtig fortgehen, wenn er ſich mit ſolchen Dingen der Welt theils ſelbſt beladen hat, theils auch von andern bela- den ſiehet.
4. Es kan auch mancher Jrrthum in der Lehre einem zu einer ſolchen aufhaltenden Laſt werden. Denn, wenn z. E. den erſten glaͤubi- gen Chriſten, und darunter ſonderlich denen aus den Juden zu Chriſto Bekchrten, gegen die Perſon, das Amt und das Reich Chriſti, und alſo, in Anſehung der alten, gegen die neue Oe- conomie des Evangelii ein wichtiger Zweifel gemachet wurde, der konte ihnen, ſonderlich den Schwaͤchern, Laſt genug machen. Und alſo war es vielen in den Galatiſchen Gemeinen ergangen, alſo daß Paulus ſagen muſte: Jhr liefet fein, wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen. c. 5, 7. Und daß die glaͤubigen Hebraͤer (darunter die al- lem Anſehen nach meiſt aus Hebraͤern beſtehende Galater wol ſonderlich mochten mit gezehlet ſeyn,) auf ſolcherley Art auch verſuchet worden, zeiget er mit einem groſſen Theil des Briefes an; als dadurch er ſie dagegen recht unterrichtet und waffnet, und unter andern in dieſem Capitel v. 12. 13. ſpricht: Richtet wieder auf die laͤſ- ſigen Haͤnde und die muͤden Knie, und thut gewiſſe Tritte mit euren Fuͤſſen.
5. Nicht weniger kan einen manches Vor- urtheil ſehr belaͤſtigen, daß man traͤge wird, ſtille ſtehet, falſche Ruhen ſuchet, oder wol gar wieder zuruͤcke gehet, oder auch niemal zum rech- ten Ernſt im Laufe kommt: als da ſonderlich iſt die irrige und leider ſo ſehr gemeine Meynung von den alſo genannten Mitteldingen, oder allerley Luſt-Handlungen, als des Welt-uͤbli- chen Tantzens, Spielens, Gaſterierens, eitlen Schertzens und dergleichen. Denn wenn einer damit beladen iſt und bleibet, ſo wird er nie- mals zum rechten Lauf kommen. Laͤßt er ſich [Spaltenumbruch]
aber unter dem Deckel der Chriſtlichen Freyheit und Indifferentz davon einnehmen, ſo wird er gewißlich dadurch aufgehalten, und gehet wol gantz wieder zuruͤck, daß er mit Dema die Welt lieb gewinnet. Denn es geſchiehet noch heute zu tage, was Petrus Ep. 2. c. 2, 18. 19. von den Luͤſt- lingen und Luſt-Predigern ſeiner Zeit ſchreibet: Sie reden ſtoltze Worte, da nichts hin- ter iſt, und reitzen durch Unzucht zur fleiſchlichen Luſt diejenigen, die recht ent- runnen waren, und nun in Jrrthum wandeln, und verheiſſen [i]hnen Freyheit, ſo ſie ſelbſt Knechte des Verderbens ſind, u. ſ. w.
6. Es giebt auch ſolche Arten der geiſtli- chen Anfechtungen, die einem zur ſchweren Laſt werden im Lauf des Chriſtenthums: als da ſonderlich dieſe iſt, wenn der Menſch nicht lauterlich am Evangelio hangen bleibet, ſondern mehr auf ſeine natuͤrliche Unwuͤrdigkeit, als auf Chriſtum und deſſen vollguͤltige Gerechtigkeit ſiehet, und daher voller Unruhe und Bekuͤm- merniß wird, auch wol dabey an der Gnade GOttes und ſeiner Kindſchaft bey GOtt zwei- felt, ob er gleich davon aus gewiſſen Proben, ſonderlich aus ernſtlichem Haß der Suͤnde, und aus einem ſehnlichen Hunger und Durſt nach GOtt die Verſicherung haben kan. Welcher geſetzlicher und aͤngſtlicher Weg gewiß Laſtes genug iſt.
7. Und was ἁμαρτίαν ἐυπερίςατον, die uns immer anklebende Suͤnde betrift, ſo iſt dieſe eigentlich der Grund von allen uns belaͤſtigenden Hinderungen; und wird mit ſolchen Worten angezeiget, wie ſchr leichtlich und haͤufig ſich die Erb-Suͤnde in wircklichen Suͤnden aͤuſſere, und wie ſie ſich allenthalben mit einſchleiche und ſich alſo mit anlege, wie der Staub an die Kleider, und an die bloſſe Haut.
8. Da nun aber nichts deſto weniger eine Ablegung erfodert wird, ob ſie gleich unmoͤglich zu ſeyn ſcheinet, ſo beſtehet ſie, als gar wol moͤg- lich und noͤthig, darinnen, daß man beſtaͤndig uͤber ſich wache, oft in eine genaue Pruͤfung ſeiner ſelbſt eingehe, und, ſo bald man dieſe und jene auch verborgene und andern nicht bekante, Abweichung und Unlauterkeit, oder Schwach- heits-Suͤnde in ſich gewahr wird, ſolche nicht gering achte, ſondern ſich deswegen vor den all- ſehenden Augen des heiligen GOttes demuͤthige, um Vergebung bitte, und ſie damit ſo fort abthue, und damit verhindere, daß ſie nicht zur Laſt werde. welches geſchiehet, wo ſie nicht recht erkant, und noch weniger geachtet und abgethan wird. Wie die zuvor gedachten Laſter abzulegen ſind, iſt auch aus der davon gegebenen Beſchreibung leichtlich zu erkennen.
9. Die zur Erlaͤuterung dieſes Textes ge- hoͤrige Parallel-Oerter ſind ſonderlich folgende 1 Cor. 9, 24. 25 26. ‒ ‒ ‒ Ein ieglicher, der da kaͤmpfet, enthaͤlt ſich alles Dinges: jene alſo, daß ſie eine vergaͤngliche Crone empfangen, wir aber eine unvergaͤngliche. Siehe auch Phil. 3, 13. 14. 2 Tim. 2. 4, 5. u. f.
Jn-
D d d 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0397"n="395"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Cap. 12. v. 1. an die Hebraͤer.</hi></fw><lb/><cb/>
im Chriſtenthum um ſich, ſo hat man ſich derſel-<lb/>
ben zur Ermunterung und Nachfolge getreulich<lb/>
zu bedienen, und zu erkennen, daß man dadurch<lb/>ſo vielmehr verbunden werde zu dem, was man<lb/>
ohne das ſchuldig iſt. Hat man ſie aber nicht<lb/>
um ſich, ſo hat man auf die uns in der heiligen<lb/>
Schrift vorgelegte Exempel zu ſehen.</p><lb/><p>3. Durch die abzulegende <hirendition="#fr">Laſt</hi> verſtehet<lb/>
der Apoſtel alle Hinderungen, welche einen vom<lb/>
Laufe in dem Kampfe aufhalten, ja oft davon<lb/>
gar abhalten wollen: als da ſonderlich ſind die<lb/>
aͤngſtliche Sorge der Nahrung, Uberladung im<lb/>
Eſſen und Trincken und andere Luͤſte, darein<lb/>
man ſich leichtlich flechten und heimlich verſtri-<lb/>
cken laͤßt, wenn man nicht allezeit wohl auf ſei-<lb/>
ner Hut iſt. Darum unſer Heyland ſolchen Din-<lb/>
gen auch eine Beſchwerung zuſchreibet, und ge-<lb/>
treulich davor warnet, wenn er Luc. 21, 34.<lb/>ſpricht: <hirendition="#fr">Huͤtet euch, daß eure Hertzen nicht<lb/>
beſchweret werden mit Freſſen und Sauf-<lb/>
fen, und mit Sorge der Nahrung ‒‒‒<lb/>ſo ſeyd nun wacker allezeit und bebet.</hi><lb/>
Denn ſo wenig einer einen Wette-Lauf antre-<lb/>
ten, oder recht vollenden kan mit einer ihn auf-<lb/>
haltenden Laſt, eben ſo wenig kan einer auf dem<lb/>ſchmalen Wege zum Leben hurtig fortgehen,<lb/>
wenn er ſich mit ſolchen Dingen der Welt theils<lb/>ſelbſt beladen hat, theils auch von andern bela-<lb/>
den ſiehet.</p><lb/><p>4. Es kan auch mancher <hirendition="#fr">Jrrthum in der<lb/>
Lehre</hi> einem zu einer ſolchen aufhaltenden Laſt<lb/>
werden. Denn, wenn z. E. den erſten glaͤubi-<lb/>
gen Chriſten, und darunter ſonderlich denen<lb/>
aus den Juden zu Chriſto Bekchrten, gegen die<lb/>
Perſon, das Amt und das Reich Chriſti, und<lb/>
alſo, in Anſehung der alten, gegen die neue <hirendition="#aq">Oe-<lb/>
conomie</hi> des Evangelii ein wichtiger Zweifel<lb/>
gemachet wurde, der konte ihnen, ſonderlich<lb/>
den Schwaͤchern, Laſt genug machen. Und<lb/>
alſo war es vielen in den Galatiſchen Gemeinen<lb/>
ergangen, alſo daß Paulus ſagen muſte: <hirendition="#fr">Jhr<lb/>
liefet fein, wer hat euch aufgehalten,<lb/>
der Wahrheit nicht zu gehorchen.</hi> c. 5, 7.<lb/>
Und daß die glaͤubigen Hebraͤer (darunter die al-<lb/>
lem Anſehen nach meiſt aus Hebraͤern beſtehende<lb/>
Galater wol ſonderlich mochten mit gezehlet<lb/>ſeyn,) auf ſolcherley Art auch verſuchet worden,<lb/>
zeiget er mit einem groſſen Theil des Briefes an;<lb/>
als dadurch er ſie dagegen recht unterrichtet und<lb/>
waffnet, und unter andern in dieſem Capitel<lb/>
v. 12. 13. ſpricht: <hirendition="#fr">Richtet wieder auf die laͤſ-<lb/>ſigen Haͤnde und die muͤden Knie, und<lb/>
thut gewiſſe Tritte mit euren Fuͤſſen.</hi></p><lb/><p>5. Nicht weniger kan einen manches <hirendition="#fr">Vor-<lb/>
urtheil</hi>ſehr belaͤſtigen, daß man traͤge wird,<lb/>ſtille ſtehet, falſche Ruhen ſuchet, oder wol gar<lb/>
wieder zuruͤcke gehet, oder auch niemal zum rech-<lb/>
ten Ernſt im Laufe kommt: als da ſonderlich iſt<lb/>
die irrige und leider ſo ſehr gemeine Meynung<lb/>
von den alſo genannten <hirendition="#fr">Mitteldingen,</hi> oder<lb/>
allerley Luſt-Handlungen, als des Welt-uͤbli-<lb/>
chen Tantzens, Spielens, Gaſterierens, eitlen<lb/>
Schertzens und dergleichen. Denn wenn einer<lb/>
damit beladen iſt und bleibet, ſo wird er nie-<lb/>
mals zum rechten Lauf kommen. Laͤßt er ſich<lb/><cb/>
aber unter dem Deckel der Chriſtlichen Freyheit<lb/>
und <hirendition="#aq">Indifferen</hi>tz davon einnehmen, ſo wird er<lb/>
gewißlich dadurch aufgehalten, und gehet wol<lb/>
gantz wieder zuruͤck, daß er mit Dema die Welt<lb/>
lieb gewinnet. Denn es geſchiehet noch heute zu<lb/>
tage, was Petrus Ep. 2. c. 2, 18. 19. von den Luͤſt-<lb/>
lingen und Luſt-Predigern ſeiner Zeit ſchreibet:<lb/><hirendition="#fr">Sie reden ſtoltze Worte, da nichts hin-<lb/>
ter iſt, und reitzen durch Unzucht zur<lb/>
fleiſchlichen Luſt diejenigen, die recht ent-<lb/>
runnen waren, und nun in Jrrthum<lb/>
wandeln, und verheiſſen <supplied>i</supplied>hnen Freyheit,<lb/>ſo ſie ſelbſt Knechte des Verderbens ſind,</hi><lb/>
u. ſ. w.</p><lb/><p>6. Es giebt auch ſolche Arten der <hirendition="#fr">geiſtli-<lb/>
chen Anfechtungen,</hi> die einem zur ſchweren<lb/><hirendition="#fr">Laſt</hi> werden im Lauf des Chriſtenthums: als<lb/>
da ſonderlich dieſe iſt, wenn der Menſch nicht<lb/>
lauterlich am Evangelio hangen bleibet, ſondern<lb/>
mehr auf ſeine natuͤrliche Unwuͤrdigkeit, als auf<lb/>
Chriſtum und deſſen vollguͤltige Gerechtigkeit<lb/>ſiehet, und daher voller Unruhe und Bekuͤm-<lb/>
merniß wird, auch wol dabey an der Gnade<lb/>
GOttes und ſeiner Kindſchaft bey GOtt zwei-<lb/>
felt, ob er gleich davon aus gewiſſen Proben,<lb/>ſonderlich aus ernſtlichem Haß der Suͤnde, und<lb/>
aus einem ſehnlichen Hunger und Durſt nach<lb/>
GOtt die Verſicherung haben kan. Welcher<lb/>
geſetzlicher und aͤngſtlicher Weg gewiß Laſtes<lb/>
genug iſt.</p><lb/><p>7. Und was ἁμαρτίανἐυπερίςατον, die <hirendition="#fr">uns<lb/>
immer anklebende Suͤnde</hi> betrift, ſo iſt dieſe<lb/>
eigentlich der Grund von allen uns belaͤſtigenden<lb/>
Hinderungen; und wird mit ſolchen Worten<lb/>
angezeiget, wie ſchr leichtlich und haͤufig ſich die<lb/>
Erb-Suͤnde in wircklichen Suͤnden aͤuſſere, und<lb/>
wie ſie ſich allenthalben mit einſchleiche und ſich<lb/>
alſo mit anlege, wie der Staub an die Kleider,<lb/>
und an die bloſſe Haut.</p><lb/><p>8. Da nun aber nichts deſto weniger eine<lb/><hirendition="#fr">Ablegung</hi> erfodert wird, ob ſie gleich unmoͤglich<lb/>
zu ſeyn ſcheinet, ſo beſtehet ſie, als gar wol moͤg-<lb/>
lich und noͤthig, darinnen, daß man beſtaͤndig<lb/>
uͤber ſich <hirendition="#fr">wache,</hi> oft in eine genaue <hirendition="#fr">Pruͤfung</hi><lb/>ſeiner ſelbſt eingehe, und, ſo bald man dieſe und<lb/>
jene auch verborgene und andern nicht bekante,<lb/>
Abweichung und Unlauterkeit, oder Schwach-<lb/>
heits-Suͤnde in ſich gewahr wird, ſolche nicht<lb/>
gering achte, ſondern ſich deswegen vor den all-<lb/>ſehenden Augen des heiligen GOttes demuͤthige,<lb/>
um Vergebung bitte, und ſie damit ſo fort abthue,<lb/>
und damit verhindere, daß ſie nicht zur Laſt werde.<lb/>
welches geſchiehet, wo ſie nicht recht erkant, und<lb/>
noch weniger geachtet und abgethan wird. Wie<lb/>
die zuvor gedachten Laſter abzulegen ſind, iſt auch<lb/>
aus der davon gegebenen Beſchreibung leichtlich<lb/>
zu erkennen.</p><lb/><p>9. Die zur Erlaͤuterung dieſes Textes ge-<lb/>
hoͤrige <hirendition="#aq">Parallel-</hi>Oerter ſind ſonderlich folgende<lb/>
1 Cor. 9, 24. 25 26. ‒‒‒<hirendition="#fr">Ein ieglicher, der<lb/>
da kaͤmpfet, enthaͤlt ſich alles Dinges:<lb/>
jene alſo, daß ſie eine vergaͤngliche Crone<lb/>
empfangen, wir aber eine unvergaͤngliche.</hi><lb/>
Siehe auch Phil. 3, 13. 14. 2 Tim. 2. 4, 5. u. f.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D d d 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Jn-</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[395/0397]
Cap. 12. v. 1. an die Hebraͤer.
im Chriſtenthum um ſich, ſo hat man ſich derſel-
ben zur Ermunterung und Nachfolge getreulich
zu bedienen, und zu erkennen, daß man dadurch
ſo vielmehr verbunden werde zu dem, was man
ohne das ſchuldig iſt. Hat man ſie aber nicht
um ſich, ſo hat man auf die uns in der heiligen
Schrift vorgelegte Exempel zu ſehen.
3. Durch die abzulegende Laſt verſtehet
der Apoſtel alle Hinderungen, welche einen vom
Laufe in dem Kampfe aufhalten, ja oft davon
gar abhalten wollen: als da ſonderlich ſind die
aͤngſtliche Sorge der Nahrung, Uberladung im
Eſſen und Trincken und andere Luͤſte, darein
man ſich leichtlich flechten und heimlich verſtri-
cken laͤßt, wenn man nicht allezeit wohl auf ſei-
ner Hut iſt. Darum unſer Heyland ſolchen Din-
gen auch eine Beſchwerung zuſchreibet, und ge-
treulich davor warnet, wenn er Luc. 21, 34.
ſpricht: Huͤtet euch, daß eure Hertzen nicht
beſchweret werden mit Freſſen und Sauf-
fen, und mit Sorge der Nahrung ‒ ‒ ‒
ſo ſeyd nun wacker allezeit und bebet.
Denn ſo wenig einer einen Wette-Lauf antre-
ten, oder recht vollenden kan mit einer ihn auf-
haltenden Laſt, eben ſo wenig kan einer auf dem
ſchmalen Wege zum Leben hurtig fortgehen,
wenn er ſich mit ſolchen Dingen der Welt theils
ſelbſt beladen hat, theils auch von andern bela-
den ſiehet.
4. Es kan auch mancher Jrrthum in der
Lehre einem zu einer ſolchen aufhaltenden Laſt
werden. Denn, wenn z. E. den erſten glaͤubi-
gen Chriſten, und darunter ſonderlich denen
aus den Juden zu Chriſto Bekchrten, gegen die
Perſon, das Amt und das Reich Chriſti, und
alſo, in Anſehung der alten, gegen die neue Oe-
conomie des Evangelii ein wichtiger Zweifel
gemachet wurde, der konte ihnen, ſonderlich
den Schwaͤchern, Laſt genug machen. Und
alſo war es vielen in den Galatiſchen Gemeinen
ergangen, alſo daß Paulus ſagen muſte: Jhr
liefet fein, wer hat euch aufgehalten,
der Wahrheit nicht zu gehorchen. c. 5, 7.
Und daß die glaͤubigen Hebraͤer (darunter die al-
lem Anſehen nach meiſt aus Hebraͤern beſtehende
Galater wol ſonderlich mochten mit gezehlet
ſeyn,) auf ſolcherley Art auch verſuchet worden,
zeiget er mit einem groſſen Theil des Briefes an;
als dadurch er ſie dagegen recht unterrichtet und
waffnet, und unter andern in dieſem Capitel
v. 12. 13. ſpricht: Richtet wieder auf die laͤſ-
ſigen Haͤnde und die muͤden Knie, und
thut gewiſſe Tritte mit euren Fuͤſſen.
5. Nicht weniger kan einen manches Vor-
urtheil ſehr belaͤſtigen, daß man traͤge wird,
ſtille ſtehet, falſche Ruhen ſuchet, oder wol gar
wieder zuruͤcke gehet, oder auch niemal zum rech-
ten Ernſt im Laufe kommt: als da ſonderlich iſt
die irrige und leider ſo ſehr gemeine Meynung
von den alſo genannten Mitteldingen, oder
allerley Luſt-Handlungen, als des Welt-uͤbli-
chen Tantzens, Spielens, Gaſterierens, eitlen
Schertzens und dergleichen. Denn wenn einer
damit beladen iſt und bleibet, ſo wird er nie-
mals zum rechten Lauf kommen. Laͤßt er ſich
aber unter dem Deckel der Chriſtlichen Freyheit
und Indifferentz davon einnehmen, ſo wird er
gewißlich dadurch aufgehalten, und gehet wol
gantz wieder zuruͤck, daß er mit Dema die Welt
lieb gewinnet. Denn es geſchiehet noch heute zu
tage, was Petrus Ep. 2. c. 2, 18. 19. von den Luͤſt-
lingen und Luſt-Predigern ſeiner Zeit ſchreibet:
Sie reden ſtoltze Worte, da nichts hin-
ter iſt, und reitzen durch Unzucht zur
fleiſchlichen Luſt diejenigen, die recht ent-
runnen waren, und nun in Jrrthum
wandeln, und verheiſſen ihnen Freyheit,
ſo ſie ſelbſt Knechte des Verderbens ſind,
u. ſ. w.
6. Es giebt auch ſolche Arten der geiſtli-
chen Anfechtungen, die einem zur ſchweren
Laſt werden im Lauf des Chriſtenthums: als
da ſonderlich dieſe iſt, wenn der Menſch nicht
lauterlich am Evangelio hangen bleibet, ſondern
mehr auf ſeine natuͤrliche Unwuͤrdigkeit, als auf
Chriſtum und deſſen vollguͤltige Gerechtigkeit
ſiehet, und daher voller Unruhe und Bekuͤm-
merniß wird, auch wol dabey an der Gnade
GOttes und ſeiner Kindſchaft bey GOtt zwei-
felt, ob er gleich davon aus gewiſſen Proben,
ſonderlich aus ernſtlichem Haß der Suͤnde, und
aus einem ſehnlichen Hunger und Durſt nach
GOtt die Verſicherung haben kan. Welcher
geſetzlicher und aͤngſtlicher Weg gewiß Laſtes
genug iſt.
7. Und was ἁμαρτίαν ἐυπερίςατον, die uns
immer anklebende Suͤnde betrift, ſo iſt dieſe
eigentlich der Grund von allen uns belaͤſtigenden
Hinderungen; und wird mit ſolchen Worten
angezeiget, wie ſchr leichtlich und haͤufig ſich die
Erb-Suͤnde in wircklichen Suͤnden aͤuſſere, und
wie ſie ſich allenthalben mit einſchleiche und ſich
alſo mit anlege, wie der Staub an die Kleider,
und an die bloſſe Haut.
8. Da nun aber nichts deſto weniger eine
Ablegung erfodert wird, ob ſie gleich unmoͤglich
zu ſeyn ſcheinet, ſo beſtehet ſie, als gar wol moͤg-
lich und noͤthig, darinnen, daß man beſtaͤndig
uͤber ſich wache, oft in eine genaue Pruͤfung
ſeiner ſelbſt eingehe, und, ſo bald man dieſe und
jene auch verborgene und andern nicht bekante,
Abweichung und Unlauterkeit, oder Schwach-
heits-Suͤnde in ſich gewahr wird, ſolche nicht
gering achte, ſondern ſich deswegen vor den all-
ſehenden Augen des heiligen GOttes demuͤthige,
um Vergebung bitte, und ſie damit ſo fort abthue,
und damit verhindere, daß ſie nicht zur Laſt werde.
welches geſchiehet, wo ſie nicht recht erkant, und
noch weniger geachtet und abgethan wird. Wie
die zuvor gedachten Laſter abzulegen ſind, iſt auch
aus der davon gegebenen Beſchreibung leichtlich
zu erkennen.
9. Die zur Erlaͤuterung dieſes Textes ge-
hoͤrige Parallel-Oerter ſind ſonderlich folgende
1 Cor. 9, 24. 25 26. ‒ ‒ ‒ Ein ieglicher, der
da kaͤmpfet, enthaͤlt ſich alles Dinges:
jene alſo, daß ſie eine vergaͤngliche Crone
empfangen, wir aber eine unvergaͤngliche.
Siehe auch Phil. 3, 13. 14. 2 Tim. 2. 4, 5. u. f.
Jn-
D d d 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/397>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.