[Spaltenumbruch]
Stande der Erniedrigung angetreten war, und auch eines theils durch die vollkommene Erfüllung des Gesetzesgeschehen ist, zum Grunde gehabt.
V. 7.
Und er hat in den Tagen seines Flei- sches (sonderlich in den letztern, da er sich am Oelberge und am Creutze in den heftigsten Lei- den befunde, als der rechte Hohepriester in dem Gefühle des ewigen Todes) Gebet und Flehen mit starckem Geschrey und Thränen geopf- fert zu dem, der ihm von dem Tode konte aushelfen (also daß das Gefühle davon bald vorüber ginge) und er ist auch erhöret, dar- um daß er GOtt in Ehren hatte. (apo tes eulabeias von der Furcht, nemlich des Todes, also, daß er davon errettet worden.)
Anmerckungen.
1. Nachdem der Apostel vorher angezeiget hat, wie daß der Sohn GOttes ein wahrhafti- ger Hoherpriester sey, so bezeuget er nun hie- mit, wenn und wie er sein Hohespriesterliches Amt verrichtet habe, nemlich mit einem wirck- lichen Opfer, welches er mit vielem Gebet und Flehen gebracht; und wie, da er, bey solcher Handelung der Aufopferung, die Bitterkeit des ewigen Todes empfunden, er davon bald sey er- rettet worden.
2. Durch die Tage seines Fleisches ver- stehen wir billig die gantze Zeit der Erniedrigung Christi, als welche zu unserer Versöhnung sind angewendet worden, sonderlich aber die Zeit seines öffentlichen prophetischen Amts, und darinnen am eigentlichsten die allerletzten Tage und Theile seines Leidens, nemlich am Oelberge, vor dem Judischen und Römischen Gericht, und am Creu- tze: wie denn nicht eines Tages allein, sondern überhaupt der Tage, oder Zeiten, gedacht wird. Und heissen sie Tage seines Fleisches von der mit diesem Worte auch sonst benenneten mensch- lichen Natur Joh. 1, 14. Röm. 1, 3. c. 9, 5. 1 Tim. 3, 6. 1 Pet. 4, 18. c. 4, 1. Es gebrauchet Paulus auch von sich selbst in Ansehung seines natürli- chen Lebens fast gleiche Redens-Art, wenn er Gal. 2, 20. spricht: Was ich itzt lebe im Flei- sche, das lebe ich im Glauben des Sohnes GOttes. Und Phil. 1, 24. Es ist nöthiger im Fleisch bleiben um eurent willen. Und ob denn gleich Christus die menschliche Natur in alle Ewigkeit an sich hat und behält; so ist sie doch verkläret; Paulus aber verstehet die Zeit vor der Verklärung in der Erniedrigung.
3. Gebet und Flehen stehet zu sammen. Und da durch das Wort iketerias, Flehen, ein demüthiges suppliciren verstanden wird, so wird damit angezeiget, wie das Gebet unsers Hohenpriesters beschaffen gewesen sey: wie er denn kniend gebetet, ja dabey gar auf sein Ange- sicht gefallen Matth. 24, 39. Luc. 22, 41.
4. Und bey solchem Gebet rühret die de- müthige Form und Unterwerfung her von der menschlichen Natur und vom Mittler-Amte, darinnen der Heyland das gantze menschliche Geschlecht, als der Bürge, repraesentiret hat: den Nachdruck aber hat das Gebet von der gött- [Spaltenumbruch]
lichen Natur, mit deren Fülle die menschliche ohne Masse gesalbet war, gehabt.
5. Nun hat zwar unser Heyland ohne Zwei- fel in dem gantzen Stande der Erniedrigung ge- betet, und ist alles solches Gebet verdienstlich ge- wesen, da es nicht um seinet, sondern um un- sert willen geschehen ist: es wird doch aber son- derlich gesehen auf das in seinem öffentlichen Lehr-Amte und zuletzt am Oelberge und am Creutze gethane Gebet. Man sehe von den Ta- gen seines Lehr-Amts Matth. 14, 23. da es heißt: Da er das Volck von sich gelassen hatte, ging er auf einen Berg allein, daß er betete. Luc. 6, 12. Es begab sich aber, daß er ging auf einen Berg zu beten, und er blieb über Nacht im Gebet zu Gott. Luc. 9, 18. Es begab sich, da er allein war und betete. u. f. Deßgleichen Joh. 12, 17. u. f. Jtzt ist meine Seele betrübt: und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde! doch darum bin ich in diese Stunde kommen. Vater, verkläre deinen Namen. Da kam eine Stimme vom Himmel: Jch habe ihn verkläret, und will ihn abermal verklä- ren u. s. w.
6. Sonderlich ist alhier gemeinet das Ge- bet Christi am Oelberge, davon es Matth. 26, 36. u. f. heißt: JEsus sprach zu seinen Jün- gern: Setzet euch hie, bis daß ich dort hingehe und bete. Und er nahm zu sich Petrum und die zweene Söhne Zebedäi, und fing an zu trauren und zu zagen, und da sprach er zu ihnen: Meine Seele ist be- trübet bis in den Tod, bleibet hie und wa- chet mit mir: und er ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ists müglich, so gehe dieser Kelch von mir: doch nicht wie ich will, sondern wie du wilt. - - v. 42. Zum andernmal ging er hin, betete und sprach: Mein Vater, ist es nicht müglich, daß dieser Kelch von mir gehe, ich trincke ihn denn, so geschehe dein Wille. Deßgleichen Luc. 22, 41. u. f. Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärckte ihn. Und es kam, daß er mit dem Tode rang, und betete heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Bluts- Tropfen, die fielen auf die Erde. Und am Creutze selbst hieß es nach Psalm 22, 2. JEsus schrie laut und sprach: Eli, Eli, lama asab- thani, das ist, mein GOTT, mein GOTT, warum hast du mich verlassen! Jmgleichen v. 50. JEsus schrie abermal laut, (nemlich also:) es ist vollbracht Joh. 19, 36. und: Va- ter in deine Hände befehle ich meinen Geist. Luc. 23, 46.) Uber das ist leichtlich zu erachten, wie ofte unser Heyland gebetet habe, davon aber nichts aufgezeichnet worden, da uns das bezeu- gete genug ist.
7. Aus den angeführten Orten erhellet denn auch zugleich gantz klar, daß unser Hey- land mit starckem Geschrey gebetet habe. Zwar wird dabey der Thränen nicht ausdrück- lich gedacht: Da wir aber von unserm Heylan-
de
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C. 5. v. 6. 7. an die Hebraͤer.
[Spaltenumbruch]
Stande der Erniedrigung angetreten war, und auch eines theils durch die vollkom̃ene Erfuͤllung des Geſetzesgeſchehen iſt, zum Grunde gehabt.
V. 7.
Und er hat in den Tagen ſeines Flei- ſches (ſonderlich in den letztern, da er ſich am Oelberge und am Creutze in den heftigſten Lei- den befunde, als der rechte Hoheprieſter in dem Gefuͤhle des ewigen Todes) Gebet und Flehen mit ſtarckem Geſchrey und Thraͤnen geopf- fert zu dem, der ihm von dem Tode konte aushelfen (alſo daß das Gefuͤhle davon bald voruͤber ginge) und er iſt auch erhoͤret, dar- um daß er GOtt in Ehren hatte. (ἀπό τῆς ἐυλαβεἰας von der Furcht, nemlich des Todes, alſo, daß er davon errettet worden.)
Anmerckungen.
1. Nachdem der Apoſtel vorher angezeiget hat, wie daß der Sohn GOttes ein wahrhafti- ger Hoherprieſter ſey, ſo bezeuget er nun hie- mit, wenn und wie er ſein Hohesprieſterliches Amt verrichtet habe, nemlich mit einem wirck- lichen Opfer, welches er mit vielem Gebet und Flehen gebracht; und wie, da er, bey ſolcher Handelung der Aufopferung, die Bitterkeit des ewigen Todes empfunden, er davon bald ſey er- rettet worden.
2. Durch die Tage ſeines Fleiſches ver- ſtehen wir billig die gantze Zeit der Erniedrigung Chriſti, als welche zu unſerer Verſoͤhnung ſind angewendet woꝛden, ſonderlich aber die Zeit ſeines oͤffentlichen prophetiſchen Amts, und darinnen am eigentlichſten die allerletzten Tage und Theile ſeines Leidens, nemlich am Oelberge, vor dem Judiſchen und Roͤmiſchen Gericht, und am Creu- tze: wie denn nicht eines Tages allein, ſondern uͤberhaupt der Tage, oder Zeiten, gedacht wird. Und heiſſen ſie Tage ſeines Fleiſches von der mit dieſem Worte auch ſonſt benenneten menſch- lichen Natur Joh. 1, 14. Roͤm. 1, 3. c. 9, 5. 1 Tim. 3, 6. 1 Pet. 4, 18. c. 4, 1. Es gebrauchet Paulus auch von ſich ſelbſt in Anſehung ſeines natuͤrli- chen Lebens faſt gleiche Redens-Art, wenn er Gal. 2, 20. ſpricht: Was ich itzt lebe im Flei- ſche, das lebe ich im Glauben des Sohnes GOttes. Und Phil. 1, 24. Es iſt noͤthiger im Fleiſch bleiben um eurent willen. Und ob denn gleich Chriſtus die menſchliche Natur in alle Ewigkeit an ſich hat und behaͤlt; ſo iſt ſie doch verklaͤret; Paulus aber verſtehet die Zeit vor der Verklaͤrung in der Erniedrigung.
3. Gebet und Flehen ſtehet zu ſammen. Und da durch das Wort ἱκετερίας, Flehen, ein demuͤthiges ſuppliciren verſtanden wird, ſo wird damit angezeiget, wie das Gebet unſers Hohenprieſters beſchaffen geweſen ſey: wie er denn kniend gebetet, ja dabey gar auf ſein Ange- ſicht gefallen Matth. 24, 39. Luc. 22, 41.
4. Und bey ſolchem Gebet ruͤhret die de- muͤthige Form und Unterwerfung her von der menſchlichen Natur und vom Mittler-Amte, darinnen der Heyland das gantze menſchliche Geſchlecht, als der Buͤrge, repræſentiret hat: den Nachdruck aber hat das Gebet von der goͤtt- [Spaltenumbruch]
lichen Natur, mit deren Fuͤlle die menſchliche ohne Maſſe geſalbet war, gehabt.
5. Nun hat zwar unſer Heyland ohne Zwei- fel in dem gantzen Stande der Erniedrigung ge- betet, und iſt alles ſolches Gebet verdienſtlich ge- weſen, da es nicht um ſeinet, ſondern um un- ſert willen geſchehen iſt: es wird doch aber ſon- derlich geſehen auf das in ſeinem oͤffentlichen Lehr-Amte und zuletzt am Oelberge und am Creutze gethane Gebet. Man ſehe von den Ta- gen ſeines Lehr-Amts Matth. 14, 23. da es heißt: Da er das Volck von ſich gelaſſen hatte, ging er auf einen Berg allein, daß er betete. Luc. 6, 12. Es begab ſich aber, daß er ging auf einen Berg zu beten, und er blieb uͤber Nacht im Gebet zu Gott. Luc. 9, 18. Es begab ſich, da er allein war und betete. u. f. Deßgleichen Joh. 12, 17. u. f. Jtzt iſt meine Seele betruͤbt: und was ſoll ich ſagen? Vater, hilf mir aus dieſer Stunde! doch darum bin ich in dieſe Stunde kommen. Vater, verklaͤre deinen Namen. Da kam eine Stimme vom Himmel: Jch habe ihn verklaͤret, und will ihn abermal verklaͤ- ren u. ſ. w.
6. Sonderlich iſt alhier gemeinet das Ge- bet Chriſti am Oelberge, davon es Matth. 26, 36. u. f. heißt: JEſus ſprach zu ſeinen Juͤn- gern: Setzet euch hie, bis daß ich dort hingehe und bete. Und er nahm zu ſich Petrum und die zweene Soͤhne Zebedaͤi, und fing an zu trauren und zu zagen, und da ſprach er zu ihnen: Meine Seele iſt be- truͤbet bis in den Tod, bleibet hie und wa- chet mit mir: und er ging hin ein wenig, fiel nieder auf ſein Angeſicht und betete und ſprach: Mein Vater, iſts muͤglich, ſo gehe dieſer Kelch von mir: doch nicht wie ich will, ſondern wie du wilt. ‒ ‒ v. 42. Zum andernmal ging er hin, betete und ſprach: Mein Vater, iſt es nicht muͤglich, daß dieſer Kelch von mir gehe, ich trincke ihn denn, ſo geſchehe dein Wille. Deßgleichen Luc. 22, 41. u. f. Es erſchien ihm aber ein Engel vom Himmel und ſtaͤrckte ihn. Und es kam, daß er mit dem Tode rang, und betete heftiger. Es ward aber ſein Schweiß wie Bluts- Tropfen, die fielen auf die Erde. Und am Creutze ſelbſt hieß es nach Pſalm 22, 2. JEſus ſchrie laut und ſprach: Eli, Eli, lama aſab- thani, das iſt, mein GOTT, mein GOTT, warum haſt du mich verlaſſen! Jmgleichen v. 50. JEſus ſchrie abermal laut, (nemlich alſo:) es iſt vollbracht Joh. 19, 36. und: Va- ter in deine Haͤnde befehle ich meinen Geiſt. Luc. 23, 46.) Uber das iſt leichtlich zu erachten, wie ofte unſer Heyland gebetet habe, davon aber nichts aufgezeichnet worden, da uns das bezeu- gete genug iſt.
7. Aus den angefuͤhrten Orten erhellet denn auch zugleich gantz klar, daß unſer Hey- land mit ſtarckem Geſchrey gebetet habe. Zwar wird dabey der Thraͤnen nicht ausdruͤck- lich gedacht: Da wir aber von unſerm Heylan-
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[299/0301]
C. 5. v. 6. 7. an die Hebraͤer.
Stande der Erniedrigung angetreten war, und
auch eines theils durch die vollkom̃ene Erfuͤllung
des Geſetzesgeſchehen iſt, zum Grunde gehabt.
V. 7.
Und er hat in den Tagen ſeines Flei-
ſches (ſonderlich in den letztern, da er ſich am
Oelberge und am Creutze in den heftigſten Lei-
den befunde, als der rechte Hoheprieſter in dem
Gefuͤhle des ewigen Todes) Gebet und Flehen
mit ſtarckem Geſchrey und Thraͤnen geopf-
fert zu dem, der ihm von dem Tode konte
aushelfen (alſo daß das Gefuͤhle davon bald
voruͤber ginge) und er iſt auch erhoͤret, dar-
um daß er GOtt in Ehren hatte. (ἀπό τῆς
ἐυλαβεἰας von der Furcht, nemlich des Todes,
alſo, daß er davon errettet worden.)
Anmerckungen.
1. Nachdem der Apoſtel vorher angezeiget
hat, wie daß der Sohn GOttes ein wahrhafti-
ger Hoherprieſter ſey, ſo bezeuget er nun hie-
mit, wenn und wie er ſein Hohesprieſterliches
Amt verrichtet habe, nemlich mit einem wirck-
lichen Opfer, welches er mit vielem Gebet und
Flehen gebracht; und wie, da er, bey ſolcher
Handelung der Aufopferung, die Bitterkeit des
ewigen Todes empfunden, er davon bald ſey er-
rettet worden.
2. Durch die Tage ſeines Fleiſches ver-
ſtehen wir billig die gantze Zeit der Erniedrigung
Chriſti, als welche zu unſerer Verſoͤhnung ſind
angewendet woꝛden, ſonderlich aber die Zeit ſeines
oͤffentlichen prophetiſchen Amts, und darinnen
am eigentlichſten die allerletzten Tage und Theile
ſeines Leidens, nemlich am Oelberge, vor dem
Judiſchen und Roͤmiſchen Gericht, und am Creu-
tze: wie denn nicht eines Tages allein, ſondern
uͤberhaupt der Tage, oder Zeiten, gedacht wird.
Und heiſſen ſie Tage ſeines Fleiſches von der
mit dieſem Worte auch ſonſt benenneten menſch-
lichen Natur Joh. 1, 14. Roͤm. 1, 3. c. 9, 5. 1 Tim.
3, 6. 1 Pet. 4, 18. c. 4, 1. Es gebrauchet Paulus
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Gal. 2, 20. ſpricht: Was ich itzt lebe im Flei-
ſche, das lebe ich im Glauben des Sohnes
GOttes. Und Phil. 1, 24. Es iſt noͤthiger
im Fleiſch bleiben um eurent willen. Und
ob denn gleich Chriſtus die menſchliche Natur in
alle Ewigkeit an ſich hat und behaͤlt; ſo iſt ſie
doch verklaͤret; Paulus aber verſtehet die Zeit
vor der Verklaͤrung in der Erniedrigung.
3. Gebet und Flehen ſtehet zu ſammen.
Und da durch das Wort ἱκετερίας, Flehen, ein
demuͤthiges ſuppliciren verſtanden wird, ſo
wird damit angezeiget, wie das Gebet unſers
Hohenprieſters beſchaffen geweſen ſey: wie er
denn kniend gebetet, ja dabey gar auf ſein Ange-
ſicht gefallen Matth. 24, 39. Luc. 22, 41.
4. Und bey ſolchem Gebet ruͤhret die de-
muͤthige Form und Unterwerfung her von der
menſchlichen Natur und vom Mittler-Amte,
darinnen der Heyland das gantze menſchliche
Geſchlecht, als der Buͤrge, repræſentiret hat:
den Nachdruck aber hat das Gebet von der goͤtt-
lichen Natur, mit deren Fuͤlle die menſchliche
ohne Maſſe geſalbet war, gehabt.
5. Nun hat zwar unſer Heyland ohne Zwei-
fel in dem gantzen Stande der Erniedrigung ge-
betet, und iſt alles ſolches Gebet verdienſtlich ge-
weſen, da es nicht um ſeinet, ſondern um un-
ſert willen geſchehen iſt: es wird doch aber ſon-
derlich geſehen auf das in ſeinem oͤffentlichen
Lehr-Amte und zuletzt am Oelberge und am
Creutze gethane Gebet. Man ſehe von den Ta-
gen ſeines Lehr-Amts Matth. 14, 23. da es
heißt: Da er das Volck von ſich gelaſſen
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er betete. Luc. 6, 12. Es begab ſich aber, daß
er ging auf einen Berg zu beten, und er blieb
uͤber Nacht im Gebet zu Gott. Luc. 9, 18. Es
begab ſich, da er allein war und betete. u. f.
Deßgleichen Joh. 12, 17. u. f. Jtzt iſt meine
Seele betruͤbt: und was ſoll ich ſagen?
Vater, hilf mir aus dieſer Stunde! doch
darum bin ich in dieſe Stunde kommen.
Vater, verklaͤre deinen Namen. Da kam
eine Stimme vom Himmel: Jch habe ihn
verklaͤret, und will ihn abermal verklaͤ-
ren u. ſ. w.
6. Sonderlich iſt alhier gemeinet das Ge-
bet Chriſti am Oelberge, davon es Matth. 26,
36. u. f. heißt: JEſus ſprach zu ſeinen Juͤn-
gern: Setzet euch hie, bis daß ich dort
hingehe und bete. Und er nahm zu ſich
Petrum und die zweene Soͤhne Zebedaͤi,
und fing an zu trauren und zu zagen, und
da ſprach er zu ihnen: Meine Seele iſt be-
truͤbet bis in den Tod, bleibet hie und wa-
chet mit mir: und er ging hin ein wenig,
fiel nieder auf ſein Angeſicht und betete und
ſprach: Mein Vater, iſts muͤglich, ſo gehe
dieſer Kelch von mir: doch nicht wie ich
will, ſondern wie du wilt. ‒ ‒ v. 42. Zum
andernmal ging er hin, betete und ſprach:
Mein Vater, iſt es nicht muͤglich, daß dieſer
Kelch von mir gehe, ich trincke ihn denn, ſo
geſchehe dein Wille. Deßgleichen Luc. 22,
41. u. f. Es erſchien ihm aber ein Engel vom
Himmel und ſtaͤrckte ihn. Und es kam, daß
er mit dem Tode rang, und betete heftiger.
Es ward aber ſein Schweiß wie Bluts-
Tropfen, die fielen auf die Erde. Und am
Creutze ſelbſt hieß es nach Pſalm 22, 2. JEſus
ſchrie laut und ſprach: Eli, Eli, lama aſab-
thani, das iſt, mein GOTT, mein GOTT,
warum haſt du mich verlaſſen! Jmgleichen
v. 50. JEſus ſchrie abermal laut, (nemlich
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ter in deine Haͤnde befehle ich meinen Geiſt.
Luc. 23, 46.) Uber das iſt leichtlich zu erachten,
wie ofte unſer Heyland gebetet habe, davon aber
nichts aufgezeichnet worden, da uns das bezeu-
gete genug iſt.
7. Aus den angefuͤhrten Orten erhellet
denn auch zugleich gantz klar, daß unſer Hey-
land mit ſtarckem Geſchrey gebetet habe.
Zwar wird dabey der Thraͤnen nicht ausdruͤck-
lich gedacht: Da wir aber von unſerm Heylan-
de
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/301>, abgerufen am 23.11.2024.
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