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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Erklärung des Briefes Pauli Cap. 4. v. 12. 13.
[Spaltenumbruch]

9. Und dieses Schwerdt ist zweyschnei-
dig,
ja nach seiner Art noch schärfer im ein und
durchschneiden, als ein zweyschneidig Schwerdt,
welches seine Schärfe auf beyden Seiten hat.
Welches sich denn, da GOttes Wort aus dem
Gesetze und Evangelio bestehet, gar füglich auf
beydes appliciren läßt. Denn obwol das Ge-
setz eigentlich schneidet und verwundet, wenn
es zur Uberzeugung in die Seele dringet: so
ist doch auch das Evangelium von einer noch
durchdringendern Kraft: wie es denn auch ma-
chet, daß iemehr es den Reichthum der Gnade
in Christo aufdecket, iemehr die Seele von der
Nothwendigkeit und von der Grösse ihrer Sün-
de überzeuget wird, und sich dieser vor dem
Angesicht GOttes schämet. Ein schönes Exem-
pel haben wir von solcher Kraft des göttlichen
Worts nach dem Gesetz und Evangelio an der
Predigt Christi und Petri: Christi, da es von
seiner Bergpredigt Matth. 7, 28. 29. heißt: Es
begab sich, da JEsus diese Rede vollendet
hatte, entsetzte sich das Volck über seiner
Lehre. Denn er predigte gewaltig und
nicht wie die Schriftgelehrten.
Und Petri
Ap. Gesch. 2, 37. Da sie das höreten, ging es
ihnen durchs Hertz und sprachen zu Petro
und zu den übrigen Aposteln: Jhr Män-
ner, lieben Brüder, was sollen wir thun?

Jn Ansehung des Gesetzes und der gesetzlichen
oder richterlichen Execution gehören hieher die
Oerter von Christo Offenb. 1, 16. Aus seinem
Munde ging ein scharf zweyschneidig
Schwerdt.
Siehe auch c. 2, 12. 16. c. 19, 15. 21.
Deßgleichen Jes. 11, 4. c. 49, 2.

10. Wenn der Apostel von dem durch-
dringen
dieses Schwerdts und von der Schei-
dung der Seelen und des Geistes
auch der
Zusammenfügung, oder Gelencke, und des
Marcks
in ihnen saget, so nimmt er solche Re-
dens-Art her vom natürlichen, oder leiblichen
Schwerdte, womit er das Wort GOttes ver-
glichen hatte. Denn ein Schwerdt dringet der-
gestalt in den Cörper ein und durch alles hin-
durch, daß es alles, was es trift, durchschneidet
und zertheilet, und also von einander schei-
det.

11. Was nun vom Schwerdte bis zur Zer-
theilung durchdrungen wird, das nennet der
Apostel Seel und Geist, auch Marck und
Bein, oder, wie es eigentlich übersetzet seyn
solte, Gelencke und Marck. Da denn die Ge-
lencke
alhie sonderlich sind Zusammenfügungen
aller innerlichen Theile und Gebeine, und das
Marck dasjenige, was die Gebeine von Fet-
tigkeit zu ihrer beständigen Stärckung in sich ha-
ben. Mit welchen zweyen Worten also auf
das innerste des Leibes gesehen wird, dadurch ein
scharfes Schwerdt dringen kan. Gleichwie nun
diese beyde letztern Worte eigentlich nur auf den
Leib gehen, so lassen sich auch die beyden vorher-
gehenden am füglichsten von dem natürlichen Le-
ben, oder von der Scheidung des unsterblichen
Geistes von der materialischen Seelen-Kraft
verstehen, daß nemlich die Seele alhier soviel sey,
[Spaltenumbruch] als alle seelische Sinnlichkeit und Lebens-Kraft,
welche der menschliche Cörper mit den Cörpern
der Thiere gemein hat, und vermöge welcher
die Seele, so fern sie ein unsterblicher Geist ist,
und daher der Geist heißt, den Leib bewohnet,
beweget und regieret. Welches unsichtbare
und bloß geistliche Wesen des Menschen da-
durch, wenn ein Schwerdt in das innerste des Lei-
bes bis zur Zerschneidung der Gelencke und zur
Zertheilung des Marcks eindringet, von den
sinnlichen Kräften des Leibes, und also auch von
dem Leibe selbst geschieden wird.

12. Und solcher gestalt gehen diese sämt-
liche Worte, ob sie wol der Construction
nach vom Worte GOttes gesaget werden, ei-
gentlich auf die Worte vom zweyschneidigen
Schwerdt;
als damit das Wort GOttes ver-
glichen wird: und halten also eigentlich die pro-
tasin,
oder das, was eigentlich dem Schwerd-
te zukömmt, in sich; dabey dem Leser überlas-
sen wird, die gar leichte apodosin, oder appli-
cation
auf das Wort GOttes selbst zu machen,
nemlich also: gleichwie ein scharfes Schwerdt
also in den Leib fähret, daß es Leib und Seele
von einander scheidet, und zu solcher Scheidung
auch die innersten Theile des Leibes dergestalt
durch dringet und zerschneidet, daß es einem durch
Marck und Bein gehet: also ist GOttes Wort
von solcher Schärfe und Kraft, daß es in den
unsterblichen Geist des Menschen dringet, und
gleichsam durch den innersten Grund des Her-
tzens fähret, auch zur Scheidung des Lichts, wel-
ches es mit sich bringet, von der Finsterniß, und
des guten von dem bösen, in den Gedancken und
Begierden, und also des Fleisches von dem Gei-
ste, oder von der ertheilten übernatürlichen Gna-
den-Kraft, eine empfindliche Uberzeugung gie-
bet.

13. Da die apodosis, oder die application,
von den itzo erläuterten Worten nicht ausdrück-
lich ist hinzu gesetzet worden, so sind die folgenden
Worte: und ist ein Richter der Gedan-
cken und der Sinnen
(oder Uberlegungen)
des Hertzens, deßwegen hinzu gesetzet, daß sie
den Leser anf die geistliche Deutung der Kraft des
Schwerdts führen sollen. Denn wenn das Wort
in die Seele, so fern sie ein unsterblicher Geist ist,
eindringet, so verrichtet es darinnen die censur,
und hält gleichsam das Gericht über alles, was
im Menschen vorgehet, also daß es den Aus-
spruch thut, und ihn entweder verklaget und be-
unruhiget, oder vertritt, tröstet und beruhiget.
Welches denn GOtt selbst durch sein Wort im
Menschen thut, als der im Gewissen des Men-
schen gleichsam seinen Richter-Stuhl hat. Wel-
ches Paulus auch im gewissen Verstande von
dem dem Menschen nach dem Falle noch übrig
gelassenen Lichte und Rechte der Natur saget.
Röm. 2, 14. 15. Man conferire hiebey, was
unser Heyland von seinem Worte und desselben
sonderlich am jüngsten Tage sich zu erweisenden
richterlichen Kraft, Joh. 12, 48. spricht, wenn
er saget: Wer mich verachtet, und nimmt
meine Worte nicht auf, der hat schon,

der
Erklaͤrung des Briefes Pauli Cap. 4. v. 12. 13.
[Spaltenumbruch]

9. Und dieſes Schwerdt iſt zweyſchnei-
dig,
ja nach ſeiner Art noch ſchaͤrfer im ein und
durchſchneiden, als ein zweyſchneidig Schwerdt,
welches ſeine Schaͤrfe auf beyden Seiten hat.
Welches ſich denn, da GOttes Wort aus dem
Geſetze und Evangelio beſtehet, gar fuͤglich auf
beydes appliciren laͤßt. Denn obwol das Ge-
ſetz eigentlich ſchneidet und verwundet, wenn
es zur Uberzeugung in die Seele dringet: ſo
iſt doch auch das Evangelium von einer noch
durchdringendern Kraft: wie es denn auch ma-
chet, daß iemehr es den Reichthum der Gnade
in Chriſto aufdecket, iemehr die Seele von der
Nothwendigkeit und von der Groͤſſe ihrer Suͤn-
de uͤberzeuget wird, und ſich dieſer vor dem
Angeſicht GOttes ſchaͤmet. Ein ſchoͤnes Exem-
pel haben wir von ſolcher Kraft des goͤttlichen
Worts nach dem Geſetz und Evangelio an der
Predigt Chriſti und Petri: Chriſti, da es von
ſeiner Bergpredigt Matth. 7, 28. 29. heißt: Es
begab ſich, da JEſus dieſe Rede vollendet
hatte, entſetzte ſich das Volck uͤber ſeiner
Lehre. Denn er predigte gewaltig und
nicht wie die Schriftgelehrten.
Und Petri
Ap. Geſch. 2, 37. Da ſie das hoͤreten, ging es
ihnen durchs Hertz und ſprachen zu Petro
und zu den uͤbrigen Apoſteln: Jhr Maͤn-
ner, lieben Bruͤder, was ſollen wir thun?

Jn Anſehung des Geſetzes und der geſetzlichen
oder richterlichen Execution gehoͤren hieher die
Oerter von Chriſto Offenb. 1, 16. Aus ſeinem
Munde ging ein ſcharf zweyſchneidig
Schwerdt.
Siehe auch c. 2, 12. 16. c. 19, 15. 21.
Deßgleichen Jeſ. 11, 4. c. 49, 2.

10. Wenn der Apoſtel von dem durch-
dringen
dieſes Schwerdts und von der Schei-
dung der Seelen und des Geiſtes
auch der
Zuſammenfuͤgung, oder Gelencke, und des
Marcks
in ihnen ſaget, ſo nimmt er ſolche Re-
dens-Art her vom natuͤrlichen, oder leiblichen
Schwerdte, womit er das Wort GOttes ver-
glichen hatte. Denn ein Schwerdt dringet der-
geſtalt in den Coͤrper ein und durch alles hin-
durch, daß es alles, was es trift, durchſchneidet
und zertheilet, und alſo von einander ſchei-
det.

11. Was nun vom Schwerdte bis zur Zer-
theilung durchdrungen wird, das nennet der
Apoſtel Seel und Geiſt, auch Marck und
Bein, oder, wie es eigentlich uͤberſetzet ſeyn
ſolte, Gelencke und Marck. Da denn die Ge-
lencke
alhie ſonderlich ſind Zuſammenfuͤgungen
aller innerlichen Theile und Gebeine, und das
Marck dasjenige, was die Gebeine von Fet-
tigkeit zu ihrer beſtaͤndigen Staͤrckung in ſich ha-
ben. Mit welchen zweyen Worten alſo auf
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ſcharfes Schwerdt dringen kan. Gleichwie nun
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gehenden am fuͤglichſten von dem natuͤrlichen Le-
ben, oder von der Scheidung des unſterblichen
Geiſtes von der materialiſchen Seelen-Kraft
verſtehen, daß nemlich die Seele alhier ſoviel ſey,
[Spaltenumbruch] als alle ſeeliſche Sinnlichkeit und Lebens-Kraft,
welche der menſchliche Coͤrper mit den Coͤrpern
der Thiere gemein hat, und vermoͤge welcher
die Seele, ſo fern ſie ein unſterblicher Geiſt iſt,
und daher der Geiſt heißt, den Leib bewohnet,
beweget und regieret. Welches unſichtbare
und bloß geiſtliche Weſen des Menſchen da-
durch, wenn ein Schwerdt in das innerſte des Lei-
bes bis zur Zerſchneidung der Gelencke und zur
Zertheilung des Marcks eindringet, von den
ſinnlichen Kraͤften des Leibes, und alſo auch von
dem Leibe ſelbſt geſchieden wird.

12. Und ſolcher geſtalt gehen dieſe ſaͤmt-
liche Worte, ob ſie wol der Conſtruction
nach vom Worte GOttes geſaget werden, ei-
gentlich auf die Worte vom zweyſchneidigen
Schwerdt;
als damit das Wort GOttes ver-
glichen wird: und halten alſo eigentlich die pro-
taſin,
oder das, was eigentlich dem Schwerd-
te zukoͤmmt, in ſich; dabey dem Leſer uͤberlaſ-
ſen wird, die gar leichte apodoſin, oder appli-
cation
auf das Wort GOttes ſelbſt zu machen,
nemlich alſo: gleichwie ein ſcharfes Schwerdt
alſo in den Leib faͤhret, daß es Leib und Seele
von einander ſcheidet, und zu ſolcher Scheidung
auch die innerſten Theile des Leibes dergeſtalt
durch dringet und zerſchneidet, daß es einem durch
Marck und Bein gehet: alſo iſt GOttes Wort
von ſolcher Schaͤrfe und Kraft, daß es in den
unſterblichen Geiſt des Menſchen dringet, und
gleichſam durch den innerſten Grund des Her-
tzens faͤhret, auch zur Scheidung des Lichts, wel-
ches es mit ſich bringet, von der Finſterniß, und
des guten von dem boͤſen, in den Gedancken und
Begierden, und alſo des Fleiſches von dem Gei-
ſte, oder von der ertheilten uͤbernatuͤrlichen Gna-
den-Kraft, eine empfindliche Uberzeugung gie-
bet.

13. Da die apodoſis, oder die application,
von den itzo erlaͤuterten Worten nicht ausdruͤck-
lich iſt hinzu geſetzet worden, ſo ſind die folgenden
Worte: und iſt ein Richter der Gedan-
cken und der Sinnen
(oder Uberlegungen)
des Hertzens, deßwegen hinzu geſetzet, daß ſie
den Leſer anf die geiſtliche Deutung der Kraft des
Schwerdts fuͤhren ſollen. Denn wenn das Wort
in die Seele, ſo fern ſie ein unſterblicher Geiſt iſt,
eindringet, ſo verrichtet es darinnen die cenſur,
und haͤlt gleichſam das Gericht uͤber alles, was
im Menſchen vorgehet, alſo daß es den Aus-
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Welches denn GOtt ſelbſt durch ſein Wort im
Menſchen thut, als der im Gewiſſen des Men-
ſchen gleichſam ſeinen Richter-Stuhl hat. Wel-
ches Paulus auch im gewiſſen Verſtande von
dem dem Menſchen nach dem Falle noch uͤbrig
gelaſſenen Lichte und Rechte der Natur ſaget.
Roͤm. 2, 14. 15. Man conferire hiebey, was
unſer Heyland von ſeinem Worte und deſſelben
ſonderlich am juͤngſten Tage ſich zu erweiſenden
richterlichen Kraft, Joh. 12, 48. ſpricht, wenn
er ſaget: Wer mich verachtet, und nimmt
meine Worte nicht auf, der hat ſchon,

der
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[292/0294] Erklaͤrung des Briefes Pauli Cap. 4. v. 12. 13. 9. Und dieſes Schwerdt iſt zweyſchnei- dig, ja nach ſeiner Art noch ſchaͤrfer im ein und durchſchneiden, als ein zweyſchneidig Schwerdt, welches ſeine Schaͤrfe auf beyden Seiten hat. Welches ſich denn, da GOttes Wort aus dem Geſetze und Evangelio beſtehet, gar fuͤglich auf beydes appliciren laͤßt. Denn obwol das Ge- ſetz eigentlich ſchneidet und verwundet, wenn es zur Uberzeugung in die Seele dringet: ſo iſt doch auch das Evangelium von einer noch durchdringendern Kraft: wie es denn auch ma- chet, daß iemehr es den Reichthum der Gnade in Chriſto aufdecket, iemehr die Seele von der Nothwendigkeit und von der Groͤſſe ihrer Suͤn- de uͤberzeuget wird, und ſich dieſer vor dem Angeſicht GOttes ſchaͤmet. Ein ſchoͤnes Exem- pel haben wir von ſolcher Kraft des goͤttlichen Worts nach dem Geſetz und Evangelio an der Predigt Chriſti und Petri: Chriſti, da es von ſeiner Bergpredigt Matth. 7, 28. 29. heißt: Es begab ſich, da JEſus dieſe Rede vollendet hatte, entſetzte ſich das Volck uͤber ſeiner Lehre. Denn er predigte gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten. Und Petri Ap. Geſch. 2, 37. Da ſie das hoͤreten, ging es ihnen durchs Hertz und ſprachen zu Petro und zu den uͤbrigen Apoſteln: Jhr Maͤn- ner, lieben Bruͤder, was ſollen wir thun? Jn Anſehung des Geſetzes und der geſetzlichen oder richterlichen Execution gehoͤren hieher die Oerter von Chriſto Offenb. 1, 16. Aus ſeinem Munde ging ein ſcharf zweyſchneidig Schwerdt. Siehe auch c. 2, 12. 16. c. 19, 15. 21. Deßgleichen Jeſ. 11, 4. c. 49, 2. 10. Wenn der Apoſtel von dem durch- dringen dieſes Schwerdts und von der Schei- dung der Seelen und des Geiſtes auch der Zuſammenfuͤgung, oder Gelencke, und des Marcks in ihnen ſaget, ſo nimmt er ſolche Re- dens-Art her vom natuͤrlichen, oder leiblichen Schwerdte, womit er das Wort GOttes ver- glichen hatte. Denn ein Schwerdt dringet der- geſtalt in den Coͤrper ein und durch alles hin- durch, daß es alles, was es trift, durchſchneidet und zertheilet, und alſo von einander ſchei- det. 11. Was nun vom Schwerdte bis zur Zer- theilung durchdrungen wird, das nennet der Apoſtel Seel und Geiſt, auch Marck und Bein, oder, wie es eigentlich uͤberſetzet ſeyn ſolte, Gelencke und Marck. Da denn die Ge- lencke alhie ſonderlich ſind Zuſammenfuͤgungen aller innerlichen Theile und Gebeine, und das Marck dasjenige, was die Gebeine von Fet- tigkeit zu ihrer beſtaͤndigen Staͤrckung in ſich ha- ben. Mit welchen zweyen Worten alſo auf das innerſte des Leibes geſehen wird, dadurch ein ſcharfes Schwerdt dringen kan. Gleichwie nun dieſe beyde letztern Worte eigentlich nur auf den Leib gehen, ſo laſſen ſich auch die beyden vorher- gehenden am fuͤglichſten von dem natuͤrlichen Le- ben, oder von der Scheidung des unſterblichen Geiſtes von der materialiſchen Seelen-Kraft verſtehen, daß nemlich die Seele alhier ſoviel ſey, als alle ſeeliſche Sinnlichkeit und Lebens-Kraft, welche der menſchliche Coͤrper mit den Coͤrpern der Thiere gemein hat, und vermoͤge welcher die Seele, ſo fern ſie ein unſterblicher Geiſt iſt, und daher der Geiſt heißt, den Leib bewohnet, beweget und regieret. Welches unſichtbare und bloß geiſtliche Weſen des Menſchen da- durch, wenn ein Schwerdt in das innerſte des Lei- bes bis zur Zerſchneidung der Gelencke und zur Zertheilung des Marcks eindringet, von den ſinnlichen Kraͤften des Leibes, und alſo auch von dem Leibe ſelbſt geſchieden wird. 12. Und ſolcher geſtalt gehen dieſe ſaͤmt- liche Worte, ob ſie wol der Conſtruction nach vom Worte GOttes geſaget werden, ei- gentlich auf die Worte vom zweyſchneidigen Schwerdt; als damit das Wort GOttes ver- glichen wird: und halten alſo eigentlich die pro- taſin, oder das, was eigentlich dem Schwerd- te zukoͤmmt, in ſich; dabey dem Leſer uͤberlaſ- ſen wird, die gar leichte apodoſin, oder appli- cation auf das Wort GOttes ſelbſt zu machen, nemlich alſo: gleichwie ein ſcharfes Schwerdt alſo in den Leib faͤhret, daß es Leib und Seele von einander ſcheidet, und zu ſolcher Scheidung auch die innerſten Theile des Leibes dergeſtalt durch dringet und zerſchneidet, daß es einem durch Marck und Bein gehet: alſo iſt GOttes Wort von ſolcher Schaͤrfe und Kraft, daß es in den unſterblichen Geiſt des Menſchen dringet, und gleichſam durch den innerſten Grund des Her- tzens faͤhret, auch zur Scheidung des Lichts, wel- ches es mit ſich bringet, von der Finſterniß, und des guten von dem boͤſen, in den Gedancken und Begierden, und alſo des Fleiſches von dem Gei- ſte, oder von der ertheilten uͤbernatuͤrlichen Gna- den-Kraft, eine empfindliche Uberzeugung gie- bet. 13. Da die apodoſis, oder die application, von den itzo erlaͤuterten Worten nicht ausdruͤck- lich iſt hinzu geſetzet worden, ſo ſind die folgenden Worte: und iſt ein Richter der Gedan- cken und der Sinnen (oder Uberlegungen) des Hertzens, deßwegen hinzu geſetzet, daß ſie den Leſer anf die geiſtliche Deutung der Kraft des Schwerdts fuͤhren ſollen. Denn wenn das Wort in die Seele, ſo fern ſie ein unſterblicher Geiſt iſt, eindringet, ſo verrichtet es darinnen die cenſur, und haͤlt gleichſam das Gericht uͤber alles, was im Menſchen vorgehet, alſo daß es den Aus- ſpruch thut, und ihn entweder verklaget und be- unruhiget, oder vertritt, troͤſtet und beruhiget. Welches denn GOtt ſelbſt durch ſein Wort im Menſchen thut, als der im Gewiſſen des Men- ſchen gleichſam ſeinen Richter-Stuhl hat. Wel- ches Paulus auch im gewiſſen Verſtande von dem dem Menſchen nach dem Falle noch uͤbrig gelaſſenen Lichte und Rechte der Natur ſaget. Roͤm. 2, 14. 15. Man conferire hiebey, was unſer Heyland von ſeinem Worte und deſſelben ſonderlich am juͤngſten Tage ſich zu erweiſenden richterlichen Kraft, Joh. 12, 48. ſpricht, wenn er ſaget: Wer mich verachtet, und nimmt meine Worte nicht auf, der hat ſchon, der

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/294>, abgerufen am 23.11.2024.