Das Erste Capitel, Darinnen Der Apostel von der Person Christi, sonderlich von seiner göttlichen Natur und Majestät/ zeuget.
[Spaltenumbruch]
V. 1. 2.
NAchdem vorzeiten (vor und nach der Sündfluth, vor und unter den Zeiten des promulgirten Gesetzes und Levitischen GOttes-Dienstes) GOtt (der Vater) manchmal (polumeros, durch vielerley Theile oder Stuf- fen der Zeiten und der Offenbarung) und man- cherley Weise (durch Gesichte, Träume, inner- liches Eingeben, äusserliche Anrede u. s. w. siehe 4 B. Mos. 12, 6. 8.) geredet (seinen Rath und Willen von unserer Seligkeit, und also fürnemlich von der Erlösung durch Christum, oder von dem Grunde und der Ordnung des Heyls, zu erkennen gegeben hat) zu den Vätern (Voreltern, derer viele unten Cap. 11. nach einander benennet wer- den) durch die Propheten (zuvorderst Mo- sen, und alle übrigen, sie mögen gewisse Schrif- ten hinterlassen haben, oder nicht) hat er am letzten in diesen Tagen (Gr. in diesen letzten Tagen, zur Zeit des neuen Testaments, da er die Oeconomie des Evangelii angerichtet) zu uns (zuvorderst zu uns Aposteln und der gantzen Ju- dischen Nation, durch welche alles in der gantzen Welt ausgebreitet worden) geredet durch den Sohn (in der von ihm angenommenen menschli- chen Natur.)
Anmerckungen.
1. GOtt hat sich zwar in dem Reiche der Natur, und in dem dazu gehörigen Gewissen des Menschen gar mercklich geoffenbahret, und thut es noch: allein diese Offenbahrung, so nach- drücklich sie gleich ist, so unhinlänglich ist sie doch zur geistlichen und ewigen Seligkeit. Darum es die Liebe GOttes also mit sich gebracht, daß GOtt dazu eine besondere und vollkommene Of- fenbahrung gegeben hat.
2. Nun hätte zwar GOtt seinen Willen den Menschen unmittelbar offenbahren können, gleichwie er sich den Propheten, die doch aber auch selbst vorher eine mündliche Anführung gehabt haben, geoffenbahret hat: es hat aber seine Weisheit dem menschlichen Geschlecht gemässer gefunden, mit Menschen durch Menschen zu handeln. Wie denn auch der Sohn GOt- tes selbst die menschliche Natur an sich genommen hat, wie darinnen das gantze Werck der Erlö- sung zu verrichten, also auch das dazu gehörige Prophetische Amt zu führen. Und also hat sich auch in dieser mittelbaren Handelung durch Menschen mit den Menschen die göttliche philan- [Spaltenumbruch]
thropia, die Leutseligkeit, oder besondere Men- schen-Liebe geäussert.
3. Nachdem nun GOtt in der Offenba- rung seines Willens und Anrichtung seines Gna- den-Reichs zwo unterschiedene Oeconomien ver- ordnet hat, die eine theils vor, theils unter dem Ge- setze, die andere von den Zeiten Christi an, und jene sonst das alte, diese das neue Testament heis- set, von Paulo aber jene mit dem Worte palai vorzeiten, diese mit den Worten der letz- ten Tage benennet wird: so wird deroselben Unterscheid, der sonst mancherley ist, alhier inson- derheit darinnen gesetzet, daß GOtt seinen Willen in der alten Oeconomie den Vätern, das ist Vorfahren, durch die Propheten, in der neu- en aber durch seinen Sohn kund gemachet habe.
4. Durch die Propheten sind nicht allein diejenigen Männer GOttes zu verstehen, welche auf GOttes sonderbare Eingebung ein gutes Theil ihrer Zeugnisse in Schriften der judischen Kirche übergeben und hinterlassen haben; son- dern auch alle die übrigen mündlichen und von GOtt sonderlich getriebenen Zeugen der Wahr- heit, von welchen wir keine Schriften haben. Da von den Propheten gesaget wird palai vor- zeiten; und dieses Wort auf eine etwas längere Zeit gehet, so ist damit zugleich angezeiget, daß das Judische Volck schon lange vor Christi Ge- burt keine eigentliche Propheten mehr gehabt hat.
5. Wenn im Griechischen stehet, daß GOtt geredet habe en tois prophetais in den Pro- pheten, so nimt man zwar billig das en in an für dia durch, nach Art des Hebräischen praefixi : es ist doch aber dabey dieser Nachdruck zu mer- cken, daß die Propheten nicht allein Werckzeuge, sondern auch Tempel GOttes gewesen sind, und daß er also durch sie geredet, daß er sie auch bewoh- net und nach seinem Willen regieret habe. Bile- ams Exempel war ausserordentlich: wie er denn auch kein wahrer, sondern ein falscher Prophet ge- wesen ist, und nur in etlichen gewissen Handlun- gen wider seinen Willen die Wahrheit reden müssen. Es muß demnach noch heute zu Tage billig ein ieder, der ein würdiges Werckzeug GOt- tes an andere Menschen seyn will, auch ein sol- ches Eigenthum GOttes seyn, darinnen GOtt wohne. Jn welcher Ordnung man zuvorderst sich selbst, und die, welche einen hören, selig ma- chet, nach 1 Tim. 4, 16.
6. Was GOtt geredet habe ist zwar nicht eigentlich ausgedrucket, aber aus Pauli gantzem Contexte und Zwecke auch Jnhalt des gantzen Briefes an die Hebräer, wie auch aus den
Schrif-
C. 1. v. 1. 2. an die Hebraͤer.
Das Erſte Capitel, Darinnen Der Apoſtel von der Perſon Chriſti, ſonderlich von ſeiner goͤttlichen Natur und Majeſtaͤt/ zeuget.
[Spaltenumbruch]
V. 1. 2.
NAchdem vorzeiten (vor und nach der Suͤndfluth, vor und unter den Zeiten des promulgirten Geſetzes und Levitiſchen GOttes-Dienſtes) GOtt (der Vater) manchmal (πολυμερῶς, durch vielerley Theile oder Stuf- fen der Zeiten und der Offenbarung) und man- cherley Weiſe (durch Geſichte, Traͤume, inner- liches Eingeben, aͤuſſerliche Anrede u. ſ. w. ſiehe 4 B. Moſ. 12, 6. 8.) geredet (ſeinen Rath und Willen von unſerer Seligkeit, und alſo fuͤrnemlich von der Erloͤſung durch Chriſtum, oder von dem Grunde und der Ordnung des Heyls, zu erkennen gegeben hat) zu den Vaͤtern (Voreltern, derer viele unten Cap. 11. nach einander benennet wer- den) durch die Propheten (zuvorderſt Mo- ſen, und alle uͤbrigen, ſie moͤgen gewiſſe Schrif- ten hinterlaſſen haben, oder nicht) hat er am letzten in dieſen Tagen (Gr. in dieſen letzten Tagen, zur Zeit des neuen Teſtaments, da er die Oeconomie des Evangelii angerichtet) zu uns (zuvorderſt zu uns Apoſteln und der gantzen Ju- diſchen Nation, durch welche alles in der gantzen Welt ausgebreitet worden) geredet durch den Sohn (in der von ihm angenommenen menſchli- chen Natur.)
Anmerckungen.
1. GOtt hat ſich zwar in dem Reiche der Natur, und in dem dazu gehoͤrigen Gewiſſen des Menſchen gar mercklich geoffenbahret, und thut es noch: allein dieſe Offenbahrung, ſo nach- druͤcklich ſie gleich iſt, ſo unhinlaͤnglich iſt ſie doch zur geiſtlichen und ewigen Seligkeit. Darum es die Liebe GOttes alſo mit ſich gebracht, daß GOtt dazu eine beſondere und vollkommene Of- fenbahrung gegeben hat.
2. Nun haͤtte zwar GOtt ſeinen Willen den Menſchen unmittelbar offenbahren koͤnnen, gleichwie er ſich den Propheten, die doch aber auch ſelbſt vorher eine muͤndliche Anfuͤhrung gehabt haben, geoffenbahret hat: es hat aber ſeine Weisheit dem menſchlichen Geſchlecht gemaͤſſer gefunden, mit Menſchen durch Menſchen zu handeln. Wie denn auch der Sohn GOt- tes ſelbſt die menſchliche Natur an ſich genommen hat, wie darinnen das gantze Werck der Erloͤ- ſung zu verrichten, alſo auch das dazu gehoͤrige Prophetiſche Amt zu fuͤhren. Und alſo hat ſich auch in dieſer mittelbaren Handelung durch Menſchen mit den Menſchen die goͤttliche ϕιλαν- [Spaltenumbruch]
ϑρωπία, die Leutſeligkeit, oder beſondere Men- ſchen-Liebe geaͤuſſert.
3. Nachdem nun GOtt in der Offenba- rung ſeines Willens und Anrichtung ſeines Gna- den-Reichs zwo unterſchiedene Oeconomien ver- ordnet hat, die eine theils vor, theils unter dem Ge- ſetze, die andere von den Zeiten Chriſti an, und jene ſonſt das alte, dieſe das neue Teſtament heiſ- ſet, von Paulo aber jene mit dem Worte πάλαι vorzeiten, dieſe mit den Worten der letz- ten Tage benennet wird: ſo wird deroſelben Unterſcheid, der ſonſt mancherley iſt, alhier inſon- derheit darinnen geſetzet, daß GOtt ſeinen Willen in der alten Oeconomie den Vaͤtern, das iſt Vorfahren, durch die Propheten, in der neu- en aber durch ſeinen Sohn kund gemachet habe.
4. Durch die Propheten ſind nicht allein diejenigen Maͤnner GOttes zu verſtehen, welche auf GOttes ſonderbare Eingebung ein gutes Theil ihrer Zeugniſſe in Schriften der judiſchen Kirche uͤbergeben und hinterlaſſen haben; ſon- dern auch alle die uͤbrigen muͤndlichen und von GOtt ſonderlich getriebenen Zeugen der Wahr- heit, von welchen wir keine Schriften haben. Da von den Propheten geſaget wird πάλαι vor- zeiten; und dieſes Wort auf eine etwas laͤngere Zeit gehet, ſo iſt damit zugleich angezeiget, daß das Judiſche Volck ſchon lange vor Chriſti Ge- burt keine eigentliche Propheten mehr gehabt hat.
5. Wenn im Griechiſchen ſtehet, daß GOtt geredet habe ἐν τοῖς προϕήταις in den Pro- pheten, ſo nimt man zwar billig das ἐν in an fuͤr διὰ durch, nach Art des Hebraͤiſchen præfixi : es iſt doch aber dabey dieſer Nachdruck zu mer- cken, daß die Propheten nicht allein Werckzeuge, ſondern auch Tempel GOttes geweſen ſind, und daß er alſo durch ſie geredet, daß er ſie auch bewoh- net und nach ſeinem Willen regieret habe. Bile- ams Exempel war auſſerordentlich: wie er denn auch kein wahrer, ſondern ein falſcher Prophet ge- weſen iſt, und nur in etlichen gewiſſen Handlun- gen wider ſeinen Willen die Wahrheit reden muͤſſen. Es muß demnach noch heute zu Tage billig ein ieder, der ein wuͤrdiges Werckzeug GOt- tes an andere Menſchen ſeyn will, auch ein ſol- ches Eigenthum GOttes ſeyn, darinnen GOtt wohne. Jn welcher Ordnung man zuvorderſt ſich ſelbſt, und die, welche einen hoͤren, ſelig ma- chet, nach 1 Tim. 4, 16.
6. Was GOtt geredet habe iſt zwar nicht eigentlich ausgedrucket, aber aus Pauli gantzem Contexte und Zwecke auch Jnhalt des gantzen Briefes an die Hebraͤer, wie auch aus den
Schrif-
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[239/0241]
C. 1. v. 1. 2. an die Hebraͤer.
Das Erſte Capitel,
Darinnen
Der Apoſtel von der Perſon Chriſti, ſonderlich von ſeiner
goͤttlichen Natur und Majeſtaͤt/ zeuget.
V. 1. 2.
NAchdem vorzeiten (vor und nach
der Suͤndfluth, vor und unter den
Zeiten des promulgirten Geſetzes
und Levitiſchen GOttes-Dienſtes)
GOtt (der Vater) manchmal
(πολυμερῶς, durch vielerley Theile oder Stuf-
fen der Zeiten und der Offenbarung) und man-
cherley Weiſe (durch Geſichte, Traͤume, inner-
liches Eingeben, aͤuſſerliche Anrede u. ſ. w. ſiehe
4 B. Moſ. 12, 6. 8.) geredet (ſeinen Rath und
Willen von unſerer Seligkeit, und alſo fuͤrnemlich
von der Erloͤſung durch Chriſtum, oder von dem
Grunde und der Ordnung des Heyls, zu erkennen
gegeben hat) zu den Vaͤtern (Voreltern, derer
viele unten Cap. 11. nach einander benennet wer-
den) durch die Propheten (zuvorderſt Mo-
ſen, und alle uͤbrigen, ſie moͤgen gewiſſe Schrif-
ten hinterlaſſen haben, oder nicht) hat er am
letzten in dieſen Tagen (Gr. in dieſen letzten
Tagen, zur Zeit des neuen Teſtaments, da er die
Oeconomie des Evangelii angerichtet) zu uns
(zuvorderſt zu uns Apoſteln und der gantzen Ju-
diſchen Nation, durch welche alles in der gantzen
Welt ausgebreitet worden) geredet durch den
Sohn (in der von ihm angenommenen menſchli-
chen Natur.)
Anmerckungen.
1. GOtt hat ſich zwar in dem Reiche der
Natur, und in dem dazu gehoͤrigen Gewiſſen des
Menſchen gar mercklich geoffenbahret, und
thut es noch: allein dieſe Offenbahrung, ſo nach-
druͤcklich ſie gleich iſt, ſo unhinlaͤnglich iſt ſie doch
zur geiſtlichen und ewigen Seligkeit. Darum
es die Liebe GOttes alſo mit ſich gebracht, daß
GOtt dazu eine beſondere und vollkommene Of-
fenbahrung gegeben hat.
2. Nun haͤtte zwar GOtt ſeinen Willen den
Menſchen unmittelbar offenbahren koͤnnen,
gleichwie er ſich den Propheten, die doch aber auch
ſelbſt vorher eine muͤndliche Anfuͤhrung gehabt
haben, geoffenbahret hat: es hat aber ſeine
Weisheit dem menſchlichen Geſchlecht gemaͤſſer
gefunden, mit Menſchen durch Menſchen
zu handeln. Wie denn auch der Sohn GOt-
tes ſelbſt die menſchliche Natur an ſich genommen
hat, wie darinnen das gantze Werck der Erloͤ-
ſung zu verrichten, alſo auch das dazu gehoͤrige
Prophetiſche Amt zu fuͤhren. Und alſo hat ſich
auch in dieſer mittelbaren Handelung durch
Menſchen mit den Menſchen die goͤttliche ϕιλαν-
ϑρωπία, die Leutſeligkeit, oder beſondere Men-
ſchen-Liebe geaͤuſſert.
3. Nachdem nun GOtt in der Offenba-
rung ſeines Willens und Anrichtung ſeines Gna-
den-Reichs zwo unterſchiedene Oeconomien ver-
ordnet hat, die eine theils vor, theils unter dem Ge-
ſetze, die andere von den Zeiten Chriſti an, und
jene ſonſt das alte, dieſe das neue Teſtament heiſ-
ſet, von Paulo aber jene mit dem Worte πάλαι
vorzeiten, dieſe mit den Worten der letz-
ten Tage benennet wird: ſo wird deroſelben
Unterſcheid, der ſonſt mancherley iſt, alhier inſon-
derheit darinnen geſetzet, daß GOtt ſeinen
Willen in der alten Oeconomie den Vaͤtern,
das iſt Vorfahren, durch die Propheten, in der neu-
en aber durch ſeinen Sohn kund gemachet habe.
4. Durch die Propheten ſind nicht allein
diejenigen Maͤnner GOttes zu verſtehen, welche
auf GOttes ſonderbare Eingebung ein gutes
Theil ihrer Zeugniſſe in Schriften der judiſchen
Kirche uͤbergeben und hinterlaſſen haben; ſon-
dern auch alle die uͤbrigen muͤndlichen und von
GOtt ſonderlich getriebenen Zeugen der Wahr-
heit, von welchen wir keine Schriften haben.
Da von den Propheten geſaget wird πάλαι vor-
zeiten; und dieſes Wort auf eine etwas laͤngere
Zeit gehet, ſo iſt damit zugleich angezeiget, daß
das Judiſche Volck ſchon lange vor Chriſti Ge-
burt keine eigentliche Propheten mehr gehabt hat.
5. Wenn im Griechiſchen ſtehet, daß GOtt
geredet habe ἐν τοῖς προϕήταις in den Pro-
pheten, ſo nimt man zwar billig das ἐν in an fuͤr
διὰ durch, nach Art des Hebraͤiſchen præfixi :
es iſt doch aber dabey dieſer Nachdruck zu mer-
cken, daß die Propheten nicht allein Werckzeuge,
ſondern auch Tempel GOttes geweſen ſind, und
daß er alſo durch ſie geredet, daß er ſie auch bewoh-
net und nach ſeinem Willen regieret habe. Bile-
ams Exempel war auſſerordentlich: wie er denn
auch kein wahrer, ſondern ein falſcher Prophet ge-
weſen iſt, und nur in etlichen gewiſſen Handlun-
gen wider ſeinen Willen die Wahrheit reden
muͤſſen. Es muß demnach noch heute zu Tage
billig ein ieder, der ein wuͤrdiges Werckzeug GOt-
tes an andere Menſchen ſeyn will, auch ein ſol-
ches Eigenthum GOttes ſeyn, darinnen GOtt
wohne. Jn welcher Ordnung man zuvorderſt
ſich ſelbſt, und die, welche einen hoͤren, ſelig ma-
chet, nach 1 Tim. 4, 16.
6. Was GOtt geredet habe iſt zwar
nicht eigentlich ausgedrucket, aber aus Pauli
gantzem Contexte und Zwecke auch Jnhalt des
gantzen Briefes an die Hebraͤer, wie auch aus den
Schrif-
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/241>, abgerufen am 23.11.2024.
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