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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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Erklärung des andern Briefes Pauli C. 3. v. 15.
[Spaltenumbruch] desfals bestrafet haben, sondern nur allein des-
wegen, daß sie den Verstand des göttlichen ihnen
übergebnen Worts vielfältig verkehret, oder doch
nicht recht eingesehen haben. So waren auch
so viel glaubwürdige und sichere Abschriften von
dem im innern Theil des Tempels heiliglich ver-
wahreten Original genommen, daß es unmög-
lich war, daß, wo auch iemand einige Verfäl-
schung hätte vornehmen wollen, dieselbe durch alle
übrige Exemplaria hätte gehen können. Zu ge-
schweigen, was für eine grosse Veneration die
alten Jüden (wie auch die heutigen noch itzo) vor
der heiligen Schrift gehabt, daß sie lieber ihr Le-
ben gelassen, als einige Veränderung verstattet,
oder selbst unternommen hätten. Und wo nicht
diese Integrität der sämtlichen Bücher zum
Grunde gelegen hätte, würde der Apostel mit
Christo sich nicht so frey und freudig, ohne alle Er-
innerung, darauf bezogen haben.

6. Diese grammata, Schriften, heissen
nun [i]era heilige, weil sie durch den Heiligen
Geist
den Männern GOttes eingegeben worden,
und heilige zu unserm ewigen Heyl gehörige
Sachen in sich halten: wie sie denn auch von hei-
ligen Menschen
aufgezeichnet worden, wie Pe-
trus Epist. 2. Cap. 1, 21. schreibet: die heiligen
Menschen GOTTES haben gere-
det
(und also auch geschrieben) getrieben von
dem Heiligen Geiste.
Es ist daher auch die
gantze Rede der heiligen Schrift durch und durch
also verfasset, daß man davor billig eine Ehrer-
bietung haben muß: dergleichen man von keiner
alten bloß menschlichen Schrift sagen kan. Jst
nun aber die Schrift an sich ihrem Ursprunge und
ihrem Jnnhalte, auch ihrem Stilo nach, so heilig
und venerabel; so soll sie auch billig mit heili-
gen Hertzen
in Andacht zum heiligen Zweck
gelesen und betrachtet werden, und soll man auch
äusserlich mit dem Buche der Bibel selbst ehrer-
bietig umgehen; zumal uns Christen nicht allein
die Jüden ein gutes Exempel hierinn geben, son-
dern auch die Muhammedaner selbst uns mit
ihrer, obwol falschen, Ehrerbietung gegen den
Alcoran beschämen.

7. Von dieser heiligen Schrift heißt es,
daß sie Timotheus gewust: da denn dis Ver-
bum notitiae,
ein auf die Erkenntniß gehendes
Wort, nach seinem rechten Nachdruck zu verste-
hen ist. Timotheus wuste sie also, daß er, was
er wuste, recht lebendig erkannte und aus der
Versiegelung des Heiligen Geistes, unter eig-
ner Erfahrung auch wahrhaftig glaubte; er wuste
es aus der erleuchtenden Gnade GOttes zu einer
rechten geistlichen Beurtheilung. Wie denn,
was man in göttlichen Dingen aus der heiligen
Schrift nicht also weiß, man nicht recht, und
wie gar nicht weiß. Daher es kömmt, daß das
bloß buchstäbliche aus natürlichen Kräften ge-
schöpfte Erkenntniß GOttes in der heiligen
Schrift gar nicht für ächt erkannt, sondern den
Unbekehrten und mit solcher Wissenschaft instru-
ir
ten Menschen die wahre Erkenntniß GOttes
abgesprochen wird: wie sonderlich an dem Exem-
pel der Pharisäer zu sehen ist. Matth. 23.

8. Timotheus wuste die heilige Schrift
[Spaltenumbruch] schon apo bre[fremdsprachliches Material]ous, von seiner zarten Kind-
heit an:
als darinnen er von seiner Mutter und
Großmutter war getreulich unterrichtet worden,
und recht auferzogen in dem Worte der
Wahrheit
1 Tim. 4, 6. 2 Tim. 1, 5. Und also
hatte er bald nach seiner Mutter-Milch die lautere
Milch des Evangelii dergestalt eingesogen, daß er
dadurch mercklich zugenommen. Daher es ge-
kommen war, daß er schon in seinen noch sehr
jungen Jahren, zu einem starcken Jüngling, ja
rechten Mann in Christo geworden, und Paulus
ihn, als er den ersten Brief an ihn schrieb, und
darinn seiner Jugend, oder noch jüngern männli-
chen Jahre gedachte C. 4, 12. schon vor 15 Jah-
ren zu Lystra zum Gehülfen am Evangelio zu sich
genommen hatte Apost. Gesch. 16, 1. 2. 3. Es
ersehen hieraus Eltern und Praeceptores, wie
auch Kinder und Schüler, ihre Pflicht, welche ist,
sich mit lehren und lernen die heilige Schrift son-
derlich empfohlen seyn zu lassen. O wie wenige
Eltern lehren, wie die Lois und Eunice gelehret
hatten, nemlich bey einwohnendem Glauben in
der heiligen Furcht GOttes und mit eigenem Ex-
empel. O wie wenige Kinder lernen also, wie
Timotheus gelernet hatte! Daher es von so vie-
len heißt: sie lernen immerdar, und können
nimmer zur Erkenntniß der Wahrheit
kommen.
C. 3, 7. Wie unverantwortlich es im
Pabstthum sey, den Leuten die Lesung der heiligen
Schrift zu untersagen, siehet man auch hieraus.
Denn wie würde Timotheus bey solcher Be-
schaffenheit sie von Jugend auf haben forschen
können?

9. So viel vom ersten Satze. Der
andere ist: Die heilige Schrift kan dich, und
einen ieden Menschen unterweisen zur Se-
ligkeit.
Sie, die Schriften, sind dunamena,
sie haben ein Vermögen, dunamin, eine Kraft:
nicht allein eine natürliche, wie alle bloß mensch-
liche Schriften, daß sie von einem der Grund-
sprache, oder Ubersetzung kundigen Leser nach der
Anweisung der Grammatic und Hermenevtic
zum buchstäblichen Begrif können verstanden
werden, und zu solchem Verstande dem Gemüthe
eine Vorstellung machen und einen Eindruck ge-
ben: sondern auch eine übernatürliche aus des
Heiligen Geistes, von dem sie eingegeben worden,
kräftigen Mitwirckung zur wahren Bekehrung,
und darinnen vorgehenden Anzündung des Glau-
bens und wahren Erleuchtung, auch Heiligung.
Denn sie ist nicht allein ein Wort, oder eine in
Schriften verfassete Rede, sondern auch ein
Wort des lebendigen und kräftig wirckenden
GOttes; da hingegen kein Mensch seinen bloß
menschlichen Worten eine solche Wirckung bey-
legen kan. Siehe auch Röm. 1, 16. da es von
dem Evangelio, es sey das schriftliche, oder münd-
liche, heißt, es sey eine Kraft GOttes zur Se-
ligkeit
allen Gläubigen. Und Jac. 1, 21. da von
dem Worte GOttes in der Ordnung, daß es in
unsere Seele gepflantzet ist, gesaget wird, daß
es uns selig machen könne.
Sonst hat man
von der Kraft des göttlichen Worts sonderlich
folgende Stellen zu erwegen Ps. 19, 8. u. f. Ps.
119. Jes. 55, 10. 11. Jer. 23, 22. 29. Matth. 13, 13.

Joh.

Erklaͤrung des andern Briefes Pauli C. 3. v. 15.
[Spaltenumbruch] desfals beſtrafet haben, ſondern nur allein des-
wegen, daß ſie den Verſtand des goͤttlichen ihnen
uͤbergebnen Worts vielfaͤltig verkehret, oder doch
nicht recht eingeſehen haben. So waren auch
ſo viel glaubwuͤrdige und ſichere Abſchriften von
dem im innern Theil des Tempels heiliglich ver-
wahreten Original genommen, daß es unmoͤg-
lich war, daß, wo auch iemand einige Verfaͤl-
ſchung haͤtte vornehmen wollen, dieſelbe durch alle
uͤbrige Exemplaria haͤtte gehen koͤnnen. Zu ge-
ſchweigen, was fuͤr eine groſſe Veneration die
alten Juͤden (wie auch die heutigen noch itzo) vor
der heiligen Schrift gehabt, daß ſie lieber ihr Le-
ben gelaſſen, als einige Veraͤnderung verſtattet,
oder ſelbſt unternommen haͤtten. Und wo nicht
dieſe Integritaͤt der ſaͤmtlichen Buͤcher zum
Grunde gelegen haͤtte, wuͤrde der Apoſtel mit
Chriſto ſich nicht ſo frey und freudig, ohne alle Er-
innerung, darauf bezogen haben.

6. Dieſe γράμματα, Schriften, heiſſen
nun [ἱ]ερὰ heilige, weil ſie durch den Heiligen
Geiſt
den Maͤnnern GOttes eingegeben worden,
und heilige zu unſerm ewigen Heyl gehoͤrige
Sachen in ſich halten: wie ſie denn auch von hei-
ligen Menſchen
aufgezeichnet worden, wie Pe-
trus Epiſt. 2. Cap. 1, 21. ſchreibet: die heiligen
Menſchen GOTTES haben gere-
det
(und alſo auch geſchrieben) getrieben von
dem Heiligen Geiſte.
Es iſt daher auch die
gantze Rede der heiligen Schrift durch und durch
alſo verfaſſet, daß man davor billig eine Ehrer-
bietung haben muß: dergleichen man von keiner
alten bloß menſchlichen Schrift ſagen kan. Jſt
nun aber die Schrift an ſich ihrem Urſprunge und
ihrem Jnnhalte, auch ihrem Stilo nach, ſo heilig
und venerabel; ſo ſoll ſie auch billig mit heili-
gen Hertzen
in Andacht zum heiligen Zweck
geleſen und betrachtet werden, und ſoll man auch
aͤuſſerlich mit dem Buche der Bibel ſelbſt ehrer-
bietig umgehen; zumal uns Chriſten nicht allein
die Juͤden ein gutes Exempel hierinn geben, ſon-
dern auch die Muhammedaner ſelbſt uns mit
ihrer, obwol falſchen, Ehrerbietung gegen den
Alcoran beſchaͤmen.

7. Von dieſer heiligen Schrift heißt es,
daß ſie Timotheus gewuſt: da denn dis Ver-
bum notitiæ,
ein auf die Erkenntniß gehendes
Wort, nach ſeinem rechten Nachdruck zu verſte-
hen iſt. Timotheus wuſte ſie alſo, daß er, was
er wuſte, recht lebendig erkannte und aus der
Verſiegelung des Heiligen Geiſtes, unter eig-
ner Erfahrung auch wahrhaftig glaubte; er wuſte
es aus der erleuchtenden Gnade GOttes zu einer
rechten geiſtlichen Beurtheilung. Wie denn,
was man in goͤttlichen Dingen aus der heiligen
Schrift nicht alſo weiß, man nicht recht, und
wie gar nicht weiß. Daher es koͤmmt, daß das
bloß buchſtaͤbliche aus natuͤrlichen Kraͤften ge-
ſchoͤpfte Erkenntniß GOttes in der heiligen
Schrift gar nicht fuͤr aͤcht erkannt, ſondern den
Unbekehrten und mit ſolcher Wiſſenſchaft inſtru-
ir
ten Menſchen die wahre Erkenntniß GOttes
abgeſprochen wird: wie ſonderlich an dem Exem-
pel der Phariſaͤer zu ſehen iſt. Matth. 23.

8. Timotheus wuſte die heilige Schrift
[Spaltenumbruch] ſchon ὰπὸ βρέ[fremdsprachliches Material]ους, von ſeiner zarten Kind-
heit an:
als darinnen er von ſeiner Mutter und
Großmutter war getreulich unterrichtet worden,
und recht auferzogen in dem Worte der
Wahrheit
1 Tim. 4, 6. 2 Tim. 1, 5. Und alſo
hatte er bald nach ſeiner Mutter-Milch die lautere
Milch des Evangelii dergeſtalt eingeſogen, daß er
dadurch mercklich zugenommen. Daher es ge-
kommen war, daß er ſchon in ſeinen noch ſehr
jungen Jahren, zu einem ſtarcken Juͤngling, ja
rechten Mann in Chriſto geworden, und Paulus
ihn, als er den erſten Brief an ihn ſchrieb, und
darinn ſeiner Jugend, oder noch juͤngern maͤnnli-
chen Jahre gedachte C. 4, 12. ſchon vor 15 Jah-
ren zu Lyſtra zum Gehuͤlfen am Evangelio zu ſich
genommen hatte Apoſt. Geſch. 16, 1. 2. 3. Es
erſehen hieraus Eltern und Præceptores, wie
auch Kinder und Schuͤler, ihre Pflicht, welche iſt,
ſich mit lehren und lernen die heilige Schrift ſon-
derlich empfohlen ſeyn zu laſſen. O wie wenige
Eltern lehren, wie die Lois und Eunice gelehret
hatten, nemlich bey einwohnendem Glauben in
der heiligen Furcht GOttes und mit eigenem Ex-
empel. O wie wenige Kinder lernen alſo, wie
Timotheus gelernet hatte! Daher es von ſo vie-
len heißt: ſie lernen immerdar, und koͤnnen
nimmer zur Erkenntniß der Wahrheit
kommen.
C. 3, 7. Wie unverantwortlich es im
Pabſtthum ſey, den Leuten die Leſung der heiligen
Schrift zu unterſagen, ſiehet man auch hieraus.
Denn wie wuͤrde Timotheus bey ſolcher Be-
ſchaffenheit ſie von Jugend auf haben forſchen
koͤnnen?

9. So viel vom erſten Satze. Der
andere iſt: Die heilige Schrift kan dich, und
einen ieden Menſchen unterweiſen zur Se-
ligkeit.
Sie, die Schriften, ſind δυνάμενα,
ſie haben ein Vermoͤgen, δύναμιν, eine Kraft:
nicht allein eine natuͤrliche, wie alle bloß menſch-
liche Schriften, daß ſie von einem der Grund-
ſprache, oder Uberſetzung kundigen Leſer nach der
Anweiſung der Grammatic und Hermenevtic
zum buchſtaͤblichen Begrif koͤnnen verſtanden
werden, und zu ſolchem Verſtande dem Gemuͤthe
eine Vorſtellung machen und einen Eindruck ge-
ben: ſondern auch eine uͤbernatuͤrliche aus des
Heiligen Geiſtes, von dem ſie eingegeben worden,
kraͤftigen Mitwirckung zur wahren Bekehrung,
und darinnen vorgehenden Anzuͤndung des Glau-
bens und wahren Erleuchtung, auch Heiligung.
Denn ſie iſt nicht allein ein Wort, oder eine in
Schriften verfaſſete Rede, ſondern auch ein
Wort des lebendigen und kraͤftig wirckenden
GOttes; da hingegen kein Menſch ſeinen bloß
menſchlichen Worten eine ſolche Wirckung bey-
legen kan. Siehe auch Roͤm. 1, 16. da es von
dem Evangelio, es ſey das ſchriftliche, oder muͤnd-
liche, heißt, es ſey eine Kraft GOttes zur Se-
ligkeit
allen Glaͤubigen. Und Jac. 1, 21. da von
dem Worte GOttes in der Ordnung, daß es in
unſere Seele gepflantzet iſt, geſaget wird, daß
es uns ſelig machen koͤnne.
Sonſt hat man
von der Kraft des goͤttlichen Worts ſonderlich
folgende Stellen zu erwegen Pſ. 19, 8. u. f. Pſ.
119. Jeſ. 55, 10. 11. Jer. 23, 22. 29. Matth. 13, 13.

Joh.
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[176/0178] Erklaͤrung des andern Briefes Pauli C. 3. v. 15. desfals beſtrafet haben, ſondern nur allein des- wegen, daß ſie den Verſtand des goͤttlichen ihnen uͤbergebnen Worts vielfaͤltig verkehret, oder doch nicht recht eingeſehen haben. So waren auch ſo viel glaubwuͤrdige und ſichere Abſchriften von dem im innern Theil des Tempels heiliglich ver- wahreten Original genommen, daß es unmoͤg- lich war, daß, wo auch iemand einige Verfaͤl- ſchung haͤtte vornehmen wollen, dieſelbe durch alle uͤbrige Exemplaria haͤtte gehen koͤnnen. Zu ge- ſchweigen, was fuͤr eine groſſe Veneration die alten Juͤden (wie auch die heutigen noch itzo) vor der heiligen Schrift gehabt, daß ſie lieber ihr Le- ben gelaſſen, als einige Veraͤnderung verſtattet, oder ſelbſt unternommen haͤtten. Und wo nicht dieſe Integritaͤt der ſaͤmtlichen Buͤcher zum Grunde gelegen haͤtte, wuͤrde der Apoſtel mit Chriſto ſich nicht ſo frey und freudig, ohne alle Er- innerung, darauf bezogen haben. 6. Dieſe γράμματα, Schriften, heiſſen nun ἱερὰ heilige, weil ſie durch den Heiligen Geiſt den Maͤnnern GOttes eingegeben worden, und heilige zu unſerm ewigen Heyl gehoͤrige Sachen in ſich halten: wie ſie denn auch von hei- ligen Menſchen aufgezeichnet worden, wie Pe- trus Epiſt. 2. Cap. 1, 21. ſchreibet: die heiligen Menſchen GOTTES haben gere- det (und alſo auch geſchrieben) getrieben von dem Heiligen Geiſte. Es iſt daher auch die gantze Rede der heiligen Schrift durch und durch alſo verfaſſet, daß man davor billig eine Ehrer- bietung haben muß: dergleichen man von keiner alten bloß menſchlichen Schrift ſagen kan. Jſt nun aber die Schrift an ſich ihrem Urſprunge und ihrem Jnnhalte, auch ihrem Stilo nach, ſo heilig und venerabel; ſo ſoll ſie auch billig mit heili- gen Hertzen in Andacht zum heiligen Zweck geleſen und betrachtet werden, und ſoll man auch aͤuſſerlich mit dem Buche der Bibel ſelbſt ehrer- bietig umgehen; zumal uns Chriſten nicht allein die Juͤden ein gutes Exempel hierinn geben, ſon- dern auch die Muhammedaner ſelbſt uns mit ihrer, obwol falſchen, Ehrerbietung gegen den Alcoran beſchaͤmen. 7. Von dieſer heiligen Schrift heißt es, daß ſie Timotheus gewuſt: da denn dis Ver- bum notitiæ, ein auf die Erkenntniß gehendes Wort, nach ſeinem rechten Nachdruck zu verſte- hen iſt. Timotheus wuſte ſie alſo, daß er, was er wuſte, recht lebendig erkannte und aus der Verſiegelung des Heiligen Geiſtes, unter eig- ner Erfahrung auch wahrhaftig glaubte; er wuſte es aus der erleuchtenden Gnade GOttes zu einer rechten geiſtlichen Beurtheilung. Wie denn, was man in goͤttlichen Dingen aus der heiligen Schrift nicht alſo weiß, man nicht recht, und wie gar nicht weiß. Daher es koͤmmt, daß das bloß buchſtaͤbliche aus natuͤrlichen Kraͤften ge- ſchoͤpfte Erkenntniß GOttes in der heiligen Schrift gar nicht fuͤr aͤcht erkannt, ſondern den Unbekehrten und mit ſolcher Wiſſenſchaft inſtru- irten Menſchen die wahre Erkenntniß GOttes abgeſprochen wird: wie ſonderlich an dem Exem- pel der Phariſaͤer zu ſehen iſt. Matth. 23. 8. Timotheus wuſte die heilige Schrift ſchon ὰπὸ βρέ_ ους, von ſeiner zarten Kind- heit an: als darinnen er von ſeiner Mutter und Großmutter war getreulich unterrichtet worden, und recht auferzogen in dem Worte der Wahrheit 1 Tim. 4, 6. 2 Tim. 1, 5. Und alſo hatte er bald nach ſeiner Mutter-Milch die lautere Milch des Evangelii dergeſtalt eingeſogen, daß er dadurch mercklich zugenommen. Daher es ge- kommen war, daß er ſchon in ſeinen noch ſehr jungen Jahren, zu einem ſtarcken Juͤngling, ja rechten Mann in Chriſto geworden, und Paulus ihn, als er den erſten Brief an ihn ſchrieb, und darinn ſeiner Jugend, oder noch juͤngern maͤnnli- chen Jahre gedachte C. 4, 12. ſchon vor 15 Jah- ren zu Lyſtra zum Gehuͤlfen am Evangelio zu ſich genommen hatte Apoſt. Geſch. 16, 1. 2. 3. Es erſehen hieraus Eltern und Præceptores, wie auch Kinder und Schuͤler, ihre Pflicht, welche iſt, ſich mit lehren und lernen die heilige Schrift ſon- derlich empfohlen ſeyn zu laſſen. O wie wenige Eltern lehren, wie die Lois und Eunice gelehret hatten, nemlich bey einwohnendem Glauben in der heiligen Furcht GOttes und mit eigenem Ex- empel. O wie wenige Kinder lernen alſo, wie Timotheus gelernet hatte! Daher es von ſo vie- len heißt: ſie lernen immerdar, und koͤnnen nimmer zur Erkenntniß der Wahrheit kommen. C. 3, 7. Wie unverantwortlich es im Pabſtthum ſey, den Leuten die Leſung der heiligen Schrift zu unterſagen, ſiehet man auch hieraus. Denn wie wuͤrde Timotheus bey ſolcher Be- ſchaffenheit ſie von Jugend auf haben forſchen koͤnnen? 9. So viel vom erſten Satze. Der andere iſt: Die heilige Schrift kan dich, und einen ieden Menſchen unterweiſen zur Se- ligkeit. Sie, die Schriften, ſind δυνάμενα, ſie haben ein Vermoͤgen, δύναμιν, eine Kraft: nicht allein eine natuͤrliche, wie alle bloß menſch- liche Schriften, daß ſie von einem der Grund- ſprache, oder Uberſetzung kundigen Leſer nach der Anweiſung der Grammatic und Hermenevtic zum buchſtaͤblichen Begrif koͤnnen verſtanden werden, und zu ſolchem Verſtande dem Gemuͤthe eine Vorſtellung machen und einen Eindruck ge- ben: ſondern auch eine uͤbernatuͤrliche aus des Heiligen Geiſtes, von dem ſie eingegeben worden, kraͤftigen Mitwirckung zur wahren Bekehrung, und darinnen vorgehenden Anzuͤndung des Glau- bens und wahren Erleuchtung, auch Heiligung. Denn ſie iſt nicht allein ein Wort, oder eine in Schriften verfaſſete Rede, ſondern auch ein Wort des lebendigen und kraͤftig wirckenden GOttes; da hingegen kein Menſch ſeinen bloß menſchlichen Worten eine ſolche Wirckung bey- legen kan. Siehe auch Roͤm. 1, 16. da es von dem Evangelio, es ſey das ſchriftliche, oder muͤnd- liche, heißt, es ſey eine Kraft GOttes zur Se- ligkeit allen Glaͤubigen. Und Jac. 1, 21. da von dem Worte GOttes in der Ordnung, daß es in unſere Seele gepflantzet iſt, geſaget wird, daß es uns ſelig machen koͤnne. Sonſt hat man von der Kraft des goͤttlichen Worts ſonderlich folgende Stellen zu erwegen Pſ. 19, 8. u. f. Pſ. 119. Jeſ. 55, 10. 11. Jer. 23, 22. 29. Matth. 13, 13. Joh.

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/178>, abgerufen am 25.11.2024.