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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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C. 6. v. 17. 18. 19. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]

6. Zwar ist Interesse von den ausgeliehe-
nen Capitalien zu nehmen an sich selbst so wenig
unzuläßig, als es Sünde ist, einem sein Haus
vermieten, oder seine Aecker verpachten: sintemal
es in der That auf eines ankömmt, es sey Geld,
oder Geldes werth. Allein es ist die durch Beyle-
gung der Interessen gesuchte Häufung der Capi-
tari
en sündlich, wenn es, wie es gewöhnlich ist,
mit Unterlassung gnugsamer Gutthätigkeit an die
Dürftigen geschiehet; als wozu die Interessen,
wenn sie ausser der Nothdurft einen ansehnlichen
Uberschuß haben von denen, die nicht unter Vor-
munden stehen, sondern sui juris sind, und mit
dem ihrigen thun können, was sie wollen, dem
Uberschusse nach zum wenigsten grossen Theils,
solten angewendet werden. Zu dem ist es der Lie-
be gegen Dürftige nicht gemäß, bey solchem
Uberfluß die Interessen auch von denen zu nehmen,
welche das vorgestreckte Capital nicht zu einiger
Erwerbung, sondern nur zu ihrer äussersten Noth-
durft aufgenommen haben, und es mit vieler
Schwierigkeit wieder aufbringen. Noch unbilli-
ger ist es, solche mit den Zinsen übersetzen und
unter der Hand auf diese und jene Art ein mehrers
nehmen, als die Landes-Constitution und das
Gewissen vor GOtt zuläßt. Solche Arten der
Interess-Nehmung gehören zu dem ungerechten
Wucher, der unter dem Fluche GOttes lieget.
Davon handelen unter anderen folgende Oerter:
2 B. Mos. 22, 25. Wenn du Geld leihest
meinem Volcke, das arm ist bey dir; solt
du ihn nicht zu Schaden dringen, und kei-
nen Wucher auf ihn treiben.
Siehe auch
3 B. Mos. 25, 35-37. 5 B. Mos. 23, 19, Ezech.
18, 8. 13. c. 22, 12. Und da David den 15ten Ps.
mit diesen Fragen anhebet: HErr, wer wird
wohnen in deiner Hütten? wer wird blei-
ben auf deinem heiligen Berge?
so heißts
unter andern v. 5. Wer sein Geld nicht auf
Wucher giebt
(nemlich auf solche unbesugte
Art) - - - wer das thut, der wird wohl
bleiben.

7. Bey dem Besitzen der zeitlichen Güter,
versündigen sich die Reichen, wenn sie wider die Er-
mahnung Davids Psalm. 62, 11. das Hertz
daran hangen,
GOttes und ihrer Seelen und
der für sie zu sammlenden geistlichen Güter darü-
ber vergessen, stoltz und übermüthig werden, und
darüber keine gute Haushalter zur Ehre GOttes
und zum Dienst des dürftigen Nächsten abge-
ben.

8. Kömmt es bey dem Reichen und zugleich
Geitzigen auch zum geben, oder mittheilen an
die Armen, so versündiget er sich auch auf man-
cherley Art; Denn er giebt entweder nicht wil-
lig und bald,
sondern nach langem Anhalten
und mit Unwillen; oder nicht oft, sondern nur
gar selten, und gedencket, was er für ein Werck
der Barmhertzigkeit ausgeübet habe, wenn er
einmal etwas dargereichet, und wie lange er nun
mit fernerm geben verschonet bleiben müsse: oder
er giebet nicht nach Proportion seines Ver-
mögens; sondern da er dem Dürftigen mit so
und so viel Groschen, oder auch Reichsthaler hel-
fen solte und könte, so thut ers kaum mit Pfenni-
[Spaltenumbruch] gen, oder Groschen: da es gewiß gegen gleiche
Gabe eines, der selbst nur seine Nothdurft hat,
nichts gerechnet ist. Endlich auch giebt er zwar
reichlich, aber mit der falschen Einbildung, daß
man dadurch eine reiche Wiedervergeltung, die
ewige Seligkeit, verdiene; da es vielmehr heißt:
wenn ihr alles gethan habt, was euch be-
fohlen ist, so sprecht: wir sind unnütze
Knechte, wir haben gethan, was wir zu
thun schuldig waren.
Luc. 17, 10.

9. Was Reiche zur Mildigkeit bewegen
soll gegen alle Nothleidende, sonderlich gegen
dürftige Glieder Christi, sind unter andern sonder-
lich folgende Gründe:

a. Der ernstliche Wille GOttes, der es so
vielfältig in seinem Worte befohlen hat. Siehe
ausser gegenwärtigem Orte unter andern son-
sonderlich Jes. 58, 7. u. f. welcher Wille
GOttes auch das Recht der Natur zum Grun-
de hat, da es heißt: Alles, was ihr wollet,
daß euch
(wenn ihr arm wäret) die Leute
thun sollen, das thut ihnen auch
Matth.
7, 12.
b. Die grosse Verheissung von der zwar
unverdienten, aber doch gewissen und
gnädigen Widervergeltung.
Davon
man sonderlich sehe Matth. 25, 34. u. f. und
1 Cor. 8. und 9. und also der gewisse Segen
GOttes sonderlich im Geistlichen; da auch das
Zeitliche selbst oft dadurch ein mehrers gedeyen
bekömmt. Und was ist es nicht in dieser Ver-
heissung für ein Gewicht, wenn es heißt, daß
man es Christo selbst gethan, was man seinen
dürftigen Gliedern erwiesen?
c. Die grosse Würde, die man davon hat, daß,
da alles Zeitliche zum Reiche der Natur ge-
höret und GOttes ist, man von GOtt zum
Haushalter über seine Güter gesetzet wor-
den: sintemal GOtt einem in solcher ad-
ministration
etwas von seinem Character,
nach welchem er eigentlich nicht nimt, son-
dern nur giebet, mittheilet. Daher es heißt,
daß geben seliger, oder vortreflicher sey, als
nehmen Ap. Gesch. 20, 35.
d. Die Fürbitte der Dürftigen, welche man
daher geniesset zu vielem Segen: nicht weni-
ger auch die Dancksagung, welche von diesen
zu GOtt aufsteiget, daß er die Hertzen zur Gut-
thätigkeit beweget habe. Und was kan vortref-
licher seyn, als sich in Demuth zum Lobe
GOttes unter denen finden, welche sich von
GOtt zur Mildigkeit erwecken lassen?
e. Der Segen, welcher dadurch auf zeitliche
Güter kömmt, daß sie nicht allein dem Besitzer
ohne Schaden an seiner Seele sind, sondern
auch denen, welchen man das übrige endlich zu-
rück läßt, so viel weniger zum Stricke wer-
den.
f. Der gewiße Fluch, der bey Unterlassung
der rechten
administration, davon die
reichliche Mittheilung das vornehmste Stück
ist, endlich gewiß erfolget, und sich auf
mancherley Art, auch oft noch in der Zeit her-
vor thut, sonderlich in den thörichten und schäd-
lichen Lüsten und in der grossen Unruhe des
Ge-
S 2
C. 6. v. 17. 18. 19. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]

6. Zwar iſt Intereſſe von den ausgeliehe-
nen Capitalien zu nehmen an ſich ſelbſt ſo wenig
unzulaͤßig, als es Suͤnde iſt, einem ſein Haus
vermieten, oder ſeine Aecker verpachten: ſintemal
es in der That auf eines ankoͤmmt, es ſey Geld,
oder Geldes werth. Allein es iſt die durch Beyle-
gung der Intereſſen geſuchte Haͤufung der Capi-
tari
en ſuͤndlich, wenn es, wie es gewoͤhnlich iſt,
mit Unterlaſſung gnugſamer Gutthaͤtigkeit an die
Duͤrftigen geſchiehet; als wozu die Intereſſen,
wenn ſie auſſer der Nothdurft einen anſehnlichen
Uberſchuß haben von denen, die nicht unter Vor-
munden ſtehen, ſondern ſui juris ſind, und mit
dem ihrigen thun koͤnnen, was ſie wollen, dem
Uberſchuſſe nach zum wenigſten groſſen Theils,
ſolten angewendet werden. Zu dem iſt es der Lie-
be gegen Duͤrftige nicht gemaͤß, bey ſolchem
Uberfluß die Intereſſen auch von denen zu nehmen,
welche das vorgeſtreckte Capital nicht zu einiger
Erwerbung, ſondern nur zu ihrer aͤuſſerſten Noth-
durft aufgenommen haben, und es mit vieler
Schwierigkeit wieder aufbringen. Noch unbilli-
ger iſt es, ſolche mit den Zinſen uͤberſetzen und
unter der Hand auf dieſe und jene Art ein mehrers
nehmen, als die Landes-Conſtitution und das
Gewiſſen vor GOtt zulaͤßt. Solche Arten der
Intereſſ-Nehmung gehoͤren zu dem ungerechten
Wucher, der unter dem Fluche GOttes lieget.
Davon handelen unter anderen folgende Oerter:
2 B. Moſ. 22, 25. Wenn du Geld leiheſt
meinem Volcke, das arm iſt bey dir; ſolt
du ihn nicht zu Schaden dringen, und kei-
nen Wucher auf ihn treiben.
Siehe auch
3 B. Moſ. 25, 35-37. 5 B. Moſ. 23, 19, Ezech.
18, 8. 13. c. 22, 12. Und da David den 15ten Pſ.
mit dieſen Fragen anhebet: HErr, wer wird
wohnen in deiner Huͤtten? wer wird blei-
ben auf deinem heiligen Berge?
ſo heißts
unter andern v. 5. Wer ſein Geld nicht auf
Wucher giebt
(nemlich auf ſolche unbeſugte
Art) ‒ ‒ ‒ wer das thut, der wird wohl
bleiben.

7. Bey dem Beſitzen der zeitlichen Guͤter,
verſuͤndigen ſich die Reichen, wenn ſie wider die Er-
mahnung Davids Pſalm. 62, 11. das Hertz
daran hangen,
GOttes und ihrer Seelen und
der fuͤr ſie zu ſammlenden geiſtlichen Guͤter daruͤ-
ber vergeſſen, ſtoltz und uͤbermuͤthig werden, und
daruͤber keine gute Haushalter zur Ehre GOttes
und zum Dienſt des duͤrftigen Naͤchſten abge-
ben.

8. Koͤmmt es bey dem Reichen und zugleich
Geitzigen auch zum geben, oder mittheilen an
die Armen, ſo verſuͤndiget er ſich auch auf man-
cherley Art; Denn er giebt entweder nicht wil-
lig und bald,
ſondern nach langem Anhalten
und mit Unwillen; oder nicht oft, ſondern nur
gar ſelten, und gedencket, was er fuͤr ein Werck
der Barmhertzigkeit ausgeuͤbet habe, wenn er
einmal etwas dargereichet, und wie lange er nun
mit fernerm geben verſchonet bleiben muͤſſe: oder
er giebet nicht nach Proportion ſeines Ver-
moͤgens; ſondern da er dem Duͤrftigen mit ſo
und ſo viel Groſchen, oder auch Reichsthaler hel-
fen ſolte und koͤnte, ſo thut ers kaum mit Pfenni-
[Spaltenumbruch] gen, oder Groſchen: da es gewiß gegen gleiche
Gabe eines, der ſelbſt nur ſeine Nothdurft hat,
nichts gerechnet iſt. Endlich auch giebt er zwar
reichlich, aber mit der falſchen Einbildung, daß
man dadurch eine reiche Wiedervergeltung, die
ewige Seligkeit, verdiene; da es vielmehr heißt:
wenn ihr alles gethan habt, was euch be-
fohlen iſt, ſo ſprecht: wir ſind unnuͤtze
Knechte, wir haben gethan, was wir zu
thun ſchuldig waren.
Luc. 17, 10.

9. Was Reiche zur Mildigkeit bewegen
ſoll gegen alle Nothleidende, ſonderlich gegen
duͤrftige Glieder Chriſti, ſind unter andern ſonder-
lich folgende Gruͤnde:

a. Der ernſtliche Wille GOttes, der es ſo
vielfaͤltig in ſeinem Worte befohlen hat. Siehe
auſſer gegenwaͤrtigem Orte unter andern ſon-
ſonderlich Jeſ. 58, 7. u. f. welcher Wille
GOttes auch das Recht der Natur zum Grun-
de hat, da es heißt: Alles, was ihr wollet,
daß euch
(wenn ihr arm waͤret) die Leute
thun ſollen, das thut ihnen auch
Matth.
7, 12.
b. Die groſſe Verheiſſung von der zwar
unverdienten, aber doch gewiſſen und
gnaͤdigen Widervergeltung.
Davon
man ſonderlich ſehe Matth. 25, 34. u. f. und
1 Cor. 8. und 9. und alſo der gewiſſe Segen
GOttes ſonderlich im Geiſtlichen; da auch das
Zeitliche ſelbſt oft dadurch ein mehrers gedeyen
bekoͤmmt. Und was iſt es nicht in dieſer Ver-
heiſſung fuͤr ein Gewicht, wenn es heißt, daß
man es Chriſto ſelbſt gethan, was man ſeinen
duͤrftigen Gliedern erwieſen?
c. Die groſſe Wuͤrde, die man davon hat, daß,
da alles Zeitliche zum Reiche der Natur ge-
hoͤret und GOttes iſt, man von GOtt zum
Haushalter uͤber ſeine Guͤter geſetzet wor-
den: ſintemal GOtt einem in ſolcher ad-
miniſtration
etwas von ſeinem Character,
nach welchem er eigentlich nicht nimt, ſon-
dern nur giebet, mittheilet. Daher es heißt,
daß geben ſeliger, oder vortreflicher ſey, als
nehmen Ap. Geſch. 20, 35.
d. Die Fuͤrbitte der Duͤrftigen, welche man
daher genieſſet zu vielem Segen: nicht weni-
ger auch die Danckſagung, welche von dieſen
zu GOtt aufſteiget, daß er die Hertzen zur Gut-
thaͤtigkeit beweget habe. Und was kan vortref-
licher ſeyn, als ſich in Demuth zum Lobe
GOttes unter denen finden, welche ſich von
GOtt zur Mildigkeit erwecken laſſen?
e. Der Segen, welcher dadurch auf zeitliche
Guͤter koͤmmt, daß ſie nicht allein dem Beſitzer
ohne Schaden an ſeiner Seele ſind, ſondern
auch denen, welchen man das uͤbrige endlich zu-
ruͤck laͤßt, ſo viel weniger zum Stricke wer-
den.
f. Der gewiße Fluch, der bey Unterlaſſung
der rechten
adminiſtration, davon die
reichliche Mittheilung das vornehmſte Stuͤck
iſt, endlich gewiß erfolget, und ſich auf
mancherley Art, auch oft noch in der Zeit her-
vor thut, ſonderlich in den thoͤrichten und ſchaͤd-
lichen Luͤſten und in der groſſen Unruhe des
Ge-
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[139/0141] C. 6. v. 17. 18. 19. an den Timotheum. 6. Zwar iſt Intereſſe von den ausgeliehe- nen Capitalien zu nehmen an ſich ſelbſt ſo wenig unzulaͤßig, als es Suͤnde iſt, einem ſein Haus vermieten, oder ſeine Aecker verpachten: ſintemal es in der That auf eines ankoͤmmt, es ſey Geld, oder Geldes werth. Allein es iſt die durch Beyle- gung der Intereſſen geſuchte Haͤufung der Capi- tarien ſuͤndlich, wenn es, wie es gewoͤhnlich iſt, mit Unterlaſſung gnugſamer Gutthaͤtigkeit an die Duͤrftigen geſchiehet; als wozu die Intereſſen, wenn ſie auſſer der Nothdurft einen anſehnlichen Uberſchuß haben von denen, die nicht unter Vor- munden ſtehen, ſondern ſui juris ſind, und mit dem ihrigen thun koͤnnen, was ſie wollen, dem Uberſchuſſe nach zum wenigſten groſſen Theils, ſolten angewendet werden. Zu dem iſt es der Lie- be gegen Duͤrftige nicht gemaͤß, bey ſolchem Uberfluß die Intereſſen auch von denen zu nehmen, welche das vorgeſtreckte Capital nicht zu einiger Erwerbung, ſondern nur zu ihrer aͤuſſerſten Noth- durft aufgenommen haben, und es mit vieler Schwierigkeit wieder aufbringen. Noch unbilli- ger iſt es, ſolche mit den Zinſen uͤberſetzen und unter der Hand auf dieſe und jene Art ein mehrers nehmen, als die Landes-Conſtitution und das Gewiſſen vor GOtt zulaͤßt. Solche Arten der Intereſſ-Nehmung gehoͤren zu dem ungerechten Wucher, der unter dem Fluche GOttes lieget. Davon handelen unter anderen folgende Oerter: 2 B. Moſ. 22, 25. Wenn du Geld leiheſt meinem Volcke, das arm iſt bey dir; ſolt du ihn nicht zu Schaden dringen, und kei- nen Wucher auf ihn treiben. Siehe auch 3 B. Moſ. 25, 35-37. 5 B. Moſ. 23, 19, Ezech. 18, 8. 13. c. 22, 12. Und da David den 15ten Pſ. mit dieſen Fragen anhebet: HErr, wer wird wohnen in deiner Huͤtten? wer wird blei- ben auf deinem heiligen Berge? ſo heißts unter andern v. 5. Wer ſein Geld nicht auf Wucher giebt (nemlich auf ſolche unbeſugte Art) ‒ ‒ ‒ wer das thut, der wird wohl bleiben. 7. Bey dem Beſitzen der zeitlichen Guͤter, verſuͤndigen ſich die Reichen, wenn ſie wider die Er- mahnung Davids Pſalm. 62, 11. das Hertz daran hangen, GOttes und ihrer Seelen und der fuͤr ſie zu ſammlenden geiſtlichen Guͤter daruͤ- ber vergeſſen, ſtoltz und uͤbermuͤthig werden, und daruͤber keine gute Haushalter zur Ehre GOttes und zum Dienſt des duͤrftigen Naͤchſten abge- ben. 8. Koͤmmt es bey dem Reichen und zugleich Geitzigen auch zum geben, oder mittheilen an die Armen, ſo verſuͤndiget er ſich auch auf man- cherley Art; Denn er giebt entweder nicht wil- lig und bald, ſondern nach langem Anhalten und mit Unwillen; oder nicht oft, ſondern nur gar ſelten, und gedencket, was er fuͤr ein Werck der Barmhertzigkeit ausgeuͤbet habe, wenn er einmal etwas dargereichet, und wie lange er nun mit fernerm geben verſchonet bleiben muͤſſe: oder er giebet nicht nach Proportion ſeines Ver- moͤgens; ſondern da er dem Duͤrftigen mit ſo und ſo viel Groſchen, oder auch Reichsthaler hel- fen ſolte und koͤnte, ſo thut ers kaum mit Pfenni- gen, oder Groſchen: da es gewiß gegen gleiche Gabe eines, der ſelbſt nur ſeine Nothdurft hat, nichts gerechnet iſt. Endlich auch giebt er zwar reichlich, aber mit der falſchen Einbildung, daß man dadurch eine reiche Wiedervergeltung, die ewige Seligkeit, verdiene; da es vielmehr heißt: wenn ihr alles gethan habt, was euch be- fohlen iſt, ſo ſprecht: wir ſind unnuͤtze Knechte, wir haben gethan, was wir zu thun ſchuldig waren. Luc. 17, 10. 9. Was Reiche zur Mildigkeit bewegen ſoll gegen alle Nothleidende, ſonderlich gegen duͤrftige Glieder Chriſti, ſind unter andern ſonder- lich folgende Gruͤnde: a. Der ernſtliche Wille GOttes, der es ſo vielfaͤltig in ſeinem Worte befohlen hat. Siehe auſſer gegenwaͤrtigem Orte unter andern ſon- ſonderlich Jeſ. 58, 7. u. f. welcher Wille GOttes auch das Recht der Natur zum Grun- de hat, da es heißt: Alles, was ihr wollet, daß euch (wenn ihr arm waͤret) die Leute thun ſollen, das thut ihnen auch Matth. 7, 12. b. Die groſſe Verheiſſung von der zwar unverdienten, aber doch gewiſſen und gnaͤdigen Widervergeltung. Davon man ſonderlich ſehe Matth. 25, 34. u. f. und 1 Cor. 8. und 9. und alſo der gewiſſe Segen GOttes ſonderlich im Geiſtlichen; da auch das Zeitliche ſelbſt oft dadurch ein mehrers gedeyen bekoͤmmt. Und was iſt es nicht in dieſer Ver- heiſſung fuͤr ein Gewicht, wenn es heißt, daß man es Chriſto ſelbſt gethan, was man ſeinen duͤrftigen Gliedern erwieſen? c. Die groſſe Wuͤrde, die man davon hat, daß, da alles Zeitliche zum Reiche der Natur ge- hoͤret und GOttes iſt, man von GOtt zum Haushalter uͤber ſeine Guͤter geſetzet wor- den: ſintemal GOtt einem in ſolcher ad- miniſtration etwas von ſeinem Character, nach welchem er eigentlich nicht nimt, ſon- dern nur giebet, mittheilet. Daher es heißt, daß geben ſeliger, oder vortreflicher ſey, als nehmen Ap. Geſch. 20, 35. d. Die Fuͤrbitte der Duͤrftigen, welche man daher genieſſet zu vielem Segen: nicht weni- ger auch die Danckſagung, welche von dieſen zu GOtt aufſteiget, daß er die Hertzen zur Gut- thaͤtigkeit beweget habe. Und was kan vortref- licher ſeyn, als ſich in Demuth zum Lobe GOttes unter denen finden, welche ſich von GOtt zur Mildigkeit erwecken laſſen? e. Der Segen, welcher dadurch auf zeitliche Guͤter koͤmmt, daß ſie nicht allein dem Beſitzer ohne Schaden an ſeiner Seele ſind, ſondern auch denen, welchen man das uͤbrige endlich zu- ruͤck laͤßt, ſo viel weniger zum Stricke wer- den. f. Der gewiße Fluch, der bey Unterlaſſung der rechten adminiſtration, davon die reichliche Mittheilung das vornehmſte Stuͤck iſt, endlich gewiß erfolget, und ſich auf mancherley Art, auch oft noch in der Zeit her- vor thut, ſonderlich in den thoͤrichten und ſchaͤd- lichen Luͤſten und in der groſſen Unruhe des Ge- S 2

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/141>, abgerufen am 27.11.2024.