Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap 1, v. 24-27. [Spaltenumbruch]
in diesem Leben seyn en Khristo, sich in CHristoerfinden lassen, wie er so oft spricht, und also, um in ihm selig sterben zu können, auch in ihm vorher erfunden werden. 4. Wird man des wahren Christenthums schon im gantzen Leben froh, also daß man sich bey allen Zufällen zu rathen und zu helfen weiß: so äussert sich solches erst recht bey dem Tode. Und also hat die Christliche Religion darinn ei- nen recht göttlichen Character in sich, daß sie ei- nen zum Sterben so geschickt, so willig und so freudig machet. 5. Es hat manche gläubige Seele vor an- dern eine natürliche Furcht vor dem Tode, und findet sich daher bey dem Andencken ihres künftigen Abschiedes ofte etwas beängstiget, al- so daß sie mit Paulo nicht sagen kan: Jch ha- be Lust abzuscheiden; oder daß sie doch diese Lust mit vieler Unlust vermenget findet. Wenn sie aber nur sonst wahrhaftig in CHristo ist, so hat sie ihre Todes-Furcht nur GOTT zu be- fehlen: welcher sie, wenn es zum Sterben kömmt, dergestalt weg zu nehmen pfleget, daß davon nichts übrig bleibet: wie man an manchen Seelen erfähret. 6. Die Lust in der Seele ist kein Mit- telding, welches weder böse noch gut sey, son- dern sie ist eine solche Empfindung, welche al- lerdinge nach ihrer Beschaffenheit entweder un- rein und sündlich, oder heilig ist. Jst sie in einem Glaubigen, und zwar von der Art, daß sie vom neuen Menschen kömmt, oder doch sonst nur von der Gnade in der Furcht GOttes wohl geordnet ist, so ist und wird sie geheiliget und ist gut: wo aber nicht, so ist sie böse und sünd- lich, sie mag in ihrer Regung und in ihrem Ausbruche gemäßiget, oder unmäßig seyn. V. 25. 26. Und in guter Zuversicht weiß ich, Anmerckungen. 1. Diese zuversichtliche Hoffnung ist auch wircklich erfüllet, wie man aus Pauli Lebens- Lauf siehet: sintemal er von dem Jahre CHri- sti 62. an bis an 67. ohngefehr hindurch noch einen grossen Zug nach Orient und Griechenland gethan: da er ohne Zweifel auch nach Philip- pen gekommen ist. Wie lange er sich aber da- selbst aufgehalten habe, und was alda bey sei- ner Gegenwart vorgefallen sey, das ist unbe- kant: aber das ist wol gewiß, daß er nach sei- ner davon gehabten Versicherung alda in vielem Segen gewesen sey. 2. So wohl die glaubigen Philipper auch bereits in ihrem Christenthum gegründet wa- [Spaltenumbruch] ren, und so wohl sie darinn zugenommen hat- ten, so sehr gehet doch Paulus auf einen noch mehrern Wachsthum. Welches diejenigen wohl zu mercken haben, welche immer in ihrem ersten Anfange stehen bleiben, und zu keiner rechten Kraft eindringen. Diejenigen aber, welche sich, wenn sie vom rechtschafnen Chri- stenthum hören, mit der menschlichen Schwach- heit und Unvollkommenheit entschuldigen, geben damit deutlich genug zu verstehen, daß es ihnen auch noch am ersten Anfange fehlet. 3. Das Wort prokope, Förderung, Fort- gang, Zunehmen, gehet so wol auf das Wort vom Glauben, als von der Freude. Denn weil der Glaube das Haupt-Werck im gantzen Christenthum ist, welches GOTT nach c. 1. v. 6. in den Philippern schon vorlängst angefan- gen hatte, so solte auch ihr Wachsthum zuvor- derst darinn bestehen. Denn von dem Glauben vertheilet es sich in alle übrige Stücke des Chri- stenthums. 4. Der rechte Wachsthum des Glau- bens führet denn auch die Freude, und zwar auch eine immer mehrere, mit sich. Denn ie stärcker der Glaube wird, ie stärcker wird dar- inn der Genuß aller durch den Glauben geschenck- ten und ergriffenen Heils-Güter. Wo aber der ist, da entstehet eine innige Vergnügung darüber. Es ist auch der Glaube an sich selbst schon recht erfreulich, und machet freudig, wenn man sich dadurch von der Gnade GOttes versichert hält. Und was der Apostel von der Freude des Glaubens gesaget hatte, das erläu- tert er, um des in solchen Worten liegenden Nachdrucks willen, mit den Worten von dem mehrern Ruhm, oder der mehrern Heiligkeit in CHristo, dazu sie durch seine Zukunft gelangen würden. 5. Ein rechtschafner Lehrer kömmt nie- mals zu seinen Zuhörern, zumal denen, welche er seltener spricht, daß er nicht ihre Stärckung im Guten, oder auch ihre erste E[r]weckung mit allem Fleisse suchen solte: gleichwie auch wohl- gesinnete Zuhörer sich des Zuspruchs und der Gegenwart ihres Lehrers gerne zu ihrem meh- rern Wachsthum bedienen. V. 27. Wandelt nur würdiglich dem Evan- Anmerckungen. 1. Nach dem Griechischen Texte gehören die Worte mia psukhe, mit einer Seele, nicht zu dem vorhergehenden Worte stekete, stehet, sondern zu dem folgenden kämpfet: doch gehet dem Verstande selbst dadurch nichts, oder doch wenig, ab. 2. Das Wort Evangelium stehet bey sei- ner Haupt-Bedeutung alhier in einem etwas weitern Verstande von der gantzen Christlichen Religion und dem Christenthum, welches nebst dem
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap 1, v. 24-27. [Spaltenumbruch]
in dieſem Leben ſeyn ἐν Χριστῷ, ſich in CHriſtoerfinden laſſen, wie er ſo oft ſpricht, und alſo, um in ihm ſelig ſterben zu koͤnnen, auch in ihm vorher erfunden werden. 4. Wird man des wahren Chriſtenthums ſchon im gantzen Leben froh, alſo daß man ſich bey allen Zufaͤllen zu rathen und zu helfen weiß: ſo aͤuſſert ſich ſolches erſt recht bey dem Tode. Und alſo hat die Chriſtliche Religion darinn ei- nen recht goͤttlichen Character in ſich, daß ſie ei- nen zum Sterben ſo geſchickt, ſo willig und ſo freudig machet. 5. Es hat manche glaͤubige Seele vor an- dern eine natuͤrliche Furcht vor dem Tode, und findet ſich daher bey dem Andencken ihres kuͤnftigen Abſchiedes ofte etwas beaͤngſtiget, al- ſo daß ſie mit Paulo nicht ſagen kan: Jch ha- be Luſt abzuſcheiden; oder daß ſie doch dieſe Luſt mit vieler Unluſt vermenget findet. Wenn ſie aber nur ſonſt wahrhaftig in CHriſto iſt, ſo hat ſie ihre Todes-Furcht nur GOTT zu be- fehlen: welcher ſie, wenn es zum Sterben koͤmmt, dergeſtalt weg zu nehmen pfleget, daß davon nichts uͤbrig bleibet: wie man an manchen Seelen erfaͤhret. 6. Die Luſt in der Seele iſt kein Mit- telding, welches weder boͤſe noch gut ſey, ſon- dern ſie iſt eine ſolche Empfindung, welche al- lerdinge nach ihrer Beſchaffenheit entweder un- rein und ſuͤndlich, oder heilig iſt. Jſt ſie in einem Glaubigen, und zwar von der Art, daß ſie vom neuen Menſchen koͤmmt, oder doch ſonſt nur von der Gnade in der Furcht GOttes wohl geordnet iſt, ſo iſt und wird ſie geheiliget und iſt gut: wo aber nicht, ſo iſt ſie boͤſe und ſuͤnd- lich, ſie mag in ihrer Regung und in ihrem Ausbruche gemaͤßiget, oder unmaͤßig ſeyn. V. 25. 26. Und in guter Zuverſicht weiß ich, Anmerckungen. 1. Dieſe zuverſichtliche Hoffnung iſt auch wircklich erfuͤllet, wie man aus Pauli Lebens- Lauf ſiehet: ſintemal er von dem Jahre CHri- ſti 62. an bis an 67. ohngefehr hindurch noch einen groſſen Zug nach Orient und Griechenland gethan: da er ohne Zweifel auch nach Philip- pen gekommen iſt. Wie lange er ſich aber da- ſelbſt aufgehalten habe, und was alda bey ſei- ner Gegenwart vorgefallen ſey, das iſt unbe- kant: aber das iſt wol gewiß, daß er nach ſei- ner davon gehabten Verſicherung alda in vielem Segen geweſen ſey. 2. So wohl die glaubigen Philipper auch bereits in ihrem Chriſtenthum gegruͤndet wa- [Spaltenumbruch] ren, und ſo wohl ſie darinn zugenommen hat- ten, ſo ſehr gehet doch Paulus auf einen noch mehrern Wachsthum. Welches diejenigen wohl zu mercken haben, welche immer in ihrem erſten Anfange ſtehen bleiben, und zu keiner rechten Kraft eindringen. Diejenigen aber, welche ſich, wenn ſie vom rechtſchafnen Chri- ſtenthum hoͤren, mit der menſchlichen Schwach- heit und Unvollkommenheit entſchuldigen, geben damit deutlich genug zu verſtehen, daß es ihnen auch noch am erſten Anfange fehlet. 3. Das Wort προκοπὴ, Foͤrderung, Fort- gang, Zunehmen, gehet ſo wol auf das Wort vom Glauben, als von der Freude. Denn weil der Glaube das Haupt-Werck im gantzen Chriſtenthum iſt, welches GOTT nach c. 1. v. 6. in den Philippern ſchon vorlaͤngſt angefan- gen hatte, ſo ſolte auch ihr Wachsthum zuvor- derſt darinn beſtehen. Denn von dem Glauben vertheilet es ſich in alle uͤbrige Stuͤcke des Chri- ſtenthums. 4. Der rechte Wachsthum des Glau- bens fuͤhret denn auch die Freude, und zwar auch eine immer mehrere, mit ſich. Denn ie ſtaͤrcker der Glaube wird, ie ſtaͤrcker wird dar- inn der Genuß aller durch den Glauben geſchenck- ten und ergriffenen Heils-Guͤter. Wo aber der iſt, da entſtehet eine innige Vergnuͤgung daruͤber. Es iſt auch der Glaube an ſich ſelbſt ſchon recht erfreulich, und machet freudig, wenn man ſich dadurch von der Gnade GOttes verſichert haͤlt. Und was der Apoſtel von der Freude des Glaubens geſaget hatte, das erlaͤu- tert er, um des in ſolchen Worten liegenden Nachdrucks willen, mit den Worten von dem mehrern Ruhm, oder der mehrern Heiligkeit in CHriſto, dazu ſie durch ſeine Zukunft gelangen wuͤrden. 5. Ein rechtſchafner Lehrer koͤmmt nie- mals zu ſeinen Zuhoͤrern, zumal denen, welche er ſeltener ſpricht, daß er nicht ihre Staͤrckung im Guten, oder auch ihre erſte E[r]weckung mit allem Fleiſſe ſuchen ſolte: gleichwie auch wohl- geſinnete Zuhoͤrer ſich des Zuſpruchs und der Gegenwart ihres Lehrers gerne zu ihrem meh- rern Wachsthum bedienen. V. 27. Wandelt nur wuͤrdiglich dem Evan- Anmerckungen. 1. Nach dem Griechiſchen Texte gehoͤren die Worte μιᾷ ψυχῇ, mit einer Seele, nicht zu dem vorhergehenden Worte στήκετε, ſtehet, ſondern zu dem folgenden kaͤmpfet: doch gehet dem Verſtande ſelbſt dadurch nichts, oder doch wenig, ab. 2. Das Wort Evangelium ſtehet bey ſei- ner Haupt-Bedeutung alhier in einem etwas weitern Verſtande von der gantzen Chriſtlichen Religion und dem Chriſtenthum, welches nebſt dem
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <list> <item><pb facs="#f0730" n="702"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erklaͤrung des Briefs Pauli <hi rendition="#et">Cap 1, v. 24-27.</hi></hi></fw><lb/><cb/> in dieſem Leben ſeyn ἐν Χριστῷ, ſich in CHriſto<lb/> erfinden laſſen, wie er ſo oft ſpricht, und alſo,<lb/> um <hi rendition="#fr">in ihm</hi> ſelig ſterben zu koͤnnen, auch <hi rendition="#fr">in ihm</hi><lb/> vorher erfunden werden.</item><lb/> <item>4. Wird man des wahren Chriſtenthums<lb/> ſchon im gantzen Leben froh, alſo daß man ſich<lb/> bey allen Zufaͤllen zu rathen und zu helfen weiß:<lb/> ſo aͤuſſert ſich ſolches erſt recht bey dem Tode.<lb/> Und alſo hat die Chriſtliche Religion darinn ei-<lb/> nen recht goͤttlichen <hi rendition="#aq">Character</hi> in ſich, daß ſie ei-<lb/> nen zum Sterben ſo geſchickt, ſo willig und ſo<lb/> freudig machet.</item><lb/> <item>5. Es hat manche glaͤubige Seele vor an-<lb/> dern eine natuͤrliche <hi rendition="#fr">Furcht vor dem Tode,</hi><lb/> und findet ſich daher bey dem Andencken ihres<lb/> kuͤnftigen Abſchiedes ofte etwas beaͤngſtiget, al-<lb/> ſo daß ſie mit Paulo nicht ſagen kan: <hi rendition="#fr">Jch ha-<lb/> be Luſt abzuſcheiden;</hi> oder daß ſie doch dieſe<lb/> Luſt mit vieler Unluſt vermenget findet. Wenn<lb/> ſie aber nur ſonſt wahrhaftig in CHriſto iſt, ſo<lb/> hat ſie ihre Todes-Furcht nur GOTT zu be-<lb/> fehlen: welcher ſie, wenn es zum Sterben<lb/> koͤmmt, dergeſtalt weg zu nehmen pfleget, daß<lb/> davon nichts uͤbrig bleibet: wie man an manchen<lb/> Seelen erfaͤhret.</item><lb/> <item>6. Die <hi rendition="#fr">Luſt</hi> in der Seele iſt kein <hi rendition="#fr">Mit-<lb/> telding,</hi> welches weder boͤſe noch gut ſey, ſon-<lb/> dern ſie iſt eine ſolche Empfindung, welche al-<lb/> lerdinge nach ihrer Beſchaffenheit entweder un-<lb/> rein und ſuͤndlich, oder heilig iſt. Jſt ſie in<lb/> einem Glaubigen, und zwar von der Art, daß<lb/> ſie vom neuen Menſchen koͤmmt, oder doch ſonſt<lb/> nur von der Gnade in der Furcht GOttes wohl<lb/> geordnet iſt, ſo iſt und wird ſie geheiliget und<lb/> iſt gut: wo aber nicht, ſo iſt ſie boͤſe und ſuͤnd-<lb/> lich, ſie mag in ihrer Regung und in ihrem<lb/> Ausbruche gemaͤßiget, oder unmaͤßig ſeyn.</item> </list> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head>V. 25. 26.</head><lb/> <p><hi rendition="#fr">Und in guter Zuverſicht weiß ich,</hi><lb/> (τοῦτο dieſes,) <hi rendition="#fr">daß ich</hi> (im Fleiſche noch laͤn-<lb/> ger) <hi rendition="#fr">bleiben und bey euch allen</hi> (nach mei-<lb/> ner Ankunft) <hi rendition="#fr">ſeyn werde, euch zur Foͤrde-<lb/> rung und zur Freude des Glaubens: auf<lb/> daß ihr euch ſehr ruͤhmen</hi> (zu einer groſſen<lb/> Freudigkeit gelangen) <hi rendition="#fr">moͤget in CHriſto JE-<lb/> ſu an mir,</hi> (meinet halber und uͤber der durch<lb/> meinen Dienſt empfangenen Glaubens-Staͤr-<lb/> ckung,) <hi rendition="#fr">durch meine Zukunft wieder zu<lb/> euch.</hi></p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Dieſe zuverſichtliche Hoffnung iſt auch<lb/> wircklich erfuͤllet, wie man aus Pauli Lebens-<lb/> Lauf ſiehet: ſintemal er von dem Jahre CHri-<lb/> ſti 62. an bis an 67. ohngefehr hindurch noch<lb/> einen groſſen Zug nach Orient und Griechenland<lb/> gethan: da er ohne Zweifel auch nach Philip-<lb/> pen gekommen iſt. Wie lange er ſich aber da-<lb/> ſelbſt aufgehalten habe, und was alda bey ſei-<lb/> ner Gegenwart vorgefallen ſey, das iſt unbe-<lb/> kant: aber das iſt wol gewiß, daß er nach ſei-<lb/> ner davon gehabten Verſicherung alda in vielem<lb/> Segen geweſen ſey.</item><lb/> <item>2. So wohl die glaubigen Philipper auch<lb/> bereits in ihrem Chriſtenthum gegruͤndet wa-<lb/><cb/> ren, und ſo wohl ſie darinn zugenommen hat-<lb/> ten, ſo ſehr gehet doch Paulus auf einen noch<lb/> mehrern Wachsthum. Welches diejenigen<lb/> wohl zu mercken haben, welche immer in ihrem<lb/> erſten Anfange ſtehen bleiben, und zu keiner<lb/> rechten Kraft eindringen. Diejenigen aber,<lb/> welche ſich, wenn ſie vom rechtſchafnen Chri-<lb/> ſtenthum hoͤren, mit der menſchlichen <hi rendition="#fr">Schwach-<lb/> heit</hi> und <hi rendition="#fr">Unvollkommenheit</hi> entſchuldigen,<lb/> geben damit deutlich genug zu verſtehen, daß<lb/> es ihnen auch noch am erſten Anfange fehlet.</item><lb/> <item>3. Das Wort προκοπὴ, <hi rendition="#fr">Foͤrderung,</hi> Fort-<lb/> gang, Zunehmen, gehet ſo wol auf das Wort<lb/> vom Glauben, als von der Freude. Denn<lb/> weil der Glaube das Haupt-Werck im gantzen<lb/> Chriſtenthum iſt, welches GOTT nach c. 1. v.<lb/> 6. in den Philippern ſchon vorlaͤngſt angefan-<lb/> gen hatte, ſo ſolte auch ihr Wachsthum zuvor-<lb/> derſt darinn beſtehen. Denn von dem Glauben<lb/> vertheilet es ſich in alle uͤbrige Stuͤcke des Chri-<lb/> ſtenthums.</item><lb/> <item>4. Der rechte Wachsthum des <hi rendition="#fr">Glau-<lb/> bens</hi> fuͤhret denn auch die <hi rendition="#fr">Freude,</hi> und zwar<lb/> auch eine immer mehrere, mit ſich. Denn ie<lb/> ſtaͤrcker der Glaube wird, ie ſtaͤrcker wird dar-<lb/> inn der Genuß aller durch den Glauben geſchenck-<lb/> ten und ergriffenen Heils-Guͤter. Wo aber<lb/> der iſt, da entſtehet eine innige Vergnuͤgung<lb/> daruͤber. Es iſt auch der Glaube an ſich ſelbſt<lb/> ſchon recht erfreulich, und machet freudig,<lb/> wenn man ſich dadurch von der Gnade GOttes<lb/> verſichert haͤlt. Und was der Apoſtel von der<lb/> Freude des Glaubens geſaget hatte, das erlaͤu-<lb/> tert er, um des in ſolchen Worten liegenden<lb/> Nachdrucks willen, mit den Worten von dem<lb/> mehrern Ruhm, oder der mehrern Heiligkeit in<lb/> CHriſto, dazu ſie durch ſeine Zukunft gelangen<lb/> wuͤrden.</item><lb/> <item>5. Ein rechtſchafner Lehrer koͤmmt nie-<lb/> mals zu ſeinen Zuhoͤrern, zumal denen, welche<lb/> er ſeltener ſpricht, daß er nicht ihre Staͤrckung<lb/> im Guten, oder auch ihre erſte E<supplied>r</supplied>weckung mit<lb/> allem Fleiſſe ſuchen ſolte: gleichwie auch wohl-<lb/> geſinnete Zuhoͤrer ſich des Zuſpruchs und der<lb/> Gegenwart ihres Lehrers gerne zu ihrem meh-<lb/> rern Wachsthum bedienen.</item> </list> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head>V. 27.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Wandelt nur wuͤrdiglich dem Evan-<lb/> gelio CHriſti, auf daß, ob ich komme und<lb/> ſehe euch, oder abweſend von euch hoͤre,<lb/> daß ihr ſtehet in einem Geiſte, und in ei-<lb/> ner Seele und ſamt uns kaͤmpfet fuͤr den<lb/> Glauben des Evangelii.</hi> </p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Nach dem Griechiſchen Texte gehoͤren<lb/> die Worte μιᾷ ψυχῇ, <hi rendition="#fr">mit einer Seele,</hi> nicht<lb/> zu dem vorhergehenden Worte στήκετε, <hi rendition="#fr">ſtehet,</hi><lb/> ſondern zu dem folgenden <hi rendition="#fr">kaͤmpfet:</hi> doch gehet<lb/> dem Verſtande ſelbſt dadurch nichts, oder doch<lb/> wenig, ab.</item><lb/> <item>2. Das Wort Evangelium ſtehet bey ſei-<lb/> ner Haupt-Bedeutung alhier in einem etwas<lb/> weitern Verſtande von der gantzen Chriſtlichen<lb/> Religion und dem Chriſtenthum, welches nebſt<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [702/0730]
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap 1, v. 24-27.
in dieſem Leben ſeyn ἐν Χριστῷ, ſich in CHriſto
erfinden laſſen, wie er ſo oft ſpricht, und alſo,
um in ihm ſelig ſterben zu koͤnnen, auch in ihm
vorher erfunden werden.
4. Wird man des wahren Chriſtenthums
ſchon im gantzen Leben froh, alſo daß man ſich
bey allen Zufaͤllen zu rathen und zu helfen weiß:
ſo aͤuſſert ſich ſolches erſt recht bey dem Tode.
Und alſo hat die Chriſtliche Religion darinn ei-
nen recht goͤttlichen Character in ſich, daß ſie ei-
nen zum Sterben ſo geſchickt, ſo willig und ſo
freudig machet.
5. Es hat manche glaͤubige Seele vor an-
dern eine natuͤrliche Furcht vor dem Tode,
und findet ſich daher bey dem Andencken ihres
kuͤnftigen Abſchiedes ofte etwas beaͤngſtiget, al-
ſo daß ſie mit Paulo nicht ſagen kan: Jch ha-
be Luſt abzuſcheiden; oder daß ſie doch dieſe
Luſt mit vieler Unluſt vermenget findet. Wenn
ſie aber nur ſonſt wahrhaftig in CHriſto iſt, ſo
hat ſie ihre Todes-Furcht nur GOTT zu be-
fehlen: welcher ſie, wenn es zum Sterben
koͤmmt, dergeſtalt weg zu nehmen pfleget, daß
davon nichts uͤbrig bleibet: wie man an manchen
Seelen erfaͤhret.
6. Die Luſt in der Seele iſt kein Mit-
telding, welches weder boͤſe noch gut ſey, ſon-
dern ſie iſt eine ſolche Empfindung, welche al-
lerdinge nach ihrer Beſchaffenheit entweder un-
rein und ſuͤndlich, oder heilig iſt. Jſt ſie in
einem Glaubigen, und zwar von der Art, daß
ſie vom neuen Menſchen koͤmmt, oder doch ſonſt
nur von der Gnade in der Furcht GOttes wohl
geordnet iſt, ſo iſt und wird ſie geheiliget und
iſt gut: wo aber nicht, ſo iſt ſie boͤſe und ſuͤnd-
lich, ſie mag in ihrer Regung und in ihrem
Ausbruche gemaͤßiget, oder unmaͤßig ſeyn.
V. 25. 26.
Und in guter Zuverſicht weiß ich,
(τοῦτο dieſes,) daß ich (im Fleiſche noch laͤn-
ger) bleiben und bey euch allen (nach mei-
ner Ankunft) ſeyn werde, euch zur Foͤrde-
rung und zur Freude des Glaubens: auf
daß ihr euch ſehr ruͤhmen (zu einer groſſen
Freudigkeit gelangen) moͤget in CHriſto JE-
ſu an mir, (meinet halber und uͤber der durch
meinen Dienſt empfangenen Glaubens-Staͤr-
ckung,) durch meine Zukunft wieder zu
euch.
Anmerckungen.
1. Dieſe zuverſichtliche Hoffnung iſt auch
wircklich erfuͤllet, wie man aus Pauli Lebens-
Lauf ſiehet: ſintemal er von dem Jahre CHri-
ſti 62. an bis an 67. ohngefehr hindurch noch
einen groſſen Zug nach Orient und Griechenland
gethan: da er ohne Zweifel auch nach Philip-
pen gekommen iſt. Wie lange er ſich aber da-
ſelbſt aufgehalten habe, und was alda bey ſei-
ner Gegenwart vorgefallen ſey, das iſt unbe-
kant: aber das iſt wol gewiß, daß er nach ſei-
ner davon gehabten Verſicherung alda in vielem
Segen geweſen ſey.
2. So wohl die glaubigen Philipper auch
bereits in ihrem Chriſtenthum gegruͤndet wa-
ren, und ſo wohl ſie darinn zugenommen hat-
ten, ſo ſehr gehet doch Paulus auf einen noch
mehrern Wachsthum. Welches diejenigen
wohl zu mercken haben, welche immer in ihrem
erſten Anfange ſtehen bleiben, und zu keiner
rechten Kraft eindringen. Diejenigen aber,
welche ſich, wenn ſie vom rechtſchafnen Chri-
ſtenthum hoͤren, mit der menſchlichen Schwach-
heit und Unvollkommenheit entſchuldigen,
geben damit deutlich genug zu verſtehen, daß
es ihnen auch noch am erſten Anfange fehlet.
3. Das Wort προκοπὴ, Foͤrderung, Fort-
gang, Zunehmen, gehet ſo wol auf das Wort
vom Glauben, als von der Freude. Denn
weil der Glaube das Haupt-Werck im gantzen
Chriſtenthum iſt, welches GOTT nach c. 1. v.
6. in den Philippern ſchon vorlaͤngſt angefan-
gen hatte, ſo ſolte auch ihr Wachsthum zuvor-
derſt darinn beſtehen. Denn von dem Glauben
vertheilet es ſich in alle uͤbrige Stuͤcke des Chri-
ſtenthums.
4. Der rechte Wachsthum des Glau-
bens fuͤhret denn auch die Freude, und zwar
auch eine immer mehrere, mit ſich. Denn ie
ſtaͤrcker der Glaube wird, ie ſtaͤrcker wird dar-
inn der Genuß aller durch den Glauben geſchenck-
ten und ergriffenen Heils-Guͤter. Wo aber
der iſt, da entſtehet eine innige Vergnuͤgung
daruͤber. Es iſt auch der Glaube an ſich ſelbſt
ſchon recht erfreulich, und machet freudig,
wenn man ſich dadurch von der Gnade GOttes
verſichert haͤlt. Und was der Apoſtel von der
Freude des Glaubens geſaget hatte, das erlaͤu-
tert er, um des in ſolchen Worten liegenden
Nachdrucks willen, mit den Worten von dem
mehrern Ruhm, oder der mehrern Heiligkeit in
CHriſto, dazu ſie durch ſeine Zukunft gelangen
wuͤrden.
5. Ein rechtſchafner Lehrer koͤmmt nie-
mals zu ſeinen Zuhoͤrern, zumal denen, welche
er ſeltener ſpricht, daß er nicht ihre Staͤrckung
im Guten, oder auch ihre erſte Erweckung mit
allem Fleiſſe ſuchen ſolte: gleichwie auch wohl-
geſinnete Zuhoͤrer ſich des Zuſpruchs und der
Gegenwart ihres Lehrers gerne zu ihrem meh-
rern Wachsthum bedienen.
V. 27.
Wandelt nur wuͤrdiglich dem Evan-
gelio CHriſti, auf daß, ob ich komme und
ſehe euch, oder abweſend von euch hoͤre,
daß ihr ſtehet in einem Geiſte, und in ei-
ner Seele und ſamt uns kaͤmpfet fuͤr den
Glauben des Evangelii.
Anmerckungen.
1. Nach dem Griechiſchen Texte gehoͤren
die Worte μιᾷ ψυχῇ, mit einer Seele, nicht
zu dem vorhergehenden Worte στήκετε, ſtehet,
ſondern zu dem folgenden kaͤmpfet: doch gehet
dem Verſtande ſelbſt dadurch nichts, oder doch
wenig, ab.
2. Das Wort Evangelium ſtehet bey ſei-
ner Haupt-Bedeutung alhier in einem etwas
weitern Verſtande von der gantzen Chriſtlichen
Religion und dem Chriſtenthum, welches nebſt
dem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |