Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 6, 18-20. [Spaltenumbruch]
dem Gefühle seiner geistlichen Armuth und gros-sen Bedürfniß, sein glaubiges Verlangen mit einer innigsten Aufopferung an GOTT in ei- ner sehnlichen Bitte und Gebet, auch wol Für- bitte und Dancksagung zu GOTT richtet; der Mund rege und öffne sich dazu oder nicht: da denn sonderlich das kindliche und liebliche Ab- ba! lieber Vater! zu GOTT aufsteiget. Da es nun eine solche Beschaffenheit mit diesem Ge- bete hat, so ist leichtlich zu erachten, daß es gar wohl allezeit geschehen könne: sintemal dadurch der Mensch in seiner äusserlichen Arbeit so we- nig, ja noch viel weniger gehindert wird, als wenn er unter derselben den bösen Gedancken und Begierden nachhänget. Wie denn ein sol- ches Gebet statt findet auch ohne eine sinnreiche Reflexion; da es im Geiste geschiehet, und auch alsdenn, wenn der Mensch seine Gedancken auf etwas anders richten muß, darinnen unterhalten wird. Welches man auch daraus erkennen kan, daß der Mensch, so bald er sich von anderwärtiger Beschäftigung der Gedancken wieder sammlet, und in den Grund des Hertzens bey sich eingehet, er das innerliche Gebet darinnen nicht erst erwe- cket, sondern schon findet; ob wol dabey auch ei- ne mehrere Erweckung mit statt behält. Jn dem Worte proskarteresei lieget, ausser der Bedeu- tung des beständigen Anhaltens, auch der Nachdruck von einem rechten Ernst, also, daß sich darinnen eine rechte geistliche Gemüths- Stärcke erweise. Jacobus c. 5, 16. spricht da- von: Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist. Von der Be- ständigkeit im Gebet sehe man im übrigen son- derlich Luc. 18, 1. u. f. 21, 36. Rom. 12, 12. 1 Thess. 5, 17. Betet ohne Unterlaß. Col. 4, 2. Wie der Apostel Paulus seines beständigen Gebets und seiner Fürbitte für andere zum öf- tern in seinen Briefen gedencke, ist bekannt. Siehe Rom. 1, 8. 13. 1 Cor. 1, 4. Eph. 1, 15. 16. Col. 1, 3. 1 Thess. 1, 2. 2 Thess. 1, 3. 7. Was nun endlich die zum Gebet erfor- derte Wachsamkeit anlanget, so wird dieselbe theils der Unlauterkeit des Zwecks, theils der Zerstreuung der Gedancken entgegen gesetzet. Denn man hat zuvörderst in genauer Selbst- Prüfung über sich zu wachen, daß man nicht mit unheiligem Hertzen, mit einem Gemüthe, darinnen noch einiger böser Fürsatz ist, mit einer Begierde, die dem Willen GOttes nicht gemäß ist, noch die in der Gelassenheit mit gehöriger Verläugnung unserer selbst stehet, um diß und das, nach eigner Wahl, sonderlich in heiligen Dingen, zu GOtt bete. Nicht weniger hat man wider die Zerstreuung der Gedancken und Begierden zu wachen. Denn es ist nach unserer menschlichen Schwachheit fast nichts ge- meiner, als daß man die Gedancken, die allein auf GOtt und auf die ihm vorgetragene Sa- che gerichtet seyn solten, sich verirren, und auf etwas anders fallen; und zwar sonderlich, wenn man mit andern betet, und einem, der das Ge- bet mit lauter Stimme verrichtet, nachbetet, und die Andacht mit ihm vereiniget. Da es al- lerdinge nöthig ist, über sein Hertz wider alle [Spaltenumbruch] Zerstreuung wohl zu wachen. Dabey doch aber auch dieses den andächtigen Betern bey ih- rer Schwachheit zum Trost dienet, daß ihr Ge- bet dadurch, daß ihnen fremde Gedancken einfal- len, und dieselbe auch wider Vermuthen wieder andere aus sich gebähren, an sich selbst nicht ver- werflich werde, wenn sie die Zerstreuung nur nicht ohne alle Wachsamkeit zur Gewohnheit werden und zur Herrschaft kommen, auch die Begierden des Hertzens selbst sich von GOTT verirren lassen, sondern dagegen, mit einer Demüthigung des Hertzens vor GOTT, steiten. V. 19. 20. Und für mich, auf daß mir (durch Er- Anmerckungen. 1. Man siehet hieraus, daß Paulus wie in der ersten, also auch in der andern Gefangen- schaft zu Rom nicht gar hart gehalten, noch ihm der Zutritt vieler Menschen, nicht allein der Gläubigen, sondern auch der Ungläubigen un- tersaget worden. Weil er nun diese geöffnete Thüre vor sich hatte, und noch ferner vor sich sahe, so suchte er sich derselben recht zu bedienen, und erbittet sich der Ephesier Fürbitte dazu aus. Und also ist es nicht allein von den Schutz-Re- den, die er nach und nach vor Gericht zu halten gehabt hat, sondern auch von vieler andern Ge- legenheit, die er zur Verkündigung des Evange- lii gehabt, zu verstehen. 2. Ob gleich der Apostel die ausserordent- liche Gabe der göttlichen Eingebung hatte, und auch an ihm reichlich erfüllet worden war, was unser Heiland seinen Jüngern insgesamt ver- sprochen, da er Matth. 10, 19. 20. sagte: Wenn sie euch überantworten werden, so sorget nicht, wie oder was ihr reden solt: denn es soll euch zu der Zeit gegeben wer- den, was ihr reden solt. Denn ihr seyd es nicht, die da reden; sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet: so ersu- chet er dennoch die Ephesier um ihre Fürbitte. Daraus wir sehen, daß die göttliche Verheis- sungen zwar von GOttes Seiten gewiß erfüllet werden; aber doch auf Seiten der Menschen eine gewisse Ordnung erfodert wird, in welcher sie
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 6, 18-20. [Spaltenumbruch]
dem Gefuͤhle ſeiner geiſtlichen Armuth und groſ-ſen Beduͤrfniß, ſein glaubiges Verlangen mit einer innigſten Aufopferung an GOTT in ei- ner ſehnlichen Bitte und Gebet, auch wol Fuͤr- bitte und Danckſagung zu GOTT richtet; der Mund rege und oͤffne ſich dazu oder nicht: da denn ſonderlich das kindliche und liebliche Ab- ba! lieber Vater! zu GOTT aufſteiget. Da es nun eine ſolche Beſchaffenheit mit dieſem Ge- bete hat, ſo iſt leichtlich zu erachten, daß es gar wohl allezeit geſchehen koͤnne: ſintemal dadurch der Menſch in ſeiner aͤuſſerlichen Arbeit ſo we- nig, ja noch viel weniger gehindert wird, als wenn er unter derſelben den boͤſen Gedancken und Begierden nachhaͤnget. Wie denn ein ſol- ches Gebet ſtatt findet auch ohne eine ſinnreiche Reflexion; da es im Geiſte geſchiehet, und auch alsdenn, wenn der Menſch ſeine Gedancken auf etwas anders richten muß, darinnen unterhalten wird. Welches man auch daraus erkennen kan, daß der Menſch, ſo bald er ſich von anderwaͤrtiger Beſchaͤftigung der Gedancken wieder ſammlet, und in den Grund des Hertzens bey ſich eingehet, er das innerliche Gebet darinnen nicht erſt erwe- cket, ſondern ſchon findet; ob wol dabey auch ei- ne mehrere Erweckung mit ſtatt behaͤlt. Jn dem Worte προσκαρτερήσει lieget, auſſer der Bedeu- tung des beſtaͤndigen Anhaltens, auch der Nachdruck von einem rechten Ernſt, alſo, daß ſich darinnen eine rechte geiſtliche Gemuͤths- Staͤrcke erweiſe. Jacobus c. 5, 16. ſpricht da- von: Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernſtlich iſt. Von der Be- ſtaͤndigkeit im Gebet ſehe man im uͤbrigen ſon- derlich Luc. 18, 1. u. f. 21, 36. Rom. 12, 12. 1 Theſſ. 5, 17. Betet ohne Unterlaß. Col. 4, 2. Wie der Apoſtel Paulus ſeines beſtaͤndigen Gebets und ſeiner Fuͤrbitte fuͤr andere zum oͤf- tern in ſeinen Briefen gedencke, iſt bekannt. Siehe Rom. 1, 8. 13. 1 Cor. 1, 4. Eph. 1, 15. 16. Col. 1, 3. 1 Theſſ. 1, 2. 2 Theſſ. 1, 3. 7. Was nun endlich die zum Gebet erfor- derte Wachſamkeit anlanget, ſo wird dieſelbe theils der Unlauterkeit des Zwecks, theils der Zerſtreuung der Gedancken entgegen geſetzet. Denn man hat zuvoͤrderſt in genauer Selbſt- Pruͤfung uͤber ſich zu wachen, daß man nicht mit unheiligem Hertzen, mit einem Gemuͤthe, darinnen noch einiger boͤſer Fuͤrſatz iſt, mit einer Begierde, die dem Willen GOttes nicht gemaͤß iſt, noch die in der Gelaſſenheit mit gehoͤriger Verlaͤugnung unſerer ſelbſt ſtehet, um diß und das, nach eigner Wahl, ſonderlich in heiligen Dingen, zu GOtt bete. Nicht weniger hat man wider die Zerſtreuung der Gedancken und Begierden zu wachen. Denn es iſt nach unſerer menſchlichen Schwachheit faſt nichts ge- meiner, als daß man die Gedancken, die allein auf GOtt und auf die ihm vorgetragene Sa- che gerichtet ſeyn ſolten, ſich verirren, und auf etwas anders fallen; und zwar ſonderlich, wenn man mit andern betet, und einem, der das Ge- bet mit lauter Stimme verrichtet, nachbetet, und die Andacht mit ihm vereiniget. Da es al- lerdinge noͤthig iſt, uͤber ſein Hertz wider alle [Spaltenumbruch] Zerſtreuung wohl zu wachen. Dabey doch aber auch dieſes den andaͤchtigen Betern bey ih- rer Schwachheit zum Troſt dienet, daß ihr Ge- bet dadurch, daß ihnen fremde Gedancken einfal- len, und dieſelbe auch wider Vermuthen wieder andere aus ſich gebaͤhren, an ſich ſelbſt nicht ver- werflich werde, wenn ſie die Zerſtreuung nur nicht ohne alle Wachſamkeit zur Gewohnheit werden und zur Herrſchaft kommen, auch die Begierden des Hertzens ſelbſt ſich von GOTT verirren laſſen, ſondern dagegen, mit einer Demuͤthigung des Hertzens vor GOTT, ſteiten. V. 19. 20. Und fuͤr mich, auf daß mir (durch Er- Anmerckungen. 1. Man ſiehet hieraus, daß Paulus wie in der erſten, alſo auch in der andern Gefangen- ſchaft zu Rom nicht gar hart gehalten, noch ihm der Zutritt vieler Menſchen, nicht allein der Glaͤubigen, ſondern auch der Unglaͤubigen un- terſaget worden. Weil er nun dieſe geoͤffnete Thuͤre vor ſich hatte, und noch ferner vor ſich ſahe, ſo ſuchte er ſich derſelben recht zu bedienen, und erbittet ſich der Epheſier Fuͤrbitte dazu aus. Und alſo iſt es nicht allein von den Schutz-Re- den, die er nach und nach vor Gericht zu halten gehabt hat, ſondern auch von vieler andern Ge- legenheit, die er zur Verkuͤndigung des Evange- lii gehabt, zu verſtehen. 2. Ob gleich der Apoſtel die auſſerordent- liche Gabe der goͤttlichen Eingebung hatte, und auch an ihm reichlich erfuͤllet worden war, was unſer Heiland ſeinen Juͤngern insgeſamt ver- ſprochen, da er Matth. 10, 19. 20. ſagte: Wenn ſie euch uͤberantworten werden, ſo ſorget nicht, wie oder was ihr reden ſolt: denn es ſoll euch zu der Zeit gegeben wer- den, was ihr reden ſolt. Denn ihr ſeyd es nicht, die da reden; ſondern eures Vaters Geiſt iſt es, der durch euch redet: ſo erſu- chet er dennoch die Epheſier um ihre Fuͤrbitte. Daraus wir ſehen, daß die goͤttliche Verheiſ- ſungen zwar von GOttes Seiten gewiß erfuͤllet werden; aber doch auf Seiten der Menſchen eine gewiſſe Ordnung erfodert wird, in welcher ſie
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 6, 18-20.
dem Gefuͤhle ſeiner geiſtlichen Armuth und groſ-
ſen Beduͤrfniß, ſein glaubiges Verlangen mit
einer innigſten Aufopferung an GOTT in ei-
ner ſehnlichen Bitte und Gebet, auch wol Fuͤr-
bitte und Danckſagung zu GOTT richtet; der
Mund rege und oͤffne ſich dazu oder nicht: da
denn ſonderlich das kindliche und liebliche Ab-
ba! lieber Vater! zu GOTT aufſteiget. Da
es nun eine ſolche Beſchaffenheit mit dieſem Ge-
bete hat, ſo iſt leichtlich zu erachten, daß es gar
wohl allezeit geſchehen koͤnne: ſintemal dadurch
der Menſch in ſeiner aͤuſſerlichen Arbeit ſo we-
nig, ja noch viel weniger gehindert wird, als
wenn er unter derſelben den boͤſen Gedancken
und Begierden nachhaͤnget. Wie denn ein ſol-
ches Gebet ſtatt findet auch ohne eine ſinnreiche
Reflexion; da es im Geiſte geſchiehet, und auch
alsdenn, wenn der Menſch ſeine Gedancken auf
etwas anders richten muß, darinnen unterhalten
wird. Welches man auch daraus erkennen kan,
daß der Menſch, ſo bald er ſich von anderwaͤrtiger
Beſchaͤftigung der Gedancken wieder ſammlet,
und in den Grund des Hertzens bey ſich eingehet,
er das innerliche Gebet darinnen nicht erſt erwe-
cket, ſondern ſchon findet; ob wol dabey auch ei-
ne mehrere Erweckung mit ſtatt behaͤlt. Jn dem
Worte προσκαρτερήσει lieget, auſſer der Bedeu-
tung des beſtaͤndigen Anhaltens, auch der
Nachdruck von einem rechten Ernſt, alſo, daß
ſich darinnen eine rechte geiſtliche Gemuͤths-
Staͤrcke erweiſe. Jacobus c. 5, 16. ſpricht da-
von: Das Gebet des Gerechten vermag
viel, wenn es ernſtlich iſt. Von der Be-
ſtaͤndigkeit im Gebet ſehe man im uͤbrigen ſon-
derlich Luc. 18, 1. u. f. 21, 36. Rom. 12, 12.
1 Theſſ. 5, 17. Betet ohne Unterlaß. Col. 4,
2. Wie der Apoſtel Paulus ſeines beſtaͤndigen
Gebets und ſeiner Fuͤrbitte fuͤr andere zum oͤf-
tern in ſeinen Briefen gedencke, iſt bekannt.
Siehe Rom. 1, 8. 13. 1 Cor. 1, 4. Eph. 1, 15. 16.
Col. 1, 3. 1 Theſſ. 1, 2. 2 Theſſ. 1, 3.
7. Was nun endlich die zum Gebet erfor-
derte Wachſamkeit anlanget, ſo wird dieſelbe
theils der Unlauterkeit des Zwecks, theils der
Zerſtreuung der Gedancken entgegen geſetzet.
Denn man hat zuvoͤrderſt in genauer Selbſt-
Pruͤfung uͤber ſich zu wachen, daß man nicht
mit unheiligem Hertzen, mit einem Gemuͤthe,
darinnen noch einiger boͤſer Fuͤrſatz iſt, mit einer
Begierde, die dem Willen GOttes nicht gemaͤß
iſt, noch die in der Gelaſſenheit mit gehoͤriger
Verlaͤugnung unſerer ſelbſt ſtehet, um diß und
das, nach eigner Wahl, ſonderlich in heiligen
Dingen, zu GOtt bete. Nicht weniger hat
man wider die Zerſtreuung der Gedancken
und Begierden zu wachen. Denn es iſt nach
unſerer menſchlichen Schwachheit faſt nichts ge-
meiner, als daß man die Gedancken, die allein
auf GOtt und auf die ihm vorgetragene Sa-
che gerichtet ſeyn ſolten, ſich verirren, und auf
etwas anders fallen; und zwar ſonderlich, wenn
man mit andern betet, und einem, der das Ge-
bet mit lauter Stimme verrichtet, nachbetet,
und die Andacht mit ihm vereiniget. Da es al-
lerdinge noͤthig iſt, uͤber ſein Hertz wider alle
Zerſtreuung wohl zu wachen. Dabey doch aber
auch dieſes den andaͤchtigen Betern bey ih-
rer Schwachheit zum Troſt dienet, daß ihr Ge-
bet dadurch, daß ihnen fremde Gedancken einfal-
len, und dieſelbe auch wider Vermuthen wieder
andere aus ſich gebaͤhren, an ſich ſelbſt nicht ver-
werflich werde, wenn ſie die Zerſtreuung nur
nicht ohne alle Wachſamkeit zur Gewohnheit
werden und zur Herrſchaft kommen, auch die
Begierden des Hertzens ſelbſt ſich von GOTT
verirren laſſen, ſondern dagegen, mit einer
Demuͤthigung des Hertzens vor GOTT,
ſteiten.
V. 19. 20.
Und fuͤr mich, auf daß mir (durch Er-
fuͤllung meines Hertzens davon der Mund uͤber-
gehet Matth. 12, 34.) gegeben werde, das
Wort (GOttes von dem Grunde und der Ord-
nung unſers Heils) mit freudigem Aufthun
meines Mundes (nicht weniger auch der Her-
tzen aller derer, die es hoͤren) daß ich moͤge
kund machen das Geheimniß des Evange-
lii (von der Perſon, dem Amte und dem gedop-
pelten Stande Chriſti und der Beſchaffenheit
des gantzen Chriſtenthums.) v. 20. Wel-
ches (und alſo GOttes ſelbſt) Bote ich bin
(2 Cor. 5, 19. 20.) in der Kette (damit ich ge-
bunden bin in dieſer meiner andern Gefangen-
ſchaft zu Rom) auf daß ich darin freudig
handeln moͤge und reden, wie ſichs ge-
buͤhret.
Anmerckungen.
1. Man ſiehet hieraus, daß Paulus wie in
der erſten, alſo auch in der andern Gefangen-
ſchaft zu Rom nicht gar hart gehalten, noch ihm
der Zutritt vieler Menſchen, nicht allein der
Glaͤubigen, ſondern auch der Unglaͤubigen un-
terſaget worden. Weil er nun dieſe geoͤffnete
Thuͤre vor ſich hatte, und noch ferner vor ſich
ſahe, ſo ſuchte er ſich derſelben recht zu bedienen,
und erbittet ſich der Epheſier Fuͤrbitte dazu aus.
Und alſo iſt es nicht allein von den Schutz-Re-
den, die er nach und nach vor Gericht zu halten
gehabt hat, ſondern auch von vieler andern Ge-
legenheit, die er zur Verkuͤndigung des Evange-
lii gehabt, zu verſtehen.
2. Ob gleich der Apoſtel die auſſerordent-
liche Gabe der goͤttlichen Eingebung hatte, und
auch an ihm reichlich erfuͤllet worden war, was
unſer Heiland ſeinen Juͤngern insgeſamt ver-
ſprochen, da er Matth. 10, 19. 20. ſagte:
Wenn ſie euch uͤberantworten werden, ſo
ſorget nicht, wie oder was ihr reden ſolt:
denn es ſoll euch zu der Zeit gegeben wer-
den, was ihr reden ſolt. Denn ihr ſeyd es
nicht, die da reden; ſondern eures Vaters
Geiſt iſt es, der durch euch redet: ſo erſu-
chet er dennoch die Epheſier um ihre Fuͤrbitte.
Daraus wir ſehen, daß die goͤttliche Verheiſ-
ſungen zwar von GOttes Seiten gewiß erfuͤllet
werden; aber doch auf Seiten der Menſchen
eine gewiſſe Ordnung erfodert wird, in welcher
ſie
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