Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 6, v. 3. 4. [Spaltenumbruch]
in dem Lande, daß dir der HErr deinGOtt giebet. Paulus aber ziehet sie im N. Testament mit Recht auf alles Land. Und hat diese Verheissung auch noch im N. Testament ihre Kraft, doch also, daß, wenn sie GOtt nicht nach dem Buchstaben erfüllet, so schencket er da- für ein besseres und geistliches Gut. 3. Die ersten Worte der Verheissung ina [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]u soi genetai stehen im Hebräischen Texte und also auch in der Teutschen Ubersetzung nicht 2 B. Mos. 20, 12. allein sie liegen dem Verstande nach in den übrigen Worten; sintemal ein lan- ges Leben ohne Wohlfahrt mehr eine Strafe, als eine Wohlthat seyn würde. Darum haben die Griechischen Interpretes diese Worte dazu gesetzet, und Paulus hat sie daraus behalten, und mit angeführet. 4. Führet dieses Gebot eine besondere Verheissung mit sich für gehorsame Kinder; so lieget darin gewißlich auch eine Dräuung zur Strafe für die Ungehorsgmen. Und solte sich diese auch nicht eben in einem abgekürtzeten Le- ben äussern, so wird sie sich doch auf andere Art genugsam hervorthun. Denn ist die Gottselig- keit zu allen Dingen nütze und hat die Verheis- sung dieses und des zukünftigen Lebens, nach 1 Tim. 4, 8. so führet gewißlich hingegen die Gottlosigkeit, und insonderheit die, welche wi- der die Eltern begangen wird, einen Fluch für dieses und jenes Lebens mit sich. 5. Es ist zwar dem Menschen von GOtt seiner Natur ein gewisses Ziel seines Lebens gesetzet, aber dasselbe ist von keiner fatalen Noth- wendigkeit, daß es weder verlängert, noch ver- kürtzet werden könte; sondern es gründet sich auf eine gewisse Ordnung, nach welcher ein Mensch sich richten, aber auch davon abgehen kan: denn wäre das Ziel des Lebens fatal und noth- wendig, so wäre so wol diese Verheissung, als Dräuung vergebens. V. 4. Und ihr Väter (auch Mütter, und alle Anmerckungen. 1. Es ist nicht zu sagen, wie oft und wie sehr es Eltern auf beyden Seiten in der Kinder-Zucht versehen, daß sie entweder gar zu scharf oder gar zu gelinde sind. Allzuscharf machet schär- tig. Sind nun Eltern von Natur sonderlich zur Hitze und zum Zorn geneiget, so bricht er am [Spaltenumbruch] ersten wider die Kinder aus, zumal wenn sie, die Eltern, noch unbekehret sind, oder nicht im Stande der Gnaden stehen, und aus solchem Grunde Meister von ihren Affecten sind: ja es pflegen auch wol Eltern, die sonst in der Gnade stehen, vom Jachzorn übereilet zu werden, und der Sache, wo nicht allemal mit wircklicher Züchtigung, doch mit heftigen und harten Wor- ten, zu viel zu thun. Da denn die Sünde der Be- strafung gemeiniglich grösser ist, als das Verbre- chen, oder der Fehler der Kinder. 2. Auf der andern Seite ist das Vergehen nicht geringer in der gar zu grossen Gelindigkeit, da den Kindern aller Muthwille, und sonderlich das Lügen, daraus so viel anders Böses entste- het, verstattet wird, zu sehr schwerer Verantwor- tung der Eltern. 3. Paulus weiset den Eltern alhier die Mittelstrasse an. Denn der gar zu grossen Heftigkeit setzet er das Verbot, daß man Kin- der nicht durch seinen eignen Zorn und Grimm zum Zorn reitzen soll, entgegen. Und diß thut er auch in dem Briefe an die Colosser, da er Cap. 3, 21. spricht: Jhr Väter, erbittert eure Kinder nicht, daß sie nicht scheu (und im widrigen Sinn fast desperat) werden. Wider die gar zu grosse Gelindigkeit, dadurch sie gar versäumet werden und gantz verwildern, befiehlet er die Auferziehung in der Zucht und Vermahnung zum HErrn. 4. Damit man sich in der Schärfe mäs- sige, und sich des fleischlichen Zorns und Grim- mes (in welchem zuweilen recht unvernünftiger und unchristlicher weise wol gar Flüche mit aus- zubrechen pflegen) enthalte; ist nöthig, daß El- tern sich zuvorderst wohl prüfen, ob sie auch im Stande der Gnaden stehen, und dadurch die Herrschaft über ihre sonst unbändige Affecten überkommen haben? wo nicht, daß sie sich von Hertzen zu GOtt bekehren, um in dieser Ord- nung Meister von sich selbst zu werden. Haben sie aber, ohne Selbst-Betrug, in sich das Zeug- niß eines bekehrten und Gottergebnen Sinnes; so haben sie Ursache, wohl über sich selbst zu wa- chen, ihre Ubereilungen GOtt demüthig abzu- bitten, und dieselbe aufs künftige zu desto meh- rer Verwahrung und Wahrnehmung ihrer selbst sich dienen zu lassen: und bey den Kindern ha- ben sie wol zu unterscheiden das, was aus vor- setzlicher Bosheit, und was aus Unbedacht- samkeit, oder auch sonst auf eine solche Art und aus einer solchen Veranlassung geschiehet, bey welcher mehrere Entschuldigung statt findet. Jndessen, wenn Kinder Eltern auch zu einer Ubernehmung Gelegenheit geben, so haben sie zuvorderst selbst dieses gegen GOtt und die El- tern demüthig zu erkennen, und abzubitten. 5. Damit aber auch auf der andern Seite die gar zu grosse Gelindigkeit nicht eben so viel, ja noch mehrern Schaden thue, so haben Eltern zuvorderst ihre unmäßige Liebe wohl zu mäßigen, oder, da sie gantz unordentlich ist, in die rechte Ordnung zu bringen und in derselben heiligen zu lassen. Wo denn eine wohl geordnete Liebe zum Grunde lieget, da wird auch die Schärfe, wenn sie nach Sprichw. 13, 24. 19, 18. nöthig ist, ge- mäs-
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 6, v. 3. 4. [Spaltenumbruch]
in dem Lande, daß dir der HErr deinGOtt giebet. Paulus aber ziehet ſie im N. Teſtament mit Recht auf alles Land. Und hat dieſe Verheiſſung auch noch im N. Teſtament ihre Kraft, doch alſo, daß, wenn ſie GOtt nicht nach dem Buchſtaben erfuͤllet, ſo ſchencket er da- fuͤr ein beſſeres und geiſtliches Gut. 3. Die erſten Worte der Verheiſſung ἵνα [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]υ σοι γένηται ſtehen im Hebraͤiſchen Texte und alſo auch in der Teutſchen Uberſetzung nicht 2 B. Moſ. 20, 12. allein ſie liegen dem Verſtande nach in den uͤbrigen Worten; ſintemal ein lan- ges Leben ohne Wohlfahrt mehr eine Strafe, als eine Wohlthat ſeyn wuͤrde. Darum haben die Griechiſchen Interpretes dieſe Worte dazu geſetzet, und Paulus hat ſie daraus behalten, und mit angefuͤhret. 4. Fuͤhret dieſes Gebot eine beſondere Verheiſſung mit ſich fuͤr gehorſame Kinder; ſo lieget darin gewißlich auch eine Draͤuung zur Strafe fuͤr die Ungehorſgmen. Und ſolte ſich dieſe auch nicht eben in einem abgekuͤrtzeten Le- ben aͤuſſern, ſo wird ſie ſich doch auf andere Art genugſam hervorthun. Denn iſt die Gottſelig- keit zu allen Dingen nuͤtze und hat die Verheiſ- ſung dieſes und des zukuͤnftigen Lebens, nach 1 Tim. 4, 8. ſo fuͤhret gewißlich hingegen die Gottloſigkeit, und inſonderheit die, welche wi- der die Eltern begangen wird, einen Fluch fuͤr dieſes und jenes Lebens mit ſich. 5. Es iſt zwar dem Menſchen von GOtt ſeiner Natur ein gewiſſes Ziel ſeines Lebens geſetzet, aber daſſelbe iſt von keiner fatalen Noth- wendigkeit, daß es weder verlaͤngert, noch ver- kuͤrtzet werden koͤnte; ſondern es gruͤndet ſich auf eine gewiſſe Ordnung, nach welcher ein Menſch ſich richten, aber auch davon abgehen kan: denn waͤre das Ziel des Lebens fatal und noth- wendig, ſo waͤre ſo wol dieſe Verheiſſung, als Draͤuung vergebens. V. 4. Und ihr Vaͤter (auch Muͤtter, und alle Anmerckungen. 1. Es iſt nicht zu ſagen, wie oft und wie ſehr es Eltern auf beyden Seiten in der Kinder-Zucht verſehen, daß ſie entweder gar zu ſcharf oder gar zu gelinde ſind. Allzuſcharf machet ſchaͤr- tig. Sind nun Eltern von Natur ſonderlich zur Hitze und zum Zorn geneiget, ſo bricht er am [Spaltenumbruch] erſten wider die Kinder aus, zumal wenn ſie, die Eltern, noch unbekehret ſind, oder nicht im Stande der Gnaden ſtehen, und aus ſolchem Grunde Meiſter von ihren Affecten ſind: ja es pflegen auch wol Eltern, die ſonſt in der Gnade ſtehen, vom Jachzorn uͤbereilet zu werden, und der Sache, wo nicht allemal mit wircklicher Zuͤchtigung, doch mit heftigen und harten Wor- ten, zu viel zu thun. Da denn die Suͤnde der Be- ſtrafung gemeiniglich groͤſſer iſt, als das Verbre- chen, oder der Fehler der Kinder. 2. Auf der andern Seite iſt das Vergehen nicht geringer in der gar zu groſſen Gelindigkeit, da den Kindern aller Muthwille, und ſonderlich das Luͤgen, daraus ſo viel anders Boͤſes entſte- het, verſtattet wird, zu ſehr ſchwerer Verantwor- tung der Eltern. 3. Paulus weiſet den Eltern alhier die Mittelſtraſſe an. Denn der gar zu groſſen Heftigkeit ſetzet er das Verbot, daß man Kin- der nicht durch ſeinen eignen Zorn und Grimm zum Zorn reitzen ſoll, entgegen. Und diß thut er auch in dem Briefe an die Coloſſer, da er Cap. 3, 21. ſpricht: Jhr Vaͤter, erbittert eure Kinder nicht, daß ſie nicht ſcheu (und im widrigen Sinn faſt deſperat) werden. Wider die gar zu groſſe Gelindigkeit, dadurch ſie gar verſaͤumet werden und gantz verwildern, befiehlet er die Auferziehung in der Zucht und Vermahnung zum HErrn. 4. Damit man ſich in der Schaͤrfe maͤſ- ſige, und ſich des fleiſchlichen Zorns und Grim- mes (in welchem zuweilen recht unvernuͤnftiger und unchriſtlicher weiſe wol gar Fluͤche mit aus- zubrechen pflegen) enthalte; iſt noͤthig, daß El- tern ſich zuvorderſt wohl pruͤfen, ob ſie auch im Stande der Gnaden ſtehen, und dadurch die Herrſchaft uͤber ihre ſonſt unbaͤndige Affecten uͤberkommen haben? wo nicht, daß ſie ſich von Hertzen zu GOtt bekehren, um in dieſer Ord- nung Meiſter von ſich ſelbſt zu werden. Haben ſie aber, ohne Selbſt-Betrug, in ſich das Zeug- niß eines bekehrten und Gottergebnen Sinnes; ſo haben ſie Urſache, wohl uͤber ſich ſelbſt zu wa- chen, ihre Ubereilungen GOtt demuͤthig abzu- bitten, und dieſelbe aufs kuͤnftige zu deſto meh- rer Verwahrung und Wahrnehmung ihrer ſelbſt ſich dienen zu laſſen: und bey den Kindern ha- ben ſie wol zu unterſcheiden das, was aus vor- ſetzlicher Bosheit, und was aus Unbedacht- ſamkeit, oder auch ſonſt auf eine ſolche Art und aus einer ſolchen Veranlaſſung geſchiehet, bey welcher mehrere Entſchuldigung ſtatt findet. Jndeſſen, wenn Kinder Eltern auch zu einer Ubernehmung Gelegenheit geben, ſo haben ſie zuvorderſt ſelbſt dieſes gegen GOtt und die El- tern demuͤthig zu erkennen, und abzubitten. 5. Damit aber auch auf der andern Seite die gar zu groſſe Gelindigkeit nicht eben ſo viel, ja noch mehrern Schaden thue, ſo haben Eltern zuvorderſt ihre unmaͤßige Liebe wohl zu maͤßigen, oder, da ſie gantz unordentlich iſt, in die rechte Ordnung zu bringen und in derſelben heiligen zu laſſen. Wo denn eine wohl geordnete Liebe zum Grunde lieget, da wird auch die Schaͤrfe, wenn ſie nach Sprichw. 13, 24. 19, 18. noͤthig iſt, ge- maͤſ-
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 6, v. 3. 4.
in dem Lande, daß dir der HErr dein
GOtt giebet. Paulus aber ziehet ſie im N.
Teſtament mit Recht auf alles Land. Und hat
dieſe Verheiſſung auch noch im N. Teſtament
ihre Kraft, doch alſo, daß, wenn ſie GOtt nicht
nach dem Buchſtaben erfuͤllet, ſo ſchencket er da-
fuͤr ein beſſeres und geiſtliches Gut.
3. Die erſten Worte der Verheiſſung ἵνα
_ υ σοι γένηται ſtehen im Hebraͤiſchen Texte und
alſo auch in der Teutſchen Uberſetzung nicht 2 B.
Moſ. 20, 12. allein ſie liegen dem Verſtande
nach in den uͤbrigen Worten; ſintemal ein lan-
ges Leben ohne Wohlfahrt mehr eine Strafe,
als eine Wohlthat ſeyn wuͤrde. Darum haben
die Griechiſchen Interpretes dieſe Worte dazu
geſetzet, und Paulus hat ſie daraus behalten, und
mit angefuͤhret.
4. Fuͤhret dieſes Gebot eine beſondere
Verheiſſung mit ſich fuͤr gehorſame Kinder; ſo
lieget darin gewißlich auch eine Draͤuung zur
Strafe fuͤr die Ungehorſgmen. Und ſolte ſich
dieſe auch nicht eben in einem abgekuͤrtzeten Le-
ben aͤuſſern, ſo wird ſie ſich doch auf andere Art
genugſam hervorthun. Denn iſt die Gottſelig-
keit zu allen Dingen nuͤtze und hat die Verheiſ-
ſung dieſes und des zukuͤnftigen Lebens, nach
1 Tim. 4, 8. ſo fuͤhret gewißlich hingegen die
Gottloſigkeit, und inſonderheit die, welche wi-
der die Eltern begangen wird, einen Fluch fuͤr
dieſes und jenes Lebens mit ſich.
5. Es iſt zwar dem Menſchen von GOtt
ſeiner Natur ein gewiſſes Ziel ſeines Lebens
geſetzet, aber daſſelbe iſt von keiner fatalen Noth-
wendigkeit, daß es weder verlaͤngert, noch ver-
kuͤrtzet werden koͤnte; ſondern es gruͤndet ſich auf
eine gewiſſe Ordnung, nach welcher ein Menſch
ſich richten, aber auch davon abgehen kan:
denn waͤre das Ziel des Lebens fatal und noth-
wendig, ſo waͤre ſo wol dieſe Verheiſſung, als
Draͤuung vergebens.
V. 4.
Und ihr Vaͤter (auch Muͤtter, und alle
die an Eltern ſtatt ſind) reitzet eure Kinder
(und die an Kindes ſtatt ſind) nicht zum Zorn
(huͤtet euch vor dem Mißbrauch eurer vaͤterli-
chen Gewalt, daß ihr ſie nicht laſſet durch eure
ungezaͤhmte Affecten in einen ſolchen Grimm
und in eine ſolche Schaͤrfe ausbrechen, dadurch
die Kinder an ſtatt der Beſſerung und Liebe gegen
die Eltern nur in einen Grimm und Widerwil-
len gebracht werden) ſondern ziehet ſie auf
in der Zucht (mit guter Anfuͤhrung in guter
Ordnung und im Gehorſam, alſo, daß ihr ihnen
auch nicht gar zu gelinde ſeyd, und ſie an ſtatt der
Erziehung nur verziehet) und Vermahnung
zu dem HErrn (alſo, daß ſie zu dem Sinne
Chriſti kommen.)
Anmerckungen.
1. Es iſt nicht zu ſagen, wie oft und wie ſehr
es Eltern auf beyden Seiten in der Kinder-Zucht
verſehen, daß ſie entweder gar zu ſcharf oder
gar zu gelinde ſind. Allzuſcharf machet ſchaͤr-
tig. Sind nun Eltern von Natur ſonderlich
zur Hitze und zum Zorn geneiget, ſo bricht er am
erſten wider die Kinder aus, zumal wenn ſie, die
Eltern, noch unbekehret ſind, oder nicht im
Stande der Gnaden ſtehen, und aus ſolchem
Grunde Meiſter von ihren Affecten ſind: ja es
pflegen auch wol Eltern, die ſonſt in der Gnade
ſtehen, vom Jachzorn uͤbereilet zu werden, und
der Sache, wo nicht allemal mit wircklicher
Zuͤchtigung, doch mit heftigen und harten Wor-
ten, zu viel zu thun. Da denn die Suͤnde der Be-
ſtrafung gemeiniglich groͤſſer iſt, als das Verbre-
chen, oder der Fehler der Kinder.
2. Auf der andern Seite iſt das Vergehen
nicht geringer in der gar zu groſſen Gelindigkeit,
da den Kindern aller Muthwille, und ſonderlich
das Luͤgen, daraus ſo viel anders Boͤſes entſte-
het, verſtattet wird, zu ſehr ſchwerer Verantwor-
tung der Eltern.
3. Paulus weiſet den Eltern alhier die
Mittelſtraſſe an. Denn der gar zu groſſen
Heftigkeit ſetzet er das Verbot, daß man Kin-
der nicht durch ſeinen eignen Zorn und Grimm
zum Zorn reitzen ſoll, entgegen. Und diß thut
er auch in dem Briefe an die Coloſſer, da er
Cap. 3, 21. ſpricht: Jhr Vaͤter, erbittert
eure Kinder nicht, daß ſie nicht ſcheu (und
im widrigen Sinn faſt deſperat) werden.
Wider die gar zu groſſe Gelindigkeit, dadurch
ſie gar verſaͤumet werden und gantz verwildern,
befiehlet er die Auferziehung in der Zucht
und Vermahnung zum HErrn.
4. Damit man ſich in der Schaͤrfe maͤſ-
ſige, und ſich des fleiſchlichen Zorns und Grim-
mes (in welchem zuweilen recht unvernuͤnftiger
und unchriſtlicher weiſe wol gar Fluͤche mit aus-
zubrechen pflegen) enthalte; iſt noͤthig, daß El-
tern ſich zuvorderſt wohl pruͤfen, ob ſie auch im
Stande der Gnaden ſtehen, und dadurch die
Herrſchaft uͤber ihre ſonſt unbaͤndige Affecten
uͤberkommen haben? wo nicht, daß ſie ſich von
Hertzen zu GOtt bekehren, um in dieſer Ord-
nung Meiſter von ſich ſelbſt zu werden. Haben
ſie aber, ohne Selbſt-Betrug, in ſich das Zeug-
niß eines bekehrten und Gottergebnen Sinnes;
ſo haben ſie Urſache, wohl uͤber ſich ſelbſt zu wa-
chen, ihre Ubereilungen GOtt demuͤthig abzu-
bitten, und dieſelbe aufs kuͤnftige zu deſto meh-
rer Verwahrung und Wahrnehmung ihrer ſelbſt
ſich dienen zu laſſen: und bey den Kindern ha-
ben ſie wol zu unterſcheiden das, was aus vor-
ſetzlicher Bosheit, und was aus Unbedacht-
ſamkeit, oder auch ſonſt auf eine ſolche Art und
aus einer ſolchen Veranlaſſung geſchiehet, bey
welcher mehrere Entſchuldigung ſtatt findet.
Jndeſſen, wenn Kinder Eltern auch zu einer
Ubernehmung Gelegenheit geben, ſo haben ſie
zuvorderſt ſelbſt dieſes gegen GOtt und die El-
tern demuͤthig zu erkennen, und abzubitten.
5. Damit aber auch auf der andern Seite
die gar zu groſſe Gelindigkeit nicht eben ſo viel,
ja noch mehrern Schaden thue, ſo haben Eltern
zuvorderſt ihre unmaͤßige Liebe wohl zu maͤßigen,
oder, da ſie gantz unordentlich iſt, in die rechte
Ordnung zu bringen und in derſelben heiligen zu
laſſen. Wo denn eine wohl geordnete Liebe zum
Grunde lieget, da wird auch die Schaͤrfe, wenn
ſie nach Sprichw. 13, 24. 19, 18. noͤthig iſt, ge-
maͤſ-
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