Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 1, 17. 18. [Spaltenumbruch]
6. Der Geist der Weisheit heißt auch ein Geist der Offenbarung, weil durch die wah- re Weisheit eine rechte Aufklärung in der Seele geschiehet, den gantzen Rath GOttes von dem Grunde und von der Ordnung des Heils recht einzusehen, und den vortreflichen Zusammen- hang desselben gründlich zu erkennen; und zwar nach der Richtschnur der H. Schrift, und auch zum Theil nach der ausserordentlichen Gnaden- Gabe, welche die ersten Christen damals bey Gründung der Kirchen hatten; die aber damals schon nach und nach wieder aufgehöret hat, auch nur eigentlich auf den ersten Periodum der Kirchen ging. Davon auch dieses Wort gebrauchet wird 1 Cor. 14, 6. 26. 30. Phil. 3, 15. 7. Jn den letztern Worten des 17 Verses lesen die meisten Codices en epignosei autou, zu oder in seiner Erkäntniß, nemlich JEsu Christi. Nun kömmt es zwar auf eines hin- aus, wenn man nach einigen andern Codicibus lieset autou, seiner selbst, nemlich des Vaters: sintemal die Erkäntniß des Vaters auch die Er- käntniß des Sohnes ist: Matth. 11, 27. Joh. 14, 9. 10. Da es doch aber im Wercke unserer Se- ligkeit hauptsächlich darauf ankömmt, daß wir CHristum nach seiner Person und nach seinem Mittler-Amte recht erkennen lernen, wir auch sonst darauf geführet werden Joh. 17, 3. Phil. 3, 8. 2 Pet. 1, 2. 3. Philem. v. 6. so kan man es alhier auch am füglichsten von Christo verstehen: wie denn von dem Geheimnisse Christi, seiner Person, seines Amts, gedoppelten Standes und Reichs im Alten Testament solche herrliche Ge- heimnisse geoffenbaret sind, daß, wenn man sie darinnen recht erkennet, man im Glauben und in allem Guten dadurch recht machtig gestärcket wird. Daß man es aber also einsehe, dazu gehö- ret eine besondere Gnade und Gabe der Salbung des Heiligen Geistes. Welche Paulus alhier den Ephesiern anwünschet, nemlich einem noch reichern Masse nach, als sie bishero gehabt hatten. 8. Weil demselben das Hertz recht voll davon war, also, daß eine solche lebendige Er- käntniß ihn zu einer demüthigen und heiligen Verwunderung brachte, sich auch in der innig- sten Liebe gegen den HErrn JEsum hervor that; so fliesset auch aus solcher Fülle sein Mund und seine Feder über, daß er dasjenige, was er be- reits v. 17. ausgesprochen hatte, seines Reich- thums und seiner Tiefe wegen v. 18. noch mit mehrern erläutert. 9. Und dahin gehet zuvörderst der Wunsch von den erleuchteten Augen des Verständ- nisses. Denn was die leiblichen Augen sind dem Haupte und gantzen Leibe, das ist der Ver- stand der Seelen. Da nun der Verstand in geistlichen Sachen durch die Erb-Sünde gantz verblendet worden, also, daß demselben der weiseste Rath GOttes von unserer Seligkeit als eine Thorheit vorkömmt, 1 Cor. 2, 14. so ist es höchst nöthig, daß einem die Augen des Verstan- des erleuchtet, und die im Unglauben und übri- gen Sünden bestehende und davor hängende De- cke hinweggenommen werde. 10. Gleichwie aber diese Hinwegnehmung, dem ersten Anfange nach, nicht anders geschiehet, als in der Ordnung der wahren Bekehrung; die Ephesier auch in dieser dazu bereits gelanget wa- ren: so kan man auch zum Wachsthum darin- nen nicht anders gelangen, als auf dem Wege der täglichen Erneurung. Daher auch der Apo- stel den Ephesiern die Nothwendigkeit von der- selben in diesem Briefe, sonderlich in den drey letztern Capiteln, aufs nachdrücklichste einschär- fet: wie denn auch die Ephesier bereits solche waren, die nach ihrer Bekehrung in der tägli- chen Erneurung stunden. 11. Es ist demnach eine sehr ungereimte Sache, wenn man unbekehrten und beharrlichen gottlosen Menschen eine wahre Erleuchtung oder Erkäntniß JEsu CHristi zuschreibet, und ihre bloß buchstäbliche und aus bloß natürlichen Kräf- ten erlangte Wissenschaft göttlicher Dinge da- für ausgiebet, ja wol gar dergleichen Sprüche der H. Schrift, als dieser ist, zur Beschönigung solches Jrrthums mißbrauchet. 12. Die Erkäntniß, wozu die erleuchtete Augen führen, ist deroselben wirckliche Ubung und Anwendung im Glauben zur rechten Regu- lirung und Stärckung des innern Menschen in allen Wegen GOttes: gleichwie die Blindge- bornen, welchen unser Heiland das natürliche Gesicht wiederschenckte, und sie also leiblicher Weise erleuchtete, dasselbe so fort zum rechten und beständigen Gebrauch angewendet haben. 13. Der Beruff der Christen hebet sich an zur Bekehrung und gehet beständig fort in der Erneurung. Er bestehet in einer kräftigen und erwecklichen Vorstellung aller Heils-Güter und aller Seligkeit, die uns Christus erworben hat. Und also giebet uns dieser Beruf einen beständi- gen Antrieb zum Laufe auf dem Wege zum Leben. Welches Paulus selbst mit seinem Exempel er- wiesen hat, wie sonderlich zu sehen ist Phil. 3, 14. da er spricht: Eines aber sage ich, ich ver- ge[sse], was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung GOttes in Christo JEsu. 14. Dieser Beruf zum Reiche GOttes muß also zum Grunde stehen eines ieden äusser- lichen Berufs, den man in seiner Lebens-Art und äusserlichem Stande hat, daß er denselben regulire und dirigire; und also davon hinweg- thue, was menschliche und dabey sündliche Ge- wohnheiten damit verbunden haben: auf welche Art er denn recht wohlgeordnet und geheiliget wird. Es ist aber leider also umgekehret, daß von den meisten äusserlichen Christen der äusserli- che Beruf dem himmlischen vorgezogen, und die- sem nicht weiter nachgelebet wird, als es die äus- serliche Lebens-Art nach dem Verderben und Mißbrauch, worinnen er lieget, zulässet. Da- her es denn bey dem äusserlichen GOttesdienst, und einigen andern äusserlichen Wercken der Re- ligion bleibet: als welches mit aller Eitelkeit bestehen kan. 15. Die
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 1, 17. 18. [Spaltenumbruch]
6. Der Geiſt der Weisheit heißt auch ein Geiſt der Offenbarung, weil durch die wah- re Weisheit eine rechte Aufklaͤrung in der Seele geſchiehet, den gantzen Rath GOttes von dem Grunde und von der Ordnung des Heils recht einzuſehen, und den vortreflichen Zuſammen- hang deſſelben gruͤndlich zu erkennen; und zwar nach der Richtſchnur der H. Schrift, und auch zum Theil nach der auſſerordentlichen Gnaden- Gabe, welche die erſten Chriſten damals bey Gruͤndung der Kirchen hatten; die aber damals ſchon nach und nach wieder aufgehoͤret hat, auch nur eigentlich auf den erſten Periodum der Kirchen ging. Davon auch dieſes Wort gebrauchet wird 1 Cor. 14, 6. 26. 30. Phil. 3, 15. 7. Jn den letztern Worten des 17 Verſes leſen die meiſten Codices ἐν ἐπιγνωσει ἀυτοῦ, zu oder in ſeiner Erkaͤntniß, nemlich JEſu Chriſti. Nun koͤmmt es zwar auf eines hin- aus, wenn man nach einigen andern Codicibus lieſet ἁυτοῦ, ſeiner ſelbſt, nemlich des Vaters: ſintemal die Erkaͤntniß des Vaters auch die Er- kaͤntniß des Sohnes iſt: Matth. 11, 27. Joh. 14, 9. 10. Da es doch aber im Wercke unſerer Se- ligkeit hauptſaͤchlich darauf ankoͤmmt, daß wir CHriſtum nach ſeiner Perſon und nach ſeinem Mittler-Amte recht erkennen lernen, wir auch ſonſt darauf gefuͤhret werden Joh. 17, 3. Phil. 3, 8. 2 Pet. 1, 2. 3. Philem. v. 6. ſo kan man es alhier auch am fuͤglichſten von Chriſto verſtehen: wie denn von dem Geheimniſſe Chriſti, ſeiner Perſon, ſeines Amts, gedoppelten Standes und Reichs im Alten Teſtament ſolche herrliche Ge- heimniſſe geoffenbaret ſind, daß, wenn man ſie darinnen recht erkennet, man im Glauben und in allem Guten dadurch recht machtig geſtaͤrcket wird. Daß man es aber alſo einſehe, dazu gehoͤ- ret eine beſondere Gnade und Gabe der Salbung des Heiligen Geiſtes. Welche Paulus alhier den Epheſiern anwuͤnſchet, nemlich einem noch reichern Maſſe nach, als ſie bishero gehabt hatten. 8. Weil demſelben das Hertz recht voll davon war, alſo, daß eine ſolche lebendige Er- kaͤntniß ihn zu einer demuͤthigen und heiligen Verwunderung brachte, ſich auch in der innig- ſten Liebe gegen den HErrn JEſum hervor that; ſo flieſſet auch aus ſolcher Fuͤlle ſein Mund und ſeine Feder uͤber, daß er dasjenige, was er be- reits v. 17. ausgeſprochen hatte, ſeines Reich- thums und ſeiner Tiefe wegen v. 18. noch mit mehrern erlaͤutert. 9. Und dahin gehet zuvoͤrderſt der Wunſch von den erleuchteten Augen des Verſtaͤnd- niſſes. Denn was die leiblichen Augen ſind dem Haupte und gantzen Leibe, das iſt der Ver- ſtand der Seelen. Da nun der Verſtand in geiſtlichen Sachen durch die Erb-Suͤnde gantz verblendet worden, alſo, daß demſelben der weiſeſte Rath GOttes von unſerer Seligkeit als eine Thorheit vorkoͤmmt, 1 Cor. 2, 14. ſo iſt es hoͤchſt noͤthig, daß einem die Augen des Verſtan- des erleuchtet, und die im Unglauben und uͤbri- gen Suͤnden beſtehende und davor haͤngende De- cke hinweggenommen werde. 10. Gleichwie aber dieſe Hinwegnehmung, dem erſten Anfange nach, nicht anders geſchiehet, als in der Ordnung der wahren Bekehrung; die Epheſier auch in dieſer dazu bereits gelanget wa- ren: ſo kan man auch zum Wachsthum darin- nen nicht anders gelangen, als auf dem Wege der taͤglichen Erneurung. Daher auch der Apo- ſtel den Epheſiern die Nothwendigkeit von der- ſelben in dieſem Briefe, ſonderlich in den drey letztern Capiteln, aufs nachdruͤcklichſte einſchaͤr- fet: wie denn auch die Epheſier bereits ſolche waren, die nach ihrer Bekehrung in der taͤgli- chen Erneurung ſtunden. 11. Es iſt demnach eine ſehr ungereimte Sache, wenn man unbekehrten und beharrlichen gottloſen Menſchen eine wahre Erleuchtung oder Erkaͤntniß JEſu CHriſti zuſchreibet, und ihre bloß buchſtaͤbliche und aus bloß natuͤrlichen Kraͤf- ten erlangte Wiſſenſchaft goͤttlicher Dinge da- fuͤr ausgiebet, ja wol gar dergleichen Spruͤche der H. Schrift, als dieſer iſt, zur Beſchoͤnigung ſolches Jrrthums mißbrauchet. 12. Die Erkaͤntniß, wozu die erleuchtete Augen fuͤhren, iſt deroſelben wirckliche Ubung und Anwendung im Glauben zur rechten Regu- lirung und Staͤrckung des innern Menſchen in allen Wegen GOttes: gleichwie die Blindge- bornen, welchen unſer Heiland das natuͤrliche Geſicht wiederſchenckte, und ſie alſo leiblicher Weiſe erleuchtete, daſſelbe ſo fort zum rechten und beſtaͤndigen Gebrauch angewendet haben. 13. Der Beruff der Chriſten hebet ſich an zur Bekehrung und gehet beſtaͤndig fort in der Erneurung. Er beſtehet in einer kraͤftigen und erwecklichen Vorſtellung aller Heils-Guͤter und aller Seligkeit, die uns Chriſtus erworben hat. Und alſo giebet uns dieſer Beruf einen beſtaͤndi- gen Antrieb zum Laufe auf dem Wege zum Leben. Welches Paulus ſelbſt mit ſeinem Exempel er- wieſen hat, wie ſonderlich zu ſehen iſt Phil. 3, 14. da er ſpricht: Eines aber ſage ich, ich ver- ge[ſſe], was dahinten iſt, und ſtrecke mich zu dem, was da vorne iſt, und jage nach dem vorgeſteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhaͤlt die himmliſche Berufung GOttes in Chriſto JEſu. 14. Dieſer Beruf zum Reiche GOttes muß alſo zum Grunde ſtehen eines ieden aͤuſſer- lichen Berufs, den man in ſeiner Lebens-Art und aͤuſſerlichem Stande hat, daß er denſelben regulire und dirigire; und alſo davon hinweg- thue, was menſchliche und dabey ſuͤndliche Ge- wohnheiten damit verbunden haben: auf welche Art er denn recht wohlgeordnet und geheiliget wird. Es iſt aber leider alſo umgekehret, daß von den meiſten aͤuſſerlichen Chriſten der aͤuſſerli- che Beruf dem himmliſchen vorgezogen, und die- ſem nicht weiter nachgelebet wird, als es die aͤuſ- ſerliche Lebens-Art nach dem Verderben und Mißbrauch, worinnen er lieget, zulaͤſſet. Da- her es denn bey dem aͤuſſerlichen GOttesdienſt, und einigen andern aͤuſſerlichen Wercken der Re- ligion bleibet: als welches mit aller Eitelkeit beſtehen kan. 15. Die
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 1, 17. 18.
6. Der Geiſt der Weisheit heißt auch
ein Geiſt der Offenbarung, weil durch die wah-
re Weisheit eine rechte Aufklaͤrung in der Seele
geſchiehet, den gantzen Rath GOttes von dem
Grunde und von der Ordnung des Heils recht
einzuſehen, und den vortreflichen Zuſammen-
hang deſſelben gruͤndlich zu erkennen; und zwar
nach der Richtſchnur der H. Schrift, und auch
zum Theil nach der auſſerordentlichen Gnaden-
Gabe, welche die erſten Chriſten damals bey
Gruͤndung der Kirchen hatten; die aber damals
ſchon nach und nach wieder aufgehoͤret hat, auch
nur eigentlich auf den erſten Periodum der Kirchen
ging. Davon auch dieſes Wort gebrauchet
wird 1 Cor. 14, 6. 26. 30. Phil. 3, 15.
7. Jn den letztern Worten des 17 Verſes
leſen die meiſten Codices ἐν ἐπιγνωσει ἀυτοῦ, zu
oder in ſeiner Erkaͤntniß, nemlich JEſu
Chriſti. Nun koͤmmt es zwar auf eines hin-
aus, wenn man nach einigen andern Codicibus
lieſet ἁυτοῦ, ſeiner ſelbſt, nemlich des Vaters:
ſintemal die Erkaͤntniß des Vaters auch die Er-
kaͤntniß des Sohnes iſt: Matth. 11, 27. Joh. 14,
9. 10. Da es doch aber im Wercke unſerer Se-
ligkeit hauptſaͤchlich darauf ankoͤmmt, daß wir
CHriſtum nach ſeiner Perſon und nach ſeinem
Mittler-Amte recht erkennen lernen, wir auch
ſonſt darauf gefuͤhret werden Joh. 17, 3. Phil. 3,
8. 2 Pet. 1, 2. 3. Philem. v. 6. ſo kan man es
alhier auch am fuͤglichſten von Chriſto verſtehen:
wie denn von dem Geheimniſſe Chriſti, ſeiner
Perſon, ſeines Amts, gedoppelten Standes und
Reichs im Alten Teſtament ſolche herrliche Ge-
heimniſſe geoffenbaret ſind, daß, wenn man ſie
darinnen recht erkennet, man im Glauben und
in allem Guten dadurch recht machtig geſtaͤrcket
wird. Daß man es aber alſo einſehe, dazu gehoͤ-
ret eine beſondere Gnade und Gabe der Salbung
des Heiligen Geiſtes. Welche Paulus alhier
den Epheſiern anwuͤnſchet, nemlich einem noch
reichern Maſſe nach, als ſie bishero gehabt
hatten.
8. Weil demſelben das Hertz recht voll
davon war, alſo, daß eine ſolche lebendige Er-
kaͤntniß ihn zu einer demuͤthigen und heiligen
Verwunderung brachte, ſich auch in der innig-
ſten Liebe gegen den HErrn JEſum hervor that;
ſo flieſſet auch aus ſolcher Fuͤlle ſein Mund und
ſeine Feder uͤber, daß er dasjenige, was er be-
reits v. 17. ausgeſprochen hatte, ſeines Reich-
thums und ſeiner Tiefe wegen v. 18. noch mit
mehrern erlaͤutert.
9. Und dahin gehet zuvoͤrderſt der Wunſch
von den erleuchteten Augen des Verſtaͤnd-
niſſes. Denn was die leiblichen Augen ſind
dem Haupte und gantzen Leibe, das iſt der Ver-
ſtand der Seelen. Da nun der Verſtand in
geiſtlichen Sachen durch die Erb-Suͤnde gantz
verblendet worden, alſo, daß demſelben der
weiſeſte Rath GOttes von unſerer Seligkeit als
eine Thorheit vorkoͤmmt, 1 Cor. 2, 14. ſo iſt es
hoͤchſt noͤthig, daß einem die Augen des Verſtan-
des erleuchtet, und die im Unglauben und uͤbri-
gen Suͤnden beſtehende und davor haͤngende De-
cke hinweggenommen werde.
10. Gleichwie aber dieſe Hinwegnehmung,
dem erſten Anfange nach, nicht anders geſchiehet,
als in der Ordnung der wahren Bekehrung; die
Epheſier auch in dieſer dazu bereits gelanget wa-
ren: ſo kan man auch zum Wachsthum darin-
nen nicht anders gelangen, als auf dem Wege
der taͤglichen Erneurung. Daher auch der Apo-
ſtel den Epheſiern die Nothwendigkeit von der-
ſelben in dieſem Briefe, ſonderlich in den drey
letztern Capiteln, aufs nachdruͤcklichſte einſchaͤr-
fet: wie denn auch die Epheſier bereits ſolche
waren, die nach ihrer Bekehrung in der taͤgli-
chen Erneurung ſtunden.
11. Es iſt demnach eine ſehr ungereimte
Sache, wenn man unbekehrten und beharrlichen
gottloſen Menſchen eine wahre Erleuchtung oder
Erkaͤntniß JEſu CHriſti zuſchreibet, und ihre
bloß buchſtaͤbliche und aus bloß natuͤrlichen Kraͤf-
ten erlangte Wiſſenſchaft goͤttlicher Dinge da-
fuͤr ausgiebet, ja wol gar dergleichen Spruͤche
der H. Schrift, als dieſer iſt, zur Beſchoͤnigung
ſolches Jrrthums mißbrauchet.
12. Die Erkaͤntniß, wozu die erleuchtete
Augen fuͤhren, iſt deroſelben wirckliche Ubung
und Anwendung im Glauben zur rechten Regu-
lirung und Staͤrckung des innern Menſchen in
allen Wegen GOttes: gleichwie die Blindge-
bornen, welchen unſer Heiland das natuͤrliche
Geſicht wiederſchenckte, und ſie alſo leiblicher
Weiſe erleuchtete, daſſelbe ſo fort zum rechten
und beſtaͤndigen Gebrauch angewendet haben.
13. Der Beruff der Chriſten hebet ſich an
zur Bekehrung und gehet beſtaͤndig fort in der
Erneurung. Er beſtehet in einer kraͤftigen und
erwecklichen Vorſtellung aller Heils-Guͤter und
aller Seligkeit, die uns Chriſtus erworben hat.
Und alſo giebet uns dieſer Beruf einen beſtaͤndi-
gen Antrieb zum Laufe auf dem Wege zum Leben.
Welches Paulus ſelbſt mit ſeinem Exempel er-
wieſen hat, wie ſonderlich zu ſehen iſt Phil. 3, 14.
da er ſpricht: Eines aber ſage ich, ich ver-
geſſe, was dahinten iſt, und ſtrecke mich
zu dem, was da vorne iſt, und jage nach
dem vorgeſteckten Ziel, nach dem Kleinod,
welches vorhaͤlt die himmliſche Berufung
GOttes in Chriſto JEſu.
14. Dieſer Beruf zum Reiche GOttes
muß alſo zum Grunde ſtehen eines ieden aͤuſſer-
lichen Berufs, den man in ſeiner Lebens-Art
und aͤuſſerlichem Stande hat, daß er denſelben
regulire und dirigire; und alſo davon hinweg-
thue, was menſchliche und dabey ſuͤndliche Ge-
wohnheiten damit verbunden haben: auf welche
Art er denn recht wohlgeordnet und geheiliget
wird. Es iſt aber leider alſo umgekehret, daß
von den meiſten aͤuſſerlichen Chriſten der aͤuſſerli-
che Beruf dem himmliſchen vorgezogen, und die-
ſem nicht weiter nachgelebet wird, als es die aͤuſ-
ſerliche Lebens-Art nach dem Verderben und
Mißbrauch, worinnen er lieget, zulaͤſſet. Da-
her es denn bey dem aͤuſſerlichen GOttesdienſt,
und einigen andern aͤuſſerlichen Wercken der Re-
ligion bleibet: als welches mit aller Eitelkeit
beſtehen kan.
15. Die
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