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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des Briefs Pauli Cap. 1, v. 5. 6.
[Spaltenumbruch] dieser wohlgefällige Wille heißt auch seine herr-
liche Gnade,
oder die Herrlichkeit seiner Gna-
de, das ist, die allergrösseste und herrlichste Gna-
de. Eine Gnade heißt der Wille, weil er so
gnädig und liebreich ist, und weil uns nach dem-
selben die Seligkeit ohne alles Verdienst umsonst
geschencket wird. Herrlich heißt diese Gnade
wegen ihrer Grösse und wegen ihrer wesentlichen
Beschaffenheit, nach welcher sich in ihr die Herr-
lichkeit GOttes offenbaret. Denn da die Herr-
lichkeit GOttes aus allen göttlichen Eigenschaf-
ten bestehet, und eine iegliche Eigenschaft eine
Herrlichkeit, oder höchste Vollkommenheit in
sich hält, so wird dieses alhier insonderheit von der
Gnade gesaget.
5. Die Worte, welche bey der Erwählung
auf CHristum gehen, sind erstlich die, da es v. 5.
heißt: durch CHristum, wir sind verordnet
durch CHristum, das ist, um CHristi willen, in
Ansehung dessen, daß wir ihn im Glauben uns
zugeeignet haben. Hernach die, da Paulus v.
6. saget, GOTT habe uns angenehm ge-
macht in dem Geliebten,
nemlich in CHristo:
ekharitosen, das ist, er hat uns begnadiget, uns
Gnade erwiesen: von welcher Begnadigung die
Maria hieß kekharitomene, die Begnadigte.
Luc. 1, 28.
6. Nun ist leichtlich zu erkennen, wie die
Gnade GOttes und das Verdienst CHristi
wie überhaupt im Wercke unserer Seligkeit, also
auch bey der Erwählung zusammen tritt. Denn
GOTT machet uns zwar selig aus Gnaden,
und zwar in Ansehung dessen, daß wir von unse-
rer Seite nichts dazu beytragen, aus lauter
Gnade,
ohne alles unser eignes Verdienst: al-
lein diese Gnade ist auf seiner Seite nicht eine
nur blosse Gnade, bey welcher die Gerechtigkeit
gantz zurück gesetzet sey, sondern eine mit der Ge-
rechtigkeit temperirte Gnade; gleichwie die Ge-
rechtigkeit
durch die Gnade gemäßiget wor-
den. Gnade ist es, daß GOTT das Löse-Geld
hat lassen statt finden, da er nach der blossen Ge-
rechtigkeit die Menschen schlechthin verdammen
könte. Gnade ist es, daß er zur Erlösung und zur
Zahlung des Löse-Geldes seinen Sohn in die
Welt gesandt, das Löse-Geld annimmt, und den
gläubigen zurechnet. Aber nicht weniger ist es
eine Beweisung der Gerechtigkeit, daß die Gna-
de nicht ohne das Mittel einer Erlösung statt ge-
funden, und zwar einer solchen Erlösung, die der
Sohn GOttes selbst, da sie von keinem andern
geschehen konte, in angenommener menschlichen
Natur vollbracht hat.
7. Jn Ansehung dessen, daß die Gnade mit
der Gerechtigkeit dergestalt temperiret worden,
und solches Temperament in CHristi Mittler-
Amte sich hervor gethan; heißt es: GOtt hat
uns erwählet in CHristo, er hat uns ver-
ordnet zur Kindschaft durch CHristum, er
hat uns angenehm gemacht in dem Gelieb-
ten:
und, nach dem v. 7. daß wir die Erlö-
sung und Vergebung der Sünden durch
sein Blut haben.
Darauf denn an sich selbst
schon offenbar ist, daß die eudokia, das Wohl-
gefallen
des Willens GOttes sonderlich auf
CHristum und auf sein Mittler-Amt gehet: zu
[Spaltenumbruch] dessen Erläuterung man sonderlich folgende beyde
Oerter wohl zu erwegen, als Matth. 3, 17. Diß
ist mein lieber Sohn,
en o eudokesa, an dem
ich wohlgefallen habe:
welches auch c. 17, 5.
wiederholet wird. Siehe auch Jes. 53, 10. da es
heißt: das Fürnehmen, (Hebr. das Wohl-
gefallen) des HErrn wird durch seine (des
Meßiä, als des Mittlers) Hand fortgehen.
Welcher gestalt dieses Wohlgefallen GOttes
an dem Meßia, in Ansehung seines Versöhn-
Opfers, bey den Levitischen Opfern durch den da-
bey so oft gemeldeten süssen Geruch vorgebildet
worden, ist denen, welche CHristum in den Vor-
bildern kennen, nicht unbekant.
8. Der Zweck der Erwählung wird mit
diesen Worten ausgedrücket: zur Kindschaft
gegen ihm selbst; zu Lob seiner herrlichen
Gnade.
Gleichwie nun diß letztere auf GOtt
gehet, daß der, wie alle seine Wercke, also
auch insonderheit das Werck der ewigen Erwäh-
lung zur Verherrlichung seines Namens richtet:
so gehet das erstere auf die Auserwählten selbst.
Da denn durch die Kindschaft verstanden wird
nicht allein dessen Anfang, welcher die Rechtfer-
tigung in der Ordnung der Wiedergeburt mit
sich führet, sondern auch desselben Fortgang
und Vollendung in der Herrlichkeit. Und al-
so wird durch die Kindschaft die Seligkeit des
Menschen mit allen ihren Theilen, oder Heils-
Gütern, welche auf die Erbschaft im Reiche
der Gnaden und der Herrlichkeit gehen, bezeich-
net. Jn welchem sonderlich auf das Reich der
Herrlichkeit gehenden Nachdrucke das Wort
Kindschaft, oder Annehmung an Kindes statt,
auch Rom. 8, 23. stehet, da es heißt: Wir ha-
ben des Geistes Erstlinge, und sehnen uns
bey uns selbst nach der Kindschaft, und
warten auf unsers Leibes Erlösung.
Daß
die Kindschaft, zu welcher wir erwählet werden,
die Erbschaft der ewigen Seligkeit mit in sich hal-
te, zeiget die Sache selbst an, und bekräftiget
Paulus v. 11.
9. Die Wörtlein eis auton, gegen ihm
selbst,
gelten so viel als auto, ihme selbst,
und zeigen an, daß die Gläubigen durch die Er-
wählung zum eigenthümlichen Volcke GOttes
werden, nach Tit. 2, 14. und, da sie durch die
Sünde von GOTT getrennet gewesen, sie durch
die Gnade in CHristo, wie zum ewigen Leben,
also auch zu GOtt selbst wieder gebracht werden.
Wolte man aber an statt auton mit etlichen co-
dicibus
lesen auton, auf, oder gegen ihm, so
ginge es auf CHristum, und gäbe es einerley
Verstand, nemlich diesen, daß die Glaubigen
um CHristi willen erwählet worden eis auton,
auf ihn, zur Verherrlichung seines Namens und
Mittler-Amts, daß gleichwie er nach der mensch-
lichen Natur alles ererbet hat, sie auch seine Mit-
Erben seyn sollen. Rom. 8, 17.
10. Jm übrigen ist alhier noch zu mercken,
daß der Apostel in diesem Verse sonderlich das-
jenige, was er vorher von dem End-Zwecke ge-
saget hatte, mit mehrern erläutert, und weiter
extendiret: nemlich er hatte vorher gesaget, die
Erwählung sey geschehen, daß wir solten heilig
und unsträflich vor GOTT in der Lie-

be
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 1, v. 5. 6.
[Spaltenumbruch] dieſer wohlgefaͤllige Wille heißt auch ſeine herr-
liche Gnade,
oder die Herrlichkeit ſeiner Gna-
de, das iſt, die allergroͤſſeſte und herrlichſte Gna-
de. Eine Gnade heißt der Wille, weil er ſo
gnaͤdig und liebreich iſt, und weil uns nach dem-
ſelben die Seligkeit ohne alles Verdienſt umſonſt
geſchencket wird. Herrlich heißt dieſe Gnade
wegen ihrer Groͤſſe und wegen ihrer weſentlichen
Beſchaffenheit, nach welcher ſich in ihr die Herr-
lichkeit GOttes offenbaret. Denn da die Herr-
lichkeit GOttes aus allen goͤttlichen Eigenſchaf-
ten beſtehet, und eine iegliche Eigenſchaft eine
Herrlichkeit, oder hoͤchſte Vollkommenheit in
ſich haͤlt, ſo wird dieſes alhier inſonderheit von der
Gnade geſaget.
5. Die Worte, welche bey der Erwaͤhlung
auf CHriſtum gehen, ſind erſtlich die, da es v. 5.
heißt: durch CHriſtum, wir ſind verordnet
durch CHriſtum, das iſt, um CHriſti willen, in
Anſehung deſſen, daß wir ihn im Glauben uns
zugeeignet haben. Hernach die, da Paulus v.
6. ſaget, GOTT habe uns angenehm ge-
macht in dem Geliebten,
nemlich in CHriſto:
ἐχαρίτωσεν, das iſt, er hat uns begnadiget, uns
Gnade erwieſen: von welcher Begnadigung die
Maria hieß κεχαριτωμένη, die Begnadigte.
Luc. 1, 28.
6. Nun iſt leichtlich zu erkennen, wie die
Gnade GOttes und das Verdienſt CHriſti
wie uͤberhaupt im Wercke unſerer Seligkeit, alſo
auch bey der Erwaͤhlung zuſammen tritt. Denn
GOTT machet uns zwar ſelig aus Gnaden,
und zwar in Anſehung deſſen, daß wir von unſe-
rer Seite nichts dazu beytragen, aus lauter
Gnade,
ohne alles unſer eignes Verdienſt: al-
lein dieſe Gnade iſt auf ſeiner Seite nicht eine
nur bloſſe Gnade, bey welcher die Gerechtigkeit
gantz zuruͤck geſetzet ſey, ſondern eine mit der Ge-
rechtigkeit temperirte Gnade; gleichwie die Ge-
rechtigkeit
durch die Gnade gemaͤßiget wor-
den. Gnade iſt es, daß GOTT das Loͤſe-Geld
hat laſſen ſtatt finden, da er nach der bloſſen Ge-
rechtigkeit die Menſchen ſchlechthin verdammen
koͤnte. Gnade iſt es, daß er zur Erloͤſung und zur
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Welt geſandt, das Loͤſe-Geld annimmt, und den
glaͤubigen zurechnet. Aber nicht weniger iſt es
eine Beweiſung der Gerechtigkeit, daß die Gna-
de nicht ohne das Mittel einer Erloͤſung ſtatt ge-
funden, und zwar einer ſolchen Erloͤſung, die der
Sohn GOttes ſelbſt, da ſie von keinem andern
geſchehen konte, in angenommener menſchlichen
Natur vollbracht hat.
7. Jn Anſehung deſſen, daß die Gnade mit
der Gerechtigkeit dergeſtalt temperiret worden,
und ſolches Temperament in CHriſti Mittler-
Amte ſich hervor gethan; heißt es: GOtt hat
uns erwaͤhlet in CHriſto, er hat uns ver-
ordnet zur Kindſchaft durch CHriſtum, er
hat uns angenehm gemacht in dem Gelieb-
ten:
und, nach dem v. 7. daß wir die Erloͤ-
ſung und Vergebung der Suͤnden durch
ſein Blut haben.
Darauf denn an ſich ſelbſt
ſchon offenbar iſt, daß die ἐυδοκία, das Wohl-
gefallen
des Willens GOttes ſonderlich auf
CHriſtum und auf ſein Mittler-Amt gehet: zu
[Spaltenumbruch] deſſen Erlaͤuterung man ſonderlich folgende beyde
Oerter wohl zu erwegen, als Matth. 3, 17. Diß
iſt mein lieber Sohn,
ἐν ᾧ ἐυδόκησα, an dem
ich wohlgefallen habe:
welches auch c. 17, 5.
wiederholet wird. Siehe auch Jeſ. 53, 10. da es
heißt: das Fuͤrnehmen, (Hebr. das Wohl-
gefallen) des HErrn wird durch ſeine (des
Meßiaͤ, als des Mittlers) Hand fortgehen.
Welcher geſtalt dieſes Wohlgefallen GOttes
an dem Meßia, in Anſehung ſeines Verſoͤhn-
Opfers, bey den Levitiſchen Opfern durch den da-
bey ſo oft gemeldeten ſuͤſſen Geruch vorgebildet
worden, iſt denen, welche CHriſtum in den Vor-
bildern kennen, nicht unbekant.
8. Der Zweck der Erwaͤhlung wird mit
dieſen Worten ausgedruͤcket: zur Kindſchaft
gegen ihm ſelbſt; zu Lob ſeiner herrlichen
Gnade.
Gleichwie nun diß letztere auf GOtt
gehet, daß der, wie alle ſeine Wercke, alſo
auch inſonderheit das Werck der ewigen Erwaͤh-
lung zur Verherrlichung ſeines Namens richtet:
ſo gehet das erſtere auf die Auserwaͤhlten ſelbſt.
Da denn durch die Kindſchaft verſtanden wird
nicht allein deſſen Anfang, welcher die Rechtfer-
tigung in der Ordnung der Wiedergeburt mit
ſich fuͤhret, ſondern auch deſſelben Fortgang
und Vollendung in der Herrlichkeit. Und al-
ſo wird durch die Kindſchaft die Seligkeit des
Menſchen mit allen ihren Theilen, oder Heils-
Guͤtern, welche auf die Erbſchaft im Reiche
der Gnaden und der Herrlichkeit gehen, bezeich-
net. Jn welchem ſonderlich auf das Reich der
Herrlichkeit gehenden Nachdrucke das Wort
Kindſchaft, oder Annehmung an Kindes ſtatt,
auch Rom. 8, 23. ſtehet, da es heißt: Wir ha-
ben des Geiſtes Erſtlinge, und ſehnen uns
bey uns ſelbſt nach der Kindſchaft, und
warten auf unſers Leibes Erloͤſung.
Daß
die Kindſchaft, zu welcher wir erwaͤhlet werden,
die Erbſchaft der ewigen Seligkeit mit in ſich hal-
te, zeiget die Sache ſelbſt an, und bekraͤftiget
Paulus v. 11.
9. Die Woͤrtlein εἰς ἁυτὸν, gegen ihm
ſelbſt,
gelten ſo viel als ἁυτῷ, ihme ſelbſt,
und zeigen an, daß die Glaͤubigen durch die Er-
waͤhlung zum eigenthuͤmlichen Volcke GOttes
werden, nach Tit. 2, 14. und, da ſie durch die
Suͤnde von GOTT getrennet geweſen, ſie durch
die Gnade in CHriſto, wie zum ewigen Leben,
alſo auch zu GOtt ſelbſt wieder gebracht werden.
Wolte man aber an ſtatt ἁυτὸν mit etlichen co-
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leſen ἀυτὸν, auf, oder gegen ihm, ſo
ginge es auf CHriſtum, und gaͤbe es einerley
Verſtand, nemlich dieſen, daß die Glaubigen
um CHriſti willen erwaͤhlet worden εἰς ἀυτὸν,
auf ihn, zur Verherrlichung ſeines Namens und
Mittler-Amts, daß gleichwie er nach der menſch-
lichen Natur alles ererbet hat, ſie auch ſeine Mit-
Erben ſeyn ſollen. Rom. 8, 17.
10. Jm uͤbrigen iſt alhier noch zu mercken,
daß der Apoſtel in dieſem Verſe ſonderlich das-
jenige, was er vorher von dem End-Zwecke ge-
ſaget hatte, mit mehrern erlaͤutert, und weiter
extendiret: nemlich er hatte vorher geſaget, die
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[598/0626] Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 1, v. 5. 6. dieſer wohlgefaͤllige Wille heißt auch ſeine herr- liche Gnade, oder die Herrlichkeit ſeiner Gna- de, das iſt, die allergroͤſſeſte und herrlichſte Gna- de. Eine Gnade heißt der Wille, weil er ſo gnaͤdig und liebreich iſt, und weil uns nach dem- ſelben die Seligkeit ohne alles Verdienſt umſonſt geſchencket wird. Herrlich heißt dieſe Gnade wegen ihrer Groͤſſe und wegen ihrer weſentlichen Beſchaffenheit, nach welcher ſich in ihr die Herr- lichkeit GOttes offenbaret. Denn da die Herr- lichkeit GOttes aus allen goͤttlichen Eigenſchaf- ten beſtehet, und eine iegliche Eigenſchaft eine Herrlichkeit, oder hoͤchſte Vollkommenheit in ſich haͤlt, ſo wird dieſes alhier inſonderheit von der Gnade geſaget. 5. Die Worte, welche bey der Erwaͤhlung auf CHriſtum gehen, ſind erſtlich die, da es v. 5. heißt: durch CHriſtum, wir ſind verordnet durch CHriſtum, das iſt, um CHriſti willen, in Anſehung deſſen, daß wir ihn im Glauben uns zugeeignet haben. Hernach die, da Paulus v. 6. ſaget, GOTT habe uns angenehm ge- macht in dem Geliebten, nemlich in CHriſto: ἐχαρίτωσεν, das iſt, er hat uns begnadiget, uns Gnade erwieſen: von welcher Begnadigung die Maria hieß κεχαριτωμένη, die Begnadigte. Luc. 1, 28. 6. Nun iſt leichtlich zu erkennen, wie die Gnade GOttes und das Verdienſt CHriſti wie uͤberhaupt im Wercke unſerer Seligkeit, alſo auch bey der Erwaͤhlung zuſammen tritt. Denn GOTT machet uns zwar ſelig aus Gnaden, und zwar in Anſehung deſſen, daß wir von unſe- rer Seite nichts dazu beytragen, aus lauter Gnade, ohne alles unſer eignes Verdienſt: al- lein dieſe Gnade iſt auf ſeiner Seite nicht eine nur bloſſe Gnade, bey welcher die Gerechtigkeit gantz zuruͤck geſetzet ſey, ſondern eine mit der Ge- rechtigkeit temperirte Gnade; gleichwie die Ge- rechtigkeit durch die Gnade gemaͤßiget wor- den. Gnade iſt es, daß GOTT das Loͤſe-Geld hat laſſen ſtatt finden, da er nach der bloſſen Ge- rechtigkeit die Menſchen ſchlechthin verdammen koͤnte. Gnade iſt es, daß er zur Erloͤſung und zur Zahlung des Loͤſe-Geldes ſeinen Sohn in die Welt geſandt, das Loͤſe-Geld annimmt, und den glaͤubigen zurechnet. Aber nicht weniger iſt es eine Beweiſung der Gerechtigkeit, daß die Gna- de nicht ohne das Mittel einer Erloͤſung ſtatt ge- funden, und zwar einer ſolchen Erloͤſung, die der Sohn GOttes ſelbſt, da ſie von keinem andern geſchehen konte, in angenommener menſchlichen Natur vollbracht hat. 7. Jn Anſehung deſſen, daß die Gnade mit der Gerechtigkeit dergeſtalt temperiret worden, und ſolches Temperament in CHriſti Mittler- Amte ſich hervor gethan; heißt es: GOtt hat uns erwaͤhlet in CHriſto, er hat uns ver- ordnet zur Kindſchaft durch CHriſtum, er hat uns angenehm gemacht in dem Gelieb- ten: und, nach dem v. 7. daß wir die Erloͤ- ſung und Vergebung der Suͤnden durch ſein Blut haben. Darauf denn an ſich ſelbſt ſchon offenbar iſt, daß die ἐυδοκία, das Wohl- gefallen des Willens GOttes ſonderlich auf CHriſtum und auf ſein Mittler-Amt gehet: zu deſſen Erlaͤuterung man ſonderlich folgende beyde Oerter wohl zu erwegen, als Matth. 3, 17. Diß iſt mein lieber Sohn, ἐν ᾧ ἐυδόκησα, an dem ich wohlgefallen habe: welches auch c. 17, 5. wiederholet wird. Siehe auch Jeſ. 53, 10. da es heißt: das Fuͤrnehmen, (Hebr. das Wohl- gefallen) des HErrn wird durch ſeine (des Meßiaͤ, als des Mittlers) Hand fortgehen. Welcher geſtalt dieſes Wohlgefallen GOttes an dem Meßia, in Anſehung ſeines Verſoͤhn- Opfers, bey den Levitiſchen Opfern durch den da- bey ſo oft gemeldeten ſuͤſſen Geruch vorgebildet worden, iſt denen, welche CHriſtum in den Vor- bildern kennen, nicht unbekant. 8. Der Zweck der Erwaͤhlung wird mit dieſen Worten ausgedruͤcket: zur Kindſchaft gegen ihm ſelbſt; zu Lob ſeiner herrlichen Gnade. Gleichwie nun diß letztere auf GOtt gehet, daß der, wie alle ſeine Wercke, alſo auch inſonderheit das Werck der ewigen Erwaͤh- lung zur Verherrlichung ſeines Namens richtet: ſo gehet das erſtere auf die Auserwaͤhlten ſelbſt. Da denn durch die Kindſchaft verſtanden wird nicht allein deſſen Anfang, welcher die Rechtfer- tigung in der Ordnung der Wiedergeburt mit ſich fuͤhret, ſondern auch deſſelben Fortgang und Vollendung in der Herrlichkeit. Und al- ſo wird durch die Kindſchaft die Seligkeit des Menſchen mit allen ihren Theilen, oder Heils- Guͤtern, welche auf die Erbſchaft im Reiche der Gnaden und der Herrlichkeit gehen, bezeich- net. Jn welchem ſonderlich auf das Reich der Herrlichkeit gehenden Nachdrucke das Wort Kindſchaft, oder Annehmung an Kindes ſtatt, auch Rom. 8, 23. ſtehet, da es heißt: Wir ha- ben des Geiſtes Erſtlinge, und ſehnen uns bey uns ſelbſt nach der Kindſchaft, und warten auf unſers Leibes Erloͤſung. Daß die Kindſchaft, zu welcher wir erwaͤhlet werden, die Erbſchaft der ewigen Seligkeit mit in ſich hal- te, zeiget die Sache ſelbſt an, und bekraͤftiget Paulus v. 11. 9. Die Woͤrtlein εἰς ἁυτὸν, gegen ihm ſelbſt, gelten ſo viel als ἁυτῷ, ihme ſelbſt, und zeigen an, daß die Glaͤubigen durch die Er- waͤhlung zum eigenthuͤmlichen Volcke GOttes werden, nach Tit. 2, 14. und, da ſie durch die Suͤnde von GOTT getrennet geweſen, ſie durch die Gnade in CHriſto, wie zum ewigen Leben, alſo auch zu GOtt ſelbſt wieder gebracht werden. Wolte man aber an ſtatt ἁυτὸν mit etlichen co- dicibus leſen ἀυτὸν, auf, oder gegen ihm, ſo ginge es auf CHriſtum, und gaͤbe es einerley Verſtand, nemlich dieſen, daß die Glaubigen um CHriſti willen erwaͤhlet worden εἰς ἀυτὸν, auf ihn, zur Verherrlichung ſeines Namens und Mittler-Amts, daß gleichwie er nach der menſch- lichen Natur alles ererbet hat, ſie auch ſeine Mit- Erben ſeyn ſollen. Rom. 8, 17. 10. Jm uͤbrigen iſt alhier noch zu mercken, daß der Apoſtel in dieſem Verſe ſonderlich das- jenige, was er vorher von dem End-Zwecke ge- ſaget hatte, mit mehrern erlaͤutert, und weiter extendiret: nemlich er hatte vorher geſaget, die Erwaͤhlung ſey geſchehen, daß wir ſolten heilig und unſtraͤflich vor GOTT in der Lie- be

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/626>, abgerufen am 24.11.2024.