Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 6, v. 1. [Spaltenumbruch]
nung der Wiedergeburt und Erneurungkömmt. Denn obgleich auch ein fleischlicher dem andern viel gutes sagen kan; so saget er es doch gemeiniglich nicht auf die gehörige Art und Weise, noch mit genugsamen Nachdruck. Und dazu findet er mit seinen Erinnerungen so viel weniger Eingang, so viel anstößiger er dem andern mit seinem eignen Wandel ist. c. Daß die Stärckern sich von den Schwä- chern, ja zum Anstoß abweichenden, nicht al- so entziehen sollen, daß sie ihnen alle Gemein- schaft versagen, und sich gar von ihnen tren- nen: als wozu sie leichtlich versuchet werden können; zumal, wenn sie gegen dieselbe sich mit einiger Widrigkeit einnehmen las- sen. Es ist genug, wenn sie sich ihrer Verge- hungen nicht mit theilhaftig machen. Wol- ten sie aber die Verirrete gar fahren lassen, wo bliebe die Liebe, und die Nachfolge Chri- sti, welcher die verirreten und verlohrnen Schafe suchet, und zwar zuvorderst mittelba- rer weise; wie durch sein Wort, also auch durch solche, welche dasselbe ihnen zur Wie- derkehr ans Hertze legen. So heisset es ja auch: Was ihr wollet, daß euch die Leu- te thun sollen, das thut ihnen auch. 6. Der dritte Punct ist von dem, wie man den gefallenen wieder zurecht helfen solle. Da denn zweyerley zu mercken ist: Erstlich der eigentliche Nachdruck des Worts katartizete, helfet wieder zurecht; und denn die Art und Weise, daß es mit sanftmü- thigem Geiste geschehen soll. Katartizein, zu rechte helfen, wird sonst gebrauchet von dem, was baufällig ist und einen Riß hat, da es heißt, wieder ausbessern, ergäntzen: im- gleichen von der Wiedereinrichtung eines verrenckten Gliedes am Leibe, da es so viel ist, als wieder einrencken, und wieder in seine rechte Ordnung setzen. Welches Gleichniß sich auf die Christen gar wohl schicket. Denn sie sind Glieder unter dem hochgelobten Haupte, Christo, an seinem geistlichen Leibe. Gleich- wie es nun geschiehet, daß ein Glied dergestalt durch diesen und jenen Zufall angegriffen wird, daß gar der kalte Brand dazu schläget; da es denn, wenn es dadurch dem Leibe gleichsam ab- gestorben ist, wol gar muß abgenommen wer- den: ein anderes aber nur verstucket oder ver- rencket wird, und, wo man es nicht recht wieder eingerichtet, es auch unbrauchbar werden, und noch ein grösserer Schade dazu schlagen, oder da- her entstehen kan: also kan auch ein Glied an dem geistlichen Leibe Christi durch verführische und im Grunde irrige Lehre, oder mit Verle- tzung des Gewissens durch ein ruchloses Leben also verfallen, daß es demselben auch gleichsam abstirbet, oder doch also verrücket und verrencket wird, daß es aus seiner vorigen Ordnung kömmt; und, wofern es nicht bald und recht wieder einge- richtet wird, hernach einen solchen Schaden verursachet, dem nicht wieder so leicht zu hel- fen ist. 7. Die Art und Weise, wie die Einrich- tung, oder Ergäntzung dessen, was zurissen, ge- schehen soll, drucket der Apostel aus mit den [Spaltenumbruch] Worten en pneumati praotetos, im, oder mit dem Geist der Sanftmuth, mit sanft- müthigem Geist. Da denn das Wort Geist so viel heißt, als der Affect, oder die innere Ge- stalt und Beschaffenheit der Seele, welche sie, als ein unsterblicher Geist, von dem Heiligen Gei- ste hat. Es gehören aber zu diesem Geiste der Sanftmuth folgende Stücke: Die wahre Liebe, die wahre Demuth, und die Gelin- digkeit nebst der sehnlichen Begierde, dem gefallenen Nechsten wieder aufzuhelfen. Die Liebe muß im Glauben der Grund von dieser Pflicht seyn. Denn nach und in derselben er- weiset sich der rechte Fleiß, dem andern würck- lich zu helfen; da man ihn ansiehet, als ein Mit- glied und also beyzuspringen suchet, wie man siehet, daß am natürlichen Leibe ein Glied dem andern, sonderlich eine Hand der andern, und denn ein Finger dem andern, die Hand dem Fusse und den übrigen Gliedern willigen und schuldigen Dienst leistet. Nicht weniger muß es geschehen in der Demuth, daß man sich über den andern nicht erhebet; als wodurch alle ge- suchte Frucht würde gehemmet werden. Kömmt nun auch die freundliche und leutselige Gelin- digkeit dazu, so erweiset sich darinnen nach je- nen Gründen die Sanftmuth also, daß man dem Nechsten weder mit Geberden und Wor- ten, noch sonsten auf irgend eine andere Art hart fällt, und ihn also zur desto leichtern und gewis- sern Gewinnung von der Aufrichtigkeit seines Zwecks zu überzeugen suchet. Man sehe davon unter andern Psalm 141, 5. Der Gerechte schlage mich freundlich, und strafe mich: das wird mir so wohl thun, als ein Bal- sam auf meinem Haupte. Daß aber auch zuweilen ein mehrer Ernst nöthig sey, siehet man aus 1 Cor. 4, 21. 1 Tim. 5, 20. 2 Tim. 2, 24. Tit. 1, 13 2, 15. Jud. v. 22. 23. Daß nun aber eines verirreten und gefallenen Pflicht hingegen sey, sich fein einreden zu lassen, und zu folgen, bringet der Zweck der gesuchten Besserung und die Nothwendigkeit also mit sich. 8. Nun ist bey diesem Orte zuletzt noch zu erwegen, wie man im übrigen auf seiner eignen Hut seyn soll. Da es denn heißt: Siehe auf dich selbst, daß du nicht auch versuchet werdest. Die uns anbefohlne Aufsicht auf uns selbst führet uns auf die Demuth und Selbstprüfung, und also zu- vorderst auf die Erkäntniß unser selbst, daß wir wohl bedencken, wie daß wir selbst die Erb- Sünde noch an uns haben, und gleichen Ver- suchungen, in welchen der Neben-Christi nicht wohl bestanden, unterworfen sind, oder doch auch noch künftig auf andere Arten gesichtet wer- den können. Und solcher gestalt soll einen des andern Schaden klug machen, daß man sich vor dem Stein, daran er sich gestossen, hüte und ihm aus dem Wege gehe, damit man nicht mit dem Erfolg eines mercklichen Schadens versu- chet werde: als davon Paulus alhier eigentlich redet: da man sonst niemal von allen Versu- chungen gar frey ist. Diß Aufsehen auf sich selbst lehret uns insonderheit dieses, daß man sich
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 6, v. 1. [Spaltenumbruch]
nung der Wiedergeburt und Erneurungkoͤmmt. Denn obgleich auch ein fleiſchlicher dem andern viel gutes ſagen kan; ſo ſaget er es doch gemeiniglich nicht auf die gehoͤrige Art und Weiſe, noch mit genugſamen Nachdruck. Und dazu findet er mit ſeinen Erinnerungen ſo viel weniger Eingang, ſo viel anſtoͤßiger er dem andern mit ſeinem eignen Wandel iſt. c. Daß die Staͤrckern ſich von den Schwaͤ- chern, ja zum Anſtoß abweichenden, nicht al- ſo entziehen ſollen, daß ſie ihnen alle Gemein- ſchaft verſagen, und ſich gar von ihnen tren- nen: als wozu ſie leichtlich verſuchet werden koͤnnen; zumal, wenn ſie gegen dieſelbe ſich mit einiger Widrigkeit einnehmen laſ- ſen. Es iſt genug, wenn ſie ſich ihrer Verge- hungen nicht mit theilhaftig machen. Wol- ten ſie aber die Verirrete gar fahren laſſen, wo bliebe die Liebe, und die Nachfolge Chri- ſti, welcher die verirreten und verlohrnen Schafe ſuchet, und zwar zuvorderſt mittelba- rer weiſe; wie durch ſein Wort, alſo auch durch ſolche, welche daſſelbe ihnen zur Wie- derkehr ans Hertze legen. So heiſſet es ja auch: Was ihr wollet, daß euch die Leu- te thun ſollen, das thut ihnen auch. 6. Der dritte Punct iſt von dem, wie man den gefallenen wieder zurecht helfen ſolle. Da denn zweyerley zu mercken iſt: Erſtlich der eigentliche Nachdruck des Worts καταρτίζετε, helfet wieder zurecht; und denn die Art und Weiſe, daß es mit ſanftmuͤ- thigem Geiſte geſchehen ſoll. Καταρτίζειν, zu rechte helfen, wird ſonſt gebrauchet von dem, was baufaͤllig iſt und einen Riß hat, da es heißt, wieder ausbeſſern, ergaͤntzen: im- gleichen von der Wiedereinrichtung eines verrenckten Gliedes am Leibe, da es ſo viel iſt, als wieder einrencken, und wieder in ſeine rechte Ordnung ſetzen. Welches Gleichniß ſich auf die Chriſten gar wohl ſchicket. Denn ſie ſind Glieder unter dem hochgelobten Haupte, Chriſto, an ſeinem geiſtlichen Leibe. Gleich- wie es nun geſchiehet, daß ein Glied dergeſtalt durch dieſen und jenen Zufall angegriffen wird, daß gar der kalte Brand dazu ſchlaͤget; da es denn, wenn es dadurch dem Leibe gleichſam ab- geſtorben iſt, wol gar muß abgenommen wer- den: ein anderes aber nur verſtucket oder ver- rencket wird, und, wo man es nicht recht wieder eingerichtet, es auch unbrauchbar werden, und noch ein groͤſſerer Schade dazu ſchlagen, oder da- her entſtehen kan: alſo kan auch ein Glied an dem geiſtlichen Leibe Chriſti durch verfuͤhriſche und im Grunde irrige Lehre, oder mit Verle- tzung des Gewiſſens durch ein ruchloſes Leben alſo verfallen, daß es demſelben auch gleichſam abſtirbet, oder doch alſo verruͤcket und verrencket wird, daß es aus ſeiner vorigen Ordnung koͤmmt; und, wofern es nicht bald und recht wieder einge- richtet wird, hernach einen ſolchen Schaden verurſachet, dem nicht wieder ſo leicht zu hel- fen iſt. 7. Die Art und Weiſe, wie die Einrich- tung, oder Ergaͤntzung deſſen, was zuriſſen, ge- ſchehen ſoll, drucket der Apoſtel aus mit den [Spaltenumbruch] Worten ἐν πνέυματι πραότητος, im, oder mit dem Geiſt der Sanftmuth, mit ſanft- muͤthigem Geiſt. Da denn das Wort Geiſt ſo viel heißt, als der Affect, oder die innere Ge- ſtalt und Beſchaffenheit der Seele, welche ſie, als ein unſterblicher Geiſt, von dem Heiligen Gei- ſte hat. Es gehoͤren aber zu dieſem Geiſte der Sanftmuth folgende Stuͤcke: Die wahre Liebe, die wahre Demuth, und die Gelin- digkeit nebſt der ſehnlichen Begierde, dem gefallenen Nechſten wieder aufzuhelfen. Die Liebe muß im Glauben der Grund von dieſer Pflicht ſeyn. Denn nach und in derſelben er- weiſet ſich der rechte Fleiß, dem andern wuͤrck- lich zu helfen; da man ihn anſiehet, als ein Mit- glied und alſo beyzuſpringen ſuchet, wie man ſiehet, daß am natuͤrlichen Leibe ein Glied dem andern, ſonderlich eine Hand der andern, und denn ein Finger dem andern, die Hand dem Fuſſe und den uͤbrigen Gliedern willigen und ſchuldigen Dienſt leiſtet. Nicht weniger muß es geſchehen in der Demuth, daß man ſich uͤber den andern nicht erhebet; als wodurch alle ge- ſuchte Frucht wuͤrde gehemmet werden. Koͤmmt nun auch die freundliche und leutſelige Gelin- digkeit dazu, ſo erweiſet ſich darinnen nach je- nen Gruͤnden die Sanftmuth alſo, daß man dem Nechſten weder mit Geberden und Wor- ten, noch ſonſten auf irgend eine andere Art hart faͤllt, und ihn alſo zur deſto leichtern und gewiſ- ſern Gewinnung von der Aufrichtigkeit ſeines Zwecks zu uͤberzeugen ſuchet. Man ſehe davon unter andern Pſalm 141, 5. Der Gerechte ſchlage mich freundlich, und ſtrafe mich: das wird mir ſo wohl thun, als ein Bal- ſam auf meinem Haupte. Daß aber auch zuweilen ein mehrer Ernſt noͤthig ſey, ſiehet man aus 1 Cor. 4, 21. 1 Tim. 5, 20. 2 Tim. 2, 24. Tit. 1, 13 2, 15. Jud. v. 22. 23. Daß nun aber eines verirreten und gefallenen Pflicht hingegen ſey, ſich fein einreden zu laſſen, und zu folgen, bringet der Zweck der geſuchten Beſſerung und die Nothwendigkeit alſo mit ſich. 8. Nun iſt bey dieſem Orte zuletzt noch zu erwegen, wie man im uͤbrigen auf ſeiner eignen Hut ſeyn ſoll. Da es denn heißt: Siehe auf dich ſelbſt, daß du nicht auch verſuchet werdeſt. Die uns anbefohlne Aufſicht auf uns ſelbſt fuͤhret uns auf die Demuth und Selbſtpruͤfung, und alſo zu- vorderſt auf die Erkaͤntniß unſer ſelbſt, daß wir wohl bedencken, wie daß wir ſelbſt die Erb- Suͤnde noch an uns haben, und gleichen Ver- ſuchungen, in welchen der Neben-Chriſti nicht wohl beſtanden, unterworfen ſind, oder doch auch noch kuͤnftig auf andere Arten geſichtet wer- den koͤnnen. Und ſolcher geſtalt ſoll einen des andern Schaden klug machen, daß man ſich vor dem Stein, daran er ſich geſtoſſen, huͤte und ihm aus dem Wege gehe, damit man nicht mit dem Erfolg eines mercklichen Schadens verſu- chet werde: als davon Paulus alhier eigentlich redet: da man ſonſt niemal von allen Verſu- chungen gar frey iſt. Diß Aufſehen auf ſich ſelbſt lehret uns inſonderheit dieſes, daß man ſich
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Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 6, v. 1.
nung der Wiedergeburt und Erneurung
koͤmmt. Denn obgleich auch ein fleiſchlicher
dem andern viel gutes ſagen kan; ſo ſaget er
es doch gemeiniglich nicht auf die gehoͤrige Art
und Weiſe, noch mit genugſamen Nachdruck.
Und dazu findet er mit ſeinen Erinnerungen
ſo viel weniger Eingang, ſo viel anſtoͤßiger er
dem andern mit ſeinem eignen Wandel iſt.
c. Daß die Staͤrckern ſich von den Schwaͤ-
chern, ja zum Anſtoß abweichenden, nicht al-
ſo entziehen ſollen, daß ſie ihnen alle Gemein-
ſchaft verſagen, und ſich gar von ihnen tren-
nen: als wozu ſie leichtlich verſuchet werden
koͤnnen; zumal, wenn ſie gegen dieſelbe ſich
mit einiger Widrigkeit einnehmen laſ-
ſen. Es iſt genug, wenn ſie ſich ihrer Verge-
hungen nicht mit theilhaftig machen. Wol-
ten ſie aber die Verirrete gar fahren laſſen,
wo bliebe die Liebe, und die Nachfolge Chri-
ſti, welcher die verirreten und verlohrnen
Schafe ſuchet, und zwar zuvorderſt mittelba-
rer weiſe; wie durch ſein Wort, alſo auch
durch ſolche, welche daſſelbe ihnen zur Wie-
derkehr ans Hertze legen. So heiſſet es ja
auch: Was ihr wollet, daß euch die Leu-
te thun ſollen, das thut ihnen auch.
6. Der dritte Punct iſt von dem, wie
man den gefallenen wieder zurecht helfen
ſolle. Da denn zweyerley zu mercken iſt:
Erſtlich der eigentliche Nachdruck des Worts
καταρτίζετε, helfet wieder zurecht; und
denn die Art und Weiſe, daß es mit ſanftmuͤ-
thigem Geiſte geſchehen ſoll. Καταρτίζειν,
zu rechte helfen, wird ſonſt gebrauchet von
dem, was baufaͤllig iſt und einen Riß hat, da es
heißt, wieder ausbeſſern, ergaͤntzen: im-
gleichen von der Wiedereinrichtung eines
verrenckten Gliedes am Leibe, da es ſo viel
iſt, als wieder einrencken, und wieder in ſeine
rechte Ordnung ſetzen. Welches Gleichniß ſich
auf die Chriſten gar wohl ſchicket. Denn ſie
ſind Glieder unter dem hochgelobten Haupte,
Chriſto, an ſeinem geiſtlichen Leibe. Gleich-
wie es nun geſchiehet, daß ein Glied dergeſtalt
durch dieſen und jenen Zufall angegriffen wird,
daß gar der kalte Brand dazu ſchlaͤget; da es
denn, wenn es dadurch dem Leibe gleichſam ab-
geſtorben iſt, wol gar muß abgenommen wer-
den: ein anderes aber nur verſtucket oder ver-
rencket wird, und, wo man es nicht recht wieder
eingerichtet, es auch unbrauchbar werden, und
noch ein groͤſſerer Schade dazu ſchlagen, oder da-
her entſtehen kan: alſo kan auch ein Glied an
dem geiſtlichen Leibe Chriſti durch verfuͤhriſche
und im Grunde irrige Lehre, oder mit Verle-
tzung des Gewiſſens durch ein ruchloſes Leben
alſo verfallen, daß es demſelben auch gleichſam
abſtirbet, oder doch alſo verruͤcket und verrencket
wird, daß es aus ſeiner vorigen Ordnung koͤmmt;
und, wofern es nicht bald und recht wieder einge-
richtet wird, hernach einen ſolchen Schaden
verurſachet, dem nicht wieder ſo leicht zu hel-
fen iſt.
7. Die Art und Weiſe, wie die Einrich-
tung, oder Ergaͤntzung deſſen, was zuriſſen, ge-
ſchehen ſoll, drucket der Apoſtel aus mit den
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mit dem Geiſt der Sanftmuth, mit ſanft-
muͤthigem Geiſt. Da denn das Wort Geiſt
ſo viel heißt, als der Affect, oder die innere Ge-
ſtalt und Beſchaffenheit der Seele, welche ſie,
als ein unſterblicher Geiſt, von dem Heiligen Gei-
ſte hat. Es gehoͤren aber zu dieſem Geiſte der
Sanftmuth folgende Stuͤcke: Die wahre
Liebe, die wahre Demuth, und die Gelin-
digkeit nebſt der ſehnlichen Begierde, dem
gefallenen Nechſten wieder aufzuhelfen. Die
Liebe muß im Glauben der Grund von dieſer
Pflicht ſeyn. Denn nach und in derſelben er-
weiſet ſich der rechte Fleiß, dem andern wuͤrck-
lich zu helfen; da man ihn anſiehet, als ein Mit-
glied und alſo beyzuſpringen ſuchet, wie man
ſiehet, daß am natuͤrlichen Leibe ein Glied dem
andern, ſonderlich eine Hand der andern, und
denn ein Finger dem andern, die Hand dem
Fuſſe und den uͤbrigen Gliedern willigen und
ſchuldigen Dienſt leiſtet. Nicht weniger muß
es geſchehen in der Demuth, daß man ſich uͤber
den andern nicht erhebet; als wodurch alle ge-
ſuchte Frucht wuͤrde gehemmet werden. Koͤmmt
nun auch die freundliche und leutſelige Gelin-
digkeit dazu, ſo erweiſet ſich darinnen nach je-
nen Gruͤnden die Sanftmuth alſo, daß man
dem Nechſten weder mit Geberden und Wor-
ten, noch ſonſten auf irgend eine andere Art hart
faͤllt, und ihn alſo zur deſto leichtern und gewiſ-
ſern Gewinnung von der Aufrichtigkeit ſeines
Zwecks zu uͤberzeugen ſuchet. Man ſehe davon
unter andern Pſalm 141, 5. Der Gerechte
ſchlage mich freundlich, und ſtrafe mich:
das wird mir ſo wohl thun, als ein Bal-
ſam auf meinem Haupte. Daß aber auch
zuweilen ein mehrer Ernſt noͤthig ſey, ſiehet
man aus 1 Cor. 4, 21. 1 Tim. 5, 20. 2 Tim. 2,
24. Tit. 1, 13 2, 15. Jud. v. 22. 23. Daß
nun aber eines verirreten und gefallenen Pflicht
hingegen ſey, ſich fein einreden zu laſſen, und
zu folgen, bringet der Zweck der geſuchten
Beſſerung und die Nothwendigkeit alſo mit
ſich.
8. Nun iſt bey dieſem Orte zuletzt noch
zu erwegen, wie man im uͤbrigen auf ſeiner
eignen Hut ſeyn ſoll. Da es denn heißt:
Siehe auf dich ſelbſt, daß du nicht auch
verſuchet werdeſt. Die uns anbefohlne
Aufſicht auf uns ſelbſt fuͤhret uns auf die
Demuth und Selbſtpruͤfung, und alſo zu-
vorderſt auf die Erkaͤntniß unſer ſelbſt, daß wir
wohl bedencken, wie daß wir ſelbſt die Erb-
Suͤnde noch an uns haben, und gleichen Ver-
ſuchungen, in welchen der Neben-Chriſti nicht
wohl beſtanden, unterworfen ſind, oder doch
auch noch kuͤnftig auf andere Arten geſichtet wer-
den koͤnnen. Und ſolcher geſtalt ſoll einen des
andern Schaden klug machen, daß man ſich vor
dem Stein, daran er ſich geſtoſſen, huͤte und
ihm aus dem Wege gehe, damit man nicht mit
dem Erfolg eines mercklichen Schadens verſu-
chet werde: als davon Paulus alhier eigentlich
redet: da man ſonſt niemal von allen Verſu-
chungen gar frey iſt. Diß Aufſehen auf ſich
ſelbſt lehret uns inſonderheit dieſes, daß man
ſich
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