Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap 6, v. 1. Das sechste Capitel/ Darinnen der Apostel noch allerhand Erinnerungen giebet von den schuldigen Pflichten gegen die Jrrende und aus Schwachheit Sündigende/ mit der Ermahnung/ wie man seiner selbst dabey wohl wahrzunehmen habe: wie auch gegen die Lehrende und andere Noth- dürftige: dazu denn endlich der Beschluß kömmt vom eilften Vers: darinnen er den Galatern seine Liebe im Schreiben bezeuget und sie wider die falschen Lehrer warnet/ mit hinzu gethanem Segens-Wunsche. V. 1. [Spaltenumbruch]
LJeben Brüder, (dafür ich euch, Anmerckungen. 1. Es sind in diesem Spruche Pauli be- sonders vier Stücke zu mercken: a. daß es ge- schehen könne, daß iemand gar gröblich fehle: b. wie diejenige beschaffen seyn müssen, wel- che ihn wieder in gute Ordnung bringen sollen: c. wie sie dieses zu machen haben: und d. wie sie dabey selbst wohl auf ihrer eignen Hut ste- hen sollen. 2. Was im Teutschen durch das Wort Fehl übersetzet ist, heißt im Griechischen para- ptoma, ein Fall: davon es auch sonst ofter ge- brauchet wird, sonderlich Rom. 5, 15. 17. 18. 20. da es vom Fall Adams stehet: wiewol es auch sonst überhaupt so viel heißt, als Sünde. Und ist es alhier auch insgemein von einem Sünden- Fall zu verstehen, er sey nun schwerer, oder ge- ringer: doch aber eigentlich von einem solchen, der aus menschlicher Schwachheit kommt, son- derlich bey denen, welche toi~s pneumatikoi~s, den Geistlichen entgegen gesetzet, oder solche sind, bey welchen die fleischliche Unart noch nicht recht [Spaltenumbruch] überwältiget und entkräftet ist; oder bey welchen sie wieder aufs neue zu Kräften kömmt; zumal wenn man nicht von gantzem Hertzen an der Gna- de bleibet. Dergleichen viel von den Galatern waren; wie auch von den Corinthiern; wie sonderlich 1 Cor. 3, 1. 2. 3. zu sehen ist. Daß a- ber eigentlich die Rede sey von dem, was ohne Vorsatz aus Schwachheit geschiehet, siehet man aus dem Worte prolephthe, übereilet worden ist. Denn dadurch wird angezeiget, daß es gesche- he, ehe man es sich selbst versiehet. Daß aber die Rede nicht sey von einem ieden Fehler, der etwa innerlich mit einer unordentlichen Begier- de, oder äusserlich mit einer unanständigen Ge- berde, oder ungebührlichem Worte begangen wird, sondern von einem solchen, dadurch man theils selbst an seiner Seele mercklichen Scha- den nimmt, theils auch andern ein Aergerniß giebet; das siehet man daraus, daß dazu von andern eine Einrichtung erfodert wird. Wel- ches bey manchen geringern, und dazu sonder- lich verborgenen Fehlern nicht nöthig ist: zumal bey denen, welche der innern Züchtigung des Heiligen Geistes bey sich Platz lassen. 3. Wir haben aber von diesem ersten Pun- cte noch folgendes zu mercken: a. Die Ubereilung pfleget aus vielerley Ursachen zu geschehen: als z. e. aus solchem sündlichen Affect, dazu man der Complexion, oder dem natürlichen Temperamente nach vor andern sehr geneiget ist: imgleichen wo einem eine sonderbare etwas stärcker reitzende Gelegen- heit zu dieser und jener Sünde gantz unver- muthet, da man sich dessen nicht versehen hät- te, und man sich also gegen die Versuchung nicht besonders gewaffnet hat, aufstösset: oder auch wenn man vieler anderer Zerstreuungen wegen sich ohne das sehr entkräftet findet, und also desto eher dahin gerissen werden kan. Ferner wenn man in eine Trägheit und Si- cherheit eingegangen, und vermeinet ohne Ge- fahr zu seyn: da sie denn wol am grössesten ist. So wird auch der Sünde ein Betrug zugeschrieben Hebr. 3, 13. weil einem oft eine gar sündliche Sache als eine Kleinigkeit, oder gar als etwas zuläßiges vorkömmt; und da- her die Einwilligung so viel eher geschiehet. Zuwei-
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap 6, v. 1. Das ſechſte Capitel/ Darinnen der Apoſtel noch allerhand Erinnerungen giebet von den ſchuldigen Pflichten gegen die Jrrende und aus Schwachheit Suͤndigende/ mit der Ermahnung/ wie man ſeiner ſelbſt dabey wohl wahrzunehmen habe: wie auch gegen die Lehrende und andere Noth- duͤrftige: dazu denn endlich der Beſchluß koͤmmt vom eilften Vers: darinnen er den Galatern ſeine Liebe im Schreiben bezeuget und ſie wider die falſchen Lehrer warnet/ mit hinzu gethanem Segens-Wunſche. V. 1. [Spaltenumbruch]
LJeben Bruͤder, (dafuͤr ich euch, Anmerckungen. 1. Es ſind in dieſem Spruche Pauli be- ſonders vier Stuͤcke zu mercken: a. daß es ge- ſchehen koͤnne, daß iemand gar groͤblich fehle: b. wie diejenige beſchaffen ſeyn muͤſſen, wel- che ihn wieder in gute Ordnung bringen ſollen: c. wie ſie dieſes zu machen haben: und d. wie ſie dabey ſelbſt wohl auf ihrer eignen Hut ſte- hen ſollen. 2. Was im Teutſchen durch das Wort Fehl uͤberſetzet iſt, heißt im Griechiſchen παρά- πτωμα, ein Fall: davon es auch ſonſt ofter ge- brauchet wird, ſonderlich Rom. 5, 15. 17. 18. 20. da es vom Fall Adams ſtehet: wiewol es auch ſonſt uͤberhaupt ſo viel heißt, als Suͤnde. Und iſt es alhier auch insgemein von einem Suͤnden- Fall zu verſtehen, er ſey nun ſchwerer, oder ge- ringer: doch aber eigentlich von einem ſolchen, der aus menſchlicher Schwachheit kommt, ſon- derlich bey denen, welche τοι῀ς πνευματικοι῀ς, den Geiſtlichen entgegen geſetzet, oder ſolche ſind, bey welchen die fleiſchliche Unart noch nicht recht [Spaltenumbruch] uͤberwaͤltiget und entkraͤftet iſt; oder bey welchen ſie wieder aufs neue zu Kraͤften koͤmmt; zumal wenn man nicht von gantzem Hertzen an der Gna- de bleibet. Dergleichen viel von den Galatern waren; wie auch von den Corinthiern; wie ſonderlich 1 Cor. 3, 1. 2. 3. zu ſehen iſt. Daß a- ber eigentlich die Rede ſey von dem, was ohne Vorſatz aus Schwachheit geſchiehet, ſiehet man aus dem Worte προληφϑῆ, uͤbereilet worden iſt. Denn dadurch wird angezeiget, daß es geſche- he, ehe man es ſich ſelbſt verſiehet. Daß aber die Rede nicht ſey von einem ieden Fehler, der etwa innerlich mit einer unordentlichen Begier- de, oder aͤuſſerlich mit einer unanſtaͤndigen Ge- berde, oder ungebuͤhrlichem Worte begangen wird, ſondern von einem ſolchen, dadurch man theils ſelbſt an ſeiner Seele mercklichen Scha- den nimmt, theils auch andern ein Aergerniß giebet; das ſiehet man daraus, daß dazu von andern eine Einrichtung erfodert wird. Wel- ches bey manchen geringern, und dazu ſonder- lich verborgenen Fehlern nicht noͤthig iſt: zumal bey denen, welche der innern Zuͤchtigung des Heiligen Geiſtes bey ſich Platz laſſen. 3. Wir haben aber von dieſem erſten Pun- cte noch folgendes zu mercken: a. Die Ubereilung pfleget aus vielerley Urſachen zu geſchehen: als z. e. aus ſolchem ſuͤndlichen Affect, dazu man der Complexion, oder dem natuͤrlichen Temperamente nach vor andern ſehr geneiget iſt: imgleichen wo einem eine ſonderbare etwas ſtaͤrcker reitzende Gelegen- heit zu dieſer und jener Suͤnde gantz unver- muthet, da man ſich deſſen nicht verſehen haͤt- te, und man ſich alſo gegen die Verſuchung nicht beſonders gewaffnet hat, aufſtoͤſſet: oder auch wenn man vieler anderer Zerſtreuungen wegen ſich ohne das ſehr entkraͤftet findet, und alſo deſto eher dahin geriſſen werden kan. Ferner wenn man in eine Traͤgheit und Si- cherheit eingegangen, und vermeinet ohne Ge- fahr zu ſeyn: da ſie denn wol am groͤſſeſten iſt. So wird auch der Suͤnde ein Betrug zugeſchrieben Hebr. 3, 13. weil einem oft eine gar ſuͤndliche Sache als eine Kleinigkeit, oder gar als etwas zulaͤßiges vorkoͤmmt; und da- her die Einwilligung ſo viel eher geſchiehet. Zuwei-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0600" n="572"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Erklaͤrung des Briefs Pauli <hi rendition="#et">Cap 6, v. 1.</hi></hi> </fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das ſechſte Capitel/<lb/> Darinnen der Apoſtel noch allerhand Erinnerungen giebet<lb/> von den ſchuldigen Pflichten gegen die Jrrende und aus Schwachheit<lb/> Suͤndigende/ mit der Ermahnung/ wie man ſeiner ſelbſt dabey wohl<lb/> wahrzunehmen habe: wie auch gegen die Lehrende und andere Noth-<lb/> duͤrftige: dazu denn endlich der Beſchluß koͤmmt vom eilften Vers:<lb/> darinnen er den Galatern ſeine Liebe im Schreiben bezeuget und<lb/> ſie wider die falſchen Lehrer warnet/ mit hinzu gethanem<lb/> Segens-Wunſche.</hi> </head><lb/> <div n="3"> <head>V. 1.</head><lb/> <cb/> <p><hi rendition="#fr"><hi rendition="#in">L</hi>Jeben Bruͤder,</hi> (dafuͤr ich euch,<lb/> eurer Abweichung ungeachtet,<lb/> noch halte; wie denn auch man-<lb/> che daran noch nicht ſonderlich<lb/> Theil werden genommen haben,)<lb/><hi rendition="#fr">ſo ein Menſch</hi> (der ſeiner menſchlichen Na-<lb/> tur nach den Schwachheiten und Fehlern un-<lb/> terworfen iſt 1 Koͤn. 8, 46. Pred. 7, 21. Jac. 3,<lb/> 2.) <hi rendition="#fr">etwa von einem Fehl</hi> (ἐν τινὶ παραπτώ-<lb/> ματι, von einigem Falle,) <hi rendition="#fr">uͤbereilet wuͤrde,</hi><lb/> (alſo daß das, ſo geſchiehet, mehr aus Schwach-<lb/> heit, als aus Bosheit und Vorſatze herruͤhret,)<lb/><hi rendition="#fr">ſo helft ihm wieder zu recht,</hi> (καταρτίζε-<lb/> τε, richtet ihn, als ein verrencktes Glied, wie-<lb/> der ein,) <hi rendition="#fr">die ihr geiſtlich ſeyd,</hi> (bey dem<lb/> geiſtlichen Sinne, dazu ihr die Tuͤchtigkeit ha-<lb/> bet; gleichwie die Pflicht davon auf euch lie-<lb/> get.) <hi rendition="#fr">Und ſiehe</hi> (ein ieder ſolcher Geiſtli-<lb/> chen,) <hi rendition="#fr">auf dich ſelbſt, daß du nicht auch<lb/> verſuchet werdeſt,</hi> (und alſo laß dir deines<lb/> Nechſten Fehltritt, er ſey geringer, oder groͤſſer,<lb/> und ſchwerer, zur deſto mehrern Wahrneh-<lb/> mung deiner ſelbſt dienen: ſintemal dir, was<lb/> jenem widerfahren iſt, auch begegnen kan)</p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Es ſind in dieſem Spruche Pauli be-<lb/> ſonders vier Stuͤcke zu mercken: <hi rendition="#aq">a.</hi> daß es ge-<lb/> ſchehen koͤnne, daß iemand gar <hi rendition="#fr">groͤblich fehle:</hi><lb/><hi rendition="#aq">b.</hi> wie <hi rendition="#fr">diejenige beſchaffen ſeyn muͤſſen,</hi> wel-<lb/> che ihn wieder in gute Ordnung bringen ſollen:<lb/><hi rendition="#aq">c.</hi> wie ſie dieſes <hi rendition="#fr">zu machen</hi> haben: und <hi rendition="#aq">d.</hi> wie<lb/> ſie dabey ſelbſt wohl auf ihrer <hi rendition="#fr">eignen Hut</hi> ſte-<lb/> hen ſollen.</item><lb/> <item>2. Was im Teutſchen durch das Wort<lb/><hi rendition="#fr">Fehl</hi> uͤberſetzet iſt, heißt im Griechiſchen παρά-<lb/> πτωμα, ein Fall: davon es auch ſonſt ofter ge-<lb/> brauchet wird, ſonderlich Rom. 5, 15. 17. 18. 20.<lb/> da es vom Fall Adams ſtehet: wiewol es auch<lb/> ſonſt uͤberhaupt ſo viel heißt, als <hi rendition="#fr">Suͤnde.</hi> Und<lb/> iſt es alhier auch insgemein von einem Suͤnden-<lb/> Fall zu verſtehen, er ſey nun ſchwerer, oder ge-<lb/> ringer: doch aber eigentlich von einem ſolchen,<lb/> der aus menſchlicher Schwachheit kommt, ſon-<lb/> derlich bey denen, welche τοι῀ς πνευματικοι῀ς, den<lb/> Geiſtlichen entgegen geſetzet, oder ſolche ſind,<lb/> bey welchen die fleiſchliche Unart noch nicht recht<lb/><cb/> uͤberwaͤltiget und entkraͤftet iſt; oder bey welchen<lb/> ſie wieder aufs neue zu Kraͤften koͤmmt; zumal<lb/> wenn man nicht von gantzem Hertzen an der Gna-<lb/> de bleibet. Dergleichen viel von den Galatern<lb/> waren; wie auch von den Corinthiern; wie<lb/> ſonderlich 1 Cor. 3, 1. 2. 3. zu ſehen iſt. Daß a-<lb/> ber eigentlich die Rede ſey von dem, was ohne<lb/> Vorſatz aus Schwachheit geſchiehet, ſiehet man<lb/> aus dem Worte προληφϑῆ, <hi rendition="#fr">uͤbereilet worden<lb/> iſt.</hi> Denn dadurch wird angezeiget, daß es geſche-<lb/> he, ehe man es ſich ſelbſt verſiehet. Daß aber<lb/> die Rede nicht ſey von einem ieden Fehler, der<lb/> etwa innerlich mit einer unordentlichen Begier-<lb/> de, oder aͤuſſerlich mit einer unanſtaͤndigen Ge-<lb/> berde, oder ungebuͤhrlichem Worte begangen<lb/> wird, ſondern von einem ſolchen, dadurch man<lb/> theils ſelbſt an ſeiner Seele mercklichen Scha-<lb/> den nimmt, theils auch andern ein Aergerniß<lb/> giebet; das ſiehet man daraus, daß dazu von<lb/> andern eine <hi rendition="#fr">Einrichtung</hi> erfodert wird. Wel-<lb/> ches bey manchen geringern, und dazu ſonder-<lb/> lich verborgenen Fehlern nicht noͤthig iſt: zumal<lb/> bey denen, welche der innern Zuͤchtigung des<lb/> Heiligen Geiſtes bey ſich Platz laſſen.</item><lb/> <item>3. Wir haben aber von dieſem erſten Pun-<lb/> cte noch folgendes zu mercken:<lb/><list><item><hi rendition="#aq">a.</hi> Die Ubereilung pfleget aus vielerley Urſachen<lb/> zu geſchehen: als z. e. aus ſolchem ſuͤndlichen<lb/><hi rendition="#aq">Affect,</hi> dazu man der <hi rendition="#aq">Complexion,</hi> oder dem<lb/> natuͤrlichen <hi rendition="#aq">Temperament</hi>e nach vor andern<lb/> ſehr geneiget iſt: imgleichen wo einem eine<lb/> ſonderbare etwas ſtaͤrcker reitzende Gelegen-<lb/> heit zu dieſer und jener Suͤnde gantz unver-<lb/> muthet, da man ſich deſſen nicht verſehen haͤt-<lb/> te, und man ſich alſo gegen die Verſuchung<lb/> nicht beſonders gewaffnet hat, aufſtoͤſſet: oder<lb/> auch wenn man vieler anderer Zerſtreuungen<lb/> wegen ſich ohne das ſehr entkraͤftet findet, und<lb/> alſo deſto eher dahin geriſſen werden kan.<lb/> Ferner wenn man in eine Traͤgheit und Si-<lb/> cherheit eingegangen, und vermeinet ohne Ge-<lb/> fahr zu ſeyn: da ſie denn wol am groͤſſeſten<lb/> iſt. So wird auch der Suͤnde ein <hi rendition="#fr">Betrug</hi><lb/> zugeſchrieben Hebr. 3, 13. weil einem oft eine<lb/> gar ſuͤndliche Sache als eine Kleinigkeit, oder<lb/> gar als etwas zulaͤßiges vorkoͤmmt; und da-<lb/> her die Einwilligung ſo viel eher geſchiehet.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Zuwei-</fw><lb/></item></list></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [572/0600]
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap 6, v. 1.
Das ſechſte Capitel/
Darinnen der Apoſtel noch allerhand Erinnerungen giebet
von den ſchuldigen Pflichten gegen die Jrrende und aus Schwachheit
Suͤndigende/ mit der Ermahnung/ wie man ſeiner ſelbſt dabey wohl
wahrzunehmen habe: wie auch gegen die Lehrende und andere Noth-
duͤrftige: dazu denn endlich der Beſchluß koͤmmt vom eilften Vers:
darinnen er den Galatern ſeine Liebe im Schreiben bezeuget und
ſie wider die falſchen Lehrer warnet/ mit hinzu gethanem
Segens-Wunſche.
V. 1.
LJeben Bruͤder, (dafuͤr ich euch,
eurer Abweichung ungeachtet,
noch halte; wie denn auch man-
che daran noch nicht ſonderlich
Theil werden genommen haben,)
ſo ein Menſch (der ſeiner menſchlichen Na-
tur nach den Schwachheiten und Fehlern un-
terworfen iſt 1 Koͤn. 8, 46. Pred. 7, 21. Jac. 3,
2.) etwa von einem Fehl (ἐν τινὶ παραπτώ-
ματι, von einigem Falle,) uͤbereilet wuͤrde,
(alſo daß das, ſo geſchiehet, mehr aus Schwach-
heit, als aus Bosheit und Vorſatze herruͤhret,)
ſo helft ihm wieder zu recht, (καταρτίζε-
τε, richtet ihn, als ein verrencktes Glied, wie-
der ein,) die ihr geiſtlich ſeyd, (bey dem
geiſtlichen Sinne, dazu ihr die Tuͤchtigkeit ha-
bet; gleichwie die Pflicht davon auf euch lie-
get.) Und ſiehe (ein ieder ſolcher Geiſtli-
chen,) auf dich ſelbſt, daß du nicht auch
verſuchet werdeſt, (und alſo laß dir deines
Nechſten Fehltritt, er ſey geringer, oder groͤſſer,
und ſchwerer, zur deſto mehrern Wahrneh-
mung deiner ſelbſt dienen: ſintemal dir, was
jenem widerfahren iſt, auch begegnen kan)
Anmerckungen.
1. Es ſind in dieſem Spruche Pauli be-
ſonders vier Stuͤcke zu mercken: a. daß es ge-
ſchehen koͤnne, daß iemand gar groͤblich fehle:
b. wie diejenige beſchaffen ſeyn muͤſſen, wel-
che ihn wieder in gute Ordnung bringen ſollen:
c. wie ſie dieſes zu machen haben: und d. wie
ſie dabey ſelbſt wohl auf ihrer eignen Hut ſte-
hen ſollen.
2. Was im Teutſchen durch das Wort
Fehl uͤberſetzet iſt, heißt im Griechiſchen παρά-
πτωμα, ein Fall: davon es auch ſonſt ofter ge-
brauchet wird, ſonderlich Rom. 5, 15. 17. 18. 20.
da es vom Fall Adams ſtehet: wiewol es auch
ſonſt uͤberhaupt ſo viel heißt, als Suͤnde. Und
iſt es alhier auch insgemein von einem Suͤnden-
Fall zu verſtehen, er ſey nun ſchwerer, oder ge-
ringer: doch aber eigentlich von einem ſolchen,
der aus menſchlicher Schwachheit kommt, ſon-
derlich bey denen, welche τοι῀ς πνευματικοι῀ς, den
Geiſtlichen entgegen geſetzet, oder ſolche ſind,
bey welchen die fleiſchliche Unart noch nicht recht
uͤberwaͤltiget und entkraͤftet iſt; oder bey welchen
ſie wieder aufs neue zu Kraͤften koͤmmt; zumal
wenn man nicht von gantzem Hertzen an der Gna-
de bleibet. Dergleichen viel von den Galatern
waren; wie auch von den Corinthiern; wie
ſonderlich 1 Cor. 3, 1. 2. 3. zu ſehen iſt. Daß a-
ber eigentlich die Rede ſey von dem, was ohne
Vorſatz aus Schwachheit geſchiehet, ſiehet man
aus dem Worte προληφϑῆ, uͤbereilet worden
iſt. Denn dadurch wird angezeiget, daß es geſche-
he, ehe man es ſich ſelbſt verſiehet. Daß aber
die Rede nicht ſey von einem ieden Fehler, der
etwa innerlich mit einer unordentlichen Begier-
de, oder aͤuſſerlich mit einer unanſtaͤndigen Ge-
berde, oder ungebuͤhrlichem Worte begangen
wird, ſondern von einem ſolchen, dadurch man
theils ſelbſt an ſeiner Seele mercklichen Scha-
den nimmt, theils auch andern ein Aergerniß
giebet; das ſiehet man daraus, daß dazu von
andern eine Einrichtung erfodert wird. Wel-
ches bey manchen geringern, und dazu ſonder-
lich verborgenen Fehlern nicht noͤthig iſt: zumal
bey denen, welche der innern Zuͤchtigung des
Heiligen Geiſtes bey ſich Platz laſſen.
3. Wir haben aber von dieſem erſten Pun-
cte noch folgendes zu mercken:
a. Die Ubereilung pfleget aus vielerley Urſachen
zu geſchehen: als z. e. aus ſolchem ſuͤndlichen
Affect, dazu man der Complexion, oder dem
natuͤrlichen Temperamente nach vor andern
ſehr geneiget iſt: imgleichen wo einem eine
ſonderbare etwas ſtaͤrcker reitzende Gelegen-
heit zu dieſer und jener Suͤnde gantz unver-
muthet, da man ſich deſſen nicht verſehen haͤt-
te, und man ſich alſo gegen die Verſuchung
nicht beſonders gewaffnet hat, aufſtoͤſſet: oder
auch wenn man vieler anderer Zerſtreuungen
wegen ſich ohne das ſehr entkraͤftet findet, und
alſo deſto eher dahin geriſſen werden kan.
Ferner wenn man in eine Traͤgheit und Si-
cherheit eingegangen, und vermeinet ohne Ge-
fahr zu ſeyn: da ſie denn wol am groͤſſeſten
iſt. So wird auch der Suͤnde ein Betrug
zugeſchrieben Hebr. 3, 13. weil einem oft eine
gar ſuͤndliche Sache als eine Kleinigkeit, oder
gar als etwas zulaͤßiges vorkoͤmmt; und da-
her die Einwilligung ſo viel eher geſchiehet.
Zuwei-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |