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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des Briefs Pauli Cap. 5, 14. 15.
[Spaltenumbruch] fern er es thut, geschiehet es auf eine so verkehrte
Art, als er sich selbst liebet: dabey auf die Wohl-
fahrt der Seele gar nicht gesehen wird, gleich-
wie er bey sich selbst darauf nicht siehet.
7. Soll nun die Liebe gegen den Nech-
sten rechter Art werden, so muß der Anfang bey
der Liebe gegen uns selbst geschehen, also, daß
diese aus dem Glauben komme und in der Liebe
gegen GOtt nach der ersten Tafel des Gesetzes
recht gegründet werde. Dieses aber kan nicht
geschehen, es sey denn, daß der Mensch sich in
die Heils-Ordnung bringen lasse. Denn die
wohlgeordnete Liebe gegen uns selbst, wodurch
der Mensch seine wahrhaftige geistliche und ewi-
ge, auch davon auf gewisse Art dependirende
zeitliche Wohlfahrt suchet, hebet sich darinnen
an mit einem ernstlichen Haß gegen uns
selbst, in Ansehung unserer so grossen und so
tief eingewurtzelten Unart, uud also auch mit der
Verleugnung aller so sehr verkehrten Eigen- und
Welt-Liebe.
8. Gleichwie nun ein Mensch durch solche
wohlgeordnete Liebe gegen sich selbst zuvorderst
das geistliche und ewige Beste seiner Seele su-
chet und alles gern unterlässet, was diesem
Zweck entgegen stehet, und das Leibliche denn
auch in solcher Ordnung beobachtet, als es die
Wohlfahrt der Seele nach dem Willen GOttes
erfodert: so hält er gleiche Ordnung in der Liebe
gegen den Nechsten.
9. Es ist demnach ein sehr grosser Unter-
scheid zwischen der wohlgeordneten und nur
bloß gemäßigten Liebe gegen uns selbst und den
Nechsten. Denn da die Liebe gegen uns selbst
und gegen den Nechsten, auch gegen die Welt
oder andere Creaturen, durch den Sünden-Fall
gantz verkehret ist; so ist sie bey allen Menschen,
so lange sie ausser der Heils-Ordnung stehen (als
darinnen die Liebe erst rectificiret wird) sie mag
mäßig, oder unmäßig seyn, sündlich; und also ist
eine gemäßigte Liebe eine solche gemäßigte Sün-
de. Wohlgeordnet wird sie aber durch die
Heils-Ordnung, davon sie denn auch billig
also genennet wird. Und gleichwie die verkehr-
te Liebe, sie mag mäßig, oder unmäßig seyn (al-
so, daß man sich durch die unmäßige selbst pro-
stituir
et, bey der gemäßigten aber mehr in den
Schrancken der Ehrbarkeit bleibet) den verderb-
ten eignen Willen zum Grunde hat: also hat
die wohlgeordnete den Willen und das Ge-
setz GOttes
zur Richtschnur.
V. 15.

So ihr euch aber (bey der Zerrüttung in
der Lehre mit fleischlichem Zancken und Disputi-
ren, wer recht habe, oder nicht) untereinander
(wie die wilden Thiere, oder Hunde; wiewol
unter solchen von einerley Art es nicht einmal da-
zu zu kommen pfleget) beisset und fresset (mit
harten Beschuldigungen und Läster-Worten)
so sehet zu, daß ihr nicht unter einander ver-
zehret werdet
(euch um alle eure, sonderlich
die geistliche und ewige, Wohlfahrt bringet, und
zuvorderst das geistliche Leben samt dem Glau-
ben vollends in euch vernichtet und verstöhret;
[Spaltenumbruch] und also stehet von solchem Beissen und Hetzen
ab, dadurch es verursachet wird.

Anmerckungen.
1. Man siehet hieraus, was die Zerrüt-
tung der Gemüther in Glaubens-Sachen und
unter den Galatern angerichtet habe; und daß
Paulus davon benachrichtiget worden; nem-
lich ein solches fleischliches Gezäncke, dadurch sie
sehr aneinander gerathen sind.
2. Man erkennet zugleich aber auch dieses
daraus, daß nicht alle Gläubige unter den Ga-
latern sich von den verführischen Lehrern haben
einnehmen lassen. Denn hätten sie sich alle zur
Annehmung irriger Lehr-Sätze mit einander
vereiniget, so würde kein Zanck und Wider-
spruch entstanden seyn. Weil aber nur einige,
obwol mehrere, sich davon einnehmen lassen; so
haben diese ohne Zweifel alles besser wissen und
die übrigen auch auf ihre Meinung bringen
wollen: und da sie sich dazu nicht erkläret, son-
dern ihnen widersprochen haben, sind sie ohne
Zweifel mit rohen und harten Sinn und Wor-
ten über sie hergefahren, also daß eine Mißhel-
ligkeit und Verbitterung aus der andern ent-
standen: und ist leichtlich zu vermuthen, daß
denn auch manche von denjenigen, welche bey
der Lauterkeit der Lehre geblieben, bey ihrer
Verantwortung auch nicht alle oder allemal in
den rechten Schrancken sich gehalten haben.
3. Ein iegliches Laster führet auch schon in
der Zeit einige Strafe mit sich, da hingegen eine
iede Tugend schon einige Belohnung zum vor-
aus bey sich hat. Denn gleichwie die Liebe
bessert und das Gewissen in guter Ruhe und Zu-
friedenheit lässet, und damit auch manchen leib-
lichen Zufall verhindert: also bringet Haß und
Zanck lauter innere Unruhe und Unzufriedenheit
mit sich, pfleget auch wol dem Leibe selbst an der
Gesundheit zu schaden: wie denn manche Men-
schen durch den heftigen Affect des Zorns sich ei-
ne plötzliche Kranckheit über den Hals ziehen.
4. Was Paulus von den Galatern, die
aus dem Heidenthum und Judenthum ausge-
gangen waren, und die Christliche Religion an-
genommen hatten, saget, das mag man leider
nun bereits von zweyhundert Jahren her von
den Protestanten, die das Joch des Pabstthums
von sich abgeworfen haben, sagen; nemlich, daß
sie sich selbst unter einander oftmals also gebissen
und gefressen haben, daß sie schon manchmal von
jenem hätten leichtlich wieder verzehret werden
können, zum theil auch würcklich verzehret wor-
den sind.
5. Jm übrigen stehet diese apostolische
Warnung auch den langwierigen und schädli-
chen Processen von vieler Art, sonderlich denen,
welche der Iniurien wegen geführet werden, ent-
gegen: da sich gewißlich nicht allein die Par-
teyen, sondern auch die Richter und Advocaten
sehr schwer an GOtt und ihrem Nechsten versün-
digen, und verursachen, daß mancher nicht al-
lein um sein gut Gewissen und die Gemüths-
Ruhe, sondern auch um sein Brodt kömmt.
Da gewißlich, nachdem man der Obrigkeitli-
chen
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 5, 14. 15.
[Spaltenumbruch] fern er es thut, geſchiehet es auf eine ſo verkehrte
Art, als er ſich ſelbſt liebet: dabey auf die Wohl-
fahrt der Seele gar nicht geſehen wird, gleich-
wie er bey ſich ſelbſt darauf nicht ſiehet.
7. Soll nun die Liebe gegen den Nech-
ſten rechter Art werden, ſo muß der Anfang bey
der Liebe gegen uns ſelbſt geſchehen, alſo, daß
dieſe aus dem Glauben komme und in der Liebe
gegen GOtt nach der erſten Tafel des Geſetzes
recht gegruͤndet werde. Dieſes aber kan nicht
geſchehen, es ſey denn, daß der Menſch ſich in
die Heils-Ordnung bringen laſſe. Denn die
wohlgeordnete Liebe gegen uns ſelbſt, wodurch
der Menſch ſeine wahrhaftige geiſtliche und ewi-
ge, auch davon auf gewiſſe Art dependirende
zeitliche Wohlfahrt ſuchet, hebet ſich darinnen
an mit einem ernſtlichen Haß gegen uns
ſelbſt, in Anſehung unſerer ſo groſſen und ſo
tief eingewurtzelten Unart, uud alſo auch mit der
Verleugnung aller ſo ſehr verkehrten Eigen- und
Welt-Liebe.
8. Gleichwie nun ein Menſch durch ſolche
wohlgeordnete Liebe gegen ſich ſelbſt zuvorderſt
das geiſtliche und ewige Beſte ſeiner Seele ſu-
chet und alles gern unterlaͤſſet, was dieſem
Zweck entgegen ſtehet, und das Leibliche denn
auch in ſolcher Ordnung beobachtet, als es die
Wohlfahrt der Seele nach dem Willen GOttes
erfodert: ſo haͤlt er gleiche Ordnung in der Liebe
gegen den Nechſten.
9. Es iſt demnach ein ſehr groſſer Unter-
ſcheid zwiſchen der wohlgeordneten und nur
bloß gemaͤßigten Liebe gegen uns ſelbſt und den
Nechſten. Denn da die Liebe gegen uns ſelbſt
und gegen den Nechſten, auch gegen die Welt
oder andere Creaturen, durch den Suͤnden-Fall
gantz verkehret iſt; ſo iſt ſie bey allen Menſchen,
ſo lange ſie auſſer der Heils-Ordnung ſtehen (als
darinnen die Liebe erſt rectificiret wird) ſie mag
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Heils-Ordnung, davon ſie denn auch billig
alſo genennet wird. Und gleichwie die verkehr-
te Liebe, ſie mag maͤßig, oder unmaͤßig ſeyn (al-
ſo, daß man ſich durch die unmaͤßige ſelbſt pro-
ſtituir
et, bey der gemaͤßigten aber mehr in den
Schrancken der Ehrbarkeit bleibet) den verderb-
ten eignen Willen zum Grunde hat: alſo hat
die wohlgeordnete den Willen und das Ge-
ſetz GOttes
zur Richtſchnur.
V. 15.

So ihr euch aber (bey der Zerruͤttung in
der Lehre mit fleiſchlichem Zancken und Diſputi-
ren, wer recht habe, oder nicht) untereinander
(wie die wilden Thiere, oder Hunde; wiewol
unter ſolchen von einerley Art es nicht einmal da-
zu zu kommen pfleget) beiſſet und freſſet (mit
harten Beſchuldigungen und Laͤſter-Worten)
ſo ſehet zu, daß ihr nicht unter einander ver-
zehret werdet
(euch um alle eure, ſonderlich
die geiſtliche und ewige, Wohlfahrt bringet, und
zuvorderſt das geiſtliche Leben ſamt dem Glau-
ben vollends in euch vernichtet und verſtoͤhret;
[Spaltenumbruch] und alſo ſtehet von ſolchem Beiſſen und Hetzen
ab, dadurch es verurſachet wird.

Anmerckungen.
1. Man ſiehet hieraus, was die Zerruͤt-
tung der Gemuͤther in Glaubens-Sachen und
unter den Galatern angerichtet habe; und daß
Paulus davon benachrichtiget worden; nem-
lich ein ſolches fleiſchliches Gezaͤncke, dadurch ſie
ſehr aneinander gerathen ſind.
2. Man erkennet zugleich aber auch dieſes
daraus, daß nicht alle Glaͤubige unter den Ga-
latern ſich von den verfuͤhriſchen Lehrern haben
einnehmen laſſen. Denn haͤtten ſie ſich alle zur
Annehmung irriger Lehr-Saͤtze mit einander
vereiniget, ſo wuͤrde kein Zanck und Wider-
ſpruch entſtanden ſeyn. Weil aber nur einige,
obwol mehrere, ſich davon einnehmen laſſen; ſo
haben dieſe ohne Zweifel alles beſſer wiſſen und
die uͤbrigen auch auf ihre Meinung bringen
wollen: und da ſie ſich dazu nicht erklaͤret, ſon-
dern ihnen widerſprochen haben, ſind ſie ohne
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ten uͤber ſie hergefahren, alſo daß eine Mißhel-
ligkeit und Verbitterung aus der andern ent-
ſtanden: und iſt leichtlich zu vermuthen, daß
denn auch manche von denjenigen, welche bey
der Lauterkeit der Lehre geblieben, bey ihrer
Verantwortung auch nicht alle oder allemal in
den rechten Schrancken ſich gehalten haben.
3. Ein iegliches Laſter fuͤhret auch ſchon in
der Zeit einige Strafe mit ſich, da hingegen eine
iede Tugend ſchon einige Belohnung zum vor-
aus bey ſich hat. Denn gleichwie die Liebe
beſſert und das Gewiſſen in guter Ruhe und Zu-
friedenheit laͤſſet, und damit auch manchen leib-
lichen Zufall verhindert: alſo bringet Haß und
Zanck lauter innere Unruhe und Unzufriedenheit
mit ſich, pfleget auch wol dem Leibe ſelbſt an der
Geſundheit zu ſchaden: wie denn manche Men-
ſchen durch den heftigen Affect des Zorns ſich ei-
ne ploͤtzliche Kranckheit uͤber den Hals ziehen.
4. Was Paulus von den Galatern, die
aus dem Heidenthum und Judenthum ausge-
gangen waren, und die Chriſtliche Religion an-
genommen hatten, ſaget, das mag man leider
nun bereits von zweyhundert Jahren her von
den Proteſtanten, die das Joch des Pabſtthums
von ſich abgeworfen haben, ſagen; nemlich, daß
ſie ſich ſelbſt unter einander oftmals alſo gebiſſen
und gefreſſen haben, daß ſie ſchon manchmal von
jenem haͤtten leichtlich wieder verzehret werden
koͤnnen, zum theil auch wuͤrcklich verzehret wor-
den ſind.
5. Jm uͤbrigen ſtehet dieſe apoſtoliſche
Warnung auch den langwierigen und ſchaͤdli-
chen Proceſſen von vieler Art, ſonderlich denen,
welche der Iniurien wegen gefuͤhret werden, ent-
gegen: da ſich gewißlich nicht allein die Par-
teyen, ſondern auch die Richter und Advocaten
ſehr ſchwer an GOtt und ihrem Nechſten verſuͤn-
digen, und verurſachen, daß mancher nicht al-
lein um ſein gut Gewiſſen und die Gemuͤths-
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Da gewißlich, nachdem man der Obrigkeitli-
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[562/0590] Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 5, 14. 15. fern er es thut, geſchiehet es auf eine ſo verkehrte Art, als er ſich ſelbſt liebet: dabey auf die Wohl- fahrt der Seele gar nicht geſehen wird, gleich- wie er bey ſich ſelbſt darauf nicht ſiehet. 7. Soll nun die Liebe gegen den Nech- ſten rechter Art werden, ſo muß der Anfang bey der Liebe gegen uns ſelbſt geſchehen, alſo, daß dieſe aus dem Glauben komme und in der Liebe gegen GOtt nach der erſten Tafel des Geſetzes recht gegruͤndet werde. Dieſes aber kan nicht geſchehen, es ſey denn, daß der Menſch ſich in die Heils-Ordnung bringen laſſe. Denn die wohlgeordnete Liebe gegen uns ſelbſt, wodurch der Menſch ſeine wahrhaftige geiſtliche und ewi- ge, auch davon auf gewiſſe Art dependirende zeitliche Wohlfahrt ſuchet, hebet ſich darinnen an mit einem ernſtlichen Haß gegen uns ſelbſt, in Anſehung unſerer ſo groſſen und ſo tief eingewurtzelten Unart, uud alſo auch mit der Verleugnung aller ſo ſehr verkehrten Eigen- und Welt-Liebe. 8. Gleichwie nun ein Menſch durch ſolche wohlgeordnete Liebe gegen ſich ſelbſt zuvorderſt das geiſtliche und ewige Beſte ſeiner Seele ſu- chet und alles gern unterlaͤſſet, was dieſem Zweck entgegen ſtehet, und das Leibliche denn auch in ſolcher Ordnung beobachtet, als es die Wohlfahrt der Seele nach dem Willen GOttes erfodert: ſo haͤlt er gleiche Ordnung in der Liebe gegen den Nechſten. 9. Es iſt demnach ein ſehr groſſer Unter- ſcheid zwiſchen der wohlgeordneten und nur bloß gemaͤßigten Liebe gegen uns ſelbſt und den Nechſten. Denn da die Liebe gegen uns ſelbſt und gegen den Nechſten, auch gegen die Welt oder andere Creaturen, durch den Suͤnden-Fall gantz verkehret iſt; ſo iſt ſie bey allen Menſchen, ſo lange ſie auſſer der Heils-Ordnung ſtehen (als darinnen die Liebe erſt rectificiret wird) ſie mag maͤßig, oder unmaͤßig ſeyn, ſuͤndlich; und alſo iſt eine gemaͤßigte Liebe eine ſolche gemaͤßigte Suͤn- de. Wohlgeordnet wird ſie aber durch die Heils-Ordnung, davon ſie denn auch billig alſo genennet wird. Und gleichwie die verkehr- te Liebe, ſie mag maͤßig, oder unmaͤßig ſeyn (al- ſo, daß man ſich durch die unmaͤßige ſelbſt pro- ſtituiret, bey der gemaͤßigten aber mehr in den Schrancken der Ehrbarkeit bleibet) den verderb- ten eignen Willen zum Grunde hat: alſo hat die wohlgeordnete den Willen und das Ge- ſetz GOttes zur Richtſchnur. V. 15. So ihr euch aber (bey der Zerruͤttung in der Lehre mit fleiſchlichem Zancken und Diſputi- ren, wer recht habe, oder nicht) untereinander (wie die wilden Thiere, oder Hunde; wiewol unter ſolchen von einerley Art es nicht einmal da- zu zu kommen pfleget) beiſſet und freſſet (mit harten Beſchuldigungen und Laͤſter-Worten) ſo ſehet zu, daß ihr nicht unter einander ver- zehret werdet (euch um alle eure, ſonderlich die geiſtliche und ewige, Wohlfahrt bringet, und zuvorderſt das geiſtliche Leben ſamt dem Glau- ben vollends in euch vernichtet und verſtoͤhret; und alſo ſtehet von ſolchem Beiſſen und Hetzen ab, dadurch es verurſachet wird. Anmerckungen. 1. Man ſiehet hieraus, was die Zerruͤt- tung der Gemuͤther in Glaubens-Sachen und unter den Galatern angerichtet habe; und daß Paulus davon benachrichtiget worden; nem- lich ein ſolches fleiſchliches Gezaͤncke, dadurch ſie ſehr aneinander gerathen ſind. 2. Man erkennet zugleich aber auch dieſes daraus, daß nicht alle Glaͤubige unter den Ga- latern ſich von den verfuͤhriſchen Lehrern haben einnehmen laſſen. Denn haͤtten ſie ſich alle zur Annehmung irriger Lehr-Saͤtze mit einander vereiniget, ſo wuͤrde kein Zanck und Wider- ſpruch entſtanden ſeyn. Weil aber nur einige, obwol mehrere, ſich davon einnehmen laſſen; ſo haben dieſe ohne Zweifel alles beſſer wiſſen und die uͤbrigen auch auf ihre Meinung bringen wollen: und da ſie ſich dazu nicht erklaͤret, ſon- dern ihnen widerſprochen haben, ſind ſie ohne Zweifel mit rohen und harten Sinn und Wor- ten uͤber ſie hergefahren, alſo daß eine Mißhel- ligkeit und Verbitterung aus der andern ent- ſtanden: und iſt leichtlich zu vermuthen, daß denn auch manche von denjenigen, welche bey der Lauterkeit der Lehre geblieben, bey ihrer Verantwortung auch nicht alle oder allemal in den rechten Schrancken ſich gehalten haben. 3. Ein iegliches Laſter fuͤhret auch ſchon in der Zeit einige Strafe mit ſich, da hingegen eine iede Tugend ſchon einige Belohnung zum vor- aus bey ſich hat. Denn gleichwie die Liebe beſſert und das Gewiſſen in guter Ruhe und Zu- friedenheit laͤſſet, und damit auch manchen leib- lichen Zufall verhindert: alſo bringet Haß und Zanck lauter innere Unruhe und Unzufriedenheit mit ſich, pfleget auch wol dem Leibe ſelbſt an der Geſundheit zu ſchaden: wie denn manche Men- ſchen durch den heftigen Affect des Zorns ſich ei- ne ploͤtzliche Kranckheit uͤber den Hals ziehen. 4. Was Paulus von den Galatern, die aus dem Heidenthum und Judenthum ausge- gangen waren, und die Chriſtliche Religion an- genommen hatten, ſaget, das mag man leider nun bereits von zweyhundert Jahren her von den Proteſtanten, die das Joch des Pabſtthums von ſich abgeworfen haben, ſagen; nemlich, daß ſie ſich ſelbſt unter einander oftmals alſo gebiſſen und gefreſſen haben, daß ſie ſchon manchmal von jenem haͤtten leichtlich wieder verzehret werden koͤnnen, zum theil auch wuͤrcklich verzehret wor- den ſind. 5. Jm uͤbrigen ſtehet dieſe apoſtoliſche Warnung auch den langwierigen und ſchaͤdli- chen Proceſſen von vieler Art, ſonderlich denen, welche der Iniurien wegen gefuͤhret werden, ent- gegen: da ſich gewißlich nicht allein die Par- teyen, ſondern auch die Richter und Advocaten ſehr ſchwer an GOtt und ihrem Nechſten verſuͤn- digen, und verurſachen, daß mancher nicht al- lein um ſein gut Gewiſſen und die Gemuͤths- Ruhe, ſondern auch um ſein Brodt koͤmmt. Da gewißlich, nachdem man der Obrigkeitli- chen

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/590>, abgerufen am 27.11.2024.