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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Cap. 5, 13. 14. an die Galater.
[Spaltenumbruch]
7. Wenn der Apostel dem Mißbrauche der
Freyheit die Ausübung der Liebe entgegen
setzet, so zeiget er damit an, daß derselbe eben
darinnen sich hervorthue, wenn man in der Hei-
ligung, darinnen es auf die Liebe, so alle Pflich-
ten nach dem Gesetze in sich fasset, eigentlich an-
kömmt, sich faul und untreu erweiset. Und
wenn er vom Dienste in der Liebe schreibet,
ein Dienst aber, dadurch man sich einem andern
gleichsam zum Knecht machet, sonst der Freyheit
entgegen stehet; so zeiget er damit an, wie daß die
wahre Freyheit zwar eine knechtische Dienstbar-
keit,
aber keinesweges eine liebreiche und getreue
Dienstfertigkeit aufhebe.
8. Wenn aber der Apostel der Liebe gegen
den Nechsten
gedencket, so setzet er dabey die
wohlgeordnete Liebe gegen uns selbst zum
Grunde: wie er auch im folgenden Vers aus-
drücklich anzeiget. Die wahre Liebe aber gegen
uns selbst und gegen den Nechsten kan ohne die
Liebe gegen GOtt nicht seyn.
9. Gleichwie nun solcher gestalt der Apo-
stel bey dem rechten Gebrauch der Freyheit uns
eines theils führet auf den Glauben an Chri-
stum, und vermöge desselben uns vom Fluche und
Zwange des Gesetzes losspricht: so verbindet er
uns hingegen andern theils auch nicht weniger
durch die Liebe an den Gehorsam des Gesetzes.
Und ist denn dieser gleich unvollkommen; so muß
und kan er doch rechtschaffen und aufrichtig
seyn.
10. Jm übrigen sehe man von dem rechten
Gebrauch und Mißbrauch der Christlichen
Freyheit
die Oerter Röm. 14, 13. 20. 1 Cor. 8,
9. 10, 27. Gal. 5, 1. Col. 2, 16. sqq. 1 Pet. 2, 16.
da es gar nachdrücklich heißt: Als die Freyen,
und nicht, als hättet ihr die Freyheit zum
Deckel der Bosheit, sondern als die Knech-
te GOttes.
Desgleichen 2 Pet. 2, 19. da von
den falschen Freyheits-Predigern stehet: Sie
verheissen ihnen Freyheit, so sie doch selbst
Knechte des Verderbens sind.
11. Da leider alles unter dem Mißbrauche
lieget; alle Geschöpfe und Ordnungen GOttes,
auch sein heiliges Wort: so ists kein Wunder,
daß solches auch dem unschätzbaren Gute, der
Christlichen Freyheit, wiederfähret. Wahre
Christen aber wissen sie so viel höher und heiliger
zu halten, so vielmehr sie erkennen, daß sie da-
durch zu dem rechten hohen, aber verlohrnen
Adel ihrer Seelen wieder gelangen und dessel-
ben in einer rechten grossen Würde vor GOtt
geniessen: wie denn das verlohrne Ebenbild
GOttes an der Freyheit gleichsam die rechte
Crone seiner Hoheit gehabt hat, und wieder be-
kömmt.
V. 14.

Denn alle Gesetze (Gebote der andern
Tafel) werden in einem Wort (logo, ei-
nem solchen Worte, so eine gantze Proposition
oder Rede in sich hält) erfüllet (völlig begriffen
nach ihrer gantzen Fülle oder Länge und Breite
zusammen gesetzet) in dem: liebe (zuvorderst in-
nerlich mit dem Affect des Hertzens, und denn
auch nach allem Vermögen äusserlich mit der
[Spaltenumbruch] That selbst; nach allerhand Umständen) dei-
nen Nechsten
(der dich als ein Mensch ange-
het, er sey Freund, oder Feind, fromm, oder gott-
los, bekant, oder unbekant, reich, oder arm,
vornehm, oder gering) als dich selbst (so
hertzlich, so aufrichtig, so thätig, so willig, so
beständig; nicht über dich, vielweniger über
GOtt, daß du um seinet wegen deine eigene,
zumal geistliche und ewige, Wohlfahrt und dazu
auch GOtt selbst woltest aus den Augen setzen.
Lev. 18, 18. Matth. 22, 39. Rom. 13, 8. 9. 10.
Jac. 2, 8.)

Anmerckungen.
1. Der Connexion nach recommendiret
der Apostel die Liebe gegen den Nechsten von ih-
rer Vortreflichkeit, die darinnen bestehet, daß
sie eine allgemeine Pflicht ist, welche alle übrige
in sich fasset.
2. Es ist demnach vielmehr, wenn GOtt
überhaupt die Liebe gegen den Nechsten fordert,
als wenn er diese und jene Pflicht, z. E. die Gut-
thätigkeit, insonderheit einschärfet.
3. Da alle andere Tugenden und Pflichten
in der Liebe zusammen gefasset sind; so bekommt
die Liebe durch dieselbe nach dem Unterscheide
der Ausübung und anderer Umstände nur beson-
dere Namen: z. E. gegen die Obern heisset sie
Unterthänigkeit, Gehorsam und Ehrerbie-
tung;
gegen die Niedrigen Demuth, Leut-
seligkeit,
ein gutes Exempel; gegen die, so
unsers gleichen sind, Verträglichkeit; gegen
die Elende Erbarmung und Mittleiden;
gegen die Wohlthäter Danckbarkeit; gegen
die Ubelthäter und Feinde Geduld und Sanft-
muth;
gegen alle und jede Dienstfertigkeit
und Vorbitte, u. s. w. Von welchen so vie-
lerley Eigenschaften der Liebe und ihrer Vor-
treflichkeit insonderheit das 13 Capitel des ersten
Briefs an die Corinthier nachzulesen ist.
4. Wer der Nechste sey, nemlich ein je-
der Mensch, der unserer Hülfe bedürftig ist, und
also so gar auch der Feind; das sehen wir aus
der Parabel unsers Heilandes von dem unter die
Mörder gefallenen Menschen Luc. 10, 27. sqq.
und aus dem Ausspruche Matth. 5, 44. Liebet
eure Feinde, segnet die euch fluchen etc.
5. Da wir unsern Nechsten lieben sollen
als uns selbst, so ist damit auch die Liebe gegen
uns selbst geboten; und zwar dergestalt, daß sie
die Regel der Liebe gegen den Nechsten seyn soll.
6. Nun ist aber die Liebe gegen uns selbst
durch die Sünde gantz verkehret und unordent-
lich worden, also, daß in solcher verderbten Ei-
genliebe sich alle Sünden zusammen concentri-
r
en. Denn in den drey Haupt-Lastern, welche
alle übrige in sich halten, in dem Ehr-Geitz,
Geld-Geitz
und in der Wollust, ist es dem
Menschen auf eine sehr unordentliche und ver-
kehrte Weise nur um ihn selbst zu thun; als der
alles dahin richtet, wie nur seine eigne sündliche
Begierden erfüllet werden mögen. Und nicht
besser stehet es bey einer so verkehrten Eigenliebe
um die Liebe gegen den Nechsten. Denn er lie-
bet ihn theils nicht als sich selbst, sondern ziehet
sich dem Nechsten gern allewege vor; und so
fern
B b b b
Cap. 5, 13. 14. an die Galater.
[Spaltenumbruch]
7. Wenn der Apoſtel dem Mißbrauche der
Freyheit die Ausuͤbung der Liebe entgegen
ſetzet, ſo zeiget er damit an, daß derſelbe eben
darinnen ſich hervorthue, wenn man in der Hei-
ligung, darinnen es auf die Liebe, ſo alle Pflich-
ten nach dem Geſetze in ſich faſſet, eigentlich an-
koͤmmt, ſich faul und untreu erweiſet. Und
wenn er vom Dienſte in der Liebe ſchreibet,
ein Dienſt aber, dadurch man ſich einem andern
gleichſam zum Knecht machet, ſonſt der Freyheit
entgegen ſtehet; ſo zeiget er damit an, wie daß die
wahre Freyheit zwar eine knechtiſche Dienſtbar-
keit,
aber keinesweges eine liebreiche und getreue
Dienſtfertigkeit aufhebe.
8. Wenn aber der Apoſtel der Liebe gegen
den Nechſten
gedencket, ſo ſetzet er dabey die
wohlgeordnete Liebe gegen uns ſelbſt zum
Grunde: wie er auch im folgenden Vers aus-
druͤcklich anzeiget. Die wahre Liebe aber gegen
uns ſelbſt und gegen den Nechſten kan ohne die
Liebe gegen GOtt nicht ſeyn.
9. Gleichwie nun ſolcher geſtalt der Apo-
ſtel bey dem rechten Gebrauch der Freyheit uns
eines theils fuͤhret auf den Glauben an Chri-
ſtum, und vermoͤge deſſelben uns vom Fluche und
Zwange des Geſetzes losſpricht: ſo verbindet er
uns hingegen andern theils auch nicht weniger
durch die Liebe an den Gehorſam des Geſetzes.
Und iſt denn dieſer gleich unvollkommen; ſo muß
und kan er doch rechtſchaffen und aufrichtig
ſeyn.
10. Jm uͤbrigen ſehe man von dem rechten
Gebrauch und Mißbrauch der Chriſtlichen
Freyheit
die Oerter Roͤm. 14, 13. 20. 1 Cor. 8,
9. 10, 27. Gal. 5, 1. Col. 2, 16. ſqq. 1 Pet. 2, 16.
da es gar nachdruͤcklich heißt: Als die Freyen,
und nicht, als haͤttet ihr die Freyheit zum
Deckel der Bosheit, ſondern als die Knech-
te GOttes.
Desgleichen 2 Pet. 2, 19. da von
den falſchen Freyheits-Predigern ſtehet: Sie
verheiſſen ihnen Freyheit, ſo ſie doch ſelbſt
Knechte des Verderbens ſind.
11. Da leider alles unter dem Mißbrauche
lieget; alle Geſchoͤpfe und Ordnungen GOttes,
auch ſein heiliges Wort: ſo iſts kein Wunder,
daß ſolches auch dem unſchaͤtzbaren Gute, der
Chriſtlichen Freyheit, wiederfaͤhret. Wahre
Chriſten aber wiſſen ſie ſo viel hoͤher und heiliger
zu halten, ſo vielmehr ſie erkennen, daß ſie da-
durch zu dem rechten hohen, aber verlohrnen
Adel ihrer Seelen wieder gelangen und deſſel-
ben in einer rechten groſſen Wuͤrde vor GOtt
genieſſen: wie denn das verlohrne Ebenbild
GOttes an der Freyheit gleichſam die rechte
Crone ſeiner Hoheit gehabt hat, und wieder be-
koͤmmt.
V. 14.

Denn alle Geſetze (Gebote der andern
Tafel) werden in einem Wort (λογῳ, ei-
nem ſolchen Worte, ſo eine gantze Propoſition
oder Rede in ſich haͤlt) erfuͤllet (voͤllig begriffen
nach ihrer gantzen Fuͤlle oder Laͤnge und Breite
zuſammen geſetzet) in dem: liebe (zuvorderſt in-
nerlich mit dem Affect des Hertzens, und denn
auch nach allem Vermoͤgen aͤuſſerlich mit der
[Spaltenumbruch] That ſelbſt; nach allerhand Umſtaͤnden) dei-
nen Nechſten
(der dich als ein Menſch ange-
het, er ſey Freund, oder Feind, fromm, oder gott-
los, bekant, oder unbekant, reich, oder arm,
vornehm, oder gering) als dich ſelbſt (ſo
hertzlich, ſo aufrichtig, ſo thaͤtig, ſo willig, ſo
beſtaͤndig; nicht uͤber dich, vielweniger uͤber
GOtt, daß du um ſeinet wegen deine eigene,
zumal geiſtliche und ewige, Wohlfahrt und dazu
auch GOtt ſelbſt wolteſt aus den Augen ſetzen.
Lev. 18, 18. Matth. 22, 39. Rom. 13, 8. 9. 10.
Jac. 2, 8.)

Anmerckungen.
1. Der Connexion nach recommendiret
der Apoſtel die Liebe gegen den Nechſten von ih-
rer Vortreflichkeit, die darinnen beſtehet, daß
ſie eine allgemeine Pflicht iſt, welche alle uͤbrige
in ſich faſſet.
2. Es iſt demnach vielmehr, wenn GOtt
uͤberhaupt die Liebe gegen den Nechſten fordert,
als wenn er dieſe und jene Pflicht, z. E. die Gut-
thaͤtigkeit, inſonderheit einſchaͤrfet.
3. Da alle andere Tugenden und Pflichten
in der Liebe zuſammen gefaſſet ſind; ſo bekommt
die Liebe durch dieſelbe nach dem Unterſcheide
der Ausuͤbung und anderer Umſtaͤnde nur beſon-
dere Namen: z. E. gegen die Obern heiſſet ſie
Unterthaͤnigkeit, Gehorſam und Ehrerbie-
tung;
gegen die Niedrigen Demuth, Leut-
ſeligkeit,
ein gutes Exempel; gegen die, ſo
unſers gleichen ſind, Vertraͤglichkeit; gegen
die Elende Erbarmung und Mittleiden;
gegen die Wohlthaͤter Danckbarkeit; gegen
die Ubelthaͤter und Feinde Geduld und Sanft-
muth;
gegen alle und jede Dienſtfertigkeit
und Vorbitte, u. ſ. w. Von welchen ſo vie-
lerley Eigenſchaften der Liebe und ihrer Vor-
treflichkeit inſonderheit das 13 Capitel des erſten
Briefs an die Corinthier nachzuleſen iſt.
4. Wer der Nechſte ſey, nemlich ein je-
der Menſch, der unſerer Huͤlfe beduͤrftig iſt, und
alſo ſo gar auch der Feind; das ſehen wir aus
der Parabel unſers Heilandes von dem unter die
Moͤrder gefallenen Menſchen Luc. 10, 27. ſqq.
und aus dem Ausſpruche Matth. 5, 44. Liebet
eure Feinde, ſegnet die euch fluchen ꝛc.
5. Da wir unſern Nechſten lieben ſollen
als uns ſelbſt, ſo iſt damit auch die Liebe gegen
uns ſelbſt geboten; und zwar dergeſtalt, daß ſie
die Regel der Liebe gegen den Nechſten ſeyn ſoll.
6. Nun iſt aber die Liebe gegen uns ſelbſt
durch die Suͤnde gantz verkehret und unordent-
lich worden, alſo, daß in ſolcher verderbten Ei-
genliebe ſich alle Suͤnden zuſammen concentri-
r
en. Denn in den drey Haupt-Laſtern, welche
alle uͤbrige in ſich halten, in dem Ehr-Geitz,
Geld-Geitz
und in der Wolluſt, iſt es dem
Menſchen auf eine ſehr unordentliche und ver-
kehrte Weiſe nur um ihn ſelbſt zu thun; als der
alles dahin richtet, wie nur ſeine eigne ſuͤndliche
Begierden erfuͤllet werden moͤgen. Und nicht
beſſer ſtehet es bey einer ſo verkehrten Eigenliebe
um die Liebe gegen den Nechſten. Denn er lie-
bet ihn theils nicht als ſich ſelbſt, ſondern ziehet
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B b b b
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[561/0589] Cap. 5, 13. 14. an die Galater. 7. Wenn der Apoſtel dem Mißbrauche der Freyheit die Ausuͤbung der Liebe entgegen ſetzet, ſo zeiget er damit an, daß derſelbe eben darinnen ſich hervorthue, wenn man in der Hei- ligung, darinnen es auf die Liebe, ſo alle Pflich- ten nach dem Geſetze in ſich faſſet, eigentlich an- koͤmmt, ſich faul und untreu erweiſet. Und wenn er vom Dienſte in der Liebe ſchreibet, ein Dienſt aber, dadurch man ſich einem andern gleichſam zum Knecht machet, ſonſt der Freyheit entgegen ſtehet; ſo zeiget er damit an, wie daß die wahre Freyheit zwar eine knechtiſche Dienſtbar- keit, aber keinesweges eine liebreiche und getreue Dienſtfertigkeit aufhebe. 8. Wenn aber der Apoſtel der Liebe gegen den Nechſten gedencket, ſo ſetzet er dabey die wohlgeordnete Liebe gegen uns ſelbſt zum Grunde: wie er auch im folgenden Vers aus- druͤcklich anzeiget. Die wahre Liebe aber gegen uns ſelbſt und gegen den Nechſten kan ohne die Liebe gegen GOtt nicht ſeyn. 9. Gleichwie nun ſolcher geſtalt der Apo- ſtel bey dem rechten Gebrauch der Freyheit uns eines theils fuͤhret auf den Glauben an Chri- ſtum, und vermoͤge deſſelben uns vom Fluche und Zwange des Geſetzes losſpricht: ſo verbindet er uns hingegen andern theils auch nicht weniger durch die Liebe an den Gehorſam des Geſetzes. Und iſt denn dieſer gleich unvollkommen; ſo muß und kan er doch rechtſchaffen und aufrichtig ſeyn. 10. Jm uͤbrigen ſehe man von dem rechten Gebrauch und Mißbrauch der Chriſtlichen Freyheit die Oerter Roͤm. 14, 13. 20. 1 Cor. 8, 9. 10, 27. Gal. 5, 1. Col. 2, 16. ſqq. 1 Pet. 2, 16. da es gar nachdruͤcklich heißt: Als die Freyen, und nicht, als haͤttet ihr die Freyheit zum Deckel der Bosheit, ſondern als die Knech- te GOttes. Desgleichen 2 Pet. 2, 19. da von den falſchen Freyheits-Predigern ſtehet: Sie verheiſſen ihnen Freyheit, ſo ſie doch ſelbſt Knechte des Verderbens ſind. 11. Da leider alles unter dem Mißbrauche lieget; alle Geſchoͤpfe und Ordnungen GOttes, auch ſein heiliges Wort: ſo iſts kein Wunder, daß ſolches auch dem unſchaͤtzbaren Gute, der Chriſtlichen Freyheit, wiederfaͤhret. Wahre Chriſten aber wiſſen ſie ſo viel hoͤher und heiliger zu halten, ſo vielmehr ſie erkennen, daß ſie da- durch zu dem rechten hohen, aber verlohrnen Adel ihrer Seelen wieder gelangen und deſſel- ben in einer rechten groſſen Wuͤrde vor GOtt genieſſen: wie denn das verlohrne Ebenbild GOttes an der Freyheit gleichſam die rechte Crone ſeiner Hoheit gehabt hat, und wieder be- koͤmmt. V. 14. Denn alle Geſetze (Gebote der andern Tafel) werden in einem Wort (λογῳ, ei- nem ſolchen Worte, ſo eine gantze Propoſition oder Rede in ſich haͤlt) erfuͤllet (voͤllig begriffen nach ihrer gantzen Fuͤlle oder Laͤnge und Breite zuſammen geſetzet) in dem: liebe (zuvorderſt in- nerlich mit dem Affect des Hertzens, und denn auch nach allem Vermoͤgen aͤuſſerlich mit der That ſelbſt; nach allerhand Umſtaͤnden) dei- nen Nechſten (der dich als ein Menſch ange- het, er ſey Freund, oder Feind, fromm, oder gott- los, bekant, oder unbekant, reich, oder arm, vornehm, oder gering) als dich ſelbſt (ſo hertzlich, ſo aufrichtig, ſo thaͤtig, ſo willig, ſo beſtaͤndig; nicht uͤber dich, vielweniger uͤber GOtt, daß du um ſeinet wegen deine eigene, zumal geiſtliche und ewige, Wohlfahrt und dazu auch GOtt ſelbſt wolteſt aus den Augen ſetzen. Lev. 18, 18. Matth. 22, 39. Rom. 13, 8. 9. 10. Jac. 2, 8.) Anmerckungen. 1. Der Connexion nach recommendiret der Apoſtel die Liebe gegen den Nechſten von ih- rer Vortreflichkeit, die darinnen beſtehet, daß ſie eine allgemeine Pflicht iſt, welche alle uͤbrige in ſich faſſet. 2. Es iſt demnach vielmehr, wenn GOtt uͤberhaupt die Liebe gegen den Nechſten fordert, als wenn er dieſe und jene Pflicht, z. E. die Gut- thaͤtigkeit, inſonderheit einſchaͤrfet. 3. Da alle andere Tugenden und Pflichten in der Liebe zuſammen gefaſſet ſind; ſo bekommt die Liebe durch dieſelbe nach dem Unterſcheide der Ausuͤbung und anderer Umſtaͤnde nur beſon- dere Namen: z. E. gegen die Obern heiſſet ſie Unterthaͤnigkeit, Gehorſam und Ehrerbie- tung; gegen die Niedrigen Demuth, Leut- ſeligkeit, ein gutes Exempel; gegen die, ſo unſers gleichen ſind, Vertraͤglichkeit; gegen die Elende Erbarmung und Mittleiden; gegen die Wohlthaͤter Danckbarkeit; gegen die Ubelthaͤter und Feinde Geduld und Sanft- muth; gegen alle und jede Dienſtfertigkeit und Vorbitte, u. ſ. w. Von welchen ſo vie- lerley Eigenſchaften der Liebe und ihrer Vor- treflichkeit inſonderheit das 13 Capitel des erſten Briefs an die Corinthier nachzuleſen iſt. 4. Wer der Nechſte ſey, nemlich ein je- der Menſch, der unſerer Huͤlfe beduͤrftig iſt, und alſo ſo gar auch der Feind; das ſehen wir aus der Parabel unſers Heilandes von dem unter die Moͤrder gefallenen Menſchen Luc. 10, 27. ſqq. und aus dem Ausſpruche Matth. 5, 44. Liebet eure Feinde, ſegnet die euch fluchen ꝛc. 5. Da wir unſern Nechſten lieben ſollen als uns ſelbſt, ſo iſt damit auch die Liebe gegen uns ſelbſt geboten; und zwar dergeſtalt, daß ſie die Regel der Liebe gegen den Nechſten ſeyn ſoll. 6. Nun iſt aber die Liebe gegen uns ſelbſt durch die Suͤnde gantz verkehret und unordent- lich worden, alſo, daß in ſolcher verderbten Ei- genliebe ſich alle Suͤnden zuſammen concentri- ren. Denn in den drey Haupt-Laſtern, welche alle uͤbrige in ſich halten, in dem Ehr-Geitz, Geld-Geitz und in der Wolluſt, iſt es dem Menſchen auf eine ſehr unordentliche und ver- kehrte Weiſe nur um ihn ſelbſt zu thun; als der alles dahin richtet, wie nur ſeine eigne ſuͤndliche Begierden erfuͤllet werden moͤgen. Und nicht beſſer ſtehet es bey einer ſo verkehrten Eigenliebe um die Liebe gegen den Nechſten. Denn er lie- bet ihn theils nicht als ſich ſelbſt, ſondern ziehet ſich dem Nechſten gern allewege vor; und ſo fern B b b b

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/589>, abgerufen am 24.11.2024.