Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 13. [Spaltenumbruch]
3. Da nun die Menschen sich selbst von die- sem Fluche nicht erretten konten, und der unwan- delbaren Straf-Gerechtigkeit, welche schon gleich im Paradiese den Sündern den Fluch, oder den geistlichen, zeitlichen und ewigen Tod angedrohet hat, zur Versöhnung ein Genügen geschehen muste; so hat sich der Sohn GOttes zum Bürgen für das menschliche Geschlecht dar- gestellet, und, nachdem er, zur Ausführung der Bürgschaft, menschliche Natur an sich genom- men hatte, den Fluch des gantzen menschlichen Geschlechts dergestalt über sich genommen, daß er nicht allein sich in den zeitlichen Tod dahin ge- geben, sondern auch den ewigen, nicht zwar der Daurung nach, als welches wegen seines unend- lichen Löse-Geldes nicht nöthig war, doch dem Gefühle nach, geschmecket und überstanden, sonderlich in den Seelen-Leiden am Oel-Berge und am Creutze, da er über die Verlassung GOt- tes klagte. Jn Ansehung dieses gewordenen Fluchs heißt es von ihm Jes. 53, 4. sqq. Für- wahr, er trug unsere Kranckheit - - aber er ist um unserer Missethat willen verwundet, und um unserer Sünde wil- len zuschlagen. Die Strafe lieget auf ihn - - der HERR warf unser aller Sünde auf ihn u. s. w. und Joh. 1, 29. Sie- he! das ist GOttes Lamm, welches der Welt Sünde träget. Und sonderlich 2 Cor. 5, 21. GOtt hat den, der von keiner Sün- de wuste, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor GOtt gilt. Alwo der Nachdruck zu mercken, daß der Sohn GOttes, vermöge der über sich genommenen Bürgschaft für die Sün- der, dergestalt zum Sünder und Sünd-Opfer worden, als wenn er die Sünde selbst wäre; gleichwie er an statt der vom gerechten Gesetze verfluchten Menschen sich als ein Verfluchter al- so unter den Fluch gegeben, daß er als der Fluch selbst ist angesehen worden. 4. Da nun solcher gestalt der Sohn GOt- tes ein Fluch geworden, nicht um sein selbst, son- dern um unsert willen, und für uns, oder an un- serer statt, also, daß er unsere Schuld abgetra- gen, und unsere Strafe auf sich genommen, auf daß wir Friede hätten: so ist er damit die Ver- söhnung worden für alle Menschen, und hat, so viel die Erwerbung an sich selbst betrifft, den Fluch damit von dem gantzen menschlichen Ge- schlechte hinweggenommen, und den Segen zuwege gebracht. Und das ist gemeinet mit den Worten: Er hat uns erlöset von dem Flu- che des Gesetzes. Da das Wort erlösen im Griechischen gar nachdrücklich heißt: exegora- sen, er hat uns erkauffet, er hat uns durch ein Löse-Geld ranzioniret, die wir nemlich wie unter dem Zorne GOttes, und unter dem Flu- che des Gesetzes, also auch unter der Gewalt des Teufels lagen: von welchem grossen Ubel er uns durch eine so theure Erkauffung, die ihm sein eigen Leben und sein theures Blut gekostet, be- freyet hat. Col. 1, 13. 1 Pet. 1, 18. 19. Hebr. 2, 14. 15. Da nun das Verbum exagorazein no- tionis forensis ist, oder eine solche Satisfaction, [Spaltenumbruch] oder Genugthuung, anzeiget, die vor Gericht geschiehet, und im Gerichte angenommen wird; sie doch aber Christus nicht für sich selbst ge- than, sondern für uns, daß sie uns zu gute kom- men soll: so ist leicht zu erachten, daß daher ei- ne solche Rechtfertigung, oder Gerechtma- chung entstehe, welche in einem richterlichen Ausspruche und in einer Zurechnung bestehet. 5. Nun haben wir auch zu betrachten, wie dieses, daß Christus ein Fluch für uns gewor- den, ausser dem, wie solches in dem angeführten Orte Jes. 53. und an andern mehr deutlich genug gezeiget ist, auch in dem von dem Erhängten 5 B. Mos. 21, 22. 23. angedeutet sey. Die Worte lauten also: Wenn iemand eine Sünde ge- than hat, die des Todes würdig ist, und wird also getödtet, daß man ihn an ein Holtz hanget: (Hebr. und getödtet worden, und du ihn an ein Holtz gehenget) so soll sein Leichnam nicht über Nacht an dem Holtz bleiben: sondern ihr sollt ihn desselben Tages begraben. Denn ein Gehengter ist verfluchet bey GOtt; auf daß du dein Land nicht verunreinigest, das dir der HErr dein GOtt giebt zum Erbe. Diese Worte haben wir erstlich zu betrachten nach ih- rem buchstäblichen Verstande, und denn nach der darein gelegten geheimen Absicht auf Christi Creutzigung. 6. Zum buchstäblichen Verstande die- nen folgende Anmerckungen: a. Obgleich die eigentliche Creutzigung eine solche Todes-Strafe war, welche eigentlich nur bey den Römern und unter ihrer Both- mäßigkeit gebräuchlich war, und für die ver- ächtlichste und schmählichste geachtet wurde: so hatten doch auch die Hebräer etwas ähnli- ches davon; wie aus diesem Orte und Jos. 10, 26. 27. Esth. 7, 9. zu ersehen ist; obwol das Aufhängen, so auf dieallerschweresten Ver- brechen gesetzet worden, erstlich nach vor- hergegangener, sonderlich durch die Steini- gung geschchener, Tödtung andern zum Ab- scheu geschehen; auch zwischen der Creutzi- gung und Aufhengung der Unterscheid war, daß diese geschahe an einem Baum oder Bal- cken, aus welchem oben ein Holtz hervorging, an welchem der schon ertödtete mit denen ü- ber den Kopf zusammen gebundenen Händen vest gemachet, jene aber an einem Holtze, da- durch oben ein Quer-Balcken ging, an wel- chen der Lebendige mit ausgestreckten Händen, wie unten mit den Füssen angenagelt wurde. Ja wir finden Exempel, daß, wenn die gantze Gemeine eine grosse Schuld über sich gezogen hatte, diejenigen, welche solche sonderlich ver- ursachet hatten, aufgehenget worden, als 4 B. M. 25, 1-4. da sich sich die Kinder Jsrael mit den Midianitern durch leibliche und geist- liche Hurerey, oder Abgötterey, verunreiniget hatten: da die Stimme des HErrn zu Mose sprach: Nimm alle Obersten des Volcks, und henge sie dem HErrn an die Sonne, auf daß der grimmige Zorn des HErrn von Jsrael gewendet werde. Siehe der- glei-
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 13. [Spaltenumbruch]
3. Da nun die Menſchen ſich ſelbſt von die- ſem Fluche nicht erretten konten, und der unwan- delbaren Straf-Gerechtigkeit, welche ſchon gleich im Paradieſe den Suͤndern den Fluch, oder den geiſtlichen, zeitlichen und ewigen Tod angedrohet hat, zur Verſoͤhnung ein Genuͤgen geſchehen muſte; ſo hat ſich der Sohn GOttes zum Buͤrgen fuͤr das menſchliche Geſchlecht dar- geſtellet, und, nachdem er, zur Ausfuͤhrung der Buͤrgſchaft, menſchliche Natur an ſich genom- men hatte, den Fluch des gantzen menſchlichen Geſchlechts dergeſtalt uͤber ſich genommen, daß er nicht allein ſich in den zeitlichen Tod dahin ge- geben, ſondern auch den ewigen, nicht zwar der Daurung nach, als welches wegen ſeines unend- lichen Loͤſe-Geldes nicht noͤthig war, doch dem Gefuͤhle nach, geſchmecket und uͤberſtanden, ſonderlich in den Seelen-Leiden am Oel-Berge und am Creutze, da er uͤber die Verlaſſung GOt- tes klagte. Jn Anſehung dieſes gewordenen Fluchs heißt es von ihm Jeſ. 53, 4. ſqq. Fuͤr- wahr, er trug unſere Kranckheit ‒ ‒ aber er iſt um unſerer Miſſethat willen verwundet, und um unſerer Suͤnde wil- len zuſchlagen. Die Strafe lieget auf ihn ‒ ‒ der HERR warf unſer aller Suͤnde auf ihn u. ſ. w. und Joh. 1, 29. Sie- he! das iſt GOttes Lamm, welches der Welt Suͤnde traͤget. Und ſonderlich 2 Cor. 5, 21. GOtt hat den, der von keiner Suͤn- de wuſte, fuͤr uns zur Suͤnde gemacht, auf daß wir wuͤrden in ihm die Gerechtigkeit, die vor GOtt gilt. Alwo der Nachdruck zu mercken, daß der Sohn GOttes, vermoͤge der uͤber ſich genommenen Buͤrgſchaft fuͤr die Suͤn- der, dergeſtalt zum Suͤnder und Suͤnd-Opfer worden, als wenn er die Suͤnde ſelbſt waͤre; gleichwie er an ſtatt der vom gerechten Geſetze verfluchten Menſchen ſich als ein Verfluchter al- ſo unter den Fluch gegeben, daß er als der Fluch ſelbſt iſt angeſehen worden. 4. Da nun ſolcher geſtalt der Sohn GOt- tes ein Fluch geworden, nicht um ſein ſelbſt, ſon- dern um unſert willen, und fuͤr uns, oder an un- ſerer ſtatt, alſo, daß er unſere Schuld abgetra- gen, und unſere Strafe auf ſich genommen, auf daß wir Friede haͤtten: ſo iſt er damit die Ver- ſoͤhnung worden fuͤr alle Menſchen, und hat, ſo viel die Erwerbung an ſich ſelbſt betrifft, den Fluch damit von dem gantzen menſchlichen Ge- ſchlechte hinweggenommen, und den Segen zuwege gebracht. Und das iſt gemeinet mit den Worten: Er hat uns erloͤſet von dem Flu- che des Geſetzes. Da das Wort erloͤſen im Griechiſchen gar nachdruͤcklich heißt: ἐξηγόρα- σεν, er hat uns erkauffet, er hat uns durch ein Loͤſe-Geld ranzioniret, die wir nemlich wie unter dem Zorne GOttes, und unter dem Flu- che des Geſetzes, alſo auch unter der Gewalt des Teufels lagen: von welchem groſſen Ubel er uns durch eine ſo theure Erkauffung, die ihm ſein eigen Leben und ſein theures Blut gekoſtet, be- freyet hat. Col. 1, 13. 1 Pet. 1, 18. 19. Hebr. 2, 14. 15. Da nun das Verbum ἐξαγοράζειν no- tionis forenſis iſt, oder eine ſolche Satisfaction, [Spaltenumbruch] oder Genugthuung, anzeiget, die vor Gericht geſchiehet, und im Gerichte angenommen wird; ſie doch aber Chriſtus nicht fuͤr ſich ſelbſt ge- than, ſondern fuͤr uns, daß ſie uns zu gute kom- men ſoll: ſo iſt leicht zu erachten, daß daher ei- ne ſolche Rechtfertigung, oder Gerechtma- chung entſtehe, welche in einem richterlichen Ausſpruche und in einer Zurechnung beſtehet. 5. Nun haben wir auch zu betrachten, wie dieſes, daß Chriſtus ein Fluch fuͤr uns gewor- den, auſſer dem, wie ſolches in dem angefuͤhrten Orte Jeſ. 53. und an andern mehr deutlich genug gezeiget iſt, auch in dem von dem Erhaͤngten 5 B. Moſ. 21, 22. 23. angedeutet ſey. Die Worte lauten alſo: Wenn iemand eine Suͤnde ge- than hat, die des Todes wuͤrdig iſt, und wird alſo getoͤdtet, daß man ihn an ein Holtz hanget: (Hebr. und getoͤdtet worden, und du ihn an ein Holtz gehenget) ſo ſoll ſein Leichnam nicht uͤber Nacht an dem Holtz bleiben: ſondern ihr ſollt ihn deſſelben Tages begraben. Denn ein Gehengter iſt verfluchet bey GOtt; auf daß du dein Land nicht verunreinigeſt, das dir der HErr dein GOtt giebt zum Erbe. Dieſe Worte haben wir erſtlich zu betrachten nach ih- rem buchſtaͤblichen Verſtande, und denn nach der darein gelegten geheimen Abſicht auf Chriſti Creutzigung. 6. Zum buchſtaͤblichen Verſtande die- nen folgende Anmerckungen: a. Obgleich die eigentliche Creutzigung eine ſolche Todes-Strafe war, welche eigentlich nur bey den Roͤmern und unter ihrer Both- maͤßigkeit gebraͤuchlich war, und fuͤr die ver- aͤchtlichſte und ſchmaͤhlichſte geachtet wurde: ſo hatten doch auch die Hebraͤer etwas aͤhnli- ches davon; wie aus dieſem Orte und Joſ. 10, 26. 27. Eſth. 7, 9. zu erſehen iſt; obwol das Aufhaͤngen, ſo auf dieallerſchwereſten Ver- brechen geſetzet worden, erſtlich nach vor- hergegangener, ſonderlich durch die Steini- gung geſchchener, Toͤdtung andern zum Ab- ſcheu geſchehen; auch zwiſchen der Creutzi- gung und Aufhengung der Unterſcheid war, daß dieſe geſchahe an einem Baum oder Bal- cken, aus welchem oben ein Holtz hervorging, an welchem der ſchon ertoͤdtete mit denen uͤ- ber den Kopf zuſammen gebundenen Haͤnden veſt gemachet, jene aber an einem Holtze, da- durch oben ein Quer-Balcken ging, an wel- chen der Lebendige mit ausgeſtreckten Haͤnden, wie unten mit den Fuͤſſen angenagelt wurde. Ja wir finden Exempel, daß, wenn die gantze Gemeine eine groſſe Schuld uͤber ſich gezogen hatte, diejenigen, welche ſolche ſonderlich ver- urſachet hatten, aufgehenget worden, als 4 B. M. 25, 1-4. da ſich ſich die Kinder Jſrael mit den Midianitern durch leibliche und geiſt- liche Hurerey, oder Abgoͤtterey, verunreiniget hatten: da die Stimme des HErrn zu Moſe ſprach: Nimm alle Oberſten des Volcks, und henge ſie dem HErrn an die Sonne, auf daß der grimmige Zorn des HErrn von Jſrael gewendet werde. Siehe der- glei-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0540" n="512"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Erklaͤrung des Briefs Pauli <hi rendition="#et">Cap. 3, v. 13.</hi></hi> </fw><lb/> <cb/> <list> <item>3. Da nun die Menſchen ſich ſelbſt von die-<lb/> ſem Fluche nicht erretten konten, und der unwan-<lb/> delbaren Straf-Gerechtigkeit, welche ſchon<lb/> gleich im Paradieſe den Suͤndern den Fluch,<lb/> oder den geiſtlichen, zeitlichen und ewigen Tod<lb/> angedrohet hat, zur Verſoͤhnung ein Genuͤgen<lb/> geſchehen muſte; ſo hat ſich der Sohn GOttes<lb/> zum Buͤrgen fuͤr das menſchliche Geſchlecht dar-<lb/> geſtellet, und, nachdem er, zur Ausfuͤhrung der<lb/> Buͤrgſchaft, menſchliche Natur an ſich genom-<lb/> men hatte, den Fluch des gantzen menſchlichen<lb/> Geſchlechts dergeſtalt uͤber ſich genommen, daß<lb/> er nicht allein ſich in den zeitlichen Tod dahin ge-<lb/> geben, ſondern auch den ewigen, nicht zwar der<lb/> Daurung nach, als welches wegen ſeines unend-<lb/> lichen Loͤſe-Geldes nicht noͤthig war, doch dem<lb/> Gefuͤhle nach, geſchmecket und uͤberſtanden,<lb/> ſonderlich in den Seelen-Leiden am Oel-Berge<lb/> und am Creutze, da er uͤber die Verlaſſung GOt-<lb/> tes klagte. Jn Anſehung dieſes gewordenen<lb/> Fluchs heißt es von ihm Jeſ. 53, 4. <hi rendition="#aq">ſqq.</hi> <hi rendition="#fr">Fuͤr-<lb/> wahr, er trug unſere Kranckheit ‒ ‒<lb/> aber er iſt um unſerer Miſſethat willen<lb/> verwundet, und um unſerer Suͤnde wil-<lb/> len zuſchlagen. Die Strafe lieget auf<lb/> ihn ‒ ‒ der HERR warf unſer aller<lb/> Suͤnde auf ihn</hi> u. ſ. w. und Joh. 1, 29. <hi rendition="#fr">Sie-<lb/> he! das iſt GOttes Lamm, welches der<lb/> Welt Suͤnde traͤget.</hi> Und ſonderlich 2 Cor.<lb/> 5, 21. <hi rendition="#fr">GOtt hat den, der von keiner Suͤn-<lb/> de wuſte, fuͤr uns zur Suͤnde gemacht, auf<lb/> daß wir wuͤrden in ihm die Gerechtigkeit,<lb/> die vor GOtt gilt.</hi> Alwo der Nachdruck zu<lb/> mercken, daß der Sohn GOttes, vermoͤge der<lb/> uͤber ſich genommenen Buͤrgſchaft fuͤr die Suͤn-<lb/> der, dergeſtalt zum Suͤnder und Suͤnd-Opfer<lb/> worden, als wenn er die <hi rendition="#fr">Suͤnde ſelbſt</hi> waͤre;<lb/> gleichwie er an ſtatt der vom gerechten Geſetze<lb/> verfluchten Menſchen ſich als ein Verfluchter al-<lb/> ſo unter den Fluch gegeben, daß er als der <hi rendition="#fr">Fluch<lb/> ſelbſt</hi> iſt angeſehen worden.</item><lb/> <item>4. Da nun ſolcher geſtalt der Sohn GOt-<lb/> tes ein Fluch geworden, nicht um ſein ſelbſt, ſon-<lb/> dern um unſert willen, und fuͤr uns, oder an un-<lb/> ſerer ſtatt, alſo, daß er unſere Schuld abgetra-<lb/> gen, und unſere Strafe auf ſich genommen, auf<lb/> daß wir Friede haͤtten: ſo iſt er damit die <hi rendition="#fr">Ver-<lb/> ſoͤhnung</hi> worden fuͤr alle Menſchen, und hat,<lb/> ſo viel die Erwerbung an ſich ſelbſt betrifft, den<lb/><hi rendition="#fr">Fluch</hi> damit von dem gantzen menſchlichen Ge-<lb/> ſchlechte <hi rendition="#fr">hinweggenommen,</hi> und den Segen<lb/> zuwege gebracht. Und das iſt gemeinet mit den<lb/> Worten: <hi rendition="#fr">Er hat uns erloͤſet von dem Flu-<lb/> che des Geſetzes.</hi> Da das Wort <hi rendition="#fr">erloͤſen</hi> im<lb/> Griechiſchen gar nachdruͤcklich heißt: ἐξηγόρα-<lb/> σεν, <hi rendition="#fr">er hat uns erkauffet,</hi> er hat uns durch ein<lb/> Loͤſe-Geld <hi rendition="#aq">ranzionir</hi>et, die wir nemlich wie<lb/> unter dem Zorne GOttes, und unter dem Flu-<lb/> che des Geſetzes, alſo auch unter der Gewalt<lb/> des Teufels lagen: von welchem groſſen Ubel er<lb/> uns durch eine ſo theure Erkauffung, die ihm ſein<lb/> eigen Leben und ſein theures Blut gekoſtet, be-<lb/> freyet hat. Col. 1, 13. 1 Pet. 1, 18. 19. Hebr. 2,<lb/> 14. 15. Da nun das <hi rendition="#aq">Verbum</hi> ἐξαγοράζειν <hi rendition="#aq">no-<lb/> tionis forenſis</hi> iſt, oder eine ſolche <hi rendition="#aq">Satisfaction,</hi><lb/><cb/> oder <hi rendition="#fr">Genugthuung,</hi> anzeiget, die vor Gericht<lb/> geſchiehet, und im Gerichte angenommen wird;<lb/> ſie doch aber Chriſtus nicht fuͤr ſich ſelbſt ge-<lb/> than, ſondern fuͤr uns, daß ſie uns zu gute kom-<lb/> men ſoll: ſo iſt leicht zu erachten, daß daher ei-<lb/> ne ſolche <hi rendition="#fr">Rechtfertigung,</hi> oder Gerechtma-<lb/> chung entſtehe, welche in einem richterlichen<lb/> Ausſpruche und in einer Zurechnung beſtehet.</item><lb/> <item>5. Nun haben wir auch zu betrachten, wie<lb/> dieſes, daß Chriſtus ein Fluch fuͤr uns gewor-<lb/> den, auſſer dem, wie ſolches in dem angefuͤhrten<lb/> Orte Jeſ. 53. und an andern mehr deutlich genug<lb/> gezeiget iſt, auch in dem von dem Erhaͤngten 5 B.<lb/> Moſ. 21, 22. 23. angedeutet ſey. Die Worte<lb/> lauten alſo: <hi rendition="#fr">Wenn iemand eine Suͤnde ge-<lb/> than hat, die des Todes wuͤrdig iſt, und<lb/> wird alſo getoͤdtet, daß man ihn an ein<lb/> Holtz hanget:</hi> (Hebr. und getoͤdtet worden,<lb/> und du ihn an ein Holtz gehenget) <hi rendition="#fr">ſo ſoll ſein<lb/> Leichnam nicht uͤber Nacht an dem Holtz<lb/> bleiben: ſondern ihr ſollt ihn deſſelben<lb/> Tages begraben. Denn ein Gehengter iſt<lb/> verfluchet bey GOtt; auf daß du dein<lb/> Land nicht verunreinigeſt, das dir der<lb/> HErr dein GOtt giebt zum Erbe.</hi> Dieſe<lb/> Worte haben wir erſtlich zu betrachten nach ih-<lb/> rem <hi rendition="#fr">buchſtaͤblichen Verſtande,</hi> und denn<lb/> nach der darein gelegten geheimen Abſicht auf<lb/> Chriſti Creutzigung.</item><lb/> <item>6. Zum <hi rendition="#fr">buchſtaͤblichen Verſtande</hi> die-<lb/> nen folgende Anmerckungen:<lb/><list><item><hi rendition="#aq">a.</hi> Obgleich die eigentliche <hi rendition="#fr">Creutzigung</hi> eine<lb/> ſolche Todes-Strafe war, welche eigentlich<lb/> nur bey den Roͤmern und unter ihrer Both-<lb/> maͤßigkeit gebraͤuchlich war, und fuͤr die ver-<lb/> aͤchtlichſte und ſchmaͤhlichſte geachtet wurde:<lb/> ſo hatten doch auch die Hebraͤer etwas aͤhnli-<lb/> ches davon; wie aus dieſem Orte und Joſ.<lb/> 10, 26. 27. Eſth. 7, 9. zu erſehen iſt; obwol das<lb/> Aufhaͤngen, ſo auf dieallerſchwereſten Ver-<lb/> brechen geſetzet worden, erſtlich nach vor-<lb/> hergegangener, ſonderlich durch die Steini-<lb/> gung geſchchener, Toͤdtung andern zum Ab-<lb/> ſcheu geſchehen; auch zwiſchen der Creutzi-<lb/> gung und Aufhengung der Unterſcheid war,<lb/> daß dieſe geſchahe an einem Baum oder Bal-<lb/> cken, aus welchem oben ein Holtz hervorging,<lb/> an welchem der ſchon ertoͤdtete mit denen uͤ-<lb/> ber den Kopf zuſammen gebundenen Haͤnden<lb/> veſt gemachet, jene aber an einem Holtze, da-<lb/> durch oben ein Quer-Balcken ging, an wel-<lb/> chen der Lebendige mit ausgeſtreckten Haͤnden,<lb/> wie unten mit den Fuͤſſen angenagelt wurde.<lb/> Ja wir finden Exempel, daß, wenn die gantze<lb/> Gemeine eine groſſe Schuld uͤber ſich gezogen<lb/> hatte, diejenigen, welche ſolche ſonderlich ver-<lb/> urſachet hatten, aufgehenget worden, als<lb/> 4 B. M. 25, 1-4. da ſich ſich die Kinder Jſrael<lb/> mit den Midianitern durch leibliche und geiſt-<lb/> liche Hurerey, oder Abgoͤtterey, verunreiniget<lb/> hatten: da die Stimme des HErrn zu Moſe<lb/> ſprach: <hi rendition="#fr">Nimm alle Oberſten des Volcks,<lb/> und henge ſie dem HErrn an die Sonne,<lb/> auf daß der grimmige Zorn des HErrn<lb/> von Jſrael gewendet werde.</hi> Siehe der-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">glei-</fw><lb/></item></list></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [512/0540]
Erklaͤrung des Briefs Pauli Cap. 3, v. 13.
3. Da nun die Menſchen ſich ſelbſt von die-
ſem Fluche nicht erretten konten, und der unwan-
delbaren Straf-Gerechtigkeit, welche ſchon
gleich im Paradieſe den Suͤndern den Fluch,
oder den geiſtlichen, zeitlichen und ewigen Tod
angedrohet hat, zur Verſoͤhnung ein Genuͤgen
geſchehen muſte; ſo hat ſich der Sohn GOttes
zum Buͤrgen fuͤr das menſchliche Geſchlecht dar-
geſtellet, und, nachdem er, zur Ausfuͤhrung der
Buͤrgſchaft, menſchliche Natur an ſich genom-
men hatte, den Fluch des gantzen menſchlichen
Geſchlechts dergeſtalt uͤber ſich genommen, daß
er nicht allein ſich in den zeitlichen Tod dahin ge-
geben, ſondern auch den ewigen, nicht zwar der
Daurung nach, als welches wegen ſeines unend-
lichen Loͤſe-Geldes nicht noͤthig war, doch dem
Gefuͤhle nach, geſchmecket und uͤberſtanden,
ſonderlich in den Seelen-Leiden am Oel-Berge
und am Creutze, da er uͤber die Verlaſſung GOt-
tes klagte. Jn Anſehung dieſes gewordenen
Fluchs heißt es von ihm Jeſ. 53, 4. ſqq. Fuͤr-
wahr, er trug unſere Kranckheit ‒ ‒
aber er iſt um unſerer Miſſethat willen
verwundet, und um unſerer Suͤnde wil-
len zuſchlagen. Die Strafe lieget auf
ihn ‒ ‒ der HERR warf unſer aller
Suͤnde auf ihn u. ſ. w. und Joh. 1, 29. Sie-
he! das iſt GOttes Lamm, welches der
Welt Suͤnde traͤget. Und ſonderlich 2 Cor.
5, 21. GOtt hat den, der von keiner Suͤn-
de wuſte, fuͤr uns zur Suͤnde gemacht, auf
daß wir wuͤrden in ihm die Gerechtigkeit,
die vor GOtt gilt. Alwo der Nachdruck zu
mercken, daß der Sohn GOttes, vermoͤge der
uͤber ſich genommenen Buͤrgſchaft fuͤr die Suͤn-
der, dergeſtalt zum Suͤnder und Suͤnd-Opfer
worden, als wenn er die Suͤnde ſelbſt waͤre;
gleichwie er an ſtatt der vom gerechten Geſetze
verfluchten Menſchen ſich als ein Verfluchter al-
ſo unter den Fluch gegeben, daß er als der Fluch
ſelbſt iſt angeſehen worden.
4. Da nun ſolcher geſtalt der Sohn GOt-
tes ein Fluch geworden, nicht um ſein ſelbſt, ſon-
dern um unſert willen, und fuͤr uns, oder an un-
ſerer ſtatt, alſo, daß er unſere Schuld abgetra-
gen, und unſere Strafe auf ſich genommen, auf
daß wir Friede haͤtten: ſo iſt er damit die Ver-
ſoͤhnung worden fuͤr alle Menſchen, und hat,
ſo viel die Erwerbung an ſich ſelbſt betrifft, den
Fluch damit von dem gantzen menſchlichen Ge-
ſchlechte hinweggenommen, und den Segen
zuwege gebracht. Und das iſt gemeinet mit den
Worten: Er hat uns erloͤſet von dem Flu-
che des Geſetzes. Da das Wort erloͤſen im
Griechiſchen gar nachdruͤcklich heißt: ἐξηγόρα-
σεν, er hat uns erkauffet, er hat uns durch ein
Loͤſe-Geld ranzioniret, die wir nemlich wie
unter dem Zorne GOttes, und unter dem Flu-
che des Geſetzes, alſo auch unter der Gewalt
des Teufels lagen: von welchem groſſen Ubel er
uns durch eine ſo theure Erkauffung, die ihm ſein
eigen Leben und ſein theures Blut gekoſtet, be-
freyet hat. Col. 1, 13. 1 Pet. 1, 18. 19. Hebr. 2,
14. 15. Da nun das Verbum ἐξαγοράζειν no-
tionis forenſis iſt, oder eine ſolche Satisfaction,
oder Genugthuung, anzeiget, die vor Gericht
geſchiehet, und im Gerichte angenommen wird;
ſie doch aber Chriſtus nicht fuͤr ſich ſelbſt ge-
than, ſondern fuͤr uns, daß ſie uns zu gute kom-
men ſoll: ſo iſt leicht zu erachten, daß daher ei-
ne ſolche Rechtfertigung, oder Gerechtma-
chung entſtehe, welche in einem richterlichen
Ausſpruche und in einer Zurechnung beſtehet.
5. Nun haben wir auch zu betrachten, wie
dieſes, daß Chriſtus ein Fluch fuͤr uns gewor-
den, auſſer dem, wie ſolches in dem angefuͤhrten
Orte Jeſ. 53. und an andern mehr deutlich genug
gezeiget iſt, auch in dem von dem Erhaͤngten 5 B.
Moſ. 21, 22. 23. angedeutet ſey. Die Worte
lauten alſo: Wenn iemand eine Suͤnde ge-
than hat, die des Todes wuͤrdig iſt, und
wird alſo getoͤdtet, daß man ihn an ein
Holtz hanget: (Hebr. und getoͤdtet worden,
und du ihn an ein Holtz gehenget) ſo ſoll ſein
Leichnam nicht uͤber Nacht an dem Holtz
bleiben: ſondern ihr ſollt ihn deſſelben
Tages begraben. Denn ein Gehengter iſt
verfluchet bey GOtt; auf daß du dein
Land nicht verunreinigeſt, das dir der
HErr dein GOtt giebt zum Erbe. Dieſe
Worte haben wir erſtlich zu betrachten nach ih-
rem buchſtaͤblichen Verſtande, und denn
nach der darein gelegten geheimen Abſicht auf
Chriſti Creutzigung.
6. Zum buchſtaͤblichen Verſtande die-
nen folgende Anmerckungen:
a. Obgleich die eigentliche Creutzigung eine
ſolche Todes-Strafe war, welche eigentlich
nur bey den Roͤmern und unter ihrer Both-
maͤßigkeit gebraͤuchlich war, und fuͤr die ver-
aͤchtlichſte und ſchmaͤhlichſte geachtet wurde:
ſo hatten doch auch die Hebraͤer etwas aͤhnli-
ches davon; wie aus dieſem Orte und Joſ.
10, 26. 27. Eſth. 7, 9. zu erſehen iſt; obwol das
Aufhaͤngen, ſo auf dieallerſchwereſten Ver-
brechen geſetzet worden, erſtlich nach vor-
hergegangener, ſonderlich durch die Steini-
gung geſchchener, Toͤdtung andern zum Ab-
ſcheu geſchehen; auch zwiſchen der Creutzi-
gung und Aufhengung der Unterſcheid war,
daß dieſe geſchahe an einem Baum oder Bal-
cken, aus welchem oben ein Holtz hervorging,
an welchem der ſchon ertoͤdtete mit denen uͤ-
ber den Kopf zuſammen gebundenen Haͤnden
veſt gemachet, jene aber an einem Holtze, da-
durch oben ein Quer-Balcken ging, an wel-
chen der Lebendige mit ausgeſtreckten Haͤnden,
wie unten mit den Fuͤſſen angenagelt wurde.
Ja wir finden Exempel, daß, wenn die gantze
Gemeine eine groſſe Schuld uͤber ſich gezogen
hatte, diejenigen, welche ſolche ſonderlich ver-
urſachet hatten, aufgehenget worden, als
4 B. M. 25, 1-4. da ſich ſich die Kinder Jſrael
mit den Midianitern durch leibliche und geiſt-
liche Hurerey, oder Abgoͤtterey, verunreiniget
hatten: da die Stimme des HErrn zu Moſe
ſprach: Nimm alle Oberſten des Volcks,
und henge ſie dem HErrn an die Sonne,
auf daß der grimmige Zorn des HErrn
von Jſrael gewendet werde. Siehe der-
glei-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |