Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des andern Briefs Pauli Cap. 13, 5. [Spaltenumbruch]
sey denn, daß ihr untüchtig seyd (und dieProbe nicht findet in der Prüfung; sonst werdet ihr wol erkennen, daß CHristus in und unter euch ist.) Anmerckungen. 1. Es wird den Corinthiern und uns allen in diesen Worten die Selbst-Prüfung anbe- fohlen. Und da sie eines der allernöthigsten Mittel unsers Wachsthums und unserer Be- wahrung im Guten ist, so wollen wir sie nach dieser Anweisung mit mehrern erwegen; und zwar nach diesen Stücken, daß wir betrachten a. was ihr entgegen stehe? b. was sie so nothwendig mache? c. welches die Sache sey, die da sonderlich in die Prüfung müsse gezo- gen werden: d. die Prüfung selbst. Und denn e. der daher entstehende Nutze. 2. Der Selbst-Prüfung stand bey den Corinthiern und stehet noch bey allen Menschen vielerley also entgegen, daß sich, wo sie unter- lassen wird, solches zum äussersten Schaden der Seele hervor thut; sonderlich folgendes: a. Der Betrug der Sünden und des Sa- tans, dadurch der Mensch gar leichtlich und unvermerckt kan bethöret und gefangen genommen werden; und zwar unter dem Schein daß es recht, oder doch erlaubet sey; wie unterschiedlichen unter den Corinthiern begegnet war. b. Die verborgene Eigen-Liebe, welche nebst dem Unglauben die Haupt-Sünde ist, und auch noch in der Bekehrung des Men- schen, der tiefen Wurtzel nach, dergestalt übrig bleibet, daß sie, ehe man sichs versiehet, wie- der zur völligen Herrschaft kömmt. Und nach derselben siehet der Mensch alle seine Dinge gantz verkehrt an. Denn alles Böse, wel- ches er entweder selbst in sich findet, oder ihm andere entdecken, hält er für Kleinigkeiten und entschuldiget es; insonderheit seinen Haupt- affect, seine gleichsam Busen-Sünde, wel- che ihme vor andern recht anhänget, und da- zu er, vermöge seines natürlichen Tempera- ments, oder seiner Erziehung und Gelegen- heit, am meisten geneigt ist, davon er auch so oft hingerissen und übereilet wird; diese ent- schuldiget er mit andern Vergehungen: und sind alle seine etwa noch gefundene Fehler auf seiner Wage gleichsam lauter Quentlein; da hingegen das Gute, was er in und an sich hat, oder zu haben vermeinet, wie lauter Pfunde, ja wol gar als Centner angesehen werden. Welches Paulus meinet, wenn er den Corinthiern zum Theil vorwirft, daß sie ihrer Meinung nach schon satt und reich, klug, starck und herrlich worden wären. 2 Cor. 4, 8. 10. daß sie sich auf blehen las- sen c. 4, 6. 18. 19. c. 5, 2. etc. c. Die kaltsinnige Schläfrigkeit, unacht- same Vergessenheit seiner selbst, darein man durch den Betrug der Sünde und der Ei- gen-Liebe dergestalt geräth, daß man sich selbst unbekant und fremd wird, und also nicht weiß, wie es um einen stehet. Daher Paulus zu den Corinthiern spricht: Erkennet ihr euch [Spaltenumbruch] selbst nicht. Und 1 Cor. 15, 34. Wachet recht auf, und sündiget nicht. 3. Aus dem Zustande, worinnen der Mensch ohne Selbstprüfung sich befindet, erhellet der- selben Nothwendigkeit. Denn bleibet er oh- ne Untersuchung seiner selbst, so gehet er so da- hin in seinen Sünden, oder unlautern Wesen. Jst er im Stande der Gnaden gestanden, so ver- fält er daraus unvermerckt; hat er ohne das noch erst einen schlechten Anfang gehabt, so ver- lieret er das wenige so viel eher. Jst er noch nie- mal recht erwecket gewesen, so bleibet er im Schlafe der Sünden liegen. Und es mag auch vorher gestanden haben, wie es wolle, so gehet er bey dem Mangel der Selbst-Prüfung ewig verlohren. So führet auch das menschliche Le- ben bey den allermeisten Menschen eine solche Dis- traction, und Zerstreuung der Sinne und Ge- dancken in äusserlichen Geschäften mit sich, daß mancher darüber leichtlich, was die wahre Sorg- falt für die Seele betrifft, seiner selbst vergisset, u. nicht wahrnimmt, wie es in Ansehung des Chri- stenthums um ihn stehe, ob er rück- oder vorwärts gehe, wie sehr er sich hie und da übereilt habe und habe einflechten lassen, und wie diese und je- ne Sünde zur rechten Gewohnheit bey ihm ge- worden sey. Gewißlich daß theils so viel Men- schen auch bey dem Lichte des Evangelii unbekeh- ret bleiben, und daß so manche, die sich erwe- cken lassen, auch angefangen wohl zu laufen, wieder einschlafen, stille stehen, ja zurücke gehen und ihr Saltz lassen tumm werden, und damit ein gedoppeltes Gericht der Verdammniß über sich ziehen, kömmt hauptsächlich her aus dem Mangel der Selbst-Prüfung. Daher man derselben Nothwendigkeit so viel mehr erkennen kan. Und eben diese zeiget Paulus damit nicht undeutlich an, wenn er von der Prüfung seiner selbst in so kurtzen Worten eine dreyfache Erin- nerung giebt, und spricht: Versuchet euch selbst, prüfet euch selbst, erkennet euch selbst. Siehe auch 1 Cor. 11, 28. Der Mensch prüfe sich selbst etc. und v. 31. So wir uns selber richteten, so würden wir nicht ge- richtet. Ferner auch Gal. 6, 4. Ein ieder prüfe sein selbst Werck. 4. Die Sache, worauf die Prüfung am meisten gerichtet seyn soll, ist: Ob man im Glau- ben sey? und ob JEsus CHristus in uns sey? Glaube und Christus sind die beyden Haupt-Stücke im Christenthum, und gehören unauflöslich zusammen. Denn Christus wird unserm Glauben vorgestellet zur Selig- keit; und der Glaube ist es, der Christum er- greifet und uns zueignet. Es heißt sonst, daß der Glaube im Menschen ist, oder daß ihn der Mensch hat. Hier aber heißt es im Glau- ben seyn. Beydes ist wahr und folget eines aus dem andern. Erstlich muß der Glaube in uns seyn, und zwar als ein geistliches Leben und als ein geistliches Licht, dadurch wir anfangen in dem durch den Glauben ergriffenen Heylande zu leben und in ihm, wie das geistliche Leben, also auch mit demselben und mit der Ge- rechtigkeit und der seligmachenden Erkäntniß ein volles Genüge der übrigen himmlischen Güter zu
Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 13, 5. [Spaltenumbruch]
ſey denn, daß ihr untuͤchtig ſeyd (und dieProbe nicht findet in der Pruͤfung; ſonſt werdet ihr wol erkennen, daß CHriſtus in und unter euch iſt.) Anmerckungen. 1. Es wird den Corinthiern und uns allen in dieſen Worten die Selbſt-Pruͤfung anbe- fohlen. Und da ſie eines der allernoͤthigſten Mittel unſers Wachsthums und unſerer Be- wahrung im Guten iſt, ſo wollen wir ſie nach dieſer Anweiſung mit mehrern erwegen; und zwar nach dieſen Stuͤcken, daß wir betrachten a. was ihr entgegen ſtehe? b. was ſie ſo nothwendig mache? c. welches die Sache ſey, die da ſonderlich in die Pruͤfung muͤſſe gezo- gen werden: d. die Pruͤfung ſelbſt. Und denn e. der daher entſtehende Nutze. 2. Der Selbſt-Pruͤfung ſtand bey den Corinthiern und ſtehet noch bey allen Menſchen vielerley alſo entgegen, daß ſich, wo ſie unter- laſſen wird, ſolches zum aͤuſſerſten Schaden der Seele hervor thut; ſonderlich folgendes: a. Der Betrug der Suͤnden und des Sa- tans, dadurch der Menſch gar leichtlich und unvermerckt kan bethoͤret und gefangen genommen werden; und zwar unter dem Schein daß es recht, oder doch erlaubet ſey; wie unterſchiedlichen unter den Corinthiern begegnet war. b. Die verborgene Eigen-Liebe, welche nebſt dem Unglauben die Haupt-Suͤnde iſt, und auch noch in der Bekehrung des Men- ſchen, der tiefen Wurtzel nach, dergeſtalt uͤbrig bleibet, daß ſie, ehe man ſichs verſiehet, wie- der zur voͤlligen Herrſchaft koͤmmt. Und nach derſelben ſiehet der Menſch alle ſeine Dinge gantz verkehrt an. Denn alles Boͤſe, wel- ches er entweder ſelbſt in ſich findet, oder ihm andere entdecken, haͤlt er fuͤr Kleinigkeiten und entſchuldiget es; inſonderheit ſeinen Haupt- affect, ſeine gleichſam Buſen-Suͤnde, wel- che ihme vor andern recht anhaͤnget, und da- zu er, vermoͤge ſeines natuͤrlichen Tempera- ments, oder ſeiner Erziehung und Gelegen- heit, am meiſten geneigt iſt, davon er auch ſo oft hingeriſſen und uͤbereilet wird; dieſe ent- ſchuldiget er mit andern Vergehungen: und ſind alle ſeine etwa noch gefundene Fehler auf ſeiner Wage gleichſam lauter Quentlein; da hingegen das Gute, was er in und an ſich hat, oder zu haben vermeinet, wie lauter Pfunde, ja wol gar als Centner angeſehen werden. Welches Paulus meinet, wenn er den Corinthiern zum Theil vorwirft, daß ſie ihrer Meinung nach ſchon ſatt und reich, klug, ſtarck und herrlich worden waͤren. 2 Cor. 4, 8. 10. daß ſie ſich auf blehen laſ- ſen c. 4, 6. 18. 19. c. 5, 2. ꝛc. c. Die kaltſinnige Schlaͤfrigkeit, unacht- ſame Vergeſſenheit ſeiner ſelbſt, darein man durch den Betrug der Suͤnde und der Ei- gen-Liebe dergeſtalt geraͤth, daß man ſich ſelbſt unbekant und fremd wird, und alſo nicht weiß, wie es um einen ſtehet. Daher Paulus zu den Corinthiern ſpricht: Erkennet ihr euch [Spaltenumbruch] ſelbſt nicht. Und 1 Cor. 15, 34. Wachet recht auf, und ſuͤndiget nicht. 3. Aus dem Zuſtande, worinnen der Menſch ohne Selbſtpruͤfung ſich befindet, erhellet der- ſelben Nothwendigkeit. Denn bleibet er oh- ne Unterſuchung ſeiner ſelbſt, ſo gehet er ſo da- hin in ſeinen Suͤnden, oder unlautern Weſen. Jſt er im Stande der Gnaden geſtanden, ſo ver- faͤlt er daraus unvermerckt; hat er ohne das noch erſt einen ſchlechten Anfang gehabt, ſo ver- lieret er das wenige ſo viel eher. Jſt er noch nie- mal recht erwecket geweſen, ſo bleibet er im Schlafe der Suͤnden liegen. Und es mag auch vorher geſtanden haben, wie es wolle, ſo gehet er bey dem Mangel der Selbſt-Pruͤfung ewig verlohren. So fuͤhret auch das menſchliche Le- ben bey den allermeiſten Menſchen eine ſolche Dis- traction, und Zerſtreuung der Sinne und Ge- dancken in aͤuſſerlichen Geſchaͤften mit ſich, daß mancher daruͤber leichtlich, was die wahre Sorg- falt fuͤr die Seele betrifft, ſeiner ſelbſt vergiſſet, u. nicht wahrnimmt, wie es in Anſehung des Chri- ſtenthums um ihn ſtehe, ob er ruͤck- oder vorwaͤrts gehe, wie ſehr er ſich hie und da uͤbereilt habe und habe einflechten laſſen, und wie dieſe und je- ne Suͤnde zur rechten Gewohnheit bey ihm ge- worden ſey. Gewißlich daß theils ſo viel Men- ſchen auch bey dem Lichte des Evangelii unbekeh- ret bleiben, und daß ſo manche, die ſich erwe- cken laſſen, auch angefangen wohl zu laufen, wieder einſchlafen, ſtille ſtehen, ja zuruͤcke gehen und ihr Saltz laſſen tumm werden, und damit ein gedoppeltes Gericht der Verdammniß uͤber ſich ziehen, koͤmmt hauptſaͤchlich her aus dem Mangel der Selbſt-Pruͤfung. Daher man derſelben Nothwendigkeit ſo viel mehr erkennen kan. Und eben dieſe zeiget Paulus damit nicht undeutlich an, wenn er von der Pruͤfung ſeiner ſelbſt in ſo kurtzen Worten eine dreyfache Erin- nerung giebt, und ſpricht: Verſuchet euch ſelbſt, pruͤfet euch ſelbſt, erkennet euch ſelbſt. Siehe auch 1 Cor. 11, 28. Der Menſch pruͤfe ſich ſelbſt ꝛc. und v. 31. So wir uns ſelber richteten, ſo wuͤrden wir nicht ge- richtet. Ferner auch Gal. 6, 4. Ein ieder pruͤfe ſein ſelbſt Werck. 4. Die Sache, worauf die Pruͤfung am meiſten gerichtet ſeyn ſoll, iſt: Ob man im Glau- ben ſey? und ob JEſus CHriſtus in uns ſey? Glaube und Chriſtus ſind die beyden Haupt-Stuͤcke im Chriſtenthum, und gehoͤren unaufloͤslich zuſammen. Denn Chriſtus wird unſerm Glauben vorgeſtellet zur Selig- keit; und der Glaube iſt es, der Chriſtum er- greifet und uns zueignet. Es heißt ſonſt, daß der Glaube im Menſchen iſt, oder daß ihn der Menſch hat. Hier aber heißt es im Glau- ben ſeyn. Beydes iſt wahr und folget eines aus dem andern. Erſtlich muß der Glaube in uns ſeyn, und zwar als ein geiſtliches Leben und als ein geiſtliches Licht, dadurch wir anfangen in dem durch den Glauben ergriffenen Heylande zu leben und in ihm, wie das geiſtliche Leben, alſo auch mit demſelben und mit der Ge- rechtigkeit und der ſeligmachenden Erkaͤntniß ein volles Genuͤge der uͤbrigen himmliſchen Guͤter zu
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0504" n="476"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erklaͤrung des andern Briefs Pauli <hi rendition="#et">Cap. 13, 5.</hi></hi></fw><lb/><cb/><hi rendition="#fr">ſey denn, daß ihr untuͤchtig ſeyd</hi> (und die<lb/> Probe nicht findet in der Pruͤfung; ſonſt werdet<lb/> ihr wol erkennen, daß CHriſtus in und unter euch<lb/> iſt.)</p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Es wird den Corinthiern und uns allen<lb/> in dieſen Worten die <hi rendition="#fr">Selbſt-Pruͤfung</hi> anbe-<lb/> fohlen. Und da ſie eines der allernoͤthigſten<lb/> Mittel unſers Wachsthums und unſerer Be-<lb/> wahrung im Guten iſt, ſo wollen wir ſie nach<lb/> dieſer Anweiſung mit mehrern erwegen; und<lb/> zwar nach dieſen Stuͤcken, daß wir betrachten<lb/><hi rendition="#aq">a.</hi> <hi rendition="#fr">was ihr entgegen ſtehe?</hi> <hi rendition="#aq">b.</hi> <hi rendition="#fr">was ſie ſo<lb/> nothwendig mache?</hi> <hi rendition="#aq">c.</hi> <hi rendition="#fr">welches die Sache<lb/> ſey,</hi> die da ſonderlich in die Pruͤfung muͤſſe gezo-<lb/> gen werden: <hi rendition="#aq">d.</hi> <hi rendition="#fr">die Pruͤfung ſelbſt.</hi> Und denn<lb/><hi rendition="#aq">e.</hi> der daher entſtehende <hi rendition="#fr">Nutze.</hi></item><lb/> <item>2. Der <hi rendition="#fr">Selbſt-Pruͤfung</hi> ſtand bey den<lb/> Corinthiern und ſtehet noch bey allen Menſchen<lb/> vielerley alſo <hi rendition="#fr">entgegen,</hi> daß ſich, wo ſie unter-<lb/> laſſen wird, ſolches zum aͤuſſerſten Schaden der<lb/> Seele hervor thut; ſonderlich folgendes:<lb/><list><item><hi rendition="#aq">a.</hi><hi rendition="#fr">Der Betrug der Suͤnden und des Sa-<lb/> tans,</hi> dadurch der Menſch gar leichtlich<lb/> und unvermerckt kan bethoͤret und gefangen<lb/> genommen werden; und zwar unter dem<lb/> Schein daß es recht, oder doch erlaubet ſey;<lb/> wie unterſchiedlichen unter den Corinthiern<lb/> begegnet war.</item><lb/><item><hi rendition="#aq">b.</hi><hi rendition="#fr">Die verborgene Eigen-Liebe,</hi> welche<lb/> nebſt dem Unglauben die Haupt-Suͤnde iſt,<lb/> und auch noch in der Bekehrung des Men-<lb/> ſchen, der tiefen Wurtzel nach, dergeſtalt uͤbrig<lb/> bleibet, daß ſie, ehe man ſichs verſiehet, wie-<lb/> der zur voͤlligen Herrſchaft koͤmmt. Und nach<lb/> derſelben ſiehet der Menſch alle ſeine Dinge<lb/> gantz verkehrt an. Denn alles Boͤſe, wel-<lb/> ches er entweder ſelbſt in ſich findet, oder ihm<lb/> andere entdecken, haͤlt er fuͤr Kleinigkeiten und<lb/> entſchuldiget es; inſonderheit ſeinen Haupt-<lb/><hi rendition="#aq">affect,</hi> ſeine gleichſam Buſen-Suͤnde, wel-<lb/> che ihme vor andern recht anhaͤnget, und da-<lb/> zu er, vermoͤge ſeines natuͤrlichen <hi rendition="#aq">Tempera-<lb/> ment</hi>s, oder ſeiner Erziehung und Gelegen-<lb/> heit, am meiſten geneigt iſt, davon er auch ſo<lb/> oft hingeriſſen und uͤbereilet wird; dieſe ent-<lb/> ſchuldiget er mit andern Vergehungen: und<lb/> ſind alle ſeine etwa noch gefundene Fehler auf<lb/> ſeiner Wage gleichſam lauter Quentlein; da<lb/> hingegen das Gute, was er in und an ſich<lb/> hat, oder zu haben vermeinet, wie lauter<lb/> Pfunde, ja wol gar als Centner angeſehen<lb/> werden. Welches Paulus meinet, wenn er<lb/> den Corinthiern zum Theil vorwirft, daß ſie<lb/> ihrer Meinung nach <hi rendition="#fr">ſchon ſatt und reich,<lb/> klug, ſtarck und herrlich worden waͤren.</hi><lb/> 2 Cor. 4, 8. 10. <hi rendition="#fr">daß ſie ſich auf blehen laſ-<lb/> ſen</hi> c. 4, 6. 18. 19. c. 5, 2. ꝛc.</item><lb/><item><hi rendition="#aq">c.</hi><hi rendition="#fr">Die kaltſinnige Schlaͤfrigkeit, unacht-<lb/> ſame Vergeſſenheit ſeiner ſelbſt,</hi> darein<lb/> man durch den Betrug der Suͤnde und der Ei-<lb/> gen-Liebe dergeſtalt geraͤth, daß man ſich ſelbſt<lb/> unbekant und fremd wird, und alſo nicht weiß,<lb/> wie es um einen ſtehet. Daher Paulus zu<lb/> den Corinthiern ſpricht: <hi rendition="#fr">Erkennet ihr euch<lb/><cb/> ſelbſt nicht.</hi> Und 1 Cor. 15, 34. <hi rendition="#fr">Wachet<lb/> recht auf, und ſuͤndiget nicht.</hi></item></list></item><lb/> <item>3. Aus dem Zuſtande, worinnen der Menſch<lb/> ohne Selbſtpruͤfung ſich befindet, erhellet der-<lb/> ſelben <hi rendition="#fr">Nothwendigkeit.</hi> Denn bleibet er oh-<lb/> ne Unterſuchung ſeiner ſelbſt, ſo gehet er ſo da-<lb/> hin in ſeinen Suͤnden, oder unlautern Weſen.<lb/> Jſt er im Stande der Gnaden geſtanden, ſo ver-<lb/> faͤlt er daraus unvermerckt; hat er ohne das<lb/> noch erſt einen ſchlechten Anfang gehabt, ſo ver-<lb/> lieret er das wenige ſo viel eher. Jſt er noch nie-<lb/> mal recht erwecket geweſen, ſo bleibet er im<lb/> Schlafe der Suͤnden liegen. Und es mag auch<lb/> vorher geſtanden haben, wie es wolle, ſo gehet<lb/> er bey dem Mangel der Selbſt-Pruͤfung ewig<lb/> verlohren. So fuͤhret auch das menſchliche Le-<lb/> ben bey den allermeiſten Menſchen eine ſolche <hi rendition="#aq">Dis-<lb/> traction,</hi> und Zerſtreuung der Sinne und Ge-<lb/> dancken in aͤuſſerlichen Geſchaͤften mit ſich, daß<lb/> mancher daruͤber leichtlich, was die wahre Sorg-<lb/> falt fuͤr die Seele betrifft, ſeiner ſelbſt vergiſſet, u.<lb/> nicht wahrnimmt, wie es in Anſehung des Chri-<lb/> ſtenthums um ihn ſtehe, ob er ruͤck- oder vorwaͤrts<lb/> gehe, wie ſehr er ſich hie und da uͤbereilt habe<lb/> und habe einflechten laſſen, und wie dieſe und je-<lb/> ne Suͤnde zur rechten Gewohnheit bey ihm ge-<lb/> worden ſey. Gewißlich daß theils ſo viel Men-<lb/> ſchen auch bey dem Lichte des Evangelii unbekeh-<lb/> ret bleiben, und daß ſo manche, die ſich erwe-<lb/> cken laſſen, auch angefangen wohl zu laufen,<lb/> wieder einſchlafen, ſtille ſtehen, ja zuruͤcke gehen<lb/> und ihr Saltz laſſen tumm werden, und damit<lb/> ein gedoppeltes Gericht der Verdammniß uͤber<lb/> ſich ziehen, koͤmmt hauptſaͤchlich her aus dem<lb/> Mangel der Selbſt-Pruͤfung. Daher man<lb/> derſelben Nothwendigkeit ſo viel mehr erkennen<lb/> kan. Und eben dieſe zeiget Paulus damit nicht<lb/> undeutlich an, wenn er von der Pruͤfung ſeiner<lb/> ſelbſt in ſo kurtzen Worten eine dreyfache Erin-<lb/> nerung giebt, und ſpricht: <hi rendition="#fr">Verſuchet euch<lb/> ſelbſt, pruͤfet euch ſelbſt, erkennet euch<lb/> ſelbſt.</hi> Siehe auch 1 Cor. 11, 28. <hi rendition="#fr">Der Menſch<lb/> pruͤfe ſich ſelbſt ꝛc.</hi> und v. 31. <hi rendition="#fr">So wir uns<lb/> ſelber richteten, ſo wuͤrden wir nicht ge-<lb/> richtet.</hi> Ferner auch Gal. 6, 4. <hi rendition="#fr">Ein ieder<lb/> pruͤfe ſein ſelbſt Werck.</hi></item><lb/> <item>4. Die <hi rendition="#fr">Sache,</hi> worauf die Pruͤfung am<lb/> meiſten gerichtet ſeyn ſoll, iſt: <hi rendition="#fr">Ob man im Glau-<lb/> ben ſey?</hi> und <hi rendition="#fr">ob JEſus CHriſtus in uns<lb/> ſey? Glaube und Chriſtus</hi> ſind die beyden<lb/> Haupt-Stuͤcke im Chriſtenthum, und gehoͤren<lb/> unaufloͤslich zuſammen. Denn <hi rendition="#fr">Chriſtus</hi><lb/> wird unſerm <hi rendition="#fr">Glauben</hi> vorgeſtellet zur Selig-<lb/> keit; und der <hi rendition="#fr">Glaube</hi> iſt es, der Chriſtum er-<lb/> greifet und uns zueignet. Es heißt ſonſt, daß<lb/><hi rendition="#fr">der Glaube im Menſchen iſt,</hi> oder daß ihn<lb/> der Menſch hat. Hier aber heißt es <hi rendition="#fr">im Glau-<lb/> ben</hi> ſeyn. Beydes iſt wahr und folget eines<lb/> aus dem andern. Erſtlich muß der <hi rendition="#fr">Glaube in<lb/> uns ſeyn,</hi> und zwar als ein <hi rendition="#fr">geiſtliches Leben<lb/> und als ein geiſtliches Licht,</hi> dadurch wir<lb/> anfangen in dem durch den Glauben ergriffenen<lb/> Heylande zu leben und in ihm, wie das geiſtliche<lb/> Leben, alſo auch mit demſelben und mit der Ge-<lb/> rechtigkeit und der ſeligmachenden Erkaͤntniß ein<lb/> volles Genuͤge der uͤbrigen himmliſchen Guͤter<lb/> <fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [476/0504]
Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 13, 5.
ſey denn, daß ihr untuͤchtig ſeyd (und die
Probe nicht findet in der Pruͤfung; ſonſt werdet
ihr wol erkennen, daß CHriſtus in und unter euch
iſt.)
Anmerckungen.
1. Es wird den Corinthiern und uns allen
in dieſen Worten die Selbſt-Pruͤfung anbe-
fohlen. Und da ſie eines der allernoͤthigſten
Mittel unſers Wachsthums und unſerer Be-
wahrung im Guten iſt, ſo wollen wir ſie nach
dieſer Anweiſung mit mehrern erwegen; und
zwar nach dieſen Stuͤcken, daß wir betrachten
a. was ihr entgegen ſtehe? b. was ſie ſo
nothwendig mache? c. welches die Sache
ſey, die da ſonderlich in die Pruͤfung muͤſſe gezo-
gen werden: d. die Pruͤfung ſelbſt. Und denn
e. der daher entſtehende Nutze.
2. Der Selbſt-Pruͤfung ſtand bey den
Corinthiern und ſtehet noch bey allen Menſchen
vielerley alſo entgegen, daß ſich, wo ſie unter-
laſſen wird, ſolches zum aͤuſſerſten Schaden der
Seele hervor thut; ſonderlich folgendes:
a. Der Betrug der Suͤnden und des Sa-
tans, dadurch der Menſch gar leichtlich
und unvermerckt kan bethoͤret und gefangen
genommen werden; und zwar unter dem
Schein daß es recht, oder doch erlaubet ſey;
wie unterſchiedlichen unter den Corinthiern
begegnet war.
b. Die verborgene Eigen-Liebe, welche
nebſt dem Unglauben die Haupt-Suͤnde iſt,
und auch noch in der Bekehrung des Men-
ſchen, der tiefen Wurtzel nach, dergeſtalt uͤbrig
bleibet, daß ſie, ehe man ſichs verſiehet, wie-
der zur voͤlligen Herrſchaft koͤmmt. Und nach
derſelben ſiehet der Menſch alle ſeine Dinge
gantz verkehrt an. Denn alles Boͤſe, wel-
ches er entweder ſelbſt in ſich findet, oder ihm
andere entdecken, haͤlt er fuͤr Kleinigkeiten und
entſchuldiget es; inſonderheit ſeinen Haupt-
affect, ſeine gleichſam Buſen-Suͤnde, wel-
che ihme vor andern recht anhaͤnget, und da-
zu er, vermoͤge ſeines natuͤrlichen Tempera-
ments, oder ſeiner Erziehung und Gelegen-
heit, am meiſten geneigt iſt, davon er auch ſo
oft hingeriſſen und uͤbereilet wird; dieſe ent-
ſchuldiget er mit andern Vergehungen: und
ſind alle ſeine etwa noch gefundene Fehler auf
ſeiner Wage gleichſam lauter Quentlein; da
hingegen das Gute, was er in und an ſich
hat, oder zu haben vermeinet, wie lauter
Pfunde, ja wol gar als Centner angeſehen
werden. Welches Paulus meinet, wenn er
den Corinthiern zum Theil vorwirft, daß ſie
ihrer Meinung nach ſchon ſatt und reich,
klug, ſtarck und herrlich worden waͤren.
2 Cor. 4, 8. 10. daß ſie ſich auf blehen laſ-
ſen c. 4, 6. 18. 19. c. 5, 2. ꝛc.
c. Die kaltſinnige Schlaͤfrigkeit, unacht-
ſame Vergeſſenheit ſeiner ſelbſt, darein
man durch den Betrug der Suͤnde und der Ei-
gen-Liebe dergeſtalt geraͤth, daß man ſich ſelbſt
unbekant und fremd wird, und alſo nicht weiß,
wie es um einen ſtehet. Daher Paulus zu
den Corinthiern ſpricht: Erkennet ihr euch
ſelbſt nicht. Und 1 Cor. 15, 34. Wachet
recht auf, und ſuͤndiget nicht.
3. Aus dem Zuſtande, worinnen der Menſch
ohne Selbſtpruͤfung ſich befindet, erhellet der-
ſelben Nothwendigkeit. Denn bleibet er oh-
ne Unterſuchung ſeiner ſelbſt, ſo gehet er ſo da-
hin in ſeinen Suͤnden, oder unlautern Weſen.
Jſt er im Stande der Gnaden geſtanden, ſo ver-
faͤlt er daraus unvermerckt; hat er ohne das
noch erſt einen ſchlechten Anfang gehabt, ſo ver-
lieret er das wenige ſo viel eher. Jſt er noch nie-
mal recht erwecket geweſen, ſo bleibet er im
Schlafe der Suͤnden liegen. Und es mag auch
vorher geſtanden haben, wie es wolle, ſo gehet
er bey dem Mangel der Selbſt-Pruͤfung ewig
verlohren. So fuͤhret auch das menſchliche Le-
ben bey den allermeiſten Menſchen eine ſolche Dis-
traction, und Zerſtreuung der Sinne und Ge-
dancken in aͤuſſerlichen Geſchaͤften mit ſich, daß
mancher daruͤber leichtlich, was die wahre Sorg-
falt fuͤr die Seele betrifft, ſeiner ſelbſt vergiſſet, u.
nicht wahrnimmt, wie es in Anſehung des Chri-
ſtenthums um ihn ſtehe, ob er ruͤck- oder vorwaͤrts
gehe, wie ſehr er ſich hie und da uͤbereilt habe
und habe einflechten laſſen, und wie dieſe und je-
ne Suͤnde zur rechten Gewohnheit bey ihm ge-
worden ſey. Gewißlich daß theils ſo viel Men-
ſchen auch bey dem Lichte des Evangelii unbekeh-
ret bleiben, und daß ſo manche, die ſich erwe-
cken laſſen, auch angefangen wohl zu laufen,
wieder einſchlafen, ſtille ſtehen, ja zuruͤcke gehen
und ihr Saltz laſſen tumm werden, und damit
ein gedoppeltes Gericht der Verdammniß uͤber
ſich ziehen, koͤmmt hauptſaͤchlich her aus dem
Mangel der Selbſt-Pruͤfung. Daher man
derſelben Nothwendigkeit ſo viel mehr erkennen
kan. Und eben dieſe zeiget Paulus damit nicht
undeutlich an, wenn er von der Pruͤfung ſeiner
ſelbſt in ſo kurtzen Worten eine dreyfache Erin-
nerung giebt, und ſpricht: Verſuchet euch
ſelbſt, pruͤfet euch ſelbſt, erkennet euch
ſelbſt. Siehe auch 1 Cor. 11, 28. Der Menſch
pruͤfe ſich ſelbſt ꝛc. und v. 31. So wir uns
ſelber richteten, ſo wuͤrden wir nicht ge-
richtet. Ferner auch Gal. 6, 4. Ein ieder
pruͤfe ſein ſelbſt Werck.
4. Die Sache, worauf die Pruͤfung am
meiſten gerichtet ſeyn ſoll, iſt: Ob man im Glau-
ben ſey? und ob JEſus CHriſtus in uns
ſey? Glaube und Chriſtus ſind die beyden
Haupt-Stuͤcke im Chriſtenthum, und gehoͤren
unaufloͤslich zuſammen. Denn Chriſtus
wird unſerm Glauben vorgeſtellet zur Selig-
keit; und der Glaube iſt es, der Chriſtum er-
greifet und uns zueignet. Es heißt ſonſt, daß
der Glaube im Menſchen iſt, oder daß ihn
der Menſch hat. Hier aber heißt es im Glau-
ben ſeyn. Beydes iſt wahr und folget eines
aus dem andern. Erſtlich muß der Glaube in
uns ſeyn, und zwar als ein geiſtliches Leben
und als ein geiſtliches Licht, dadurch wir
anfangen in dem durch den Glauben ergriffenen
Heylande zu leben und in ihm, wie das geiſtliche
Leben, alſo auch mit demſelben und mit der Ge-
rechtigkeit und der ſeligmachenden Erkaͤntniß ein
volles Genuͤge der uͤbrigen himmliſchen Guͤter
zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |