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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des andern Briefs Pauli Cap. 12, v. 7.
[Spaltenumbruch] men JEsu gezwungen hatte; so solte man wol
meinen, er sey durch das Andencken dieser so
grossen Missethat nachher in seinem gantzen Le-
ben gar sehr geängstiget worden, und daß sich
der Satan dieses Vorwurfs zur Beunruhigung
seines Gemüths auf GOttes Zulassung sonder-
lich bedienet habe. Allein ob wol diese Mei-
nung in Vergleichung mit den andern die beste
ist, und vor jenen am ersten statt finden möchte:
so halte ich doch nicht dafür, daß Paulus darauf
gehe. Denn er wuste wohl, daß er bey der so
gar gründlichen Aenderung seines Hertzens und
gantzen Lebens, im Blute CHristi völlige Ver-
gebung aller seiner Sünden empfangen hatte,
also daß er daher in grosser Glaubens-Freudig-
keit stunde, und unter andern aus derselben
schreiben konte: Jst GOTT für uns, wer
mag wider uns seyn? - - - Wer will die
Auserwehlten GOTTES beschuldigen?
GOTT ist hie, der gerecht machet. Wer
will verdammen, CHristus ist hie, der
gestorben ist, ja vielmehr, der auch auf-
erwecket ist
u. s. w. Rom. 8, 31. Ob nun zwar
deßwegen das Andencken der begangenen schwe-
ren Sünde vor zarter Liebe gegen GOtt nicht
ohne ein heimliches Nagen des Gewissens ge-
blieben seyn mag, sein Gemüth auch so viel
mehr in Niedrigkeit erhalten hat, wie man un-
ter andern aus den Stellen 1 Corinth. 15, 8. 9. 1
Tim. 1, 13. 14. 15. ersiehet: so ist doch bey ge-
dachter Glaubens-Freudigkeit nicht zu vermu-
then, daß die Empfindung davon so groß solte
gewesen seyn, als es der Nachdruck der von die-
sem besondern Leiden gebrauchten Worte erfo-
dert. Es gar aber aus dem Gedächtniß los zu
werden, und es sich also auch gar nicht einmal
mehr zur Demüthigung dienen zu lassen, wird
der Apostel so wenig gebeten haben, als es sich,
solches zu erbitten, geschicket hätte. Er hat
doch aber GOTT um die Befreyung von dem
Ubel sehr flehentlich angerufen, und zwar wie
sonst mehrmal, ja wol unzehlig mal, also son-
derlich mit einem solchen Gebet, wozu er sich in-
sonderheit zu drey malen recht zubereitet hatte,
und wol ohne Zweifel mit Fasten; als dessen er
sich ohne das öfters bedienet hat, nach 2 Cor.
6, 5. 11, 27. Welches Gebet sich denn zum
Zweck der Befreyung von dem, ob gleich an sich
selbst nicht erfreulichen, Andencken seines vori-
gen Zustandes nicht wol geschicket hätte; ge-
dachte Erinnerung auch nicht anders, als durch
ein Wunderwerck von ihm würde zu nehmen
gewesen seyn, und, wenn es auch geschehen wä-
re, das Lob GOttes bey ihm eher würde ver-
mindert als vermehret haben. Denn die em-
pfangene Gnade wuste er nimmer höher zu schä-
tzen, als in Erwegung dessen, wie unwehrt er
derselben gewesen sey; wie man aus den ange-
führten Oertern siehet.
7. Da nun auch diese Auslegung nebst
den übrigen schwerlich statt hat, so solt es schei-
nen, als wäre gar keine mehr übrig: aber es ist
noch eine vorhanden; und zwar eine solche,
welche wol vor allen andern in diesem Terte ge-
gründet, und von Paulo selbst intendiret ist:
nemlich diejenige Art geistlicher und hoher An-
[Spaltenumbruch] fechtungen,
da der Mensch mit feindseligen
und mit den abscheulichsten Gedancken wi-
der GOTT selbst geängstiget wird:
Da-
von man um der Schwachen und um der nicht
angefochtenen willen nicht gern deutlicher redet,
ein ieder aber, der davon einige Noth gehabt,
oder noch hat, aus dieser nicht undeutlichen
Anzeige schon genug ersiehet, was man mei-
net.
8. Daß aber diese Anfechtung alhier von
Paulo, so viel sich bey menschlicher Schwach-
heit nach den regulis hermeneuticis einsehen und
urtheilen läßt, gemeinet sey, erweise ich mit
folgenden Gründen:
a. Weil, wie wir bisher gesehen, keine ande-
re Meinung und Erklärung statt findet; und
doch gleichwol der Apostel etwas verstanden
haben muß, welches einigen Knechten und
Kindern GOTTes wol zu begegnen pfleget,
und von der Art ist, daß es sich von den Ge-
übten unter den Corinthiern wol endlich hat
errathen lassen. Wie denn auch nicht zu ver-
muthen ist, daß der Apostel ihnen und allen
Nachkommen in der Kürtze damit habe ein
unauflößlichs Rätzel aufgeben wollen.
b. Weil diese Art der Anfechtungen, dem Ge-
fühle nach, welche ein Mensch zur Beäng-
stigung davon hat, die allerempfindlichste und
ärgste ist, da man es darinnen unmittelbar
mit GOTT zu thun hat, und das, was
die Seele von einfallenden Gedancken wider
GOTT in sich gewahr wird, ihr so viel we-
her thut, so viel zarter ihre Liebe, und so viel
grösser ihre Ehrerbietung gegen GOTT ist.
Und also schicket sie sich auch vor allen andern
zu einem solchen Texte, darinnen ein gar gros-
ses Anliegen entdecket wird.
c. Weil gedachte Anfechtung von der Beschaf-
fenheit ist, daß, so groß und schwer sie auch
ist, sie dennoch wie mit aller Glaubens-Freu-
digkeit, also auch mit dem rechten Ernst in
der Heiligung gar wohl bestehen kan, und al-
so bey Paulo so viel eher hat Platz finden kön-
nen. Denn sie ist gemeiniglich nicht bestän-
dig, auch einmal stärcker, als das andere
mal. Und ob sie wol, wo ferne der Mensch
keine Erb-Sünde mehr hätte, bey ihm nicht
würde statt haben, so kömmt sie doch nicht so
wol von innen aus der noch übrigen Erb-
Sünde, als von aussen, und sind die Gedan-
cken, womit der Mensch geplaget wird, gleich
den Pfeilen, welche von aussen ins Gemüth
geschossen werden. Sie kommen also auch
nicht aus eigner Wirckung, noch führen sie
einige Beystimmung in des Menschen Begier-
den und Willen bey sich, sondern der Mensch
stehet dabey nur in der blossen passivität, daß
er alles wider seinen Willen empfindet und
leidet. Auf welche Art denn alle Glaubens-
Freudigkeit und Ernst der Heiligung, und
noch so viel mehr der Gnaden-Stand bey
GOTT damit bestehen kan; zumal bey den
Geübten, die wol wissen, wie sie ein solches
Seelen-Ubel ansehen sollen. Und die noch
ungeübet sind, die lassen sichs insgemein zu
so
Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 12, v. 7.
[Spaltenumbruch] men JEſu gezwungen hatte; ſo ſolte man wol
meinen, er ſey durch das Andencken dieſer ſo
groſſen Miſſethat nachher in ſeinem gantzen Le-
ben gar ſehr geaͤngſtiget worden, und daß ſich
der Satan dieſes Vorwurfs zur Beunruhigung
ſeines Gemuͤths auf GOttes Zulaſſung ſonder-
lich bedienet habe. Allein ob wol dieſe Mei-
nung in Vergleichung mit den andern die beſte
iſt, und vor jenen am erſten ſtatt finden moͤchte:
ſo halte ich doch nicht dafuͤr, daß Paulus darauf
gehe. Denn er wuſte wohl, daß er bey der ſo
gar gruͤndlichen Aenderung ſeines Hertzens und
gantzen Lebens, im Blute CHriſti voͤllige Ver-
gebung aller ſeiner Suͤnden empfangen hatte,
alſo daß er daher in groſſer Glaubens-Freudig-
keit ſtunde, und unter andern aus derſelben
ſchreiben konte: Jſt GOTT fuͤr uns, wer
mag wider uns ſeyn? ‒ ‒ ‒ Wer will die
Auserwehlten GOTTES beſchuldigen?
GOTT iſt hie, der gerecht machet. Wer
will verdammen, CHriſtus iſt hie, der
geſtorben iſt, ja vielmehr, der auch auf-
erwecket iſt
u. ſ. w. Rom. 8, 31. Ob nun zwar
deßwegen das Andencken der begangenen ſchwe-
ren Suͤnde vor zarter Liebe gegen GOtt nicht
ohne ein heimliches Nagen des Gewiſſens ge-
blieben ſeyn mag, ſein Gemuͤth auch ſo viel
mehr in Niedrigkeit erhalten hat, wie man un-
ter andern aus den Stellen 1 Corinth. 15, 8. 9. 1
Tim. 1, 13. 14. 15. erſiehet: ſo iſt doch bey ge-
dachter Glaubens-Freudigkeit nicht zu vermu-
then, daß die Empfindung davon ſo groß ſolte
geweſen ſeyn, als es der Nachdruck der von die-
ſem beſondern Leiden gebrauchten Worte erfo-
dert. Es gar aber aus dem Gedaͤchtniß los zu
werden, und es ſich alſo auch gar nicht einmal
mehr zur Demuͤthigung dienen zu laſſen, wird
der Apoſtel ſo wenig gebeten haben, als es ſich,
ſolches zu erbitten, geſchicket haͤtte. Er hat
doch aber GOTT um die Befreyung von dem
Ubel ſehr flehentlich angerufen, und zwar wie
ſonſt mehrmal, ja wol unzehlig mal, alſo ſon-
derlich mit einem ſolchen Gebet, wozu er ſich in-
ſonderheit zu drey malen recht zubereitet hatte,
und wol ohne Zweifel mit Faſten; als deſſen er
ſich ohne das oͤfters bedienet hat, nach 2 Cor.
6, 5. 11, 27. Welches Gebet ſich denn zum
Zweck der Befreyung von dem, ob gleich an ſich
ſelbſt nicht erfreulichen, Andencken ſeines vori-
gen Zuſtandes nicht wol geſchicket haͤtte; ge-
dachte Erinnerung auch nicht anders, als durch
ein Wunderwerck von ihm wuͤrde zu nehmen
geweſen ſeyn, und, wenn es auch geſchehen waͤ-
re, das Lob GOttes bey ihm eher wuͤrde ver-
mindert als vermehret haben. Denn die em-
pfangene Gnade wuſte er nimmer hoͤher zu ſchaͤ-
tzen, als in Erwegung deſſen, wie unwehrt er
derſelben geweſen ſey; wie man aus den ange-
fuͤhrten Oertern ſiehet.
7. Da nun auch dieſe Auslegung nebſt
den uͤbrigen ſchwerlich ſtatt hat, ſo ſolt es ſchei-
nen, als waͤre gar keine mehr uͤbrig: aber es iſt
noch eine vorhanden; und zwar eine ſolche,
welche wol vor allen andern in dieſem Terte ge-
gruͤndet, und von Paulo ſelbſt intendiret iſt:
nemlich diejenige Art geiſtlicher und hoher An-
[Spaltenumbruch] fechtungen,
da der Menſch mit feindſeligen
und mit den abſcheulichſten Gedancken wi-
der GOTT ſelbſt geaͤngſtiget wird:
Da-
von man um der Schwachen und um der nicht
angefochtenen willen nicht gern deutlicher redet,
ein ieder aber, der davon einige Noth gehabt,
oder noch hat, aus dieſer nicht undeutlichen
Anzeige ſchon genug erſiehet, was man mei-
net.
8. Daß aber dieſe Anfechtung alhier von
Paulo, ſo viel ſich bey menſchlicher Schwach-
heit nach den regulis hermeneuticis einſehen und
urtheilen laͤßt, gemeinet ſey, erweiſe ich mit
folgenden Gruͤnden:
a. Weil, wie wir bisher geſehen, keine ande-
re Meinung und Erklaͤrung ſtatt findet; und
doch gleichwol der Apoſtel etwas verſtanden
haben muß, welches einigen Knechten und
Kindern GOTTes wol zu begegnen pfleget,
und von der Art iſt, daß es ſich von den Ge-
uͤbten unter den Corinthiern wol endlich hat
errathen laſſen. Wie denn auch nicht zu ver-
muthen iſt, daß der Apoſtel ihnen und allen
Nachkommen in der Kuͤrtze damit habe ein
unaufloͤßlichs Raͤtzel aufgeben wollen.
b. Weil dieſe Art der Anfechtungen, dem Ge-
fuͤhle nach, welche ein Menſch zur Beaͤng-
ſtigung davon hat, die allerempfindlichſte und
aͤrgſte iſt, da man es darinnen unmittelbar
mit GOTT zu thun hat, und das, was
die Seele von einfallenden Gedancken wider
GOTT in ſich gewahr wird, ihr ſo viel we-
her thut, ſo viel zarter ihre Liebe, und ſo viel
groͤſſer ihre Ehrerbietung gegen GOTT iſt.
Und alſo ſchicket ſie ſich auch vor allen andern
zu einem ſolchen Texte, darinnen ein gar groſ-
ſes Anliegen entdecket wird.
c. Weil gedachte Anfechtung von der Beſchaf-
fenheit iſt, daß, ſo groß und ſchwer ſie auch
iſt, ſie dennoch wie mit aller Glaubens-Freu-
digkeit, alſo auch mit dem rechten Ernſt in
der Heiligung gar wohl beſtehen kan, und al-
ſo bey Paulo ſo viel eher hat Platz finden koͤn-
nen. Denn ſie iſt gemeiniglich nicht beſtaͤn-
dig, auch einmal ſtaͤrcker, als das andere
mal. Und ob ſie wol, wo ferne der Menſch
keine Erb-Suͤnde mehr haͤtte, bey ihm nicht
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Suͤnde, als von auſſen, und ſind die Gedan-
cken, womit der Menſch geplaget wird, gleich
den Pfeilen, welche von auſſen ins Gemuͤth
geſchoſſen werden. Sie kommen alſo auch
nicht aus eigner Wirckung, noch fuͤhren ſie
einige Beyſtimmung in des Menſchen Begier-
den und Willen bey ſich, ſondern der Menſch
ſtehet dabey nur in der bloſſen paſſivitaͤt, daß
er alles wider ſeinen Willen empfindet und
leidet. Auf welche Art denn alle Glaubens-
Freudigkeit und Ernſt der Heiligung, und
noch ſo viel mehr der Gnaden-Stand bey
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[464/0492] Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 12, v. 7. men JEſu gezwungen hatte; ſo ſolte man wol meinen, er ſey durch das Andencken dieſer ſo groſſen Miſſethat nachher in ſeinem gantzen Le- ben gar ſehr geaͤngſtiget worden, und daß ſich der Satan dieſes Vorwurfs zur Beunruhigung ſeines Gemuͤths auf GOttes Zulaſſung ſonder- lich bedienet habe. Allein ob wol dieſe Mei- nung in Vergleichung mit den andern die beſte iſt, und vor jenen am erſten ſtatt finden moͤchte: ſo halte ich doch nicht dafuͤr, daß Paulus darauf gehe. Denn er wuſte wohl, daß er bey der ſo gar gruͤndlichen Aenderung ſeines Hertzens und gantzen Lebens, im Blute CHriſti voͤllige Ver- gebung aller ſeiner Suͤnden empfangen hatte, alſo daß er daher in groſſer Glaubens-Freudig- keit ſtunde, und unter andern aus derſelben ſchreiben konte: Jſt GOTT fuͤr uns, wer mag wider uns ſeyn? ‒ ‒ ‒ Wer will die Auserwehlten GOTTES beſchuldigen? GOTT iſt hie, der gerecht machet. Wer will verdammen, CHriſtus iſt hie, der geſtorben iſt, ja vielmehr, der auch auf- erwecket iſt u. ſ. w. Rom. 8, 31. Ob nun zwar deßwegen das Andencken der begangenen ſchwe- ren Suͤnde vor zarter Liebe gegen GOtt nicht ohne ein heimliches Nagen des Gewiſſens ge- blieben ſeyn mag, ſein Gemuͤth auch ſo viel mehr in Niedrigkeit erhalten hat, wie man un- ter andern aus den Stellen 1 Corinth. 15, 8. 9. 1 Tim. 1, 13. 14. 15. erſiehet: ſo iſt doch bey ge- dachter Glaubens-Freudigkeit nicht zu vermu- then, daß die Empfindung davon ſo groß ſolte geweſen ſeyn, als es der Nachdruck der von die- ſem beſondern Leiden gebrauchten Worte erfo- dert. Es gar aber aus dem Gedaͤchtniß los zu werden, und es ſich alſo auch gar nicht einmal mehr zur Demuͤthigung dienen zu laſſen, wird der Apoſtel ſo wenig gebeten haben, als es ſich, ſolches zu erbitten, geſchicket haͤtte. Er hat doch aber GOTT um die Befreyung von dem Ubel ſehr flehentlich angerufen, und zwar wie ſonſt mehrmal, ja wol unzehlig mal, alſo ſon- derlich mit einem ſolchen Gebet, wozu er ſich in- ſonderheit zu drey malen recht zubereitet hatte, und wol ohne Zweifel mit Faſten; als deſſen er ſich ohne das oͤfters bedienet hat, nach 2 Cor. 6, 5. 11, 27. Welches Gebet ſich denn zum Zweck der Befreyung von dem, ob gleich an ſich ſelbſt nicht erfreulichen, Andencken ſeines vori- gen Zuſtandes nicht wol geſchicket haͤtte; ge- dachte Erinnerung auch nicht anders, als durch ein Wunderwerck von ihm wuͤrde zu nehmen geweſen ſeyn, und, wenn es auch geſchehen waͤ- re, das Lob GOttes bey ihm eher wuͤrde ver- mindert als vermehret haben. Denn die em- pfangene Gnade wuſte er nimmer hoͤher zu ſchaͤ- tzen, als in Erwegung deſſen, wie unwehrt er derſelben geweſen ſey; wie man aus den ange- fuͤhrten Oertern ſiehet. 7. Da nun auch dieſe Auslegung nebſt den uͤbrigen ſchwerlich ſtatt hat, ſo ſolt es ſchei- nen, als waͤre gar keine mehr uͤbrig: aber es iſt noch eine vorhanden; und zwar eine ſolche, welche wol vor allen andern in dieſem Terte ge- gruͤndet, und von Paulo ſelbſt intendiret iſt: nemlich diejenige Art geiſtlicher und hoher An- fechtungen, da der Menſch mit feindſeligen und mit den abſcheulichſten Gedancken wi- der GOTT ſelbſt geaͤngſtiget wird: Da- von man um der Schwachen und um der nicht angefochtenen willen nicht gern deutlicher redet, ein ieder aber, der davon einige Noth gehabt, oder noch hat, aus dieſer nicht undeutlichen Anzeige ſchon genug erſiehet, was man mei- net. 8. Daß aber dieſe Anfechtung alhier von Paulo, ſo viel ſich bey menſchlicher Schwach- heit nach den regulis hermeneuticis einſehen und urtheilen laͤßt, gemeinet ſey, erweiſe ich mit folgenden Gruͤnden: a. Weil, wie wir bisher geſehen, keine ande- re Meinung und Erklaͤrung ſtatt findet; und doch gleichwol der Apoſtel etwas verſtanden haben muß, welches einigen Knechten und Kindern GOTTes wol zu begegnen pfleget, und von der Art iſt, daß es ſich von den Ge- uͤbten unter den Corinthiern wol endlich hat errathen laſſen. Wie denn auch nicht zu ver- muthen iſt, daß der Apoſtel ihnen und allen Nachkommen in der Kuͤrtze damit habe ein unaufloͤßlichs Raͤtzel aufgeben wollen. b. Weil dieſe Art der Anfechtungen, dem Ge- fuͤhle nach, welche ein Menſch zur Beaͤng- ſtigung davon hat, die allerempfindlichſte und aͤrgſte iſt, da man es darinnen unmittelbar mit GOTT zu thun hat, und das, was die Seele von einfallenden Gedancken wider GOTT in ſich gewahr wird, ihr ſo viel we- her thut, ſo viel zarter ihre Liebe, und ſo viel groͤſſer ihre Ehrerbietung gegen GOTT iſt. Und alſo ſchicket ſie ſich auch vor allen andern zu einem ſolchen Texte, darinnen ein gar groſ- ſes Anliegen entdecket wird. c. Weil gedachte Anfechtung von der Beſchaf- fenheit iſt, daß, ſo groß und ſchwer ſie auch iſt, ſie dennoch wie mit aller Glaubens-Freu- digkeit, alſo auch mit dem rechten Ernſt in der Heiligung gar wohl beſtehen kan, und al- ſo bey Paulo ſo viel eher hat Platz finden koͤn- nen. Denn ſie iſt gemeiniglich nicht beſtaͤn- dig, auch einmal ſtaͤrcker, als das andere mal. Und ob ſie wol, wo ferne der Menſch keine Erb-Suͤnde mehr haͤtte, bey ihm nicht wuͤrde ſtatt haben, ſo koͤmmt ſie doch nicht ſo wol von innen aus der noch uͤbrigen Erb- Suͤnde, als von auſſen, und ſind die Gedan- cken, womit der Menſch geplaget wird, gleich den Pfeilen, welche von auſſen ins Gemuͤth geſchoſſen werden. Sie kommen alſo auch nicht aus eigner Wirckung, noch fuͤhren ſie einige Beyſtimmung in des Menſchen Begier- den und Willen bey ſich, ſondern der Menſch ſtehet dabey nur in der bloſſen paſſivitaͤt, daß er alles wider ſeinen Willen empfindet und leidet. Auf welche Art denn alle Glaubens- Freudigkeit und Ernſt der Heiligung, und noch ſo viel mehr der Gnaden-Stand bey GOTT damit beſtehen kan; zumal bey den Geuͤbten, die wol wiſſen, wie ſie ein ſolches Seelen-Ubel anſehen ſollen. Und die noch ungeuͤbet ſind, die laſſen ſichs insgemein zu ſo

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/492>, abgerufen am 24.11.2024.