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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des andern Briefs Pauli Cap. 11, v. 27. 28.
[Spaltenumbruch] allen upernikomen, überwinden wir weit, um
deßwillen, der uns geliebet hat;
und daß
ihn nichts von allen von der Liebe GOttes, die
da in CHristo JESU ist, scheiden, oder ihn da-
hin bringen können, daß er deßwegen, daß GOtt
so viel hartes über ihn verhänget, an der Liebe,
die GOTT in CHristo zu ihm trage, gezweifelt
hätte. Rom. 8, 37. Welches denn eine recht
tiefe Einsicht in das Geheimniß des Creutzes an-
zeiget. Und weil er dabey auch innerlich mit ge-
nugsamer Kraft ausgerüstet war, so konte er nach
der Wahrheit schreiben: Jch kan niedrig seyn
und kan hoch seyn, ich bin bey allen Din-
get und in allen geschickt, beyde satt seyn
und hungern, beyde übrig haben und Man-
gel leiden: ich vermag alles durch den, der
mich mächtig machet, CHristum.
Phil. 4,
11, 12.
7. Zum andern ist dabey zu mercken, daß
der Apostel, wie es der vorhergehende Context
anzeiget, sich damit unterscheidet von den falschen
Aposteln: als die dergleichen um des Evangelii
willen niemals über sich genommen und erfah-
ren, sondern vielmehr nach dem Fleische das Ge-
gentheil gesuchet und auch guten Theils erhalten
hatten. Wie er ihnen denn daher Rom. 16, 18.
Phil. 2, 19. den Bauch-Dienst zum Character
setzet, und Gal. 6, 12. bezeuget, daß sie das Ev-
angelium, mit der Anführung auf die Beschnei-
dung also verkündiget, daß sie nicht mit dem Creu-
tze CHristi möchten verfolget werden. Wie vie-
le Nachfolger diese trügliche Arbeiter noch bis auf
den heutigen Tag haben, das ist denen, die Au-
gen haben, zu sehen, nicht unbekant.
V. 28.

Ohne was sich sonst zuträget, nem-
lich, daß ich täglich werde angelaufen,
und trage Sorge für alle Gemeinen.

Anmerckungen.
1. Mit den Worten, khoris ton parektos,
nemlich ginomenon, wird so viel angezeiget, daß
das bisher angeführte Register der Leiden nicht
voll sey, sondern noch manches dazu gehöre; als
da sey das nachfolgende, wie er allenthalben an-
gelaufen werde, in was für einer allgemeinen
Sorge für alle Gemeinen er stehe, und in was
für Beklemmung seines Gemüths er darüber
komme. Daher Lutherus die Worte gar recht
übersetzet hat mit der darauf hinzu gesetzten par-
ticul,
nemlich: ohne was sich sonst zuträgt,
nemlich etc.
2. Das tägliche Anlaufen zeiget den da-
maligen Zustand der Kirche an. Es ging da zu,
wie bey Anlegung eines grossen Wein-Berges,
ja vieler Wein-Berge und Gärten; wie bey ei-
nem weitläuftigen und vielfältigen Bau, da einer
mit einem und dem andern Gehülfen die Auf-
sicht und Direction über alles führet. Und da
dannenhero ohne Aufhören bald dieser bald jener
kömmt, und fraget, was und wie es zu machen?
wie man sich bey dieser und jener Begebenheit,
bey dieser und jener Unordnung, bey diesem und
jenem Aergerniß, bey dieser und jener anschei-
nenden Gefahr, theils klüglich, ohne sich wor-
[Spaltenumbruch] innen zu verstossen, theils auch getreulich, ohne
etwas zu versäumen, zu verhalten habe? Solche
Anläufe hatte Paulus aller Orten ausser seiner
eignen Arbeit im Vortrage des Worts, da er
bald ihrer mehrere insgesamt, bald einen oder ein
Paar insonderheit vor sich, und sie zu unterrich-
ten gehabt hat. Denn wer wolte daran zweifeln,
daß bey dem Schall vom Evangelio und bey der
durch die vielen Wunder-Zeichen geschehene Er-
weckung der Gemüther, nicht manche erweckte,
aber noch schüchterne, Seele, also, wie Nicode-
mus zu CHristo, gekommen sey, und sich von ihm
im Christenthum erst insgemein unterrichten las-
sen, ehe sie sich öffentlich vom Judenthum, oder
Heidenthum, zu der Christlichen Gemeine be-
kannt, und sich taufen liesse. An manchen Be-
trübten und Angefochtenen, die besonders aufzu-
richten waren, wird es unter den bereits Ge-
tauften auch nicht gefehlet haben. Und wer wol-
te daran zweifeln, daß nicht auch mancher zerrüt-
teter Geist an Paulum gesetzet, und ihm, ehe er
sich seiner entschlagen können, viel zu schaffen
gemachet habe?
3. Dieser tägliche oder doch östere An-
lauf,
in so fern er zum guten Zweck geschiehet, ist
ein Kennzeichen wohlgesinneter Zühörer und
rechtschaffner Hirten, zu denen die Schafe ein
Vertrauen haben. Und hierinnen erweiset sich
auch erst recht die cura specialis, die besondere
Seel-Sorge, es heisse einer Pastor, oder Diaconus,
Superintendens,
oder Senior, u. d. g. er habe
auch sonst in Ansehung des Beichtstuhls die also
genante curam specialem, oder nicht. Denn
jene cura, oder Besorgung der Seelen, lieget
allen ob. Ein Mietling aber und unbekehrter
Lehrer ist dazu nicht weniger ungeschickt als un-
treu. Ungeschickt ist er, weil er, da es ihme
selbst am besten, an der Salbung und Erfah-
rung, fehlet, den Seelen nach ihren besondern
Umständen nicht zu rathen weiß. Und nicht ge-
ringer ist seine Untreue; als nach welcher er alle
solche Arbeit scheuet, ja meinet, sie sey ihm gar
nicht befohlen. Wie denn auch, da sein geist-
lich ungeschickter und abgekehrter Sinn der Ge-
meine nicht unbekant bleibet, erweckte Seelen
in keinem Vertrauen zu einem solchen Lehrer ste-
hen, und er mit solchem Anlause wohl verscho-
net bleibet, und sich daher feine viele gute Tage
machet, und gleichsam auf einer Sänfte seiner
Meinung nach in den Himmel getragen wird.
Aber was wird dermaleins der Ertz-Hirte dazu
sagen? Daß aber hiemit keinesweges den unge-
stümen oder auch unnöthigen Anläufen das
Wort geredet wird, siehet ein ieder. Denn
gleichwie eines Theils ein rechtschaffner Knecht
GOttes sich gerne zum Dienst dahin giebt, und
mit Paulo allen allerley wird, so viel es Gewis-
sens wegen geschehen kan: so hat man doch auch
seiner so vielmehr zu schonen, so viel williger und
so vielmehr man ihn mit Arbeit und Mühe über-
laden findet, damit er nicht vor der Zeit unter der
Last erliege, ihme auch durch hinlänglichen Un-
terhalt und Zuschub die Erquickung so vielmehr
zu gönnen, und wircklich zufliessen zu lassen, ie
weniger er seinen Zweck darauf gerichtet hat.
4. Wenn
Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 11, v. 27. 28.
[Spaltenumbruch] allen ὑπερνικῶμεν, uͤberwinden wir weit, um
deßwillen, der uns geliebet hat;
und daß
ihn nichts von allen von der Liebe GOttes, die
da in CHriſto JESU iſt, ſcheiden, oder ihn da-
hin bringen koͤnnen, daß er deßwegen, daß GOtt
ſo viel hartes uͤber ihn verhaͤnget, an der Liebe,
die GOTT in CHriſto zu ihm trage, gezweifelt
haͤtte. Rom. 8, 37. Welches denn eine recht
tiefe Einſicht in das Geheimniß des Creutzes an-
zeiget. Und weil er dabey auch innerlich mit ge-
nugſamer Kraft ausgeruͤſtet war, ſo konte er nach
der Wahrheit ſchreiben: Jch kan niedrig ſeyn
und kan hoch ſeyn, ich bin bey allen Din-
get und in allen geſchickt, beyde ſatt ſeyn
und hungern, beyde uͤbrig haben und Man-
gel leiden: ich vermag alles durch den, der
mich maͤchtig machet, CHriſtum.
Phil. 4,
11, 12.
7. Zum andern iſt dabey zu mercken, daß
der Apoſtel, wie es der vorhergehende Context
anzeiget, ſich damit unterſcheidet von den falſchen
Apoſteln: als die dergleichen um des Evangelii
willen niemals uͤber ſich genommen und erfah-
ren, ſondern vielmehr nach dem Fleiſche das Ge-
gentheil geſuchet und auch guten Theils erhalten
hatten. Wie er ihnen denn daher Rom. 16, 18.
Phil. 2, 19. den Bauch-Dienſt zum Character
ſetzet, und Gal. 6, 12. bezeuget, daß ſie das Ev-
angelium, mit der Anfuͤhrung auf die Beſchnei-
dung alſo verkuͤndiget, daß ſie nicht mit dem Creu-
tze CHriſti moͤchten verfolget werden. Wie vie-
le Nachfolger dieſe truͤgliche Arbeiter noch bis auf
den heutigen Tag haben, das iſt denen, die Au-
gen haben, zu ſehen, nicht unbekant.
V. 28.

Ohne was ſich ſonſt zutraͤget, nem-
lich, daß ich taͤglich werde angelaufen,
und trage Sorge fuͤr alle Gemeinen.

Anmerckungen.
1. Mit den Worten, χωρὶς τῶν παρεκτὸς,
nemlich γινομένων, wird ſo viel angezeiget, daß
das bisher angefuͤhrte Regiſter der Leiden nicht
voll ſey, ſondern noch manches dazu gehoͤre; als
da ſey das nachfolgende, wie er allenthalben an-
gelaufen werde, in was fuͤr einer allgemeinen
Sorge fuͤr alle Gemeinen er ſtehe, und in was
fuͤr Beklemmung ſeines Gemuͤths er daruͤber
komme. Daher Lutherus die Worte gar recht
uͤberſetzet hat mit der darauf hinzu geſetzten par-
ticul,
nemlich: ohne was ſich ſonſt zutraͤgt,
nemlich ꝛc.
2. Das taͤgliche Anlaufen zeiget den da-
maligen Zuſtand der Kirche an. Es ging da zu,
wie bey Anlegung eines groſſen Wein-Berges,
ja vieler Wein-Berge und Gaͤrten; wie bey ei-
nem weitlaͤuftigen und vielfaͤltigen Bau, da einer
mit einem und dem andern Gehuͤlfen die Auf-
ſicht und Direction uͤber alles fuͤhret. Und da
dannenhero ohne Aufhoͤren bald dieſer bald jener
koͤmmt, und fraget, was und wie es zu machen?
wie man ſich bey dieſer und jener Begebenheit,
bey dieſer und jener Unordnung, bey dieſem und
jenem Aergerniß, bey dieſer und jener anſchei-
nenden Gefahr, theils kluͤglich, ohne ſich wor-
[Spaltenumbruch] innen zu verſtoſſen, theils auch getreulich, ohne
etwas zu verſaͤumen, zu verhalten habe? Solche
Anlaͤufe hatte Paulus aller Orten auſſer ſeiner
eignen Arbeit im Vortrage des Worts, da er
bald ihrer mehrere insgeſamt, bald einen oder ein
Paar inſonderheit vor ſich, und ſie zu unterrich-
ten gehabt hat. Denn wer wolte daran zweifeln,
daß bey dem Schall vom Evangelio und bey der
durch die vielen Wunder-Zeichen geſchehene Er-
weckung der Gemuͤther, nicht manche erweckte,
aber noch ſchuͤchterne, Seele, alſo, wie Nicode-
mus zu CHriſto, gekommen ſey, und ſich von ihm
im Chriſtenthum erſt insgemein unterrichten laſ-
ſen, ehe ſie ſich oͤffentlich vom Judenthum, oder
Heidenthum, zu der Chriſtlichen Gemeine be-
kannt, und ſich taufen lieſſe. An manchen Be-
truͤbten und Angefochtenen, die beſonders aufzu-
richten waren, wird es unter den bereits Ge-
tauften auch nicht gefehlet haben. Und wer wol-
te daran zweifeln, daß nicht auch mancher zerruͤt-
teter Geiſt an Paulum geſetzet, und ihm, ehe er
ſich ſeiner entſchlagen koͤnnen, viel zu ſchaffen
gemachet habe?
3. Dieſer taͤgliche oder doch oͤſtere An-
lauf,
in ſo fern er zum guten Zweck geſchiehet, iſt
ein Kennzeichen wohlgeſinneter Zuͤhoͤrer und
rechtſchaffner Hirten, zu denen die Schafe ein
Vertrauen haben. Und hierinnen erweiſet ſich
auch erſt recht die cura ſpecialis, die beſondere
Seel-Sorge, es heiſſe einer Paſtor, oder Diaconus,
Superintendens,
oder Senior, u. d. g. er habe
auch ſonſt in Anſehung des Beichtſtuhls die alſo
genante curam ſpecialem, oder nicht. Denn
jene cura, oder Beſorgung der Seelen, lieget
allen ob. Ein Mietling aber und unbekehrter
Lehrer iſt dazu nicht weniger ungeſchickt als un-
treu. Ungeſchickt iſt er, weil er, da es ihme
ſelbſt am beſten, an der Salbung und Erfah-
rung, fehlet, den Seelen nach ihren beſondern
Umſtaͤnden nicht zu rathen weiß. Und nicht ge-
ringer iſt ſeine Untreue; als nach welcher er alle
ſolche Arbeit ſcheuet, ja meinet, ſie ſey ihm gar
nicht befohlen. Wie denn auch, da ſein geiſt-
lich ungeſchickter und abgekehrter Sinn der Ge-
meine nicht unbekant bleibet, erweckte Seelen
in keinem Vertrauen zu einem ſolchen Lehrer ſte-
hen, und er mit ſolchem Anlauſe wohl verſcho-
net bleibet, und ſich daher feine viele gute Tage
machet, und gleichſam auf einer Saͤnfte ſeiner
Meinung nach in den Himmel getragen wird.
Aber was wird dermaleins der Ertz-Hirte dazu
ſagen? Daß aber hiemit keinesweges den unge-
ſtuͤmen oder auch unnoͤthigen Anlaͤufen das
Wort geredet wird, ſiehet ein ieder. Denn
gleichwie eines Theils ein rechtſchaffner Knecht
GOttes ſich gerne zum Dienſt dahin giebt, und
mit Paulo allen allerley wird, ſo viel es Gewiſ-
ſens wegen geſchehen kan: ſo hat man doch auch
ſeiner ſo vielmehr zu ſchonen, ſo viel williger und
ſo vielmehr man ihn mit Arbeit und Muͤhe uͤber-
laden findet, damit er nicht vor der Zeit unter der
Laſt erliege, ihme auch durch hinlaͤnglichen Un-
terhalt und Zuſchub die Erquickung ſo vielmehr
zu goͤnnen, und wircklich zuflieſſen zu laſſen, ie
weniger er ſeinen Zweck darauf gerichtet hat.
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[456/0484] Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 11, v. 27. 28. allen ὑπερνικῶμεν, uͤberwinden wir weit, um deßwillen, der uns geliebet hat; und daß ihn nichts von allen von der Liebe GOttes, die da in CHriſto JESU iſt, ſcheiden, oder ihn da- hin bringen koͤnnen, daß er deßwegen, daß GOtt ſo viel hartes uͤber ihn verhaͤnget, an der Liebe, die GOTT in CHriſto zu ihm trage, gezweifelt haͤtte. Rom. 8, 37. Welches denn eine recht tiefe Einſicht in das Geheimniß des Creutzes an- zeiget. Und weil er dabey auch innerlich mit ge- nugſamer Kraft ausgeruͤſtet war, ſo konte er nach der Wahrheit ſchreiben: Jch kan niedrig ſeyn und kan hoch ſeyn, ich bin bey allen Din- get und in allen geſchickt, beyde ſatt ſeyn und hungern, beyde uͤbrig haben und Man- gel leiden: ich vermag alles durch den, der mich maͤchtig machet, CHriſtum. Phil. 4, 11, 12. 7. Zum andern iſt dabey zu mercken, daß der Apoſtel, wie es der vorhergehende Context anzeiget, ſich damit unterſcheidet von den falſchen Apoſteln: als die dergleichen um des Evangelii willen niemals uͤber ſich genommen und erfah- ren, ſondern vielmehr nach dem Fleiſche das Ge- gentheil geſuchet und auch guten Theils erhalten hatten. Wie er ihnen denn daher Rom. 16, 18. Phil. 2, 19. den Bauch-Dienſt zum Character ſetzet, und Gal. 6, 12. bezeuget, daß ſie das Ev- angelium, mit der Anfuͤhrung auf die Beſchnei- dung alſo verkuͤndiget, daß ſie nicht mit dem Creu- tze CHriſti moͤchten verfolget werden. Wie vie- le Nachfolger dieſe truͤgliche Arbeiter noch bis auf den heutigen Tag haben, das iſt denen, die Au- gen haben, zu ſehen, nicht unbekant. V. 28. Ohne was ſich ſonſt zutraͤget, nem- lich, daß ich taͤglich werde angelaufen, und trage Sorge fuͤr alle Gemeinen. Anmerckungen. 1. Mit den Worten, χωρὶς τῶν παρεκτὸς, nemlich γινομένων, wird ſo viel angezeiget, daß das bisher angefuͤhrte Regiſter der Leiden nicht voll ſey, ſondern noch manches dazu gehoͤre; als da ſey das nachfolgende, wie er allenthalben an- gelaufen werde, in was fuͤr einer allgemeinen Sorge fuͤr alle Gemeinen er ſtehe, und in was fuͤr Beklemmung ſeines Gemuͤths er daruͤber komme. Daher Lutherus die Worte gar recht uͤberſetzet hat mit der darauf hinzu geſetzten par- ticul, nemlich: ohne was ſich ſonſt zutraͤgt, nemlich ꝛc. 2. Das taͤgliche Anlaufen zeiget den da- maligen Zuſtand der Kirche an. Es ging da zu, wie bey Anlegung eines groſſen Wein-Berges, ja vieler Wein-Berge und Gaͤrten; wie bey ei- nem weitlaͤuftigen und vielfaͤltigen Bau, da einer mit einem und dem andern Gehuͤlfen die Auf- ſicht und Direction uͤber alles fuͤhret. Und da dannenhero ohne Aufhoͤren bald dieſer bald jener koͤmmt, und fraget, was und wie es zu machen? wie man ſich bey dieſer und jener Begebenheit, bey dieſer und jener Unordnung, bey dieſem und jenem Aergerniß, bey dieſer und jener anſchei- nenden Gefahr, theils kluͤglich, ohne ſich wor- innen zu verſtoſſen, theils auch getreulich, ohne etwas zu verſaͤumen, zu verhalten habe? Solche Anlaͤufe hatte Paulus aller Orten auſſer ſeiner eignen Arbeit im Vortrage des Worts, da er bald ihrer mehrere insgeſamt, bald einen oder ein Paar inſonderheit vor ſich, und ſie zu unterrich- ten gehabt hat. Denn wer wolte daran zweifeln, daß bey dem Schall vom Evangelio und bey der durch die vielen Wunder-Zeichen geſchehene Er- weckung der Gemuͤther, nicht manche erweckte, aber noch ſchuͤchterne, Seele, alſo, wie Nicode- mus zu CHriſto, gekommen ſey, und ſich von ihm im Chriſtenthum erſt insgemein unterrichten laſ- ſen, ehe ſie ſich oͤffentlich vom Judenthum, oder Heidenthum, zu der Chriſtlichen Gemeine be- kannt, und ſich taufen lieſſe. An manchen Be- truͤbten und Angefochtenen, die beſonders aufzu- richten waren, wird es unter den bereits Ge- tauften auch nicht gefehlet haben. Und wer wol- te daran zweifeln, daß nicht auch mancher zerruͤt- teter Geiſt an Paulum geſetzet, und ihm, ehe er ſich ſeiner entſchlagen koͤnnen, viel zu ſchaffen gemachet habe? 3. Dieſer taͤgliche oder doch oͤſtere An- lauf, in ſo fern er zum guten Zweck geſchiehet, iſt ein Kennzeichen wohlgeſinneter Zuͤhoͤrer und rechtſchaffner Hirten, zu denen die Schafe ein Vertrauen haben. Und hierinnen erweiſet ſich auch erſt recht die cura ſpecialis, die beſondere Seel-Sorge, es heiſſe einer Paſtor, oder Diaconus, Superintendens, oder Senior, u. d. g. er habe auch ſonſt in Anſehung des Beichtſtuhls die alſo genante curam ſpecialem, oder nicht. Denn jene cura, oder Beſorgung der Seelen, lieget allen ob. Ein Mietling aber und unbekehrter Lehrer iſt dazu nicht weniger ungeſchickt als un- treu. Ungeſchickt iſt er, weil er, da es ihme ſelbſt am beſten, an der Salbung und Erfah- rung, fehlet, den Seelen nach ihren beſondern Umſtaͤnden nicht zu rathen weiß. Und nicht ge- ringer iſt ſeine Untreue; als nach welcher er alle ſolche Arbeit ſcheuet, ja meinet, ſie ſey ihm gar nicht befohlen. Wie denn auch, da ſein geiſt- lich ungeſchickter und abgekehrter Sinn der Ge- meine nicht unbekant bleibet, erweckte Seelen in keinem Vertrauen zu einem ſolchen Lehrer ſte- hen, und er mit ſolchem Anlauſe wohl verſcho- net bleibet, und ſich daher feine viele gute Tage machet, und gleichſam auf einer Saͤnfte ſeiner Meinung nach in den Himmel getragen wird. Aber was wird dermaleins der Ertz-Hirte dazu ſagen? Daß aber hiemit keinesweges den unge- ſtuͤmen oder auch unnoͤthigen Anlaͤufen das Wort geredet wird, ſiehet ein ieder. Denn gleichwie eines Theils ein rechtſchaffner Knecht GOttes ſich gerne zum Dienſt dahin giebt, und mit Paulo allen allerley wird, ſo viel es Gewiſ- ſens wegen geſchehen kan: ſo hat man doch auch ſeiner ſo vielmehr zu ſchonen, ſo viel williger und ſo vielmehr man ihn mit Arbeit und Muͤhe uͤber- laden findet, damit er nicht vor der Zeit unter der Laſt erliege, ihme auch durch hinlaͤnglichen Un- terhalt und Zuſchub die Erquickung ſo vielmehr zu goͤnnen, und wircklich zuflieſſen zu laſſen, ie weniger er ſeinen Zweck darauf gerichtet hat. 4. Wenn

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/484>, abgerufen am 24.11.2024.