Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 7, v. 1-4. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
Stand ohne alle Sünde setze; also dem von derUnmöglichkeit sich vor muthwilligen Sünden beständig zu hüten und in der Heiligung zu wach- sen. Denn wenn dieses unmöglich wäre, so hätte Paulus nicht allein diese Worte, sondern auch den gantzen Brief mit allen übrigen ver- geblich geschrieben: Gleichwie es überflüßig ge- wesen wäre, die schon bekehrten und gläubigen Corinthier, wenn sie schon in den Stand der rechten Vollkommenheit durch ihre Wiederge- burt wären gesetzet worden, noch zu mehrer Rei- nigung und Heiligung zu ermahnen. 18. Eines ist bey diesem schönen Orte Pau- li noch übrig, und nicht weniger wohl zu mer- cken. Nemlich es lieget darinnen ein schöner Beweis von dem grossen Unterscheid zwischen Natur und Gnade, der Philosophie und Theo- logie, der bloß natürlichen und der Evangeli- schen Morale. Denn da die Natur ihrem nach dem Falle noch übrigen Lichte und ihren Kräften nach, nur aufs äusserliche und aufs bürgerliche Leben mit ihrer gantzen Sitten-Leh- re gehet, oder, wenn sie ja aufs innere kömmt, auch dabey nur oben hinfähret, und keines we- ges recht auf den Grund kömmt, vielweniger desselben wahre Aenderung suchet und erhält; so dringet dagegen die Evangelische Gnade mit ihrer Lichts- und Lebens-Kraft zuvorderst in das innerste der Seelen ein, decket daselbst nicht allein den angenommenen, sondern auch den angebohrnen und angeerbten bösen Schaden recht auf, und ist zugleich die kräftigste Medicin zu derselben Ausheilung und der völligen geist- lichen Genesung. Und solcher gestalt thut sich in der Christlichen Religion ein recht überzeu- gender Character von ihrer recht göttlichen Wahrheit und Vortreflichkeit hervor: dage- gen alle Moralität der Philosophie nichts anders ist, als der Mondschein gegen den hellen Glantz der Sonnen am Mittage: Wie denn, was die Natur deßfals noch hat, ihr von dem Son- nen-Licht des Standes der Unschuld noch übrig geblieben ist. So wird auch durch diese mit einem solchen Lichte und Rechte bestrahlete Ev- angelische Morale das Licht und Recht der Na- tur erst wieder recht aufgekläret, und kömmt wieder nach und nach zu seiner Integrität, wel- che es im Stande der Unschuld gehabt hat: da es sonst ausser der Gnade gleichsam im Hospi- tal kranck lieget, und beydes an Augen und Füssen laboriret, und weder rechtes Licht zum sehen, noch rechte Kraft zum gehen hat; so viel rühmens und schreibens man auch gleich da- von machet. V. 2. Fasset uns, (lasset uns mit diesem Brie- V. 3. Nicht sage ich solches, euch zu ver- V. 4. Jch rede mit grosser Freudigkeit zu Anmerckungen. 1. Man sehe hier an dem Affect Pauli bey- des, den reichen Uberfluß und desselben Reinig- keit, welchen der gantze Context anzeiget. Wohl ein herrlicher Character eines rechtschafnen Leh- rers, theils wider die Kaltsinnigkeit eines todten Hertzens, theils wider die fleischlichen Absichten, daraus bey so manchem der Affect seinen Trieb und sein gantzes Leben hat. 2. Jn den Worten: ich bin überschwäng- lich in Freuden in allem unserm Trübsal, finden wir ein Exempel von dem, wenn es c. 6, 10. heißt: als die Traurigen, aber allezeit frölich. 3. Auch sehen wir alhier einen neuen Un- terscheid der Natur und Gnade, und einen Character von der Kraft und Wahrheit der Christlichen Religion. Denn wie könte die Natur mit ihren Kräften das immermehr zu we- ge bringen, daß es hiesse: in allem Trübsal überschwänglich in Freuden? Denn wer könte doch an der Wahrheit der Lehre CHristi zweifeln, da man von derselben auch in solchen Puncten, welche der Natur als die unmöglichsten vorkommen, aus eigner Erfahrung so nachdrück- lich G g g 2
Cap. 7, v. 1-4. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
Stand ohne alle Suͤnde ſetze; alſo dem von derUnmoͤglichkeit ſich vor muthwilligen Suͤnden beſtaͤndig zu huͤten und in der Heiligung zu wach- ſen. Denn wenn dieſes unmoͤglich waͤre, ſo haͤtte Paulus nicht allein dieſe Worte, ſondern auch den gantzen Brief mit allen uͤbrigen ver- geblich geſchrieben: Gleichwie es uͤberfluͤßig ge- weſen waͤre, die ſchon bekehrten und glaͤubigen Corinthier, wenn ſie ſchon in den Stand der rechten Vollkommenheit durch ihre Wiederge- burt waͤren geſetzet worden, noch zu mehrer Rei- nigung und Heiligung zu ermahnen. 18. Eines iſt bey dieſem ſchoͤnen Orte Pau- li noch uͤbrig, und nicht weniger wohl zu mer- cken. Nemlich es lieget darinnen ein ſchoͤner Beweis von dem groſſen Unterſcheid zwiſchen Natur und Gnade, der Philoſophie und Theo- logie, der bloß natuͤrlichen und der Evangeli- ſchen Morale. Denn da die Natur ihrem nach dem Falle noch uͤbrigen Lichte und ihren Kraͤften nach, nur aufs aͤuſſerliche und aufs buͤrgerliche Leben mit ihrer gantzen Sitten-Leh- re gehet, oder, wenn ſie ja aufs innere koͤmmt, auch dabey nur oben hinfaͤhret, und keines we- ges recht auf den Grund koͤmmt, vielweniger deſſelben wahre Aenderung ſuchet und erhaͤlt; ſo dringet dagegen die Evangeliſche Gnade mit ihrer Lichts- und Lebens-Kraft zuvorderſt in das innerſte der Seelen ein, decket daſelbſt nicht allein den angenommenen, ſondern auch den angebohrnen und angeerbten boͤſen Schaden recht auf, und iſt zugleich die kraͤftigſte Medicin zu derſelben Ausheilung und der voͤlligen geiſt- lichen Geneſung. Und ſolcher geſtalt thut ſich in der Chriſtlichen Religion ein recht uͤberzeu- gender Character von ihrer recht goͤttlichen Wahrheit und Vortreflichkeit hervor: dage- gen alle Moralitaͤt der Philoſophie nichts anders iſt, als der Mondſchein gegen den hellen Glantz der Sonnen am Mittage: Wie denn, was die Natur deßfals noch hat, ihr von dem Son- nen-Licht des Standes der Unſchuld noch uͤbrig geblieben iſt. So wird auch durch dieſe mit einem ſolchen Lichte und Rechte beſtrahlete Ev- angeliſche Morale das Licht und Recht der Na- tur erſt wieder recht aufgeklaͤret, und koͤmmt wieder nach und nach zu ſeiner Integritaͤt, wel- che es im Stande der Unſchuld gehabt hat: da es ſonſt auſſer der Gnade gleichſam im Hoſpi- tal kranck lieget, und beydes an Augen und Fuͤſſen laboriret, und weder rechtes Licht zum ſehen, noch rechte Kraft zum gehen hat; ſo viel ruͤhmens und ſchreibens man auch gleich da- von machet. V. 2. Faſſet uns, (laſſet uns mit dieſem Brie- V. 3. Nicht ſage ich ſolches, euch zu ver- V. 4. Jch rede mit groſſer Freudigkeit zu Anmerckungen. 1. Man ſehe hier an dem Affect Pauli bey- des, den reichen Uberfluß und deſſelben Reinig- keit, welchen der gantze Context anzeiget. Wohl ein herrlicher Character eines rechtſchafnen Leh- rers, theils wider die Kaltſinnigkeit eines todten Hertzens, theils wider die fleiſchlichen Abſichten, daraus bey ſo manchem der Affect ſeinen Trieb und ſein gantzes Leben hat. 2. Jn den Worten: ich bin uͤberſchwaͤng- lich in Freuden in allem unſerm Truͤbſal, finden wir ein Exempel von dem, wenn es c. 6, 10. heißt: als die Traurigen, aber allezeit froͤlich. 3. Auch ſehen wir alhier einen neuen Un- terſcheid der Natur und Gnade, und einen Character von der Kraft und Wahrheit der Chriſtlichen Religion. Denn wie koͤnte die Natur mit ihren Kraͤften das immermehr zu we- ge bringen, daß es hieſſe: in allem Truͤbſal uͤberſchwaͤnglich in Freuden? Denn wer koͤnte doch an der Wahrheit der Lehre CHriſti zweifeln, da man von derſelben auch in ſolchen Puncten, welche der Natur als die unmoͤglichſten vorkommen, aus eigner Erfahrung ſo nachdruͤck- lich G g g 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <list> <item><pb facs="#f0447" n="419"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 7, v. 1-4. an die Corinthier.</hi></fw><lb/><cb/> Stand ohne alle Suͤnde ſetze; alſo dem von der<lb/> Unmoͤglichkeit ſich vor muthwilligen Suͤnden<lb/> beſtaͤndig zu huͤten und in der Heiligung zu wach-<lb/> ſen. Denn wenn dieſes unmoͤglich waͤre, ſo<lb/> haͤtte Paulus nicht allein dieſe Worte, ſondern<lb/> auch den gantzen Brief mit allen uͤbrigen ver-<lb/> geblich geſchrieben: Gleichwie es uͤberfluͤßig ge-<lb/> weſen waͤre, die ſchon bekehrten und glaͤubigen<lb/> Corinthier, wenn ſie ſchon in den Stand der<lb/> rechten Vollkommenheit durch ihre Wiederge-<lb/> burt waͤren geſetzet worden, noch zu mehrer Rei-<lb/> nigung und Heiligung zu ermahnen.</item><lb/> <item>18. Eines iſt bey dieſem ſchoͤnen Orte Pau-<lb/> li noch uͤbrig, und nicht weniger wohl zu mer-<lb/> cken. Nemlich es lieget darinnen ein ſchoͤner<lb/> Beweis von dem groſſen <hi rendition="#fr">Unterſcheid</hi> zwiſchen<lb/><hi rendition="#fr">Natur</hi> und <hi rendition="#fr">Gnade,</hi> der <hi rendition="#aq">Philoſophi</hi>e und <hi rendition="#aq">Theo-<lb/> logi</hi>e, der bloß natuͤrlichen und der Evangeli-<lb/> ſchen Morale. Denn da die Natur ihrem<lb/> nach dem Falle noch uͤbrigen Lichte und ihren<lb/> Kraͤften nach, nur aufs aͤuſſerliche und aufs<lb/> buͤrgerliche Leben mit ihrer gantzen Sitten-Leh-<lb/> re gehet, oder, wenn ſie ja aufs innere koͤmmt,<lb/> auch dabey nur oben hinfaͤhret, und keines we-<lb/> ges recht auf den Grund koͤmmt, vielweniger<lb/> deſſelben wahre Aenderung ſuchet und erhaͤlt;<lb/> ſo dringet dagegen die Evangeliſche Gnade mit<lb/> ihrer Lichts- und Lebens-Kraft zuvorderſt in das<lb/> innerſte der Seelen ein, decket daſelbſt nicht<lb/> allein den angenommenen, ſondern auch den<lb/> angebohrnen und angeerbten boͤſen Schaden<lb/> recht auf, und iſt zugleich die kraͤftigſte <hi rendition="#aq">Medicin</hi><lb/> zu derſelben Ausheilung und der voͤlligen geiſt-<lb/> lichen Geneſung. Und ſolcher geſtalt thut ſich<lb/> in der Chriſtlichen <hi rendition="#aq">Religion</hi> ein recht uͤberzeu-<lb/> gender <hi rendition="#aq">Character</hi> von ihrer recht goͤttlichen<lb/> Wahrheit und Vortreflichkeit hervor: dage-<lb/> gen alle <hi rendition="#aq">Moralit</hi>aͤt der <hi rendition="#aq">Philoſophi</hi>e nichts anders<lb/> iſt, als der Mondſchein gegen den hellen Glantz<lb/> der Sonnen am Mittage: Wie denn, was<lb/> die Natur deßfals noch hat, ihr von dem Son-<lb/> nen-Licht des Standes der Unſchuld noch uͤbrig<lb/> geblieben iſt. So wird auch durch dieſe mit<lb/> einem ſolchen Lichte und Rechte beſtrahlete Ev-<lb/> angeliſche Morale das Licht und Recht der Na-<lb/> tur erſt wieder recht aufgeklaͤret, und koͤmmt<lb/> wieder nach und nach zu ſeiner <hi rendition="#aq">Integrit</hi>aͤt, wel-<lb/> che es im Stande der Unſchuld gehabt hat: da<lb/> es ſonſt auſſer der Gnade gleichſam im Hoſpi-<lb/> tal kranck lieget, und beydes an Augen und<lb/> Fuͤſſen <hi rendition="#aq">laborir</hi>et, und weder rechtes Licht zum<lb/> ſehen, noch rechte Kraft zum gehen hat; ſo viel<lb/> ruͤhmens und ſchreibens man auch gleich da-<lb/> von machet.</item> </list> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">V. 2.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#fr">Faſſet uns,</hi> (laſſet uns mit dieſem Brie-<lb/> fe den rechten und voͤlligen Eingang bey euch<lb/> allen finden; nemlich in der Ausbreitung eures<lb/> Hertzens, wie ihr das unſrige gegen euch in Lie-<lb/> be geoͤffnet und ausgebreitet findet, nach c. 6,<lb/> 11. 12. 13.) <hi rendition="#fr">wir haben niemand Leid gethan,</hi><lb/> (wir haben gegen euch in Anſehung deſſen, was<lb/> an euch zu beſtrafen war, mit der Beſtrafung<lb/> nicht zu viel gethan, oder einen widrigen Sinn<lb/> gegen iemand gezeiget, weder ich ſchriftlich in<lb/><cb/> dem erſten Briefe, noch Timotheus muͤnd-<lb/> lich, da ich ihn mit demſelben zu euch geſandt<lb/> habe:) <hi rendition="#fr">Wir haben niemand verletzet,</hi> (ver-<lb/> derbet, oder durch verfuͤhriſche Lehre, und aͤr-<lb/> gerliches Leben ins Verderben geſtuͤrtzet: wie<lb/> die falſchen Apoſtel thun,) <hi rendition="#fr">wir haben nie-<lb/> mand vervortheilet,</hi> (unſern Nutzen durch<lb/> iemandes Schaden geſuchet, und uns bey dem<lb/> Evangelio ums Zeitliche <hi rendition="#aq">intereſſir</hi>et erwieſen,<lb/> nach Art falſcher Lehrer, die uns deſſen beſchul-<lb/> digen: ſondern dagegen iſt unſere Verleugnung<lb/> in allen Stuͤcken bekant. Siehe gleiche Be-<lb/> zeugung von Moſe Num. 16, 15. und vom Sa-<lb/> muel 1 Sam. 12, 3. auch von Paulo ſelbſt Act.<lb/> 20, 33. 34. 1 Theſſ. 2, 5. <hi rendition="#aq">ſeqq.</hi> 2 Cor. 12, 16. 17.<lb/> aus welchem letztern Orte man ſiehet, wie daß<lb/> Paulus beſchuldiget worden, als habe er, was<lb/> er ſelbſt abgeſchlagen, hinterliſtiger weiſe durch<lb/> andere genommen.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">V. 3.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#fr">Nicht ſage ich ſolches, euch zu ver-<lb/> dammen,</hi> (noch mit der Anklage zu beſchwe-<lb/> ren, als haͤttet ihr ſelbſt mich ſolcher Dinge be-<lb/> ſchuldiget.) <hi rendition="#fr">Denn ich habe</hi> (droben c. 3, 2.<lb/> 6, 11. 12. 13.) <hi rendition="#fr">zuvor geſaget, daß ihr in un-<lb/> ſern Hertzen ſeyd, mit zu ſterben, und<lb/> mit zu leben,</hi> (daß wir eine ſolche zarte Liebe<lb/> zu euch tragen, daß wir bereit ſind uͤber der<lb/> Treue, euch mit dem Evangelio zu dienen, das<lb/> Leben zu laſſen, oder unter andern auch eurent-<lb/> wegen noch laͤnger zu leben. Siehe dergleichen<lb/> Bezeugung an die Gemeine zu Philippen, Phil.<lb/> 1, 7. <hi rendition="#aq">ſeqq. 22. ſaqq.</hi>)</p> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">V. 4.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Jch rede mit groſſer Freudigkeit zu<lb/> euch, ich ruͤhme viel von euch, ich bin er-<lb/> fuͤllet mit Troſt, ich bin uͤberſchwaͤnglich<lb/> in Freuden in allem unſerm Truͤbſal.</hi> </p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi> </head><lb/> <list> <item>1. Man ſehe hier an dem <hi rendition="#aq">Affect</hi> Pauli bey-<lb/> des, den reichen Uberfluß und deſſelben Reinig-<lb/> keit, welchen der gantze <hi rendition="#aq">Context</hi> anzeiget. Wohl<lb/> ein herrlicher <hi rendition="#aq">Character</hi> eines rechtſchafnen Leh-<lb/> rers, theils wider die Kaltſinnigkeit eines todten<lb/> Hertzens, theils wider die fleiſchlichen Abſichten,<lb/> daraus bey ſo manchem der <hi rendition="#aq">Affect</hi> ſeinen Trieb<lb/> und ſein gantzes Leben hat.</item><lb/> <item>2. Jn den Worten: <hi rendition="#fr">ich bin uͤberſchwaͤng-<lb/> lich in Freuden in allem unſerm Truͤbſal,</hi><lb/> finden wir ein Exempel von dem, wenn es c. 6,<lb/> 10. heißt: <hi rendition="#fr">als die Traurigen, aber allezeit<lb/> froͤlich.</hi></item><lb/> <item>3. Auch ſehen wir alhier einen neuen <hi rendition="#fr">Un-<lb/> terſcheid</hi> der <hi rendition="#fr">Natur</hi> und <hi rendition="#fr">Gnade,</hi> und einen<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Character</hi></hi> von der Kraft und Wahrheit der<lb/><hi rendition="#fr">Chriſtlichen Religion.</hi> Denn wie koͤnte die<lb/> Natur mit ihren Kraͤften das immermehr zu we-<lb/> ge bringen, daß es hieſſe: <hi rendition="#fr">in allem Truͤbſal<lb/> uͤberſchwaͤnglich in Freuden?</hi> Denn wer<lb/> koͤnte doch an der Wahrheit der Lehre CHriſti<lb/> zweifeln, da man von derſelben auch in ſolchen<lb/> Puncten, welche der Natur als die unmoͤglichſten<lb/> vorkommen, aus eigner Erfahrung ſo nachdruͤck-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">G g g 2</fw><fw place="bottom" type="catch">lich</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [419/0447]
Cap. 7, v. 1-4. an die Corinthier.
Stand ohne alle Suͤnde ſetze; alſo dem von der
Unmoͤglichkeit ſich vor muthwilligen Suͤnden
beſtaͤndig zu huͤten und in der Heiligung zu wach-
ſen. Denn wenn dieſes unmoͤglich waͤre, ſo
haͤtte Paulus nicht allein dieſe Worte, ſondern
auch den gantzen Brief mit allen uͤbrigen ver-
geblich geſchrieben: Gleichwie es uͤberfluͤßig ge-
weſen waͤre, die ſchon bekehrten und glaͤubigen
Corinthier, wenn ſie ſchon in den Stand der
rechten Vollkommenheit durch ihre Wiederge-
burt waͤren geſetzet worden, noch zu mehrer Rei-
nigung und Heiligung zu ermahnen.
18. Eines iſt bey dieſem ſchoͤnen Orte Pau-
li noch uͤbrig, und nicht weniger wohl zu mer-
cken. Nemlich es lieget darinnen ein ſchoͤner
Beweis von dem groſſen Unterſcheid zwiſchen
Natur und Gnade, der Philoſophie und Theo-
logie, der bloß natuͤrlichen und der Evangeli-
ſchen Morale. Denn da die Natur ihrem
nach dem Falle noch uͤbrigen Lichte und ihren
Kraͤften nach, nur aufs aͤuſſerliche und aufs
buͤrgerliche Leben mit ihrer gantzen Sitten-Leh-
re gehet, oder, wenn ſie ja aufs innere koͤmmt,
auch dabey nur oben hinfaͤhret, und keines we-
ges recht auf den Grund koͤmmt, vielweniger
deſſelben wahre Aenderung ſuchet und erhaͤlt;
ſo dringet dagegen die Evangeliſche Gnade mit
ihrer Lichts- und Lebens-Kraft zuvorderſt in das
innerſte der Seelen ein, decket daſelbſt nicht
allein den angenommenen, ſondern auch den
angebohrnen und angeerbten boͤſen Schaden
recht auf, und iſt zugleich die kraͤftigſte Medicin
zu derſelben Ausheilung und der voͤlligen geiſt-
lichen Geneſung. Und ſolcher geſtalt thut ſich
in der Chriſtlichen Religion ein recht uͤberzeu-
gender Character von ihrer recht goͤttlichen
Wahrheit und Vortreflichkeit hervor: dage-
gen alle Moralitaͤt der Philoſophie nichts anders
iſt, als der Mondſchein gegen den hellen Glantz
der Sonnen am Mittage: Wie denn, was
die Natur deßfals noch hat, ihr von dem Son-
nen-Licht des Standes der Unſchuld noch uͤbrig
geblieben iſt. So wird auch durch dieſe mit
einem ſolchen Lichte und Rechte beſtrahlete Ev-
angeliſche Morale das Licht und Recht der Na-
tur erſt wieder recht aufgeklaͤret, und koͤmmt
wieder nach und nach zu ſeiner Integritaͤt, wel-
che es im Stande der Unſchuld gehabt hat: da
es ſonſt auſſer der Gnade gleichſam im Hoſpi-
tal kranck lieget, und beydes an Augen und
Fuͤſſen laboriret, und weder rechtes Licht zum
ſehen, noch rechte Kraft zum gehen hat; ſo viel
ruͤhmens und ſchreibens man auch gleich da-
von machet.
V. 2.
Faſſet uns, (laſſet uns mit dieſem Brie-
fe den rechten und voͤlligen Eingang bey euch
allen finden; nemlich in der Ausbreitung eures
Hertzens, wie ihr das unſrige gegen euch in Lie-
be geoͤffnet und ausgebreitet findet, nach c. 6,
11. 12. 13.) wir haben niemand Leid gethan,
(wir haben gegen euch in Anſehung deſſen, was
an euch zu beſtrafen war, mit der Beſtrafung
nicht zu viel gethan, oder einen widrigen Sinn
gegen iemand gezeiget, weder ich ſchriftlich in
dem erſten Briefe, noch Timotheus muͤnd-
lich, da ich ihn mit demſelben zu euch geſandt
habe:) Wir haben niemand verletzet, (ver-
derbet, oder durch verfuͤhriſche Lehre, und aͤr-
gerliches Leben ins Verderben geſtuͤrtzet: wie
die falſchen Apoſtel thun,) wir haben nie-
mand vervortheilet, (unſern Nutzen durch
iemandes Schaden geſuchet, und uns bey dem
Evangelio ums Zeitliche intereſſiret erwieſen,
nach Art falſcher Lehrer, die uns deſſen beſchul-
digen: ſondern dagegen iſt unſere Verleugnung
in allen Stuͤcken bekant. Siehe gleiche Be-
zeugung von Moſe Num. 16, 15. und vom Sa-
muel 1 Sam. 12, 3. auch von Paulo ſelbſt Act.
20, 33. 34. 1 Theſſ. 2, 5. ſeqq. 2 Cor. 12, 16. 17.
aus welchem letztern Orte man ſiehet, wie daß
Paulus beſchuldiget worden, als habe er, was
er ſelbſt abgeſchlagen, hinterliſtiger weiſe durch
andere genommen.
V. 3.
Nicht ſage ich ſolches, euch zu ver-
dammen, (noch mit der Anklage zu beſchwe-
ren, als haͤttet ihr ſelbſt mich ſolcher Dinge be-
ſchuldiget.) Denn ich habe (droben c. 3, 2.
6, 11. 12. 13.) zuvor geſaget, daß ihr in un-
ſern Hertzen ſeyd, mit zu ſterben, und
mit zu leben, (daß wir eine ſolche zarte Liebe
zu euch tragen, daß wir bereit ſind uͤber der
Treue, euch mit dem Evangelio zu dienen, das
Leben zu laſſen, oder unter andern auch eurent-
wegen noch laͤnger zu leben. Siehe dergleichen
Bezeugung an die Gemeine zu Philippen, Phil.
1, 7. ſeqq. 22. ſaqq.)
V. 4.
Jch rede mit groſſer Freudigkeit zu
euch, ich ruͤhme viel von euch, ich bin er-
fuͤllet mit Troſt, ich bin uͤberſchwaͤnglich
in Freuden in allem unſerm Truͤbſal.
Anmerckungen.
1. Man ſehe hier an dem Affect Pauli bey-
des, den reichen Uberfluß und deſſelben Reinig-
keit, welchen der gantze Context anzeiget. Wohl
ein herrlicher Character eines rechtſchafnen Leh-
rers, theils wider die Kaltſinnigkeit eines todten
Hertzens, theils wider die fleiſchlichen Abſichten,
daraus bey ſo manchem der Affect ſeinen Trieb
und ſein gantzes Leben hat.
2. Jn den Worten: ich bin uͤberſchwaͤng-
lich in Freuden in allem unſerm Truͤbſal,
finden wir ein Exempel von dem, wenn es c. 6,
10. heißt: als die Traurigen, aber allezeit
froͤlich.
3. Auch ſehen wir alhier einen neuen Un-
terſcheid der Natur und Gnade, und einen
Character von der Kraft und Wahrheit der
Chriſtlichen Religion. Denn wie koͤnte die
Natur mit ihren Kraͤften das immermehr zu we-
ge bringen, daß es hieſſe: in allem Truͤbſal
uͤberſchwaͤnglich in Freuden? Denn wer
koͤnte doch an der Wahrheit der Lehre CHriſti
zweifeln, da man von derſelben auch in ſolchen
Puncten, welche der Natur als die unmoͤglichſten
vorkommen, aus eigner Erfahrung ſo nachdruͤck-
lich
G g g 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |