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Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.

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Erklärung des andern Briefs Pauli Cap. 5, v. 15.
[Spaltenumbruch] cherheit mit einem offenbaren Mißbrauch des
Evangelii. Trennet man aber von der Hei-
ligung die Erlösung
in ihrer rechten Applica-
tion
zur Rechtfertigung, so geräth man in eine
Wüste, da lauter Dürre und Unvermögen ist,
und arbeitet in der Erneuerung meistentheils
aus eignen Kräften, und machet sich das Chri-
stenthum selbst schwer und sauer, ja unmöglich:
wie man denn auf diese Art zu keiner rechten
Kraft und Uberwindung kömmt. Darum muß
beydes unzertrennlich bey einander bleiben.
3. Und solcher gestalt werden wir bey der
Erlösung Christi, und dero Kraft und Zweck
zurück geführet auf die beyden Haupt-Eigen-
schaften GOttes,
und also auch Christi, der
mit dem Vater und Heiligem Geiste eines We-
sens ist: auf die Eigenschaft der in lauter Barm-
hertzigkeit
sich äussernden Gnade, und der zur
Heiligkeit gerichteten Gerechtigkeit GOttes.
Nach der Gnade sind wir erlöset und bekom-
men Vergebung der Sünden: nach der Gerech-
tigkeit werden wir durch die Gnaden-Kraft ge-
heiliget.
4. Und wer siehet hierinnen nicht die Ei-
genschaft und die Verbindung des Evangelii
und des Gesetzes? Des Evangelii in der
Gnade, und des Gesetzes in der Heiligkeit.
Da doch denn das Evangelium bey uns in so
weit den Vorzug behält, daß wir nicht allein
aus demselben haben die Gerechtigkeit Christi
zur Vergebung der Sünde, sondern auch des-
selben Kraft zur Beherrschung und immer meh-
rer Absterbung der Sünde.
5. Und wer erkennet daraus ferner nicht,
daß diese Ordnung des Heils auch so wol der
Natur des Menschen gemäß sey, als sie der Na-
tur GOttes ist nach seiner Gnade und Heilig-
keit? Denn bey dem Menschen findet sich nach
dem Sünden-Falle ein gedoppeltes grosses
Sünden-Ubel. Das eine in der Sünden-
Schuld,
die zur ewigen Strafe führet. Das
andere in der Sünden-Herrschaft, vermöge
welcher der Mensch in Sünden nicht allein
kranck, sondern gar todt und GOtt abgestorben
ist. Zur Hebung dieses gedoppelten Sünden-
Ubels ist nun das Werck der Erlösung aufs
weiseste und kräftigste eingerichtet. Denn
durch die Kraft der Erlösung werden wir in der
gläubigen Application befreyet von der Sün-
den-Schuld
und Strafe. Durch die Frucht
derselben werden wir nach derselben Zweck in
der Heiligung von der Sünden-Herrschaft
dergestalt frey gemacht, daß auch das, was noch
ausser der Herrschaft in uns davon übrig bleibet,
immer mehr und mehr abgethan wird.
6. Und solchergestalt sehen wir, wie die
Gnade der Erlösung zugleich forensis und me-
dicinalis
ist: Forensis zur Vergebung der Sün-
den; Medicinalis zur geistlichen Auferweckung,
Auferstehung, und wie zur Anzündung, also auch
zur Wirckung und Vermehrung des Glaubens
und geistlichen Lebens, und zur Erweisung dessel-
ben in einem geistlichen Wandel.
7. Und auf diese Art entstehet denn auch
der nexus beneficiorum & officiorum, die aller-
genaueste Verbindung der Wohlthaten
[Spaltenumbruch] und der Pflichten.
Denn gleichwie wir aus
der Erlösung Christi die mit vielen andern Heils-
Gütern begleitete Haupt-Wohlthat der
Vergebung der Sünden empfangen; so erwei-
sen wir auch nach der Frucht und dem Zweck der-
selben in der Heiligung unsere Pflichten.
Je reiner und reichlicher nun ist die Application
der Wohlthaten, ie leichter und völliger ist die
Leistung der Pflichten: sintemal jene lauter
göttliche Kraft, der man zur getreuen Erwei-
sung der Pflichten so hoch nöthig hat, mit sich
bringen.
8. Und nach diesem Grunde thut sich auch
aufs schönste hervor die Harmonie des Glaubens
und der Liebe. Denn der Glaube nimmt:
Die Liebe giebt. Der Glaube empfänget
die Wohlthat:
und dadurch setzet er das Hertz
in den Stand, daß es durch die Liebe die
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set. Und also bestehet das gantze Christenthum
immer im Nehmen des Glaubens: im Ge-
ben
der Liebe. Darum, wer viel nimmt, der
kan viel geben. Nimmst du und giebest
nicht, so nimmst du nicht, wie du nehmen sollst.
Giebst du aber, und nimmst nicht, so giebest du
nicht recht: zwar was dein ist, oder deiner
eignen Kräfte, aber nicht was GOttes ist, oder
er in dir gewircket hat. Darum verfahre ja
recht im Nehmen nach dem Evangelio, da-
mit auch dein Geben nach dem Gesetze rechter
Art sey!
9. Da es nun eine solche Beschaffenheit
hat mit diesen beyden mit der Crlösung Christi
verbundnen Haupt-Stücken, so ist es eines der
fürnehmsten Kennzeichen eines rechten Evange-
lischen Lehrers, wenn er sie wie wohl zu unter-
scheiden, also auch wohl mit einander zu verbin-
den weiß. Denn so ist er ein rechter Nachfol-
ger Pauli. Es ist aber unmüglich solche Einsicht
in der rechten Kraft und Lauterkeit zu haben,
und sie in der rechten Ordnung bey den Seelen
recht zu appliciren, es sey denn, daß man diese
Wahrheit des rechten Nehmens und Gebens
in eigner Erfahrung habe, und selbst aus
GOtt gebohren und mit seinem Geiste gesal-
bet sey.
10. O wie sehr fehlet es an solchen Leh-
rern nicht allein in der Christlichen, sondern
leider auch mitten in der Evangelischen Kirche!
Denn mancher saget wol Friede! Friede! dir
sind deine Sünden vergeben! aber wo bleibet die
Ordnung der Heiligung? Mancher dringet
auf diese, donnert auch wol mit scharfen Ge-
setz-Predigten: aber wo bleibet Christus mit
seinen Heils-Schätzen zur geistlichen Auferste-
hung? GOtt aber vermehre die Anzahl derer,
die das Wort GOttes bey eigner Erfahrung
wohl zu theilen wissen.
11. So viel zur Erläuterung dieses aposto-
lischen Textes überhaupt. Nun ist noch etwas
von den eigentlichen Worten desselben hinzu zu
thun. Jn den Worten: Die da leben, wird
zwar das natürliche Leben zum Grunde gesetzet,
aber wol sonderlich auf das geistliche Leben
gesehen, wozu man durch die gläubige Applica-
tion
des Todes Christi gelangen muß und kan,
wenn
Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 5, v. 15.
[Spaltenumbruch] cherheit mit einem offenbaren Mißbrauch des
Evangelii. Trennet man aber von der Hei-
ligung die Erloͤſung
in ihrer rechten Applica-
tion
zur Rechtfertigung, ſo geraͤth man in eine
Wuͤſte, da lauter Duͤrre und Unvermoͤgen iſt,
und arbeitet in der Erneuerung meiſtentheils
aus eignen Kraͤften, und machet ſich das Chri-
ſtenthum ſelbſt ſchwer und ſauer, ja unmoͤglich:
wie man denn auf dieſe Art zu keiner rechten
Kraft und Uberwindung koͤmmt. Darum muß
beydes unzertrennlich bey einander bleiben.
3. Und ſolcher geſtalt werden wir bey der
Erloͤſung Chriſti, und dero Kraft und Zweck
zuruͤck gefuͤhret auf die beyden Haupt-Eigen-
ſchaften GOttes,
und alſo auch Chriſti, der
mit dem Vater und Heiligem Geiſte eines We-
ſens iſt: auf die Eigenſchaft der in lauter Barm-
hertzigkeit
ſich aͤuſſernden Gnade, und der zur
Heiligkeit gerichteten Gerechtigkeit GOttes.
Nach der Gnade ſind wir erloͤſet und bekom-
men Vergebung der Suͤnden: nach der Gerech-
tigkeit werden wir durch die Gnaden-Kraft ge-
heiliget.
4. Und wer ſiehet hierinnen nicht die Ei-
genſchaft und die Verbindung des Evangelii
und des Geſetzes? Des Evangelii in der
Gnade, und des Geſetzes in der Heiligkeit.
Da doch denn das Evangelium bey uns in ſo
weit den Vorzug behaͤlt, daß wir nicht allein
aus demſelben haben die Gerechtigkeit Chriſti
zur Vergebung der Suͤnde, ſondern auch deſ-
ſelben Kraft zur Beherrſchung und immer meh-
rer Abſterbung der Suͤnde.
5. Und wer erkennet daraus ferner nicht,
daß dieſe Ordnung des Heils auch ſo wol der
Natur des Menſchen gemaͤß ſey, als ſie der Na-
tur GOttes iſt nach ſeiner Gnade und Heilig-
keit? Denn bey dem Menſchen findet ſich nach
dem Suͤnden-Falle ein gedoppeltes groſſes
Suͤnden-Ubel. Das eine in der Suͤnden-
Schuld,
die zur ewigen Strafe fuͤhret. Das
andere in der Suͤnden-Herrſchaft, vermoͤge
welcher der Menſch in Suͤnden nicht allein
kranck, ſondern gar todt und GOtt abgeſtorben
iſt. Zur Hebung dieſes gedoppelten Suͤnden-
Ubels iſt nun das Werck der Erloͤſung aufs
weiſeſte und kraͤftigſte eingerichtet. Denn
durch die Kraft der Erloͤſung werden wir in der
glaͤubigen Application befreyet von der Suͤn-
den-Schuld
und Strafe. Durch die Frucht
derſelben werden wir nach derſelben Zweck in
der Heiligung von der Suͤnden-Herrſchaft
dergeſtalt frey gemacht, daß auch das, was noch
auſſer der Herrſchaft in uns davon uͤbrig bleibet,
immer mehr und mehr abgethan wird.
6. Und ſolchergeſtalt ſehen wir, wie die
Gnade der Erloͤſung zugleich forenſis und me-
dicinalis
iſt: Forenſis zur Vergebung der Suͤn-
den; Medicinalis zur geiſtlichen Auferweckung,
Auferſtehung, und wie zur Anzuͤndung, alſo auch
zur Wirckung und Vermehrung des Glaubens
und geiſtlichen Lebens, und zur Erweiſung deſſel-
ben in einem geiſtlichen Wandel.
7. Und auf dieſe Art entſtehet denn auch
der nexus beneficiorum & officiorum, die aller-
genaueſte Verbindung der Wohlthaten
[Spaltenumbruch] und der Pflichten.
Denn gleichwie wir aus
der Erloͤſung Chriſti die mit vielen andern Heils-
Guͤtern begleitete Haupt-Wohlthat der
Vergebung der Suͤnden empfangen; ſo erwei-
ſen wir auch nach der Frucht und dem Zweck der-
ſelben in der Heiligung unſere Pflichten.
Je reiner und reichlicher nun iſt die Application
der Wohlthaten, ie leichter und voͤlliger iſt die
Leiſtung der Pflichten: ſintemal jene lauter
goͤttliche Kraft, der man zur getreuen Erwei-
ſung der Pflichten ſo hoch noͤthig hat, mit ſich
bringen.
8. Und nach dieſem Grunde thut ſich auch
aufs ſchoͤnſte hervor die Harmonie des Glaubens
und der Liebe. Denn der Glaube nimmt:
Die Liebe giebt. Der Glaube empfaͤnget
die Wohlthat:
und dadurch ſetzet er das Hertz
in den Stand, daß es durch die Liebe die
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ſet. Und alſo beſtehet das gantze Chriſtenthum
immer im Nehmen des Glaubens: im Ge-
ben
der Liebe. Darum, wer viel nimmt, der
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nicht, ſo nimmſt du nicht, wie du nehmen ſollſt.
Giebſt du aber, und nimmſt nicht, ſo giebeſt du
nicht recht: zwar was dein iſt, oder deiner
eignen Kraͤfte, aber nicht was GOttes iſt, oder
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recht im Nehmen nach dem Evangelio, da-
mit auch dein Geben nach dem Geſetze rechter
Art ſey!
9. Da es nun eine ſolche Beſchaffenheit
hat mit dieſen beyden mit der Crloͤſung Chriſti
verbundnen Haupt-Stuͤcken, ſo iſt es eines der
fuͤrnehmſten Kennzeichen eines rechten Evange-
liſchen Lehrers, wenn er ſie wie wohl zu unter-
ſcheiden, alſo auch wohl mit einander zu verbin-
den weiß. Denn ſo iſt er ein rechter Nachfol-
ger Pauli. Es iſt aber unmuͤglich ſolche Einſicht
in der rechten Kraft und Lauterkeit zu haben,
und ſie in der rechten Ordnung bey den Seelen
recht zu appliciren, es ſey denn, daß man dieſe
Wahrheit des rechten Nehmens und Gebens
in eigner Erfahrung habe, und ſelbſt aus
GOtt gebohren und mit ſeinem Geiſte geſal-
bet ſey.
10. O wie ſehr fehlet es an ſolchen Leh-
rern nicht allein in der Chriſtlichen, ſondern
leider auch mitten in der Evangeliſchen Kirche!
Denn mancher ſaget wol Friede! Friede! dir
ſind deine Suͤnden vergeben! aber wo bleibet die
Ordnung der Heiligung? Mancher dringet
auf dieſe, donnert auch wol mit ſcharfen Ge-
ſetz-Predigten: aber wo bleibet Chriſtus mit
ſeinen Heils-Schaͤtzen zur geiſtlichen Auferſte-
hung? GOtt aber vermehre die Anzahl derer,
die das Wort GOttes bey eigner Erfahrung
wohl zu theilen wiſſen.
11. So viel zur Erlaͤuterung dieſes apoſto-
liſchen Textes uͤberhaupt. Nun iſt noch etwas
von den eigentlichen Worten deſſelben hinzu zu
thun. Jn den Worten: Die da leben, wird
zwar das natuͤrliche Leben zum Grunde geſetzet,
aber wol ſonderlich auf das geiſtliche Leben
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tion
des Todes Chriſti gelangen muß und kan,
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[394/0422] Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 5, v. 15. cherheit mit einem offenbaren Mißbrauch des Evangelii. Trennet man aber von der Hei- ligung die Erloͤſung in ihrer rechten Applica- tion zur Rechtfertigung, ſo geraͤth man in eine Wuͤſte, da lauter Duͤrre und Unvermoͤgen iſt, und arbeitet in der Erneuerung meiſtentheils aus eignen Kraͤften, und machet ſich das Chri- ſtenthum ſelbſt ſchwer und ſauer, ja unmoͤglich: wie man denn auf dieſe Art zu keiner rechten Kraft und Uberwindung koͤmmt. Darum muß beydes unzertrennlich bey einander bleiben. 3. Und ſolcher geſtalt werden wir bey der Erloͤſung Chriſti, und dero Kraft und Zweck zuruͤck gefuͤhret auf die beyden Haupt-Eigen- ſchaften GOttes, und alſo auch Chriſti, der mit dem Vater und Heiligem Geiſte eines We- ſens iſt: auf die Eigenſchaft der in lauter Barm- hertzigkeit ſich aͤuſſernden Gnade, und der zur Heiligkeit gerichteten Gerechtigkeit GOttes. Nach der Gnade ſind wir erloͤſet und bekom- men Vergebung der Suͤnden: nach der Gerech- tigkeit werden wir durch die Gnaden-Kraft ge- heiliget. 4. Und wer ſiehet hierinnen nicht die Ei- genſchaft und die Verbindung des Evangelii und des Geſetzes? Des Evangelii in der Gnade, und des Geſetzes in der Heiligkeit. Da doch denn das Evangelium bey uns in ſo weit den Vorzug behaͤlt, daß wir nicht allein aus demſelben haben die Gerechtigkeit Chriſti zur Vergebung der Suͤnde, ſondern auch deſ- ſelben Kraft zur Beherrſchung und immer meh- rer Abſterbung der Suͤnde. 5. Und wer erkennet daraus ferner nicht, daß dieſe Ordnung des Heils auch ſo wol der Natur des Menſchen gemaͤß ſey, als ſie der Na- tur GOttes iſt nach ſeiner Gnade und Heilig- keit? Denn bey dem Menſchen findet ſich nach dem Suͤnden-Falle ein gedoppeltes groſſes Suͤnden-Ubel. Das eine in der Suͤnden- Schuld, die zur ewigen Strafe fuͤhret. Das andere in der Suͤnden-Herrſchaft, vermoͤge welcher der Menſch in Suͤnden nicht allein kranck, ſondern gar todt und GOtt abgeſtorben iſt. Zur Hebung dieſes gedoppelten Suͤnden- Ubels iſt nun das Werck der Erloͤſung aufs weiſeſte und kraͤftigſte eingerichtet. Denn durch die Kraft der Erloͤſung werden wir in der glaͤubigen Application befreyet von der Suͤn- den-Schuld und Strafe. Durch die Frucht derſelben werden wir nach derſelben Zweck in der Heiligung von der Suͤnden-Herrſchaft dergeſtalt frey gemacht, daß auch das, was noch auſſer der Herrſchaft in uns davon uͤbrig bleibet, immer mehr und mehr abgethan wird. 6. Und ſolchergeſtalt ſehen wir, wie die Gnade der Erloͤſung zugleich forenſis und me- dicinalis iſt: Forenſis zur Vergebung der Suͤn- den; Medicinalis zur geiſtlichen Auferweckung, Auferſtehung, und wie zur Anzuͤndung, alſo auch zur Wirckung und Vermehrung des Glaubens und geiſtlichen Lebens, und zur Erweiſung deſſel- ben in einem geiſtlichen Wandel. 7. Und auf dieſe Art entſtehet denn auch der nexus beneficiorum & officiorum, die aller- genaueſte Verbindung der Wohlthaten und der Pflichten. Denn gleichwie wir aus der Erloͤſung Chriſti die mit vielen andern Heils- Guͤtern begleitete Haupt-Wohlthat der Vergebung der Suͤnden empfangen; ſo erwei- ſen wir auch nach der Frucht und dem Zweck der- ſelben in der Heiligung unſere Pflichten. Je reiner und reichlicher nun iſt die Application der Wohlthaten, ie leichter und voͤlliger iſt die Leiſtung der Pflichten: ſintemal jene lauter goͤttliche Kraft, der man zur getreuen Erwei- ſung der Pflichten ſo hoch noͤthig hat, mit ſich bringen. 8. Und nach dieſem Grunde thut ſich auch aufs ſchoͤnſte hervor die Harmonie des Glaubens und der Liebe. Denn der Glaube nimmt: Die Liebe giebt. Der Glaube empfaͤnget die Wohlthat: und dadurch ſetzet er das Hertz in den Stand, daß es durch die Liebe die Pflichten ausuͤbet, und ſich alſo thaͤtig erwei- ſet. Und alſo beſtehet das gantze Chriſtenthum immer im Nehmen des Glaubens: im Ge- ben der Liebe. Darum, wer viel nimmt, der kan viel geben. Nimmſt du und giebeſt nicht, ſo nimmſt du nicht, wie du nehmen ſollſt. Giebſt du aber, und nimmſt nicht, ſo giebeſt du nicht recht: zwar was dein iſt, oder deiner eignen Kraͤfte, aber nicht was GOttes iſt, oder er in dir gewircket hat. Darum verfahre ja recht im Nehmen nach dem Evangelio, da- mit auch dein Geben nach dem Geſetze rechter Art ſey! 9. Da es nun eine ſolche Beſchaffenheit hat mit dieſen beyden mit der Crloͤſung Chriſti verbundnen Haupt-Stuͤcken, ſo iſt es eines der fuͤrnehmſten Kennzeichen eines rechten Evange- liſchen Lehrers, wenn er ſie wie wohl zu unter- ſcheiden, alſo auch wohl mit einander zu verbin- den weiß. Denn ſo iſt er ein rechter Nachfol- ger Pauli. Es iſt aber unmuͤglich ſolche Einſicht in der rechten Kraft und Lauterkeit zu haben, und ſie in der rechten Ordnung bey den Seelen recht zu appliciren, es ſey denn, daß man dieſe Wahrheit des rechten Nehmens und Gebens in eigner Erfahrung habe, und ſelbſt aus GOtt gebohren und mit ſeinem Geiſte geſal- bet ſey. 10. O wie ſehr fehlet es an ſolchen Leh- rern nicht allein in der Chriſtlichen, ſondern leider auch mitten in der Evangeliſchen Kirche! Denn mancher ſaget wol Friede! Friede! dir ſind deine Suͤnden vergeben! aber wo bleibet die Ordnung der Heiligung? Mancher dringet auf dieſe, donnert auch wol mit ſcharfen Ge- ſetz-Predigten: aber wo bleibet Chriſtus mit ſeinen Heils-Schaͤtzen zur geiſtlichen Auferſte- hung? GOtt aber vermehre die Anzahl derer, die das Wort GOttes bey eigner Erfahrung wohl zu theilen wiſſen. 11. So viel zur Erlaͤuterung dieſes apoſto- liſchen Textes uͤberhaupt. Nun iſt noch etwas von den eigentlichen Worten deſſelben hinzu zu thun. Jn den Worten: Die da leben, wird zwar das natuͤrliche Leben zum Grunde geſetzet, aber wol ſonderlich auf das geiſtliche Leben geſehen, wozu man durch die glaͤubige Applica- tion des Todes Chriſti gelangen muß und kan, wenn

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht01_1729/422>, abgerufen am 24.11.2024.