Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Erklärung des andern Briefs Pauli Cap. 3, 14-16. [Spaltenumbruch]
ten, weil dieselbe alte Oeconomie darinnen ent-halten war, das alte Testament. 4. Wenn der Apostel schreibet: Bis auf den heutigen Tag etc. so siehet er damit auch zurück auf die vorigen Zeiten, theils vor der Geburt CHristi, da man bereits in grosser Blindheit in Ansehung der Lehre vom Meßia gestanden; theils nach derselben auf die Zeiten Johannis und CHristi, daß, ob dieser gleich Jo- hannem den Täufer zum Vorläufer gehabt, und Johannes, um den Juden die Decke von ihren Augen zu ziehen, ihnen CHristum geprediget, und unter andern gesaget: Siehe! das ist GOttes Lamm, welches der Welt Sün- de träget! Und dazu der HErr JEsus CHri- stus sich ihnen selbst gantzer drey Jahre hindurch sichtbarlich vor Augen gestellet, und an sich alle Kennzeichen des verheissenen Meßiä erwiesen, und sie, ihn dafür zu erkennen, mit so vielen Wundern aufgewecket hatte; sie dennoch bis an Pauli Zeiten hin, da er dieses schrieb, dem größten Haufen nach die Augen nicht hatten wol- len eröffnen und zum Glauben an Christum brin- gen lassen. 5. Was nun Paulus von seinen Zeiten sa- get, und davon er im Briefe an die Römer c. 9. 10. 11. mit mehrern handelt, das hat nun der betrübte Erfolg von so vielen seculis her erwie- sen. Und ob auch gleich die ausgearteten Ju- den die Bücher des alten Testaments noch so fleis- sig lesen, ja auch so viele und zum Theil nicht ungelehrte und undienliche Auslegungen darüber geschrieben haben: so sind doch in den Haupt-Materien von CHristo ihre Schriften so blind und verkehrt, als ihre Hertzen. Wel- ches freylich eine recht jämmerliche Sache ist, die man ohne Verwunderung und Mitleiden nicht ansehen kan. 6. Welcher Gestalt nun aber in CHristo die Decke aufhöret, hat, unter so vielen andern Gläubigen der ersten Zeiten, sonderlich Pau- lus an sich erfahren, und mit seinem Exempel aufs kräftigste erwiesen. Denn so bald er Chri- stum recht erkante, da fiel, mit der zur Bezeich- nung seiner geistlichen Finsterniß ihm auf drey Tage zugeschickten leiblichen Blindheit, auch die geistliche von seinem Hertzen, also daß er, mit einer herrlichen Einsicht in die Schriften des alten Testaments CHristum in den Juden- Schulen öffentlich verkündigte, daß er GOttes Sohn sey; ja iemehr und mehr kräftiger wurde, die Jüden eintrieb, und es bewährete, daß JEsus sey der Christ. Act. 9, 9. 20. 22. V. 15. 16. Aber bis auf den heutigen Tag, wenn Anmerckungen. 1. Der Apostel wiederholet, was er gesa- get hatte, um damit seinen grossen Kummer dar- über anzuzeigen, aber auch dabey zugleich zu ge- [Spaltenumbruch] dencken, wie daß die Decke dermaleins würde weggenommen werden. 2. Und daß dieses bey dem Jüdischen Volcke in der Ordnung der wahren Bekehrung noch einmal geschehen würde, dasselbe zeiget er nicht auf eine ungewisse Art und Bedingsweise an, sondern als eine gantz gewisse Sache. Denn er gebrauchet sich dazu keines Bedingungs- Wörtleins, sondern eines Worts, welches auf die Zeit gehet: damit er zum Grunde setzet, daß gewiß eine Zeit kommen werde, darinnen das Jüdische Volck, wenigstens dem grössesten Hau- fen nach, werde zu CHristo bekehret werden, und also die Decke fahren lassen. Wie denn der Ort nach dem Griechischen Texte also zu über- setzen ist: Quando, wenn es sich aber wird bekehret haben, so wird (nicht würde) die Decke abgethan, oder umher weggenom- men. 3. Daß aber dem Jüdischen Volcke, so sehr es auch nach allen Stämmen in der gantzen Welt ausgebreitet und zerstreuet lebet, der grös- sesten Anzahl nach, noch eine Bekehrung zu CHristo bevorstehe, das ist eine aus der heiligen Schrift altes und neues Testaments anderwär- tig genugsam erwiesene Wahrheit. Gewiß, wer dieses darinnen noch nicht ersiehet, dem hanget zum wenigsten nicht eine geringe Decke vor den Augen. Davon oben bereits ein meh- rers gehandelt ist bey dem eilften Capitel des Briefes an die Römer. 4. Es ist aber bey diesem Texte wohl zu mercken, wie genau die Bekehrung mit der Erleuchtung, und diese mit jener verbunden sey. Denn ausser dem, daß darinnen die De- cke dem unbekehrten Hertzen, und also die Blindheit nicht allein dem Verstande, sondern auch dem Willen, zugeschrieben wird, liegen darinnen diese zween Sätze: a. Die wahre Erleuchtung geschiehet nicht ohne Bekehrung. b. Ob wol die Bekehrung und Erleuch- tung der Zeit nach zusammen geschehen, so gehet doch der Natur nach die Bekeh- rung vor der Erleuchtung vorher. 5. Daß die wahre Erleuchtung nicht ohne wahre Bekehrung geschehe, ist daraus klar genug, wenn es heißt: Wenn aber das Jüdische Volck sich bekehren wird, oder wird bekehret haben, so wird die Decke weggenommen, oder so wird es erleuchtet. Und wie könte auch die Erleuchtung ohne Be- kehrung seyn, da ja so wenig ein geistliches Licht und ein geistliches Sehen und Erkennen seyn kan ohne ein geistliches Leben, so wenig das natür- liche Gesicht statt findet ohne das natürliche Leben. 6. Und hieraus ists zugleich klar, daß der Natur nach nicht die Erleuchtung vor der Be- kehrung, sondern diese vor jene vorher gehe: gleichwie nicht das Leben vom Lichte, sondern das Licht, es sey natürlich, oder geistlich, vom Leben, sowol dem geistlichen, als natürlichen dependiret. Und dieses lieget in den Worten Pauli, da es heißt: Wenn es sich aber, das Volck,
Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 3, 14-16. [Spaltenumbruch]
ten, weil dieſelbe alte Oeconomie darinnen ent-halten war, das alte Teſtament. 4. Wenn der Apoſtel ſchreibet: Bis auf den heutigen Tag ꝛc. ſo ſiehet er damit auch zuruͤck auf die vorigen Zeiten, theils vor der Geburt CHriſti, da man bereits in groſſer Blindheit in Anſehung der Lehre vom Meßia geſtanden; theils nach derſelben auf die Zeiten Johannis und CHriſti, daß, ob dieſer gleich Jo- hannem den Taͤufer zum Vorlaͤufer gehabt, und Johannes, um den Juden die Decke von ihren Augen zu ziehen, ihnen CHriſtum geprediget, und unter andern geſaget: Siehe! das iſt GOttes Lamm, welches der Welt Suͤn- de traͤget! Und dazu der HErr JEſus CHri- ſtus ſich ihnen ſelbſt gantzer drey Jahre hindurch ſichtbarlich vor Augen geſtellet, und an ſich alle Kennzeichen des verheiſſenen Meßiaͤ erwieſen, und ſie, ihn dafuͤr zu erkennen, mit ſo vielen Wundern aufgewecket hatte; ſie dennoch bis an Pauli Zeiten hin, da er dieſes ſchrieb, dem groͤßten Haufen nach die Augen nicht hatten wol- len eroͤffnen und zum Glauben an Chriſtum brin- gen laſſen. 5. Was nun Paulus von ſeinen Zeiten ſa- get, und davon er im Briefe an die Roͤmer c. 9. 10. 11. mit mehrern handelt, das hat nun der betruͤbte Erfolg von ſo vielen ſeculis her erwie- ſen. Und ob auch gleich die ausgearteten Ju- den die Buͤcher des alten Teſtaments noch ſo fleiſ- ſig leſen, ja auch ſo viele und zum Theil nicht ungelehrte und undienliche Auslegungen daruͤber geſchrieben haben: ſo ſind doch in den Haupt-Materien von CHriſto ihre Schriften ſo blind und verkehrt, als ihre Hertzen. Wel- ches freylich eine recht jaͤmmerliche Sache iſt, die man ohne Verwunderung und Mitleiden nicht anſehen kan. 6. Welcher Geſtalt nun aber in CHriſto die Decke aufhoͤret, hat, unter ſo vielen andern Glaͤubigen der erſten Zeiten, ſonderlich Pau- lus an ſich erfahren, und mit ſeinem Exempel aufs kraͤftigſte erwieſen. Denn ſo bald er Chri- ſtum recht erkante, da fiel, mit der zur Bezeich- nung ſeiner geiſtlichen Finſterniß ihm auf drey Tage zugeſchickten leiblichen Blindheit, auch die geiſtliche von ſeinem Hertzen, alſo daß er, mit einer herrlichen Einſicht in die Schriften des alten Teſtaments CHriſtum in den Juden- Schulen oͤffentlich verkuͤndigte, daß er GOttes Sohn ſey; ja iemehr und mehr kraͤftiger wurde, die Juͤden eintrieb, und es bewaͤhrete, daß JEſus ſey der Chriſt. Act. 9, 9. 20. 22. V. 15. 16. Aber bis auf den heutigen Tag, wenn Anmerckungen. 1. Der Apoſtel wiederholet, was er geſa- get hatte, um damit ſeinen groſſen Kummer dar- uͤber anzuzeigen, aber auch dabey zugleich zu ge- [Spaltenumbruch] dencken, wie daß die Decke dermaleins wuͤrde weggenommen werden. 2. Und daß dieſes bey dem Juͤdiſchen Volcke in der Ordnung der wahren Bekehrung noch einmal geſchehen wuͤrde, daſſelbe zeiget er nicht auf eine ungewiſſe Art und Bedingsweiſe an, ſondern als eine gantz gewiſſe Sache. Denn er gebrauchet ſich dazu keines Bedingungs- Woͤrtleins, ſondern eines Worts, welches auf die Zeit gehet: damit er zum Grunde ſetzet, daß gewiß eine Zeit kommen werde, darinnen das Juͤdiſche Volck, wenigſtens dem groͤſſeſten Hau- fen nach, werde zu CHriſto bekehret werden, und alſo die Decke fahren laſſen. Wie denn der Ort nach dem Griechiſchen Texte alſo zu uͤber- ſetzen iſt: Quando, wenn es ſich aber wird bekehret haben, ſo wird (nicht wuͤrde) die Decke abgethan, oder umher weggenom- men. 3. Daß aber dem Juͤdiſchen Volcke, ſo ſehr es auch nach allen Staͤmmen in der gantzen Welt ausgebreitet und zerſtreuet lebet, der groͤſ- ſeſten Anzahl nach, noch eine Bekehrung zu CHriſto bevorſtehe, das iſt eine aus der heiligen Schrift altes und neues Teſtaments anderwaͤr- tig genugſam erwieſene Wahrheit. Gewiß, wer dieſes darinnen noch nicht erſiehet, dem hanget zum wenigſten nicht eine geringe Decke vor den Augen. Davon oben bereits ein meh- rers gehandelt iſt bey dem eilften Capitel des Briefes an die Roͤmer. 4. Es iſt aber bey dieſem Texte wohl zu mercken, wie genau die Bekehrung mit der Erleuchtung, und dieſe mit jener verbunden ſey. Denn auſſer dem, daß darinnen die De- cke dem unbekehrten Hertzen, und alſo die Blindheit nicht allein dem Verſtande, ſondern auch dem Willen, zugeſchrieben wird, liegen darinnen dieſe zween Saͤtze: a. Die wahre Erleuchtung geſchiehet nicht ohne Bekehrung. b. Ob wol die Bekehrung und Erleuch- tung der Zeit nach zuſammen geſchehen, ſo gehet doch der Natur nach die Bekeh- rung vor der Erleuchtung vorher. 5. Daß die wahre Erleuchtung nicht ohne wahre Bekehrung geſchehe, iſt daraus klar genug, wenn es heißt: Wenn aber das Juͤdiſche Volck ſich bekehren wird, oder wird bekehret haben, ſo wird die Decke weggenommen, oder ſo wird es erleuchtet. Und wie koͤnte auch die Erleuchtung ohne Be- kehrung ſeyn, da ja ſo wenig ein geiſtliches Licht und ein geiſtliches Sehen und Erkennen ſeyn kan ohne ein geiſtliches Leben, ſo wenig das natuͤr- liche Geſicht ſtatt findet ohne das natuͤrliche Leben. 6. Und hieraus iſts zugleich klar, daß der Natur nach nicht die Erleuchtung vor der Be- kehrung, ſondern dieſe vor jene vorher gehe: gleichwie nicht das Leben vom Lichte, ſondern das Licht, es ſey natuͤrlich, oder geiſtlich, vom Leben, ſowol dem geiſtlichen, als natuͤrlichen dependiret. Und dieſes lieget in den Worten Pauli, da es heißt: Wenn es ſich aber, das Volck,
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Erklaͤrung des andern Briefs Pauli Cap. 3, 14-16.
ten, weil dieſelbe alte Oeconomie darinnen ent-
halten war, das alte Teſtament.
4. Wenn der Apoſtel ſchreibet: Bis auf
den heutigen Tag ꝛc. ſo ſiehet er damit auch
zuruͤck auf die vorigen Zeiten, theils vor der
Geburt CHriſti, da man bereits in groſſer
Blindheit in Anſehung der Lehre vom Meßia
geſtanden; theils nach derſelben auf die Zeiten
Johannis und CHriſti, daß, ob dieſer gleich Jo-
hannem den Taͤufer zum Vorlaͤufer gehabt, und
Johannes, um den Juden die Decke von ihren
Augen zu ziehen, ihnen CHriſtum geprediget,
und unter andern geſaget: Siehe! das iſt
GOttes Lamm, welches der Welt Suͤn-
de traͤget! Und dazu der HErr JEſus CHri-
ſtus ſich ihnen ſelbſt gantzer drey Jahre hindurch
ſichtbarlich vor Augen geſtellet, und an ſich alle
Kennzeichen des verheiſſenen Meßiaͤ erwieſen,
und ſie, ihn dafuͤr zu erkennen, mit ſo vielen
Wundern aufgewecket hatte; ſie dennoch bis
an Pauli Zeiten hin, da er dieſes ſchrieb, dem
groͤßten Haufen nach die Augen nicht hatten wol-
len eroͤffnen und zum Glauben an Chriſtum brin-
gen laſſen.
5. Was nun Paulus von ſeinen Zeiten ſa-
get, und davon er im Briefe an die Roͤmer c. 9.
10. 11. mit mehrern handelt, das hat nun der
betruͤbte Erfolg von ſo vielen ſeculis her erwie-
ſen. Und ob auch gleich die ausgearteten Ju-
den die Buͤcher des alten Teſtaments noch ſo fleiſ-
ſig leſen, ja auch ſo viele und zum Theil nicht
ungelehrte und undienliche Auslegungen
daruͤber geſchrieben haben: ſo ſind doch in den
Haupt-Materien von CHriſto ihre Schriften
ſo blind und verkehrt, als ihre Hertzen. Wel-
ches freylich eine recht jaͤmmerliche Sache iſt, die
man ohne Verwunderung und Mitleiden nicht
anſehen kan.
6. Welcher Geſtalt nun aber in CHriſto
die Decke aufhoͤret, hat, unter ſo vielen andern
Glaͤubigen der erſten Zeiten, ſonderlich Pau-
lus an ſich erfahren, und mit ſeinem Exempel
aufs kraͤftigſte erwieſen. Denn ſo bald er Chri-
ſtum recht erkante, da fiel, mit der zur Bezeich-
nung ſeiner geiſtlichen Finſterniß ihm auf drey
Tage zugeſchickten leiblichen Blindheit, auch
die geiſtliche von ſeinem Hertzen, alſo daß er,
mit einer herrlichen Einſicht in die Schriften des
alten Teſtaments CHriſtum in den Juden-
Schulen oͤffentlich verkuͤndigte, daß er GOttes
Sohn ſey; ja iemehr und mehr kraͤftiger wurde,
die Juͤden eintrieb, und es bewaͤhrete, daß JEſus
ſey der Chriſt. Act. 9, 9. 20. 22.
V. 15. 16.
Aber bis auf den heutigen Tag, wenn
Moſes geleſen wird, haͤnget die Decke
vor ihrem Hertzen. V. 16. Wenn es aber
ſich bekehrete zu dem HErrn, ſo wuͤrde die
Decke abgethan.
Anmerckungen.
1. Der Apoſtel wiederholet, was er geſa-
get hatte, um damit ſeinen groſſen Kummer dar-
uͤber anzuzeigen, aber auch dabey zugleich zu ge-
dencken, wie daß die Decke dermaleins wuͤrde
weggenommen werden.
2. Und daß dieſes bey dem Juͤdiſchen
Volcke in der Ordnung der wahren Bekehrung
noch einmal geſchehen wuͤrde, daſſelbe zeiget er
nicht auf eine ungewiſſe Art und Bedingsweiſe
an, ſondern als eine gantz gewiſſe Sache. Denn
er gebrauchet ſich dazu keines Bedingungs-
Woͤrtleins, ſondern eines Worts, welches auf
die Zeit gehet: damit er zum Grunde ſetzet, daß
gewiß eine Zeit kommen werde, darinnen das
Juͤdiſche Volck, wenigſtens dem groͤſſeſten Hau-
fen nach, werde zu CHriſto bekehret werden,
und alſo die Decke fahren laſſen. Wie denn
der Ort nach dem Griechiſchen Texte alſo zu uͤber-
ſetzen iſt: Quando, wenn es ſich aber wird
bekehret haben, ſo wird (nicht wuͤrde) die
Decke abgethan, oder umher weggenom-
men.
3. Daß aber dem Juͤdiſchen Volcke, ſo
ſehr es auch nach allen Staͤmmen in der gantzen
Welt ausgebreitet und zerſtreuet lebet, der groͤſ-
ſeſten Anzahl nach, noch eine Bekehrung zu
CHriſto bevorſtehe, das iſt eine aus der heiligen
Schrift altes und neues Teſtaments anderwaͤr-
tig genugſam erwieſene Wahrheit. Gewiß,
wer dieſes darinnen noch nicht erſiehet, dem
hanget zum wenigſten nicht eine geringe Decke
vor den Augen. Davon oben bereits ein meh-
rers gehandelt iſt bey dem eilften Capitel des
Briefes an die Roͤmer.
4. Es iſt aber bey dieſem Texte wohl zu
mercken, wie genau die Bekehrung mit der
Erleuchtung, und dieſe mit jener verbunden
ſey. Denn auſſer dem, daß darinnen die De-
cke dem unbekehrten Hertzen, und alſo die
Blindheit nicht allein dem Verſtande, ſondern
auch dem Willen, zugeſchrieben wird, liegen
darinnen dieſe zween Saͤtze:
a. Die wahre Erleuchtung geſchiehet nicht
ohne Bekehrung.
b. Ob wol die Bekehrung und Erleuch-
tung der Zeit nach zuſammen geſchehen,
ſo gehet doch der Natur nach die Bekeh-
rung vor der Erleuchtung vorher.
5. Daß die wahre Erleuchtung nicht
ohne wahre Bekehrung geſchehe, iſt daraus
klar genug, wenn es heißt: Wenn aber das
Juͤdiſche Volck ſich bekehren wird, oder
wird bekehret haben, ſo wird die Decke
weggenommen, oder ſo wird es erleuchtet.
Und wie koͤnte auch die Erleuchtung ohne Be-
kehrung ſeyn, da ja ſo wenig ein geiſtliches Licht
und ein geiſtliches Sehen und Erkennen ſeyn kan
ohne ein geiſtliches Leben, ſo wenig das natuͤr-
liche Geſicht ſtatt findet ohne das natuͤrliche
Leben.
6. Und hieraus iſts zugleich klar, daß der
Natur nach nicht die Erleuchtung vor der Be-
kehrung, ſondern dieſe vor jene vorher gehe:
gleichwie nicht das Leben vom Lichte, ſondern
das Licht, es ſey natuͤrlich, oder geiſtlich, vom
Leben, ſowol dem geiſtlichen, als natuͤrlichen
dependiret. Und dieſes lieget in den Worten
Pauli, da es heißt: Wenn es ſich aber, das
Volck,
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