Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 3, v. 6. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
trachtet wird, ist eigentlich gegangen auf dieGnade GOttes in CHristo JESU. Es hat aber die Verkündigung und Mittheilung dieser Gnade eine gedoppelte Oeconomie und Einrich- tung gehabt: die erste bestunde in Verheissun- gen und in Vorbildern, und führete bey den- selben ein schweres Joch des Levitischen Gesetzes mit sich: die andere in der Erfüllung und Darstellung alles dessen, worauf die Verheissun- gen und Vorbilder gewiesen hatten, und brachte mit sich die Befreyung von dem beschwerlichen Joche der Levitischen Satzungen. Und diese zwo Oeconomien des Gnaden-Bundes waren die zwey Testamente; jenes das alte, so sich, nach einigen unter den Patriarchen schon gegebenen Vorspiel, oder Vorläufigen Einrichtungen, un- ter Mose erst anhube: dieses das neue, welches mit CHristo angegangen ist. 3. Nun wird zwar das neue Testament nur allein in diesem Verstande genommen: das alte aber hat noch eine weitere Bedeutung, und son- derlich im biblischen Gebrauche. Denn da wird dasselbe dergestalt seinem Anfange nach in die Zeiten und in den Dienst Mosis gesetzet, daß da- durch das gantze Geschäfte GOttes, so er mit der Gesetzgebung auf dem Berge Sinai und mit besonderer Einrichtung der Jüdischen Republic und Kirche vorgenommen hat, verstanden wird. Und also gehöret dazu nicht allein das Ceremo- nial-Gesetze, samt der Jüdischen Kirche und Re- public, sondern auch das Moral-Gesetz, sonder- lich so fern es betrachtet wird nach seinem Haupt- Zweck, und nach der Schärfe seiner, von uns un- möglich zu leistenden, Forderungen, und sei- nes Vermöge der unwandelbaren Gerechtigkeit GOttes daher entstehenden Ausspruchs von un- serer ewigen Verdammniß: als woraus die Nothwendigkeit der unter dem Levitischen Sa- tzungs-Wesen dabey zugleich vorgebildeten und von dem Meßia anzurichtenden neuen Oecono- mie des Gnaden-Bundes desto mehr solte er- kannt, und dieser daher desto höher geachtet werden. 4. Nun stunden zwar den scharfen Forde- rungen des Moral Gesetzes und dessen Fluche be- reits zu Mosis Zeiten die Evangelischen Verheis- sungen samt den im Levitischen Gottes-Dienste liegenden Vorbildern von CHristo und dem Ev- angelio dergestalt entgegen, daß sich die Gläubi- gen gegen den Fluch des Gesetzes bey ihrer so gar unvollkommenen Haltung desselben daran haben halten können: allein so lange es doch an der Er- füllung fehlete, kam der Glaube an die Verheis- sung ausser dem, was bey einigen Glaubens-Hel- den ausserordentlich geschehen ist, zu keiner rech- ten Kraft; und hingegen blieb die Forderung des Gesetzes so viel schärfer, und behielte gleichsam das Regiment auch über die Gläubigen, daß sie gegen GOtt zwar nicht gar ohne kindliche Furcht waren, doch noch mehr in knechtischer Furcht gehalten wurden. Und daher kömmt es denn, daß durch das dem neuen Testamente entgegen gesetzte alte Testament nebst dem Levitischen Sa- tzungs-Wesen hauptsächlich auf das auf dem Berge Sinai promulgirte Moral-Gesetz gesehen [Spaltenumbruch] wird; wie hier, also auch in dem Briefe an die Galater und Hebräer. 5. Gleichwie nun in unserm Texte das Amt des neuen Testaments, oder ein Diener des- selben seyn, so viel ist, als das Evangelium von CHristo nach der neuen in der Erfüllung beste- henden Oeconomie verkündigen: so ist hingegen das Amt des Buchstabens führen, oder ein Diener desselben seyn, so viel, als die Leute bey dem Ceremonial-Gesetze also auf das Moral-Ge- setze weisen, daß sie dasselbe halten, und Vermö- ge solches demselben geleisteten Gehorsams selig werden sollen. Welches aber, da uns das Ge- setz bey unserm Unvermögen zum Guten, und bey dem beywohnenden so vielem Bösen, den Tod dräuet, unmöglich kan erhalten werden. 6. Wenn aber das alte Testament, da man bey den ohne CHristum betrachteten Levi- tischen Satzungen unter dem Fluche und Zwange des Moral-Gesetzes stunde, das Amt des Buch- stabens genennet wird, so wird damit gesehen auf die Buchstaben, mit welchen das Gesetz in die steinern Tafeln verzeichnet stunde. Und da Buch- staben etwas nur bloß äusserliches sind, so wird mit dieser Benennung zugleich auf alles äusserliche Satzungs-Wesen, darinnen der Levi- tische Gottes-Dienst bestunde, gewiesen. Wie denn auch daher die schon längst vor dem promul- girten Gesetz übliche bloß äusserliche Beschnei- dung, im Gegensatze auf die Beschneidung des Hertzens, eine Beschneidung im Buchstaben genennet wird Rom. 2, 28. 29. Welchem Am- te des Buchstabens denn entgegen gesetzet wird das Amt des Geistes, oder die Bedienung bey und an dem Evangelio: als welches der Heilige Geist gebrauchet, CHristum dadurch als einen solchen Heiland zu verklären, der uns von der Sünden-Schuld, Herrschaft und Strafe, und folglich auch von dem Fluche und Zwange des Gesetzes, und also nicht weniger auch vom geistli- chen und ewigen Tode befreyet. Und das heißt denn, daß der Geist lebendig machet. Und eben dieses verstehet Paulus, wenn er Rom. 8, 2. spricht: Das Gesetz (die angenommene Lehre, oder Oeconomie) des Geistes, der da lebendig machet in CHristo JESU, hat mich frey gemacht vom Gesetz der Sünden und des Todes (von der uns beherrschenden und aus dem geistlichen zum ewigen Tode führenden Sünde, da das eigentliche Gesetz GOttes solche in uns recht aufdecket, und uns den Tod darüber an- dräuet.) 7. Jm übrigen ist bey der Redens-Art: der Buchstabe tödtet, noch wohl zu mercken, daß man dieselbe, wie von etlichen geschiehet, nicht mißbrauchen müsse zur Geringachtung des uns in Schriften anvertraueten göttlichen Worts, als sey es nur ein todter Buchstabe. Denn ein anders ist tödten, ein anders todt seyn. Was tödtet, kan nicht todt seyn, sondern muß eine lebendige Kraft in sich haben. Da nun dieses, ein tödtender Buchstabe seyn, vom Gesetze gesaget wird, und das Gesetz also selbst nicht todt ist; wie könte es denn von dem geschriebenen oder gedruckten göttlichen Worte überhaupt, und
Cap. 3, v. 6. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
trachtet wird, iſt eigentlich gegangen auf dieGnade GOttes in CHriſto JESU. Es hat aber die Verkuͤndigung und Mittheilung dieſer Gnade eine gedoppelte Oeconomie und Einrich- tung gehabt: die erſte beſtunde in Verheiſſun- gen und in Vorbildern, und fuͤhrete bey den- ſelben ein ſchweres Joch des Levitiſchen Geſetzes mit ſich: die andere in der Erfuͤllung und Darſtellung alles deſſen, worauf die Verheiſſun- gen und Vorbilder gewieſen hatten, und brachte mit ſich die Befreyung von dem beſchwerlichen Joche der Levitiſchen Satzungen. Und dieſe zwo Oeconomien des Gnaden-Bundes waren die zwey Teſtamente; jenes das alte, ſo ſich, nach einigen unter den Patriarchen ſchon gegebenen Vorſpiel, oder Vorlaͤufigen Einrichtungen, un- ter Moſe erſt anhube: dieſes das neue, welches mit CHriſto angegangen iſt. 3. Nun wird zwar das neue Teſtament nur allein in dieſem Verſtande genommen: das alte aber hat noch eine weitere Bedeutung, und ſon- derlich im bibliſchen Gebrauche. Denn da wird daſſelbe dergeſtalt ſeinem Anfange nach in die Zeiten und in den Dienſt Moſis geſetzet, daß da- durch das gantze Geſchaͤfte GOttes, ſo er mit der Geſetzgebung auf dem Berge Sinai und mit beſonderer Einrichtung der Juͤdiſchen Republic und Kirche vorgenommen hat, verſtanden wird. Und alſo gehoͤret dazu nicht allein das Ceremo- nial-Geſetze, ſamt der Juͤdiſchen Kirche und Re- public, ſondern auch das Moral-Geſetz, ſonder- lich ſo fern es betrachtet wird nach ſeinem Haupt- Zweck, und nach der Schaͤrfe ſeiner, von uns un- moͤglich zu leiſtenden, Forderungen, und ſei- nes Vermoͤge der unwandelbaren Gerechtigkeit GOttes daher entſtehenden Ausſpruchs von un- ſerer ewigen Verdammniß: als woraus die Nothwendigkeit der unter dem Levitiſchen Sa- tzungs-Weſen dabey zugleich vorgebildeten und von dem Meßia anzurichtenden neuen Oecono- mie des Gnaden-Bundes deſto mehr ſolte er- kannt, und dieſer daher deſto hoͤher geachtet werden. 4. Nun ſtunden zwar den ſcharfen Forde- rungen des Moral Geſetzes und deſſen Fluche be- reits zu Moſis Zeiten die Evangeliſchen Verheiſ- ſungen ſamt den im Levitiſchen Gottes-Dienſte liegenden Vorbildern von CHriſto und dem Ev- angelio dergeſtalt entgegen, daß ſich die Glaͤubi- gen gegen den Fluch des Geſetzes bey ihrer ſo gar unvollkommenen Haltung deſſelben daran haben halten koͤnnen: allein ſo lange es doch an der Er- fuͤllung fehlete, kam der Glaube an die Verheiſ- ſung auſſer dem, was bey einigen Glaubens-Hel- den auſſerordentlich geſchehen iſt, zu keiner rech- ten Kraft; und hingegen blieb die Forderung des Geſetzes ſo viel ſchaͤrfer, und behielte gleichſam das Regiment auch uͤber die Glaͤubigen, daß ſie gegen GOtt zwar nicht gar ohne kindliche Furcht waren, doch noch mehr in knechtiſcher Furcht gehalten wurden. Und daher koͤmmt es denn, daß durch das dem neuen Teſtamente entgegen geſetzte alte Teſtament nebſt dem Levitiſchen Sa- tzungs-Weſen hauptſaͤchlich auf das auf dem Berge Sinai promulgirte Moral-Geſetz geſehen [Spaltenumbruch] wird; wie hier, alſo auch in dem Briefe an die Galater und Hebraͤer. 5. Gleichwie nun in unſerm Texte das Amt des neuen Teſtaments, oder ein Diener deſ- ſelben ſeyn, ſo viel iſt, als das Evangelium von CHriſto nach der neuen in der Erfuͤllung beſte- henden Oeconomie verkuͤndigen: ſo iſt hingegen das Amt des Buchſtabens fuͤhren, oder ein Diener deſſelben ſeyn, ſo viel, als die Leute bey dem Ceremonial-Geſetze alſo auf das Moral-Ge- ſetze weiſen, daß ſie daſſelbe halten, und Vermoͤ- ge ſolches demſelben geleiſteten Gehorſams ſelig werden ſollen. Welches aber, da uns das Ge- ſetz bey unſerm Unvermoͤgen zum Guten, und bey dem beywohnenden ſo vielem Boͤſen, den Tod draͤuet, unmoͤglich kan erhalten werden. 6. Wenn aber das alte Teſtament, da man bey den ohne CHriſtum betrachteten Levi- tiſchen Satzungen unter dem Fluche und Zwange des Moral-Geſetzes ſtunde, das Amt des Buch- ſtabens genennet wird, ſo wird damit geſehen auf die Buchſtaben, mit welchen das Geſetz in die ſteinern Tafeln verzeichnet ſtunde. Und da Buch- ſtaben etwas nur bloß aͤuſſerliches ſind, ſo wird mit dieſer Benennung zugleich auf alles aͤuſſerliche Satzungs-Weſen, darinnen der Levi- tiſche Gottes-Dienſt beſtunde, gewieſen. Wie denn auch daher die ſchon laͤngſt vor dem promul- girten Geſetz uͤbliche bloß aͤuſſerliche Beſchnei- dung, im Gegenſatze auf die Beſchneidung des Hertzens, eine Beſchneidung im Buchſtaben genennet wird Rom. 2, 28. 29. Welchem Am- te des Buchſtabens denn entgegen geſetzet wird das Amt des Geiſtes, oder die Bedienung bey und an dem Evangelio: als welches der Heilige Geiſt gebrauchet, CHriſtum dadurch als einen ſolchen Heiland zu verklaͤren, der uns von der Suͤnden-Schuld, Herrſchaft und Strafe, und folglich auch von dem Fluche und Zwange des Geſetzes, und alſo nicht weniger auch vom geiſtli- chen und ewigen Tode befreyet. Und das heißt denn, daß der Geiſt lebendig machet. Und eben dieſes verſtehet Paulus, wenn er Rom. 8, 2. ſpricht: Das Geſetz (die angenommene Lehre, oder Oeconomie) des Geiſtes, der da lebendig machet in CHriſto JESU, hat mich frey gemacht vom Geſetz der Suͤnden und des Todes (von der uns beherrſchenden und aus dem geiſtlichen zum ewigen Tode fuͤhrenden Suͤnde, da das eigentliche Geſetz GOttes ſolche in uns recht aufdecket, und uns den Tod daruͤber an- draͤuet.) 7. Jm uͤbrigen iſt bey der Redens-Art: der Buchſtabe toͤdtet, noch wohl zu mercken, daß man dieſelbe, wie von etlichen geſchiehet, nicht mißbrauchen muͤſſe zur Geringachtung des uns in Schriften anvertraueten goͤttlichen Worts, als ſey es nur ein todter Buchſtabe. Denn ein anders iſt toͤdten, ein anders todt ſeyn. Was toͤdtet, kan nicht todt ſeyn, ſondern muß eine lebendige Kraft in ſich haben. Da nun dieſes, ein toͤdtender Buchſtabe ſeyn, vom Geſetze geſaget wird, und das Geſetz alſo ſelbſt nicht todt iſt; wie koͤnte es denn von dem geſchriebenen oder gedruckten goͤttlichen Worte uͤberhaupt, und
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Cap. 3, v. 6. an die Corinthier.
trachtet wird, iſt eigentlich gegangen auf die
Gnade GOttes in CHriſto JESU. Es hat
aber die Verkuͤndigung und Mittheilung dieſer
Gnade eine gedoppelte Oeconomie und Einrich-
tung gehabt: die erſte beſtunde in Verheiſſun-
gen und in Vorbildern, und fuͤhrete bey den-
ſelben ein ſchweres Joch des Levitiſchen Geſetzes
mit ſich: die andere in der Erfuͤllung und
Darſtellung alles deſſen, worauf die Verheiſſun-
gen und Vorbilder gewieſen hatten, und brachte
mit ſich die Befreyung von dem beſchwerlichen
Joche der Levitiſchen Satzungen. Und dieſe
zwo Oeconomien des Gnaden-Bundes waren
die zwey Teſtamente; jenes das alte, ſo ſich, nach
einigen unter den Patriarchen ſchon gegebenen
Vorſpiel, oder Vorlaͤufigen Einrichtungen, un-
ter Moſe erſt anhube: dieſes das neue, welches
mit CHriſto angegangen iſt.
3. Nun wird zwar das neue Teſtament nur
allein in dieſem Verſtande genommen: das alte
aber hat noch eine weitere Bedeutung, und ſon-
derlich im bibliſchen Gebrauche. Denn da wird
daſſelbe dergeſtalt ſeinem Anfange nach in die
Zeiten und in den Dienſt Moſis geſetzet, daß da-
durch das gantze Geſchaͤfte GOttes, ſo er mit
der Geſetzgebung auf dem Berge Sinai und mit
beſonderer Einrichtung der Juͤdiſchen Republic
und Kirche vorgenommen hat, verſtanden wird.
Und alſo gehoͤret dazu nicht allein das Ceremo-
nial-Geſetze, ſamt der Juͤdiſchen Kirche und Re-
public, ſondern auch das Moral-Geſetz, ſonder-
lich ſo fern es betrachtet wird nach ſeinem Haupt-
Zweck, und nach der Schaͤrfe ſeiner, von uns un-
moͤglich zu leiſtenden, Forderungen, und ſei-
nes Vermoͤge der unwandelbaren Gerechtigkeit
GOttes daher entſtehenden Ausſpruchs von un-
ſerer ewigen Verdammniß: als woraus die
Nothwendigkeit der unter dem Levitiſchen Sa-
tzungs-Weſen dabey zugleich vorgebildeten und
von dem Meßia anzurichtenden neuen Oecono-
mie des Gnaden-Bundes deſto mehr ſolte er-
kannt, und dieſer daher deſto hoͤher geachtet
werden.
4. Nun ſtunden zwar den ſcharfen Forde-
rungen des Moral Geſetzes und deſſen Fluche be-
reits zu Moſis Zeiten die Evangeliſchen Verheiſ-
ſungen ſamt den im Levitiſchen Gottes-Dienſte
liegenden Vorbildern von CHriſto und dem Ev-
angelio dergeſtalt entgegen, daß ſich die Glaͤubi-
gen gegen den Fluch des Geſetzes bey ihrer ſo gar
unvollkommenen Haltung deſſelben daran haben
halten koͤnnen: allein ſo lange es doch an der Er-
fuͤllung fehlete, kam der Glaube an die Verheiſ-
ſung auſſer dem, was bey einigen Glaubens-Hel-
den auſſerordentlich geſchehen iſt, zu keiner rech-
ten Kraft; und hingegen blieb die Forderung des
Geſetzes ſo viel ſchaͤrfer, und behielte gleichſam
das Regiment auch uͤber die Glaͤubigen, daß ſie
gegen GOtt zwar nicht gar ohne kindliche Furcht
waren, doch noch mehr in knechtiſcher Furcht
gehalten wurden. Und daher koͤmmt es denn,
daß durch das dem neuen Teſtamente entgegen
geſetzte alte Teſtament nebſt dem Levitiſchen Sa-
tzungs-Weſen hauptſaͤchlich auf das auf dem
Berge Sinai promulgirte Moral-Geſetz geſehen
wird; wie hier, alſo auch in dem Briefe an die
Galater und Hebraͤer.
5. Gleichwie nun in unſerm Texte das Amt
des neuen Teſtaments, oder ein Diener deſ-
ſelben ſeyn, ſo viel iſt, als das Evangelium von
CHriſto nach der neuen in der Erfuͤllung beſte-
henden Oeconomie verkuͤndigen: ſo iſt hingegen
das Amt des Buchſtabens fuͤhren, oder ein
Diener deſſelben ſeyn, ſo viel, als die Leute bey
dem Ceremonial-Geſetze alſo auf das Moral-Ge-
ſetze weiſen, daß ſie daſſelbe halten, und Vermoͤ-
ge ſolches demſelben geleiſteten Gehorſams ſelig
werden ſollen. Welches aber, da uns das Ge-
ſetz bey unſerm Unvermoͤgen zum Guten, und bey
dem beywohnenden ſo vielem Boͤſen, den Tod
draͤuet, unmoͤglich kan erhalten werden.
6. Wenn aber das alte Teſtament, da
man bey den ohne CHriſtum betrachteten Levi-
tiſchen Satzungen unter dem Fluche und Zwange
des Moral-Geſetzes ſtunde, das Amt des Buch-
ſtabens genennet wird, ſo wird damit geſehen
auf die Buchſtaben, mit welchen das Geſetz in die
ſteinern Tafeln verzeichnet ſtunde. Und da Buch-
ſtaben etwas nur bloß aͤuſſerliches ſind, ſo
wird mit dieſer Benennung zugleich auf alles
aͤuſſerliche Satzungs-Weſen, darinnen der Levi-
tiſche Gottes-Dienſt beſtunde, gewieſen. Wie
denn auch daher die ſchon laͤngſt vor dem promul-
girten Geſetz uͤbliche bloß aͤuſſerliche Beſchnei-
dung, im Gegenſatze auf die Beſchneidung des
Hertzens, eine Beſchneidung im Buchſtaben
genennet wird Rom. 2, 28. 29. Welchem Am-
te des Buchſtabens denn entgegen geſetzet wird
das Amt des Geiſtes, oder die Bedienung bey
und an dem Evangelio: als welches der Heilige
Geiſt gebrauchet, CHriſtum dadurch als einen
ſolchen Heiland zu verklaͤren, der uns von der
Suͤnden-Schuld, Herrſchaft und Strafe, und
folglich auch von dem Fluche und Zwange des
Geſetzes, und alſo nicht weniger auch vom geiſtli-
chen und ewigen Tode befreyet. Und das heißt
denn, daß der Geiſt lebendig machet. Und
eben dieſes verſtehet Paulus, wenn er Rom. 8, 2.
ſpricht: Das Geſetz (die angenommene Lehre,
oder Oeconomie) des Geiſtes, der da lebendig
machet in CHriſto JESU, hat mich frey
gemacht vom Geſetz der Suͤnden und des
Todes (von der uns beherrſchenden und aus dem
geiſtlichen zum ewigen Tode fuͤhrenden Suͤnde,
da das eigentliche Geſetz GOttes ſolche in uns
recht aufdecket, und uns den Tod daruͤber an-
draͤuet.)
7. Jm uͤbrigen iſt bey der Redens-Art:
der Buchſtabe toͤdtet, noch wohl zu mercken,
daß man dieſelbe, wie von etlichen geſchiehet,
nicht mißbrauchen muͤſſe zur Geringachtung
des uns in Schriften anvertraueten goͤttlichen
Worts, als ſey es nur ein todter Buchſtabe.
Denn ein anders iſt toͤdten, ein anders todt
ſeyn. Was toͤdtet, kan nicht todt ſeyn, ſondern
muß eine lebendige Kraft in ſich haben. Da nun
dieſes, ein toͤdtender Buchſtabe ſeyn, vom Geſetze
geſaget wird, und das Geſetz alſo ſelbſt nicht todt
iſt; wie koͤnte es denn von dem geſchriebenen
oder gedruckten goͤttlichen Worte uͤberhaupt,
und
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