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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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Gewohnheiten und Bedürfnisse von denen des Mannes ver-
schieden sind, wird sie nicht gerecht durch ihn vertreten, wurde
es nie und kann es und wird es nie werden. Je mehr Nach-
druck man auf die Tatsache der Geschlechtsverschiedenheit legt,
um so stärker wird unser Argument. Wenn der Weiße den
Neger nicht gerecht vertreten kann, wie unmöglich ist es dann,
daß ein Geschlecht für das andere in der Gesetzgebung eintritt.
Alle Theorien über Ritterlichkeit, Großmut und Stellvertretung
brechen vor der Tatsache zusammen, daß die Frauen von den
Männern auf das gröbste geschädigt worden sind."1) Wenn
Higginson diesen scharfen Ausdruck gebraucht, so will er damit
auf die direkten Benachteiligungen der Frau hinweisen, die sich
z. B. in den früheren Stadien der Ehegesetzgebung, in der
Regelung der Prostitution und auf manchen anderen Gebieten
finden. Aber wer will die Summe der feineren Schädigungen
bestimmen, die dadurch entstehen, daß der Mann Art und Maß
der Frauenbildung bestimmt, daß er in vielen anderen Lebens-
und Kulturfragen für sie, und mit unvollkommener Berück-
sichtigung ihres wahren Jnteresses, das er nicht kennt und nicht
nachempfinden kann, entscheidet.

Daß das von Männern übersehen wird, wäre weiter
nicht verwunderlich. Merkwürdig berührt es aber, wenn
Frauen - wie das in dem Programm der vielbesprochenen
englischen Antistimmrechtlerinnen geschieht - sich über diese
Tatsachen täuschen; doppelt seltsam in einem Staat mit so ein-
gebürgertem und intensivem parlamentarischen Leben wie
England. Zwar hatte sich früher schon einmal eine Anzahl
von Frauen zu einem Protest gegen das Frauenstimmrecht
zusammengetan; die Prüfung der Unterschriften zeigte, daß
sie meistens Schichten angehörten, qui se sont donne la peine
de naeitre
. Diesmal handelt es sich um eine Organisation, die

1) Diese Argumentation, die ja für alle Staatsformen Geltung hat;
habe ich schon in dem 1896 in der "Kosmopolis" erschienenen Aufsatz
"Frauenwahlrecht" herangezogen (als Separatdruck in der Broschüre:
"Jntellektuelle Grenzlinien zwischen Mann und Frau. Frauen-
wahlrecht
", bei W. Moeser, Berlin, 2. Aufl. 1899, erschienen).

Gewohnheiten und Bedürfnisse von denen des Mannes ver-
schieden sind, wird sie nicht gerecht durch ihn vertreten, wurde
es nie und kann es und wird es nie werden. Je mehr Nach-
druck man auf die Tatsache der Geschlechtsverschiedenheit legt,
um so stärker wird unser Argument. Wenn der Weiße den
Neger nicht gerecht vertreten kann, wie unmöglich ist es dann,
daß ein Geschlecht für das andere in der Gesetzgebung eintritt.
Alle Theorien über Ritterlichkeit, Großmut und Stellvertretung
brechen vor der Tatsache zusammen, daß die Frauen von den
Männern auf das gröbste geschädigt worden sind.“1) Wenn
Higginson diesen scharfen Ausdruck gebraucht, so will er damit
auf die direkten Benachteiligungen der Frau hinweisen, die sich
z. B. in den früheren Stadien der Ehegesetzgebung, in der
Regelung der Prostitution und auf manchen anderen Gebieten
finden. Aber wer will die Summe der feineren Schädigungen
bestimmen, die dadurch entstehen, daß der Mann Art und Maß
der Frauenbildung bestimmt, daß er in vielen anderen Lebens-
und Kulturfragen für sie, und mit unvollkommener Berück-
sichtigung ihres wahren Jnteresses, das er nicht kennt und nicht
nachempfinden kann, entscheidet.

Daß das von Männern übersehen wird, wäre weiter
nicht verwunderlich. Merkwürdig berührt es aber, wenn
Frauen – wie das in dem Programm der vielbesprochenen
englischen Antistimmrechtlerinnen geschieht – sich über diese
Tatsachen täuschen; doppelt seltsam in einem Staat mit so ein-
gebürgertem und intensivem parlamentarischen Leben wie
England. Zwar hatte sich früher schon einmal eine Anzahl
von Frauen zu einem Protest gegen das Frauenstimmrecht
zusammengetan; die Prüfung der Unterschriften zeigte, daß
sie meistens Schichten angehörten, qui se sont donné la peine
de naître
. Diesmal handelt es sich um eine Organisation, die

1) Diese Argumentation, die ja für alle Staatsformen Geltung hat;
habe ich schon in dem 1896 in der „Kosmopolis“ erschienenen Aufsatz
„Frauenwahlrecht“ herangezogen (als Separatdruck in der Broschüre:
Jntellektuelle Grenzlinien zwischen Mann und Frau. Frauen-
wahlrecht
“, bei W. Moeser, Berlin, 2. Aufl. 1899, erschienen).
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[14/0020] Gewohnheiten und Bedürfnisse von denen des Mannes ver- schieden sind, wird sie nicht gerecht durch ihn vertreten, wurde es nie und kann es und wird es nie werden. Je mehr Nach- druck man auf die Tatsache der Geschlechtsverschiedenheit legt, um so stärker wird unser Argument. Wenn der Weiße den Neger nicht gerecht vertreten kann, wie unmöglich ist es dann, daß ein Geschlecht für das andere in der Gesetzgebung eintritt. Alle Theorien über Ritterlichkeit, Großmut und Stellvertretung brechen vor der Tatsache zusammen, daß die Frauen von den Männern auf das gröbste geschädigt worden sind.“ 1) Wenn Higginson diesen scharfen Ausdruck gebraucht, so will er damit auf die direkten Benachteiligungen der Frau hinweisen, die sich z. B. in den früheren Stadien der Ehegesetzgebung, in der Regelung der Prostitution und auf manchen anderen Gebieten finden. Aber wer will die Summe der feineren Schädigungen bestimmen, die dadurch entstehen, daß der Mann Art und Maß der Frauenbildung bestimmt, daß er in vielen anderen Lebens- und Kulturfragen für sie, und mit unvollkommener Berück- sichtigung ihres wahren Jnteresses, das er nicht kennt und nicht nachempfinden kann, entscheidet. Daß das von Männern übersehen wird, wäre weiter nicht verwunderlich. Merkwürdig berührt es aber, wenn Frauen – wie das in dem Programm der vielbesprochenen englischen Antistimmrechtlerinnen geschieht – sich über diese Tatsachen täuschen; doppelt seltsam in einem Staat mit so ein- gebürgertem und intensivem parlamentarischen Leben wie England. Zwar hatte sich früher schon einmal eine Anzahl von Frauen zu einem Protest gegen das Frauenstimmrecht zusammengetan; die Prüfung der Unterschriften zeigte, daß sie meistens Schichten angehörten, qui se sont donné la peine de naître. Diesmal handelt es sich um eine Organisation, die 1) Diese Argumentation, die ja für alle Staatsformen Geltung hat; habe ich schon in dem 1896 in der „Kosmopolis“ erschienenen Aufsatz „Frauenwahlrecht“ herangezogen (als Separatdruck in der Broschüre: „Jntellektuelle Grenzlinien zwischen Mann und Frau. Frauen- wahlrecht“, bei W. Moeser, Berlin, 2. Aufl. 1899, erschienen).

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/20>, abgerufen am 27.11.2024.