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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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Kampfe um die höhere Mädchenbildung haben die Frauen keine
Partei für ihre Wünsche ganz zu gewinnen vermocht. Der
Liberalismus, bei dem sie als bei dem eigentlichen Träger
der großen Bildungsbewegungen in unserm Volk eine natür-
liche Bundesbrüderschaft hätten finden können, hat sich nur lau
für sie eingesetzt; ja, er hat es nicht gewagt, für die durch-
greifende Umgestaltung der höheren Mädchenschule zu einer
höheren Lehranstalt einzutreten, weil damit der Ausschluß der
Volksschullehrer von der Oberstufe notwendig geworden wäre
und weil man auf deren Wünsche im Liberalismus Rücksicht
zu nehmen hatte. Und ein ebenso schlagendes Beispiel dafür,
daß die Frauen nicht in der Lage sind, ihre Forderungen selbst
bei ihren Parteigenossen durchzusetzen, ist das Schicksal, das im
preußischen Landtag die Petition um die Eröffnung der höheren
Knabenschulen gehabt hat. Die gesamte deutsche Frauen-
bewegung von ihren radikalen Parteien bis hinüber zu dem
deutsch-evangelischen Frauenbund und der katholischen Frauen-
bewegung hat die Aufnahme von Mädchen in die höheren
Knabenschulen mindestens in eingeschränkter Form für
wünschenswert gehalten; durch die vereinigte Macht von Zentrum
und Konservatismus ist entgegen den Wünschen der Frauen in
der Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses Übergang
zur Tagesordnung über diesen Punkt beschlossen worden.
Wahrlich für uns, die wir es gewiß schon als eine unwürdige
Situation empfunden haben, wenn wir von einer Fraktion
zur andern mit Aufklärungs- und Überredungsversuchen uns
abmühten, ein schlagender Beweis, daß die Bitte "in einer
Frauenhand nicht mehr gewaltiger ist als Schwert und Waffe"
und daß wir um andere Mittel, unsere Wünsche zur Geltung
zu bringen, kämpfen müssen.

Und wie stark der Ausschluß von dem Bürgertum in Staat
und Gemeinde als ein Odium der Minderwertigkeit auf den
Frauen lastet, dafür konnte es kein besseres Beispiel geben, als
jener Aufruf, mit dem sich die Oberlehrer an den höheren
Mädchenschulen gegen die weibliche Leitung an Ministerium
und Abgeordnetenhaus gewandt haben. Man hält in unserem

Kampfe um die höhere Mädchenbildung haben die Frauen keine
Partei für ihre Wünsche ganz zu gewinnen vermocht. Der
Liberalismus, bei dem sie als bei dem eigentlichen Träger
der großen Bildungsbewegungen in unserm Volk eine natür-
liche Bundesbrüderschaft hätten finden können, hat sich nur lau
für sie eingesetzt; ja, er hat es nicht gewagt, für die durch-
greifende Umgestaltung der höheren Mädchenschule zu einer
höheren Lehranstalt einzutreten, weil damit der Ausschluß der
Volksschullehrer von der Oberstufe notwendig geworden wäre
und weil man auf deren Wünsche im Liberalismus Rücksicht
zu nehmen hatte. Und ein ebenso schlagendes Beispiel dafür,
daß die Frauen nicht in der Lage sind, ihre Forderungen selbst
bei ihren Parteigenossen durchzusetzen, ist das Schicksal, das im
preußischen Landtag die Petition um die Eröffnung der höheren
Knabenschulen gehabt hat. Die gesamte deutsche Frauen-
bewegung von ihren radikalen Parteien bis hinüber zu dem
deutsch-evangelischen Frauenbund und der katholischen Frauen-
bewegung hat die Aufnahme von Mädchen in die höheren
Knabenschulen mindestens in eingeschränkter Form für
wünschenswert gehalten; durch die vereinigte Macht von Zentrum
und Konservatismus ist entgegen den Wünschen der Frauen in
der Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses Übergang
zur Tagesordnung über diesen Punkt beschlossen worden.
Wahrlich für uns, die wir es gewiß schon als eine unwürdige
Situation empfunden haben, wenn wir von einer Fraktion
zur andern mit Aufklärungs- und Überredungsversuchen uns
abmühten, ein schlagender Beweis, daß die Bitte „in einer
Frauenhand nicht mehr gewaltiger ist als Schwert und Waffe“
und daß wir um andere Mittel, unsere Wünsche zur Geltung
zu bringen, kämpfen müssen.

Und wie stark der Ausschluß von dem Bürgertum in Staat
und Gemeinde als ein Odium der Minderwertigkeit auf den
Frauen lastet, dafür konnte es kein besseres Beispiel geben, als
jener Aufruf, mit dem sich die Oberlehrer an den höheren
Mädchenschulen gegen die weibliche Leitung an Ministerium
und Abgeordnetenhaus gewandt haben. Man hält in unserem

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[10/0016] Kampfe um die höhere Mädchenbildung haben die Frauen keine Partei für ihre Wünsche ganz zu gewinnen vermocht. Der Liberalismus, bei dem sie als bei dem eigentlichen Träger der großen Bildungsbewegungen in unserm Volk eine natür- liche Bundesbrüderschaft hätten finden können, hat sich nur lau für sie eingesetzt; ja, er hat es nicht gewagt, für die durch- greifende Umgestaltung der höheren Mädchenschule zu einer höheren Lehranstalt einzutreten, weil damit der Ausschluß der Volksschullehrer von der Oberstufe notwendig geworden wäre und weil man auf deren Wünsche im Liberalismus Rücksicht zu nehmen hatte. Und ein ebenso schlagendes Beispiel dafür, daß die Frauen nicht in der Lage sind, ihre Forderungen selbst bei ihren Parteigenossen durchzusetzen, ist das Schicksal, das im preußischen Landtag die Petition um die Eröffnung der höheren Knabenschulen gehabt hat. Die gesamte deutsche Frauen- bewegung von ihren radikalen Parteien bis hinüber zu dem deutsch-evangelischen Frauenbund und der katholischen Frauen- bewegung hat die Aufnahme von Mädchen in die höheren Knabenschulen mindestens in eingeschränkter Form für wünschenswert gehalten; durch die vereinigte Macht von Zentrum und Konservatismus ist entgegen den Wünschen der Frauen in der Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses Übergang zur Tagesordnung über diesen Punkt beschlossen worden. Wahrlich für uns, die wir es gewiß schon als eine unwürdige Situation empfunden haben, wenn wir von einer Fraktion zur andern mit Aufklärungs- und Überredungsversuchen uns abmühten, ein schlagender Beweis, daß die Bitte „in einer Frauenhand nicht mehr gewaltiger ist als Schwert und Waffe“ und daß wir um andere Mittel, unsere Wünsche zur Geltung zu bringen, kämpfen müssen. Und wie stark der Ausschluß von dem Bürgertum in Staat und Gemeinde als ein Odium der Minderwertigkeit auf den Frauen lastet, dafür konnte es kein besseres Beispiel geben, als jener Aufruf, mit dem sich die Oberlehrer an den höheren Mädchenschulen gegen die weibliche Leitung an Ministerium und Abgeordnetenhaus gewandt haben. Man hält in unserem

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-03-24T10:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-03-24T10:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/16>, abgerufen am 27.11.2024.