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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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lassen. Wie haarscharf würde man dem, der diese Meinung
ausspräche, nachweisen, daß Politik Jnteressenvertretung ist und
daß die sie bestimmenden Jnteressen im wesentlichen wirtschaft-
licher Natur sind. Man brauche ja nur einen einzigen Parla-
mentsbericht zu lesen, so würde man sagen, um zu wissen, wie
unauflöslich berufliche und politische Jnteressen aneinander ge-
knüpft sind, wie unmöglich die Aussonderung unpolitischer,
rein beruflicher Angelegenheiten aus der Welt des wirtschafts-
politischen Lebens ist.

Der 15. Mai 1908 hat die Auffassung des Grafen Posa-
dowsky in einem Punkte korrigiert. Die durch Schranken
abgesperrten Frauen bei politischen oder auch nur sozial-
politischen Verhandlungen, die das Ausland und gottlob!
schließlich auch das Jnland so erheiterten, gehören nun unter
die Kuriosa der Vergangenheit. Jn der Begründung zum
Reichsvereinsgesetz wird ausdrücklich zugestanden, "die Frauen,
die auf den selbständigen Erwerb ihres Lebensunterhaltes an-
gewiesen sind, haben durch ihre wirtschaftlichen auch politische
Jnteressen und müssen sich über diese auch in der Form von
Vereinen und Versammlungen verständigen können".

So weit hat also die Beweiskraft der Tatsachen gesiegt.

Nun ist es seltsam in der Geschichte der Frauen-
bewegung - oder vielleicht auch nicht seltsam; denn im Grunde
hat sie diesen Zug mit jeder geistigen, sozialen oder politischen
Bewegung gemeinsam - daß schwer errungene Rechte, die
zunächst absurd und ungeheuerlich erschienen, zu Selbst-
verständlichkeiten werden, wenn sie sich verwirklichen, und noch
mehr, wenn ihr Ursprung und der Kampf, der um sie geführt
worden ist, langsam in die Vergangenheit hinabsinkt. John
Stuart Mill hat einmal gesagt, daß jede Wahrheit, ehe sie
sich verwirkliche, drei Stadien durchzumachen hätte. Jm ersten
Stadium werde sie rundweg abgelehnt; im zweiten behaupte
man, sie widerstreite der Religion, und im dritten wolle sie
jeder schon längst anerkannt und selbstverständlich gefunden
haben. Das Wirkliche erscheint eben vernünftig. Um so hart-
näckiger aber wendet sich nun die Abwehr der Zukunft zu.

lassen. Wie haarscharf würde man dem, der diese Meinung
ausspräche, nachweisen, daß Politik Jnteressenvertretung ist und
daß die sie bestimmenden Jnteressen im wesentlichen wirtschaft-
licher Natur sind. Man brauche ja nur einen einzigen Parla-
mentsbericht zu lesen, so würde man sagen, um zu wissen, wie
unauflöslich berufliche und politische Jnteressen aneinander ge-
knüpft sind, wie unmöglich die Aussonderung unpolitischer,
rein beruflicher Angelegenheiten aus der Welt des wirtschafts-
politischen Lebens ist.

Der 15. Mai 1908 hat die Auffassung des Grafen Posa-
dowsky in einem Punkte korrigiert. Die durch Schranken
abgesperrten Frauen bei politischen oder auch nur sozial-
politischen Verhandlungen, die das Ausland und gottlob!
schließlich auch das Jnland so erheiterten, gehören nun unter
die Kuriosa der Vergangenheit. Jn der Begründung zum
Reichsvereinsgesetz wird ausdrücklich zugestanden, „die Frauen,
die auf den selbständigen Erwerb ihres Lebensunterhaltes an-
gewiesen sind, haben durch ihre wirtschaftlichen auch politische
Jnteressen und müssen sich über diese auch in der Form von
Vereinen und Versammlungen verständigen können“.

So weit hat also die Beweiskraft der Tatsachen gesiegt.

Nun ist es seltsam in der Geschichte der Frauen-
bewegung – oder vielleicht auch nicht seltsam; denn im Grunde
hat sie diesen Zug mit jeder geistigen, sozialen oder politischen
Bewegung gemeinsam – daß schwer errungene Rechte, die
zunächst absurd und ungeheuerlich erschienen, zu Selbst-
verständlichkeiten werden, wenn sie sich verwirklichen, und noch
mehr, wenn ihr Ursprung und der Kampf, der um sie geführt
worden ist, langsam in die Vergangenheit hinabsinkt. John
Stuart Mill hat einmal gesagt, daß jede Wahrheit, ehe sie
sich verwirkliche, drei Stadien durchzumachen hätte. Jm ersten
Stadium werde sie rundweg abgelehnt; im zweiten behaupte
man, sie widerstreite der Religion, und im dritten wolle sie
jeder schon längst anerkannt und selbstverständlich gefunden
haben. Das Wirkliche erscheint eben vernünftig. Um so hart-
näckiger aber wendet sich nun die Abwehr der Zukunft zu.

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[5/0011] lassen. Wie haarscharf würde man dem, der diese Meinung ausspräche, nachweisen, daß Politik Jnteressenvertretung ist und daß die sie bestimmenden Jnteressen im wesentlichen wirtschaft- licher Natur sind. Man brauche ja nur einen einzigen Parla- mentsbericht zu lesen, so würde man sagen, um zu wissen, wie unauflöslich berufliche und politische Jnteressen aneinander ge- knüpft sind, wie unmöglich die Aussonderung unpolitischer, rein beruflicher Angelegenheiten aus der Welt des wirtschafts- politischen Lebens ist. Der 15. Mai 1908 hat die Auffassung des Grafen Posa- dowsky in einem Punkte korrigiert. Die durch Schranken abgesperrten Frauen bei politischen oder auch nur sozial- politischen Verhandlungen, die das Ausland und gottlob! schließlich auch das Jnland so erheiterten, gehören nun unter die Kuriosa der Vergangenheit. Jn der Begründung zum Reichsvereinsgesetz wird ausdrücklich zugestanden, „die Frauen, die auf den selbständigen Erwerb ihres Lebensunterhaltes an- gewiesen sind, haben durch ihre wirtschaftlichen auch politische Jnteressen und müssen sich über diese auch in der Form von Vereinen und Versammlungen verständigen können“. So weit hat also die Beweiskraft der Tatsachen gesiegt. Nun ist es seltsam in der Geschichte der Frauen- bewegung – oder vielleicht auch nicht seltsam; denn im Grunde hat sie diesen Zug mit jeder geistigen, sozialen oder politischen Bewegung gemeinsam – daß schwer errungene Rechte, die zunächst absurd und ungeheuerlich erschienen, zu Selbst- verständlichkeiten werden, wenn sie sich verwirklichen, und noch mehr, wenn ihr Ursprung und der Kampf, der um sie geführt worden ist, langsam in die Vergangenheit hinabsinkt. John Stuart Mill hat einmal gesagt, daß jede Wahrheit, ehe sie sich verwirkliche, drei Stadien durchzumachen hätte. Jm ersten Stadium werde sie rundweg abgelehnt; im zweiten behaupte man, sie widerstreite der Religion, und im dritten wolle sie jeder schon längst anerkannt und selbstverständlich gefunden haben. Das Wirkliche erscheint eben vernünftig. Um so hart- näckiger aber wendet sich nun die Abwehr der Zukunft zu.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/11>, abgerufen am 24.11.2024.