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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von der Sprache als Zeichen betrachtet.
jeden kenntlichen Körper, der ihnen vorkam, die Hand-
lungen und kenntlichsten Arten der Veränderungen,
Modificationen und Verhältnisse mit beliebigen Na-
men,
als eben so vielen abgekürzten Zeichen, Vom
Ganzen giengen sie zu den größern, und von diesen zu
den kleinern Theilen desselben. Sie ließen unbestimmt,
wie weit man bey genauern Untersuchungen noch ge-
hen könne, und trieben z. E. die Benennung jeder Thei-
le des menschlichen Leibes nicht bis auf anatomische
Kleinigkeiten, und die microscopischen Entdeckungen
waren zur Zeit der aufkommenden Sprachen noch weit
außer dem Gesichtskreise der menschlichen Erkenntniß.

§. 124. Man sieht hieraus, daß die Sprache sich
mit der Erkenntniß erweitert, und immer ungefähr von
gleichem Umfange ist, und eben dieses erhellet auch aus
der oben erwiesenen Nothwendigkeit der symbolischen
Erkenntniß (§. 12.).

§. 125. Den Urhebern der Sprache verhalf die Na-
tur dazu, auf die erstbemeldte wirklich analytische Art
zu verfahren, weil sie ihnen eine Menge von bereits
schon vollendeten Ganzen
vor Augen legte, die sie
nicht erst aus unendlich vielen kleinen Theilen zusam-
menzusetzen, sondern als schon zusammengesetzt, und
in ihrer Art beständig, nur zu benennen hatten. Die
Nothwendigkeit, dabey anzufangen, war ebeufalls da,
weil die kleinsten Theile unempfindbar, ihre Anzahl zu
groß, das Bewußtseyn, ohne Zeichen zu gebrauchen,
zu verwirrt und zu flüchtig ist, und folglich immer et-
was hätte mit Zeichen benennt werden müssen. Aber
bey den kleinsten Theilen nicht anfangen können, will
sagen, genöthigt seyn, entweder von aller Bezeichnung
zu abstrahiren, oder bey dem Ganzen und seinen größern
und kenntlichern Theilen anzufangen. Und dabey müs-
sen wir es, sowohl in Ansehung der Zeichen als der

Be-
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Von der Sprache als Zeichen betrachtet.
jeden kenntlichen Koͤrper, der ihnen vorkam, die Hand-
lungen und kenntlichſten Arten der Veraͤnderungen,
Modificationen und Verhaͤltniſſe mit beliebigen Na-
men,
als eben ſo vielen abgekuͤrzten Zeichen, Vom
Ganzen giengen ſie zu den groͤßern, und von dieſen zu
den kleinern Theilen deſſelben. Sie ließen unbeſtimmt,
wie weit man bey genauern Unterſuchungen noch ge-
hen koͤnne, und trieben z. E. die Benennung jeder Thei-
le des menſchlichen Leibes nicht bis auf anatomiſche
Kleinigkeiten, und die microſcopiſchen Entdeckungen
waren zur Zeit der aufkommenden Sprachen noch weit
außer dem Geſichtskreiſe der menſchlichen Erkenntniß.

§. 124. Man ſieht hieraus, daß die Sprache ſich
mit der Erkenntniß erweitert, und immer ungefaͤhr von
gleichem Umfange iſt, und eben dieſes erhellet auch aus
der oben erwieſenen Nothwendigkeit der ſymboliſchen
Erkenntniß (§. 12.).

§. 125. Den Urhebern der Sprache verhalf die Na-
tur dazu, auf die erſtbemeldte wirklich analytiſche Art
zu verfahren, weil ſie ihnen eine Menge von bereits
ſchon vollendeten Ganzen
vor Augen legte, die ſie
nicht erſt aus unendlich vielen kleinen Theilen zuſam-
menzuſetzen, ſondern als ſchon zuſammengeſetzt, und
in ihrer Art beſtaͤndig, nur zu benennen hatten. Die
Nothwendigkeit, dabey anzufangen, war ebeufalls da,
weil die kleinſten Theile unempfindbar, ihre Anzahl zu
groß, das Bewußtſeyn, ohne Zeichen zu gebrauchen,
zu verwirrt und zu fluͤchtig iſt, und folglich immer et-
was haͤtte mit Zeichen benennt werden muͤſſen. Aber
bey den kleinſten Theilen nicht anfangen koͤnnen, will
ſagen, genoͤthigt ſeyn, entweder von aller Bezeichnung
zu abſtrahiren, oder bey dem Ganzen und ſeinen groͤßern
und kenntlichern Theilen anzufangen. Und dabey muͤſ-
ſen wir es, ſowohl in Anſehung der Zeichen als der

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[73/0079] Von der Sprache als Zeichen betrachtet. jeden kenntlichen Koͤrper, der ihnen vorkam, die Hand- lungen und kenntlichſten Arten der Veraͤnderungen, Modificationen und Verhaͤltniſſe mit beliebigen Na- men, als eben ſo vielen abgekuͤrzten Zeichen, Vom Ganzen giengen ſie zu den groͤßern, und von dieſen zu den kleinern Theilen deſſelben. Sie ließen unbeſtimmt, wie weit man bey genauern Unterſuchungen noch ge- hen koͤnne, und trieben z. E. die Benennung jeder Thei- le des menſchlichen Leibes nicht bis auf anatomiſche Kleinigkeiten, und die microſcopiſchen Entdeckungen waren zur Zeit der aufkommenden Sprachen noch weit außer dem Geſichtskreiſe der menſchlichen Erkenntniß. §. 124. Man ſieht hieraus, daß die Sprache ſich mit der Erkenntniß erweitert, und immer ungefaͤhr von gleichem Umfange iſt, und eben dieſes erhellet auch aus der oben erwieſenen Nothwendigkeit der ſymboliſchen Erkenntniß (§. 12.). §. 125. Den Urhebern der Sprache verhalf die Na- tur dazu, auf die erſtbemeldte wirklich analytiſche Art zu verfahren, weil ſie ihnen eine Menge von bereits ſchon vollendeten Ganzen vor Augen legte, die ſie nicht erſt aus unendlich vielen kleinen Theilen zuſam- menzuſetzen, ſondern als ſchon zuſammengeſetzt, und in ihrer Art beſtaͤndig, nur zu benennen hatten. Die Nothwendigkeit, dabey anzufangen, war ebeufalls da, weil die kleinſten Theile unempfindbar, ihre Anzahl zu groß, das Bewußtſeyn, ohne Zeichen zu gebrauchen, zu verwirrt und zu fluͤchtig iſt, und folglich immer et- was haͤtte mit Zeichen benennt werden muͤſſen. Aber bey den kleinſten Theilen nicht anfangen koͤnnen, will ſagen, genoͤthigt ſeyn, entweder von aller Bezeichnung zu abſtrahiren, oder bey dem Ganzen und ſeinen groͤßern und kenntlichern Theilen anzufangen. Und dabey muͤſ- ſen wir es, ſowohl in Anſehung der Zeichen als der Be- E 5

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/79>, abgerufen am 23.11.2024.