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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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III. Hauptstück.
daß es in den Sprachen Wörter giebt, deren buchstäb-
liche Bedeutung mit der Sache nicht überein kömmt,
und folglich nur nach dem Sinn oder Gedenkensart ih-
res Urhebers erklärt werden muß, der Sache selbst aber
kein Licht giebt.

§. 113. Bey dem Ursprunge der wirklichen Spra-
chen findet sich in Ansehung der erst gemachten Anmer-
kungen noch verschiedenes, welches eine besondere Be-
trachtung verdient. Sie sind allerdings nicht wissen-
schaftlich erfunden worden, und die Geschichte, wie sie
in der heil. Schrift vorgestellt wird, nennet den Ur-
sprung der verschiedenen oder mehreren Sprachen,
die in der Welt sind, eine Verwirrung, die dem
Thurmbaue zu Babel ein Ende machte, und, als eine
nothwendigere Wirkung, die Vertheilung der Menschen
auf der Erdfläche hervorbrachte.

§. 114. Jndessen, wie auch immer diese Verwir-
rung ihren Einfluß in den Ursprung der Sprachen mag
gehabt haben, so können wir überhaupt dennoch zum
Behufe des Metaphysischen und Allgemeinen, so in den
Sprachen ist, zum Grunde setzen, daß, ungeacht eine
wissenschaftliche Sprache regelmäßiger wäre, und allge-
meinere Möglichkeiten hätte, als die wirklichen, diese
letztern dennoch nicht so beschaffen sind, daß sie an sich
nicht hätten entstehen können.

§. 115. Auf diese Art sieht man es z. E. als eine be-
trächtliche Schwierigkeit für den Erfinder der Schrif-
ten an, daß er in den Wörtern nicht nur die Sylben,
sondern auch in diesen noch die Buchstaben unterschei-
den, und dabey bemerken mußte, daß ihre Anzahl gar
nicht groß sey, und auch nach dieser Bemerkung war es
noch nicht so leicht, die einfachen Laute genau zu bemer-
ken und auszulesen, und besonders die Vocalen von den
Consonanten zu trennen. Jn der Chinesischen Schrift
kömmt eine solche Anatomie der Rede gar nicht vor.

Jn

III. Hauptſtuͤck.
daß es in den Sprachen Woͤrter giebt, deren buchſtaͤb-
liche Bedeutung mit der Sache nicht uͤberein koͤmmt,
und folglich nur nach dem Sinn oder Gedenkensart ih-
res Urhebers erklaͤrt werden muß, der Sache ſelbſt aber
kein Licht giebt.

§. 113. Bey dem Urſprunge der wirklichen Spra-
chen findet ſich in Anſehung der erſt gemachten Anmer-
kungen noch verſchiedenes, welches eine beſondere Be-
trachtung verdient. Sie ſind allerdings nicht wiſſen-
ſchaftlich erfunden worden, und die Geſchichte, wie ſie
in der heil. Schrift vorgeſtellt wird, nennet den Ur-
ſprung der verſchiedenen oder mehreren Sprachen,
die in der Welt ſind, eine Verwirrung, die dem
Thurmbaue zu Babel ein Ende machte, und, als eine
nothwendigere Wirkung, die Vertheilung der Menſchen
auf der Erdflaͤche hervorbrachte.

§. 114. Jndeſſen, wie auch immer dieſe Verwir-
rung ihren Einfluß in den Urſprung der Sprachen mag
gehabt haben, ſo koͤnnen wir uͤberhaupt dennoch zum
Behufe des Metaphyſiſchen und Allgemeinen, ſo in den
Sprachen iſt, zum Grunde ſetzen, daß, ungeacht eine
wiſſenſchaftliche Sprache regelmaͤßiger waͤre, und allge-
meinere Moͤglichkeiten haͤtte, als die wirklichen, dieſe
letztern dennoch nicht ſo beſchaffen ſind, daß ſie an ſich
nicht haͤtten entſtehen koͤnnen.

§. 115. Auf dieſe Art ſieht man es z. E. als eine be-
traͤchtliche Schwierigkeit fuͤr den Erfinder der Schrif-
ten an, daß er in den Woͤrtern nicht nur die Sylben,
ſondern auch in dieſen noch die Buchſtaben unterſchei-
den, und dabey bemerken mußte, daß ihre Anzahl gar
nicht groß ſey, und auch nach dieſer Bemerkung war es
noch nicht ſo leicht, die einfachen Laute genau zu bemer-
ken und auszuleſen, und beſonders die Vocalen von den
Conſonanten zu trennen. Jn der Chineſiſchen Schrift
koͤmmt eine ſolche Anatomie der Rede gar nicht vor.

Jn
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[68/0074] III. Hauptſtuͤck. daß es in den Sprachen Woͤrter giebt, deren buchſtaͤb- liche Bedeutung mit der Sache nicht uͤberein koͤmmt, und folglich nur nach dem Sinn oder Gedenkensart ih- res Urhebers erklaͤrt werden muß, der Sache ſelbſt aber kein Licht giebt. §. 113. Bey dem Urſprunge der wirklichen Spra- chen findet ſich in Anſehung der erſt gemachten Anmer- kungen noch verſchiedenes, welches eine beſondere Be- trachtung verdient. Sie ſind allerdings nicht wiſſen- ſchaftlich erfunden worden, und die Geſchichte, wie ſie in der heil. Schrift vorgeſtellt wird, nennet den Ur- ſprung der verſchiedenen oder mehreren Sprachen, die in der Welt ſind, eine Verwirrung, die dem Thurmbaue zu Babel ein Ende machte, und, als eine nothwendigere Wirkung, die Vertheilung der Menſchen auf der Erdflaͤche hervorbrachte. §. 114. Jndeſſen, wie auch immer dieſe Verwir- rung ihren Einfluß in den Urſprung der Sprachen mag gehabt haben, ſo koͤnnen wir uͤberhaupt dennoch zum Behufe des Metaphyſiſchen und Allgemeinen, ſo in den Sprachen iſt, zum Grunde ſetzen, daß, ungeacht eine wiſſenſchaftliche Sprache regelmaͤßiger waͤre, und allge- meinere Moͤglichkeiten haͤtte, als die wirklichen, dieſe letztern dennoch nicht ſo beſchaffen ſind, daß ſie an ſich nicht haͤtten entſtehen koͤnnen. §. 115. Auf dieſe Art ſieht man es z. E. als eine be- traͤchtliche Schwierigkeit fuͤr den Erfinder der Schrif- ten an, daß er in den Woͤrtern nicht nur die Sylben, ſondern auch in dieſen noch die Buchſtaben unterſchei- den, und dabey bemerken mußte, daß ihre Anzahl gar nicht groß ſey, und auch nach dieſer Bemerkung war es noch nicht ſo leicht, die einfachen Laute genau zu bemer- ken und auszuleſen, und beſonders die Vocalen von den Conſonanten zu trennen. Jn der Chineſiſchen Schrift koͤmmt eine ſolche Anatomie der Rede gar nicht vor. Jn

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/74>, abgerufen am 23.11.2024.