auch in Ansehung der deutschen Cursivschrift meines Wissens am besten Genüge geleistet, weil er viele übel in das Auge fallende Ecken und unnöthige Züge schick- lich abgeründet, und den Buchstaben des geschriebenen kleinern Alphabets eine solche Symmetrie gegeben, daß sie nur aus der Zusammensetzung weniger einfachen und nach dem Zuge der Feder eingerichteten Züge be- stehen, und die meisten Buchstaben umgekehrt wieder- um Buchstaben vorstellen.
§. 96a. Jn so ferne die Buchstaben und überhaupt jede geschriebene Zeichen der Wörter Figuren sind, so ferne ist es auch an sich möglich, daß sie als Figuren eine Bedeutung haben, welche wesentlich seyn, und sich auf die Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Sache und das Zeichen macht, gründen kann (§. 46. Alethiol.). Ob Leibniz Zeichen von dieser Art durch seine allgemeine Zeichenkunst verstanden habe, können wir hier dahinge- stellt seyn lassen. Wir müssen aber anmerken, daß, da uns die Rede immer unentbehrlich bleiben wird (§. 14. 15.), auch die einfachsten Zeichen der Buchsta- ben und einfachen Laute von gleicher Nothwendigkeit bleiben werden, weil sie dazu dienen, daß wir die Rede vor Augen malen, und weil man außer dem Alphabet keinen kürzern Schlüssel zur Zeichnung der Rede wird finden können. Die Wörter müssen demnach schon in der Rede bedeutend seyn, wenn sie es je in einem hö- hern Grade sollen werden können, und die Verschieden- heit der geschriebenen Alphabete mag höchstens nur zu gewissen allgemeinen Absichten dienen. Wir werden unten Anlaß haben, diese Anmerkung genauer zu er- wegen.
§. 97. Die Orthographie ist die Anweisung, die Wörter richtig zu schreiben. Sie würde auf einer ei- nigen Regel beruhen, daß man nämlich jeden Buchstab, den man in der deutlichen Ausspra-
che
Von der Sprache an ſich betrachtet
auch in Anſehung der deutſchen Curſivſchrift meines Wiſſens am beſten Genuͤge geleiſtet, weil er viele uͤbel in das Auge fallende Ecken und unnoͤthige Zuͤge ſchick- lich abgeruͤndet, und den Buchſtaben des geſchriebenen kleinern Alphabets eine ſolche Symmetrie gegeben, daß ſie nur aus der Zuſammenſetzung weniger einfachen und nach dem Zuge der Feder eingerichteten Zuͤge be- ſtehen, und die meiſten Buchſtaben umgekehrt wieder- um Buchſtaben vorſtellen.
§. 96a. Jn ſo ferne die Buchſtaben und uͤberhaupt jede geſchriebene Zeichen der Woͤrter Figuren ſind, ſo ferne iſt es auch an ſich moͤglich, daß ſie als Figuren eine Bedeutung haben, welche weſentlich ſeyn, und ſich auf die Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Sache und das Zeichen macht, gruͤnden kann (§. 46. Alethiol.). Ob Leibniz Zeichen von dieſer Art durch ſeine allgemeine Zeichenkunſt verſtanden habe, koͤnnen wir hier dahinge- ſtellt ſeyn laſſen. Wir muͤſſen aber anmerken, daß, da uns die Rede immer unentbehrlich bleiben wird (§. 14. 15.), auch die einfachſten Zeichen der Buchſta- ben und einfachen Laute von gleicher Nothwendigkeit bleiben werden, weil ſie dazu dienen, daß wir die Rede vor Augen malen, und weil man außer dem Alphabet keinen kuͤrzern Schluͤſſel zur Zeichnung der Rede wird finden koͤnnen. Die Woͤrter muͤſſen demnach ſchon in der Rede bedeutend ſeyn, wenn ſie es je in einem hoͤ- hern Grade ſollen werden koͤnnen, und die Verſchieden- heit der geſchriebenen Alphabete mag hoͤchſtens nur zu gewiſſen allgemeinen Abſichten dienen. Wir werden unten Anlaß haben, dieſe Anmerkung genauer zu er- wegen.
§. 97. Die Orthographie iſt die Anweiſung, die Woͤrter richtig zu ſchreiben. Sie wuͤrde auf einer ei- nigen Regel beruhen, daß man naͤmlich jeden Buchſtab, den man in der deutlichen Ausſpra-
che
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0065"n="59"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von der Sprache an ſich betrachtet</hi></fw><lb/>
auch in Anſehung der deutſchen Curſivſchrift meines<lb/>
Wiſſens am beſten Genuͤge geleiſtet, weil er viele uͤbel<lb/>
in das Auge fallende Ecken und unnoͤthige Zuͤge ſchick-<lb/>
lich abgeruͤndet, und den Buchſtaben des geſchriebenen<lb/>
kleinern Alphabets eine ſolche Symmetrie gegeben, daß<lb/>ſie nur aus der Zuſammenſetzung weniger einfachen<lb/>
und nach dem Zuge der Feder eingerichteten Zuͤge be-<lb/>ſtehen, und die meiſten Buchſtaben umgekehrt wieder-<lb/>
um Buchſtaben vorſtellen.</p><lb/><p>§. 96<hirendition="#sup"><hirendition="#aq">a</hi></hi>. Jn ſo ferne die Buchſtaben und uͤberhaupt<lb/>
jede geſchriebene Zeichen der Woͤrter <hirendition="#fr">Figuren</hi>ſind, ſo<lb/>
ferne iſt es auch an ſich moͤglich, daß ſie als Figuren<lb/>
eine Bedeutung haben, welche weſentlich ſeyn, und ſich<lb/>
auf die Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Sache und<lb/>
das Zeichen macht, gruͤnden kann (§. 46. Alethiol.). Ob<lb/><hirendition="#fr">Leibniz</hi> Zeichen von dieſer Art durch ſeine allgemeine<lb/>
Zeichenkunſt verſtanden habe, koͤnnen wir hier dahinge-<lb/>ſtellt ſeyn laſſen. Wir muͤſſen aber anmerken, daß,<lb/>
da uns die Rede immer unentbehrlich bleiben wird<lb/>
(§. 14. 15.), auch die einfachſten Zeichen der Buchſta-<lb/>
ben und einfachen Laute von gleicher Nothwendigkeit<lb/>
bleiben werden, weil ſie dazu dienen, daß wir die Rede<lb/>
vor Augen malen, und weil man außer dem Alphabet<lb/>
keinen kuͤrzern Schluͤſſel zur Zeichnung der Rede wird<lb/>
finden koͤnnen. Die Woͤrter muͤſſen demnach ſchon in<lb/>
der Rede bedeutend ſeyn, wenn ſie es je in einem hoͤ-<lb/>
hern Grade ſollen werden koͤnnen, und die Verſchieden-<lb/>
heit der geſchriebenen Alphabete mag hoͤchſtens nur zu<lb/>
gewiſſen allgemeinen Abſichten dienen. Wir werden<lb/>
unten Anlaß haben, dieſe Anmerkung genauer zu er-<lb/>
wegen.</p><lb/><p>§. 97. Die <hirendition="#fr">Orthographie</hi> iſt die Anweiſung, die<lb/>
Woͤrter richtig zu ſchreiben. Sie wuͤrde auf einer ei-<lb/>
nigen Regel beruhen, <hirendition="#fr">daß man naͤmlich jeden<lb/>
Buchſtab, den man in der deutlichen Ausſpra-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">che</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[59/0065]
Von der Sprache an ſich betrachtet
auch in Anſehung der deutſchen Curſivſchrift meines
Wiſſens am beſten Genuͤge geleiſtet, weil er viele uͤbel
in das Auge fallende Ecken und unnoͤthige Zuͤge ſchick-
lich abgeruͤndet, und den Buchſtaben des geſchriebenen
kleinern Alphabets eine ſolche Symmetrie gegeben, daß
ſie nur aus der Zuſammenſetzung weniger einfachen
und nach dem Zuge der Feder eingerichteten Zuͤge be-
ſtehen, und die meiſten Buchſtaben umgekehrt wieder-
um Buchſtaben vorſtellen.
§. 96a. Jn ſo ferne die Buchſtaben und uͤberhaupt
jede geſchriebene Zeichen der Woͤrter Figuren ſind, ſo
ferne iſt es auch an ſich moͤglich, daß ſie als Figuren
eine Bedeutung haben, welche weſentlich ſeyn, und ſich
auf die Aehnlichkeit des Eindruckes, den die Sache und
das Zeichen macht, gruͤnden kann (§. 46. Alethiol.). Ob
Leibniz Zeichen von dieſer Art durch ſeine allgemeine
Zeichenkunſt verſtanden habe, koͤnnen wir hier dahinge-
ſtellt ſeyn laſſen. Wir muͤſſen aber anmerken, daß,
da uns die Rede immer unentbehrlich bleiben wird
(§. 14. 15.), auch die einfachſten Zeichen der Buchſta-
ben und einfachen Laute von gleicher Nothwendigkeit
bleiben werden, weil ſie dazu dienen, daß wir die Rede
vor Augen malen, und weil man außer dem Alphabet
keinen kuͤrzern Schluͤſſel zur Zeichnung der Rede wird
finden koͤnnen. Die Woͤrter muͤſſen demnach ſchon in
der Rede bedeutend ſeyn, wenn ſie es je in einem hoͤ-
hern Grade ſollen werden koͤnnen, und die Verſchieden-
heit der geſchriebenen Alphabete mag hoͤchſtens nur zu
gewiſſen allgemeinen Abſichten dienen. Wir werden
unten Anlaß haben, dieſe Anmerkung genauer zu er-
wegen.
§. 97. Die Orthographie iſt die Anweiſung, die
Woͤrter richtig zu ſchreiben. Sie wuͤrde auf einer ei-
nigen Regel beruhen, daß man naͤmlich jeden
Buchſtab, den man in der deutlichen Ausſpra-
che
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/65>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.