können wir füglicher derjenigen Gewißheit geben, die bey Argumenten statt haben kann, wenn diese an sich zwar zureichend sind, aber ohne Auswahl aufgehäuft werden. Die moralische Gewißheit mag nach die- ser Aussonderung der übrigen Arten, da vorkommen, wo die Gründe und Argumente für den Willen oder von dem Willen hergenommen sind (§. 229. 230.).
§. 265. Diese verschiedenen Arten der Gewißheit kommen nun nicht immer einzeln, sondern mehrentheils vermischt vor, und öfters läßt sich eine in die andere verwandeln, wie es aus den vorhin (§. 255.) angeführ- ten Beyspielen erhellet. Da es besonders um die tu- multuarische Gewißheit sehr mißlich aussieht, so ha- ben wir uns in diesem ganzen Hauptstücke angelegen seyn lassen, zu zeigen, wie sie durch eine schickliche Aus- wahl und Vergleichung der Argumente ins Reine ge- bracht werden könne, und eine logische Gestalt bekom- me. Sodann ist es für sich klar, daß, wo die histo- rische Gewißheit in eine physische, und auch diese in eine geometrische verwandelt werden kann, man da- bey allerdings gewinne (§. 258.). Dieß ist auch der Grund, warum die Mathematiker in der angewandten Mathesi, wo sie Erfahrungen und Nachrichten gebrau- chen, sich die Mühe geben, alle Sätze, die aus bloß geometrischen Gründen a priori erweisbar sind, in Form von Lehnsätzen vorzutragen, und daß auf glei- che Art auch mehrere logische Lehnsätze zu wünschen wären (§. 180.), weil man auf diese Art alle allgemeine und im strengsten Verstande a priori erweisbare Ver- hältnisse der Wahrheiten von Erfahrung und Nachrich- ten unabhängig, und zugleich allgemeiner anwendbar machen würde. Da ferner das, so man a priori er- weisen kann, auf einfachen und für sich gedenkbaren Begriffen beruht, so hat man die Vorstellung der Sa- che und ihre Erneuerung immer in seiner Gewalt.
Hinge-
V. Hauptſtuͤck.
koͤnnen wir fuͤglicher derjenigen Gewißheit geben, die bey Argumenten ſtatt haben kann, wenn dieſe an ſich zwar zureichend ſind, aber ohne Auswahl aufgehaͤuft werden. Die moraliſche Gewißheit mag nach die- ſer Ausſonderung der uͤbrigen Arten, da vorkommen, wo die Gruͤnde und Argumente fuͤr den Willen oder von dem Willen hergenommen ſind (§. 229. 230.).
§. 265. Dieſe verſchiedenen Arten der Gewißheit kommen nun nicht immer einzeln, ſondern mehrentheils vermiſcht vor, und oͤfters laͤßt ſich eine in die andere verwandeln, wie es aus den vorhin (§. 255.) angefuͤhr- ten Beyſpielen erhellet. Da es beſonders um die tu- multuariſche Gewißheit ſehr mißlich ausſieht, ſo ha- ben wir uns in dieſem ganzen Hauptſtuͤcke angelegen ſeyn laſſen, zu zeigen, wie ſie durch eine ſchickliche Aus- wahl und Vergleichung der Argumente ins Reine ge- bracht werden koͤnne, und eine logiſche Geſtalt bekom- me. Sodann iſt es fuͤr ſich klar, daß, wo die hiſto- riſche Gewißheit in eine phyſiſche, und auch dieſe in eine geometriſche verwandelt werden kann, man da- bey allerdings gewinne (§. 258.). Dieß iſt auch der Grund, warum die Mathematiker in der angewandten Matheſi, wo ſie Erfahrungen und Nachrichten gebrau- chen, ſich die Muͤhe geben, alle Saͤtze, die aus bloß geometriſchen Gruͤnden a priori erweisbar ſind, in Form von Lehnſaͤtzen vorzutragen, und daß auf glei- che Art auch mehrere logiſche Lehnſaͤtze zu wuͤnſchen waͤren (§. 180.), weil man auf dieſe Art alle allgemeine und im ſtrengſten Verſtande a priori erweisbare Ver- haͤltniſſe der Wahrheiten von Erfahrung und Nachrich- ten unabhaͤngig, und zugleich allgemeiner anwendbar machen wuͤrde. Da ferner das, ſo man a priori er- weiſen kann, auf einfachen und fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen beruht, ſo hat man die Vorſtellung der Sa- che und ihre Erneuerung immer in ſeiner Gewalt.
Hinge-
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V. Hauptſtuͤck.
koͤnnen wir fuͤglicher derjenigen Gewißheit geben, die
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werden. Die moraliſche Gewißheit mag nach die-
ſer Ausſonderung der uͤbrigen Arten, da vorkommen,
wo die Gruͤnde und Argumente fuͤr den Willen oder
von dem Willen hergenommen ſind (§. 229. 230.).
§. 265. Dieſe verſchiedenen Arten der Gewißheit
kommen nun nicht immer einzeln, ſondern mehrentheils
vermiſcht vor, und oͤfters laͤßt ſich eine in die andere
verwandeln, wie es aus den vorhin (§. 255.) angefuͤhr-
ten Beyſpielen erhellet. Da es beſonders um die tu-
multuariſche Gewißheit ſehr mißlich ausſieht, ſo ha-
ben wir uns in dieſem ganzen Hauptſtuͤcke angelegen
ſeyn laſſen, zu zeigen, wie ſie durch eine ſchickliche Aus-
wahl und Vergleichung der Argumente ins Reine ge-
bracht werden koͤnne, und eine logiſche Geſtalt bekom-
me. Sodann iſt es fuͤr ſich klar, daß, wo die hiſto-
riſche Gewißheit in eine phyſiſche, und auch dieſe in
eine geometriſche verwandelt werden kann, man da-
bey allerdings gewinne (§. 258.). Dieß iſt auch der
Grund, warum die Mathematiker in der angewandten
Matheſi, wo ſie Erfahrungen und Nachrichten gebrau-
chen, ſich die Muͤhe geben, alle Saͤtze, die aus bloß
geometriſchen Gruͤnden a priori erweisbar ſind, in
Form von Lehnſaͤtzen vorzutragen, und daß auf glei-
che Art auch mehrere logiſche Lehnſaͤtze zu wuͤnſchen
waͤren (§. 180.), weil man auf dieſe Art alle allgemeine
und im ſtrengſten Verſtande a priori erweisbare Ver-
haͤltniſſe der Wahrheiten von Erfahrung und Nachrich-
ten unabhaͤngig, und zugleich allgemeiner anwendbar
machen wuͤrde. Da ferner das, ſo man a priori er-
weiſen kann, auf einfachen und fuͤr ſich gedenkbaren
Begriffen beruht, ſo hat man die Vorſtellung der Sa-
che und ihre Erneuerung immer in ſeiner Gewalt.
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/426>, abgerufen am 19.07.2024.
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