nicht irren, und daß sie uns das, worinn sie nicht irren, wirklich sagen, oder daß sie sich in dem, was sie uns sa- gen, nicht irren. Dieses nicht irren setzt nun alle- mal eine von den vorhergehenden Arten der Gewißheit bey demjenigen voraus, auf dessen Wort hin wir die Aussage glauben sollen. Er muß die Sache ent- weder durch Demonstrationen, oder durch unmit- telbare Empfindungen, oder durch beyde zusam- mengenommen, gewiß wissen. Und wir müssen ver- sichert seyn, daß er sie auf eine von diesen Arten weiß, und uns nicht etwas anders sage.
§. 257. Hiebey ist nun für sich klar, daß, so oft wir selbst auf eben die Art zur unmittelbaren Gewißheit gelangen können, wie der dazu gelangt ist, von dem wir die Nachricht haben, wir der Gewißheit, die schlechthin auf desselben Glaubwürdigkeit beruht, eben nicht noth- wendig bedürfen, weil diese nur mittelbar ist. So sind wir z. E. berechtigt, von der Allgemeinheit ei- nes jeden Satzes einen Beweis zu fordern. Denn der, so uns einen solchen Satz vorgiebt, muß sich selbst durch Gründe von dessen Allgemeinheit versichern, weil Em- pfindungen individual sind. So können wir auch jede Empfindung, die sich erneuern läßt, wiederholen, um uns von der Wahrheit der Aussage, worinn von solchen Empfindungen die Rede ist, unmittelbar selbst zu ver- sichern. Auf eine ähnliche Art ist es uns oft auch mög- lich, von dem, was vorgegangen seyn soll, die Gründe und Folgen aufzusuchen, und uns aus diesen von der Wahrheit der Nachricht zu versichern (Dianoiol. §. 562. 563.). Hingegen wenn uns jemand sagt, daß er die- ses oder jenes denke, so wissen wir zwar, daß er es denkt, alldieweil er es sagt, daß er es aber als wahr denke oder es selbst glaube, zumal wenn es uns unglaublich vorkömmt, davon können wir keine so unmittelbare Ver- sicherung haben, und öfters giebt es Mühe, davon ge-
wiß
Von dem Wahrſcheinlichen.
nicht irren, und daß ſie uns das, worinn ſie nicht irren, wirklich ſagen, oder daß ſie ſich in dem, was ſie uns ſa- gen, nicht irren. Dieſes nicht irren ſetzt nun alle- mal eine von den vorhergehenden Arten der Gewißheit bey demjenigen voraus, auf deſſen Wort hin wir die Ausſage glauben ſollen. Er muß die Sache ent- weder durch Demonſtrationen, oder durch unmit- telbare Empfindungen, oder durch beyde zuſam- mengenommen, gewiß wiſſen. Und wir muͤſſen ver- ſichert ſeyn, daß er ſie auf eine von dieſen Arten weiß, und uns nicht etwas anders ſage.
§. 257. Hiebey iſt nun fuͤr ſich klar, daß, ſo oft wir ſelbſt auf eben die Art zur unmittelbaren Gewißheit gelangen koͤnnen, wie der dazu gelangt iſt, von dem wir die Nachricht haben, wir der Gewißheit, die ſchlechthin auf deſſelben Glaubwuͤrdigkeit beruht, eben nicht noth- wendig beduͤrfen, weil dieſe nur mittelbar iſt. So ſind wir z. E. berechtigt, von der Allgemeinheit ei- nes jeden Satzes einen Beweis zu fordern. Denn der, ſo uns einen ſolchen Satz vorgiebt, muß ſich ſelbſt durch Gruͤnde von deſſen Allgemeinheit verſichern, weil Em- pfindungen individual ſind. So koͤnnen wir auch jede Empfindung, die ſich erneuern laͤßt, wiederholen, um uns von der Wahrheit der Ausſage, worinn von ſolchen Empfindungen die Rede iſt, unmittelbar ſelbſt zu ver- ſichern. Auf eine aͤhnliche Art iſt es uns oft auch moͤg- lich, von dem, was vorgegangen ſeyn ſoll, die Gruͤnde und Folgen aufzuſuchen, und uns aus dieſen von der Wahrheit der Nachricht zu verſichern (Dianoiol. §. 562. 563.). Hingegen wenn uns jemand ſagt, daß er die- ſes oder jenes denke, ſo wiſſen wir zwar, daß er es denkt, alldieweil er es ſagt, daß er es aber als wahr denke oder es ſelbſt glaube, zumal wenn es uns unglaublich vorkoͤmmt, davon koͤnnen wir keine ſo unmittelbare Ver- ſicherung haben, und oͤfters giebt es Muͤhe, davon ge-
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Von dem Wahrſcheinlichen.
nicht irren, und daß ſie uns das, worinn ſie nicht irren,
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gen, nicht irren. Dieſes nicht irren ſetzt nun alle-
mal eine von den vorhergehenden Arten der Gewißheit
bey demjenigen voraus, auf deſſen Wort hin wir
die Ausſage glauben ſollen. Er muß die Sache ent-
weder durch Demonſtrationen, oder durch unmit-
telbare Empfindungen, oder durch beyde zuſam-
mengenommen, gewiß wiſſen. Und wir muͤſſen ver-
ſichert ſeyn, daß er ſie auf eine von dieſen Arten weiß,
und uns nicht etwas anders ſage.
§. 257. Hiebey iſt nun fuͤr ſich klar, daß, ſo oft wir
ſelbſt auf eben die Art zur unmittelbaren Gewißheit
gelangen koͤnnen, wie der dazu gelangt iſt, von dem wir
die Nachricht haben, wir der Gewißheit, die ſchlechthin
auf deſſelben Glaubwuͤrdigkeit beruht, eben nicht noth-
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ſind wir z. E. berechtigt, von der Allgemeinheit ei-
nes jeden Satzes einen Beweis zu fordern. Denn der,
ſo uns einen ſolchen Satz vorgiebt, muß ſich ſelbſt durch
Gruͤnde von deſſen Allgemeinheit verſichern, weil Em-
pfindungen individual ſind. So koͤnnen wir auch jede
Empfindung, die ſich erneuern laͤßt, wiederholen, um
uns von der Wahrheit der Ausſage, worinn von ſolchen
Empfindungen die Rede iſt, unmittelbar ſelbſt zu ver-
ſichern. Auf eine aͤhnliche Art iſt es uns oft auch moͤg-
lich, von dem, was vorgegangen ſeyn ſoll, die Gruͤnde
und Folgen aufzuſuchen, und uns aus dieſen von der
Wahrheit der Nachricht zu verſichern (Dianoiol. §. 562.
563.). Hingegen wenn uns jemand ſagt, daß er die-
ſes oder jenes denke, ſo wiſſen wir zwar, daß er es denkt,
alldieweil er es ſagt, daß er es aber als wahr denke
oder es ſelbſt glaube, zumal wenn es uns unglaublich
vorkoͤmmt, davon koͤnnen wir keine ſo unmittelbare Ver-
ſicherung haben, und oͤfters giebt es Muͤhe, davon ge-
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/419>, abgerufen am 18.07.2024.
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