dungen und Nachrichten zu Mitteln haben, eine Erkenntniß zu erlangen. Die Empfindungen ge- ben uns unmittelbar eine historische Erkenntniß, und man ist ebenfalls schon daran gewöhnt, die dabey vor- kommende Gewißheit moralisch zu nennen, und zwar wiederum, weil sie von einer andern Art als die geo- metrische ist. Jn Ansehung der Nachrichten, wodurch wir jede Erkenntniß verstehen, die wir nur glauben, weil wir sie von andern haben, sind wir in so ferne von ihrer Wahrheit gewiß, so fern wir wissen, daß die davon gewiß sind, von welchen wir sie haben.
§. 251. Die geometrische Gewißheit, wenn sie an- ders ganz rein, und ohne Einmengung der andern Ar- ten seyn soll, kömmt eigentlich nur bey Wissenschaften vor, die im strengsten Verstande a priori sind, und bey einfachen oder für sich gedenkbaren Begriffen anfangen. Man sehe hierüber die vorhin (§. 249.) aus der Dia- noiologie und Alethiologie angezogenen Stellen. Hin- gegen kann sie bedingnißweise auch da vorkommen, wo die übrigen Arten der Gewißheit mit eingemengt wer- den, und zwar, da nur in so fern die Form der geome- trischen Demonstrationen dabey anwendbar ist. Denn da geht sie auf die Nothwendigkeit und Richtigkeit der Folgen. Beyspiele hievon kommen in der angewand- ten Mathesi und Physik häufig vor.
§. 252. Hingegen erstreckt sich die Gewißheit, so uns die Erfahrung giebt, unmittelbar auf das, so wir selbst a posteriori erlernen, und folglich auf die Begrif- fe, die wir nicht für sich denken können, wie die einfa- chen Begriffe (Dianoiol. §. 656. seq.). Die Natur- geschichte, und Experlmentalphysik bieten uns Beyspiele davon an. Die Begriffe und Sätze, so uns die Em- pfindungen unmittelbar angeben, sind individual. Sie werden durch Jnductionen allgemein, und die Möglich- keit, solche Jnductionen complet zu machen, oder von ei-
nigen
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Von dem Wahrſcheinlichen.
dungen und Nachrichten zu Mitteln haben, eine Erkenntniß zu erlangen. Die Empfindungen ge- ben uns unmittelbar eine hiſtoriſche Erkenntniß, und man iſt ebenfalls ſchon daran gewoͤhnt, die dabey vor- kommende Gewißheit moraliſch zu nennen, und zwar wiederum, weil ſie von einer andern Art als die geo- metriſche iſt. Jn Anſehung der Nachrichten, wodurch wir jede Erkenntniß verſtehen, die wir nur glauben, weil wir ſie von andern haben, ſind wir in ſo ferne von ihrer Wahrheit gewiß, ſo fern wir wiſſen, daß die davon gewiß ſind, von welchen wir ſie haben.
§. 251. Die geometriſche Gewißheit, wenn ſie an- ders ganz rein, und ohne Einmengung der andern Ar- ten ſeyn ſoll, koͤmmt eigentlich nur bey Wiſſenſchaften vor, die im ſtrengſten Verſtande a priori ſind, und bey einfachen oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen anfangen. Man ſehe hieruͤber die vorhin (§. 249.) aus der Dia- noiologie und Alethiologie angezogenen Stellen. Hin- gegen kann ſie bedingnißweiſe auch da vorkommen, wo die uͤbrigen Arten der Gewißheit mit eingemengt wer- den, und zwar, da nur in ſo fern die Form der geome- triſchen Demonſtrationen dabey anwendbar iſt. Denn da geht ſie auf die Nothwendigkeit und Richtigkeit der Folgen. Beyſpiele hievon kommen in der angewand- ten Matheſi und Phyſik haͤufig vor.
§. 252. Hingegen erſtreckt ſich die Gewißheit, ſo uns die Erfahrung giebt, unmittelbar auf das, ſo wir ſelbſt a poſteriori erlernen, und folglich auf die Begrif- fe, die wir nicht fuͤr ſich denken koͤnnen, wie die einfa- chen Begriffe (Dianoiol. §. 656. ſeq.). Die Natur- geſchichte, und Experlmentalphyſik bieten uns Beyſpiele davon an. Die Begriffe und Saͤtze, ſo uns die Em- pfindungen unmittelbar angeben, ſind individual. Sie werden durch Jnductionen allgemein, und die Moͤglich- keit, ſolche Jnductionen complet zu machen, oder von ei-
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Von dem Wahrſcheinlichen.
dungen und Nachrichten zu Mitteln haben, eine
Erkenntniß zu erlangen. Die Empfindungen ge-
ben uns unmittelbar eine hiſtoriſche Erkenntniß, und
man iſt ebenfalls ſchon daran gewoͤhnt, die dabey vor-
kommende Gewißheit moraliſch zu nennen, und zwar
wiederum, weil ſie von einer andern Art als die geo-
metriſche iſt. Jn Anſehung der Nachrichten,
wodurch wir jede Erkenntniß verſtehen, die wir nur
glauben, weil wir ſie von andern haben, ſind wir in ſo
ferne von ihrer Wahrheit gewiß, ſo fern wir wiſſen,
daß die davon gewiß ſind, von welchen wir ſie haben.
§. 251. Die geometriſche Gewißheit, wenn ſie an-
ders ganz rein, und ohne Einmengung der andern Ar-
ten ſeyn ſoll, koͤmmt eigentlich nur bey Wiſſenſchaften
vor, die im ſtrengſten Verſtande a priori ſind, und bey
einfachen oder fuͤr ſich gedenkbaren Begriffen anfangen.
Man ſehe hieruͤber die vorhin (§. 249.) aus der Dia-
noiologie und Alethiologie angezogenen Stellen. Hin-
gegen kann ſie bedingnißweiſe auch da vorkommen, wo
die uͤbrigen Arten der Gewißheit mit eingemengt wer-
den, und zwar, da nur in ſo fern die Form der geome-
triſchen Demonſtrationen dabey anwendbar iſt. Denn
da geht ſie auf die Nothwendigkeit und Richtigkeit der
Folgen. Beyſpiele hievon kommen in der angewand-
ten Matheſi und Phyſik haͤufig vor.
§. 252. Hingegen erſtreckt ſich die Gewißheit, ſo
uns die Erfahrung giebt, unmittelbar auf das, ſo wir
ſelbſt a poſteriori erlernen, und folglich auf die Begrif-
fe, die wir nicht fuͤr ſich denken koͤnnen, wie die einfa-
chen Begriffe (Dianoiol. §. 656. ſeq.). Die Natur-
geſchichte, und Experlmentalphyſik bieten uns Beyſpiele
davon an. Die Begriffe und Saͤtze, ſo uns die Em-
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/415>, abgerufen am 16.02.2025.
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