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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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Von dem Wahrscheinlichen.
die Fälle, wo sie vollständig statt hat, nicht durch dieje-
nigen in Zweifel ziehen, wo sich Jrrthum einmengte,
sondern sie muß in jedem Fall für sich, und während
dem er sich zuträgt, untersucht und erörtert werden, weil
man nachgehends nicht alle Jndividualien vor sich ha-
ben kann. So z. E. wenn ein Astronome oder ein Na-
turforscher Beobachtungen oder Versuche anstellt, so
muß die Gewißheit, daß er richtig dabey verfahren und
jede Umstände mit Bewußtseyn bemerkt habe, wäh-
render Beobachtung oder währendes Versuches erlangt
werden. Daß dieses, zumal bey einfachern Observatio-
nen und Versuchen, möglich und häufig geschehen sey,
das beweist die Astronomie durch die Mittel die sie hat,
die Veränderungen am Firmamente vorauszusagen, und
die Physik erweist es theils durch ähnliche Mittel, theils
auch dadurch, daß viele von ihren Versuchen wieder an-
gestellt und dadurch gleichsam auf die Probe gesetzt wer-
den können. Und da dient der oben (§. 232.) zum Be-
huf der Theologie angeführte Grundsatz: Was be-
ständig gewesen ist, fährt fort zu seyn, und wie-
ferne,
der sich bey Beurtheilung der Gewißheit einzel-
ner Empfindungen und deren Prüfung häufig anwen-
den läßt.

§. 248. So serne es demnach Fälle giebt, wo wir
bey eigenen Empfindungen zu einer völligen Gewißheit
gelangen können: so ferne können wir die Möglichkeit
davon auch andern zutrauen, und zwar desto mehr und
allgemeiner, je sorgfältiger und geübter sie sind, mit Be-
wußtseyn zu empfinden, und das Empfundene richtig zu
benennen. Kommen demnach solche Fälle vor, wo je-
mand ohne vorsetzliche Unachtsamkeit sich nicht hat irren
können, so wird die Glaubwürdigkeit seiner Nachricht
schlechthin auf den Willen reducirt. Und damit hat es
in Sachen, die wir allenfalls sogleich selbst erfahren
oder von mehrern Nachricht einziehen können, wenigen

Anstand.
C c 4

Von dem Wahrſcheinlichen.
die Faͤlle, wo ſie vollſtaͤndig ſtatt hat, nicht durch dieje-
nigen in Zweifel ziehen, wo ſich Jrrthum einmengte,
ſondern ſie muß in jedem Fall fuͤr ſich, und waͤhrend
dem er ſich zutraͤgt, unterſucht und eroͤrtert werden, weil
man nachgehends nicht alle Jndividualien vor ſich ha-
ben kann. So z. E. wenn ein Aſtronome oder ein Na-
turforſcher Beobachtungen oder Verſuche anſtellt, ſo
muß die Gewißheit, daß er richtig dabey verfahren und
jede Umſtaͤnde mit Bewußtſeyn bemerkt habe, waͤh-
render Beobachtung oder waͤhrendes Verſuches erlangt
werden. Daß dieſes, zumal bey einfachern Obſervatio-
nen und Verſuchen, moͤglich und haͤufig geſchehen ſey,
das beweiſt die Aſtronomie durch die Mittel die ſie hat,
die Veraͤnderungen am Firmamente vorauszuſagen, und
die Phyſik erweiſt es theils durch aͤhnliche Mittel, theils
auch dadurch, daß viele von ihren Verſuchen wieder an-
geſtellt und dadurch gleichſam auf die Probe geſetzt wer-
den koͤnnen. Und da dient der oben (§. 232.) zum Be-
huf der Theologie angefuͤhrte Grundſatz: Was be-
ſtaͤndig geweſen iſt, faͤhrt fort zu ſeyn, und wie-
ferne,
der ſich bey Beurtheilung der Gewißheit einzel-
ner Empfindungen und deren Pruͤfung haͤufig anwen-
den laͤßt.

§. 248. So ſerne es demnach Faͤlle giebt, wo wir
bey eigenen Empfindungen zu einer voͤlligen Gewißheit
gelangen koͤnnen: ſo ferne koͤnnen wir die Moͤglichkeit
davon auch andern zutrauen, und zwar deſto mehr und
allgemeiner, je ſorgfaͤltiger und geuͤbter ſie ſind, mit Be-
wußtſeyn zu empfinden, und das Empfundene richtig zu
benennen. Kommen demnach ſolche Faͤlle vor, wo je-
mand ohne vorſetzliche Unachtſamkeit ſich nicht hat irren
koͤnnen, ſo wird die Glaubwuͤrdigkeit ſeiner Nachricht
ſchlechthin auf den Willen reducirt. Und damit hat es
in Sachen, die wir allenfalls ſogleich ſelbſt erfahren
oder von mehrern Nachricht einziehen koͤnnen, wenigen

Anſtand.
C c 4
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[407/0413] Von dem Wahrſcheinlichen. die Faͤlle, wo ſie vollſtaͤndig ſtatt hat, nicht durch dieje- nigen in Zweifel ziehen, wo ſich Jrrthum einmengte, ſondern ſie muß in jedem Fall fuͤr ſich, und waͤhrend dem er ſich zutraͤgt, unterſucht und eroͤrtert werden, weil man nachgehends nicht alle Jndividualien vor ſich ha- ben kann. So z. E. wenn ein Aſtronome oder ein Na- turforſcher Beobachtungen oder Verſuche anſtellt, ſo muß die Gewißheit, daß er richtig dabey verfahren und jede Umſtaͤnde mit Bewußtſeyn bemerkt habe, waͤh- render Beobachtung oder waͤhrendes Verſuches erlangt werden. Daß dieſes, zumal bey einfachern Obſervatio- nen und Verſuchen, moͤglich und haͤufig geſchehen ſey, das beweiſt die Aſtronomie durch die Mittel die ſie hat, die Veraͤnderungen am Firmamente vorauszuſagen, und die Phyſik erweiſt es theils durch aͤhnliche Mittel, theils auch dadurch, daß viele von ihren Verſuchen wieder an- geſtellt und dadurch gleichſam auf die Probe geſetzt wer- den koͤnnen. Und da dient der oben (§. 232.) zum Be- huf der Theologie angefuͤhrte Grundſatz: Was be- ſtaͤndig geweſen iſt, faͤhrt fort zu ſeyn, und wie- ferne, der ſich bey Beurtheilung der Gewißheit einzel- ner Empfindungen und deren Pruͤfung haͤufig anwen- den laͤßt. §. 248. So ſerne es demnach Faͤlle giebt, wo wir bey eigenen Empfindungen zu einer voͤlligen Gewißheit gelangen koͤnnen: ſo ferne koͤnnen wir die Moͤglichkeit davon auch andern zutrauen, und zwar deſto mehr und allgemeiner, je ſorgfaͤltiger und geuͤbter ſie ſind, mit Be- wußtſeyn zu empfinden, und das Empfundene richtig zu benennen. Kommen demnach ſolche Faͤlle vor, wo je- mand ohne vorſetzliche Unachtſamkeit ſich nicht hat irren koͤnnen, ſo wird die Glaubwuͤrdigkeit ſeiner Nachricht ſchlechthin auf den Willen reducirt. Und damit hat es in Sachen, die wir allenfalls ſogleich ſelbſt erfahren oder von mehrern Nachricht einziehen koͤnnen, wenigen Anſtand. C c 4

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/413>, abgerufen am 24.11.2024.